Aus mit Power

Die Finanzchefin einer Konzerntochter mit rd. 1.800 Mitarbeitern in ganz Österreich über den schmalen Grad, an dem die hohen eigenen Leistungsmaßstäbe in Überforderung kippen.

Wie sind Sie ins Burnout hinein gerutscht?

Das Problem beginnt damit, dass einem selbst ja gar nicht auffällt, dass man ins Burnout rutscht. Mir selbst ist es erstmals bewusst geworden, als ich während meiner Schwangerschaft abrupt, von einer Stunde auf die andere, durch einen Krankenhausaufenthalt meine Arbeit abbrechen musste. Ein Zwangsstop, der sich wie eine Art Pensionsschock angefühlt hat, wo dir von einem Tag auf den anderen die Arbeit entzogen wird. Ich fand 60 Stunden Wochen ganz normal, nach dem Motto: "Das ist eben so, das gehört zum Job dazu." Und wenn noch zusätzliche Aufgaben dazukamen, habe ich mir gesagt: "Das schaffe ich auch noch." Ich bin schon lange bei der Firma und habe mich durch interne und externe Weiterbildung zur Finanzleiterin hochgearbeitet. Die Konzernsparte, in der ich tätig bin, ist ein traditionell männerdominierter Bereich. Da der Mehreinsatz, den ich gebracht habe, nicht immer gewürdigt wurde, musste ich mir den Aufstieg auch erkämpfen, die Initiative ergreifen und auch mal darauf aufmerksam machen. Dadurch ging es dann wieder einen Schritt weiter, andernfalls hätte ich wohl ewig in der damaligen Position weitergestrampelt. Natürlich war die neue Aufgabe wieder mit mehr Arbeit verbunden. Da ich mir gegenüber meinen Kollegen keine Blöße geben wollte, nachdem ich mir die Position mühsam erarbeitet hatte und noch dazu den inneren Anspruch hatte, immer perfekt zu sein und jede Anforderung meistern zu können, fiel es mir auch schwer, Zusatzaufträge abzulehnen. Dadurch wurde die Arbeit noch mehr.

Im Zuge der Schwangerschaft ist Ihnen das Burnout bewusst geworden?

Nein, das kam eigentlich erst später, nachdem ich wieder aus der Karenz zurück war. Circa eineinhalb Jahre nach meinem Wiedereinstieg war ich wieder in dieser Spirale drinnen. So richtig bewusst geworden ist mir die Entwicklung erst bei einem Seminar, in dem ich gesehen habe, welche Stufen es beim Burnout gibt. Man liest zwar immer wieder Beiträge in Zeitungen, bezieht das aber trotzdem nicht auf sich. Bei dem Seminar wurden die klassischen Symptome besprochen und die kamen mir sehr bekannt vor: Man stellt immer die Arbeit an die erste Stelle und ordnet dem alles unter, man vernachlässigt seine Freunde, reduziert die sozialen Kontakte auf ein Minimum, schiebt immer wieder die Arbeit als Entschuldigung vor, usw. Es ist ein Prozess, der sich über längere Zeit zieht. Dazu kommen körperliche Beschwerden: Ich hatte ca. die Hälfte des Jahres Halsschmerzen, habe permanent an einer Angina herumgearbeitet, war extrem müde und immer am Wochenende oder im Urlaub krank. Trotzdem schiebt man es immer wieder von sich weg, indem man sich selbst sagt: "Gut, aber dafür bekomme ich auch etwas, ich habe Erfolg in meinem Beruf. Das ist eben der Preis, den man dafür zu zahlen hat."

Haben die körperlichen Beschwerden erst mit der neuen Funktion begonnen?

In Ansätzen gab es das schon vorher. Ich glaube, es gibt einen bestimmten Typus, der dafür besonders anfällig ist: Leute, die sehr ehrgeizig sind, die alles perfekt machen wollen und daher dazu neigen, sich selbst zu überfordern. Menschen, die glauben, alles können zu müssen, aber keine Fehler machen dürfen.

Was passierte nach dem Eingeständnis, überfordert und total erschöpft zu sein?

Die Änderung geschah nicht von heute auf morgen. Ich habe nach diesem Seminar ein Einzelcoaching begonnen und mir dabei genau angeschaut, was mir eigentlich wichtig ist, was meine Werte und Ziele sind, wo ich eigentlich hin will und was dafür bereit bin zu geben. Ich war mit der Frage konfrontiert: Wie kann es sein, dass ich in der Arbeit für alles Zeit habe, nur für mein Privatleben habe ich nie Zeit? Aus dieser Spirale rauszukommen gelingt meines Erachtens nur, wenn man selbst den Wunsch hegt, so nicht weitermachen zu wollen, weil einem etwas in seinem Leben fehlt.

Ist der Wunsch nicht sofort begleitet von dem Gedanken: "Ich würde ja gern, kann es auch nicht ändern, die Arbeit muss gemacht werden."

Ja, klar. Diese Hilflosigkeit blockiert einen, aber sie geht einher mit ganz bestimmten Überzeugungen und Annahmen, die es zu hinterfragen gilt. Und dann sieht man plötzlich, dass man ja auch Mitarbeiter hat und sich nichts vergibt, wenn man bestimmte Arbeiten abgibt. Man merkt, dass es Möglichkeiten gibt, sie zu fördern, damit sie einem selbständiger zuarbeiten können und dass ihnen das sogar Spaß macht. Ich verbreitere damit die Wissensbasis in meinem Bereich und bin dadurch bei immer mehr Themen nicht mehr der alleinige Ansprechpartner. Dadurch gewinne ich Zeit.

Ist es nicht Teil des Musters, sich für relativ unersetzlich zu halten?

Ja. "Nur wenn ich es selber gemacht habe, ist es gut gemacht. Bis ich das einem anderen erklärt habe, habe ich es zweimal selbst gemacht." Das spielt sicher eine große Rolle. Wenn man schließlich nur mehr erschöpft ist, die sozialen Kontakte total reduziert sind und einem nichts mehr Spaß macht, sondern alles egal ist, dann sind auch die Sinnfragen nicht weit: Warum tue ich mir das überhaupt an, was hat das für einen Sinn? Ab einem gewissen Punkt haben mir beispielsweise auch meine Erfolge keine Freude mehr gemacht. Ich habe mir Ziele gesetzt, habe sie auch erreicht, aber überhaupt keine Befriedigung mehr daraus gezogen. Früher war das wie ein neuer Energiestoß, am Schluss war mir das alles völlig egal. Ich hatte weniger das Gefühl, ich kann nicht mehr, sondern eher: Ich will nicht mehr, es macht keinen Spaß mehr. Die Freude am Beruf war weg, es war alles nur mehr mühsam.  

Einer der Ratschläge aus dem Umfeld ist dann häufig: "Dann mach doch etwas anderes."

Ja, das habe ich selbst auch überlegt. Ich war schon knapp davor, alles hinzuwerfen, fand aber dann die Alternativen auch nicht attraktiver.

Was waren konkret die ersten Aktionen?

Ich habe begonnen zu laufen, zusammen mit einer Freundin, an zwei fixen Terminen pro Woche. An einem dritten Termin haben wir Gymnastik gemacht. Die Bewegung war für mich ein gutes Ventil. Nicht um mich zu verausgaben, sondern um wieder etwas zu haben, das mir Spaß macht. Ich hatte wieder einen sozialen Kontakt und das hat mir wieder etwas Motivation und Kraft gegeben. In der Firma hatte ich bisher immer eine offene Bürotür gehabt, mit dem Nachteil, durch die vielen Unterbrechungen nie strukturiert arbeiten zu können. Ein Ergebnis des Coachings war die bewusste Entscheidung, einmal am Tag für zwei Stunden die Tür zu schließen. Ich habe meinen Mitarbeitern gesagt, dass ich ab jetzt die Tür zeitweise zumache, um ein Thema konzentriert abzuarbeiten und ihr Feedback war ausgesprochen positiv, was mich bestärkt hat, in diese Richtung weiterzugehen. Im Grunde haben sie sich schon die längste Zeit darüber gewundert, wie ich es schaffe, angesichts der ständigen Unterbrechungen meine Arbeit zu machen.

Was haben Sie noch verändert?

Ich mache nicht mehr so viele Überstunden. Ich dachte immer, ich muss als Vorgesetzte im Sinn der Vorbildwirkung die erste sein, die ins Büro kommt und die letzte, die geht und zudem sollte ich möglichst immer verfügbar sein. Das habe ich begonnen zu drosseln. Es gibt zwar immer noch Monate mit vielen Überstunden, aber inzwischen liegt das in einem Bereich, der okay ist. Und ich lasse den Mitarbeitern einfach mehr Entscheidungsfreiraum als früher, was mich zeitlich weiter entlastet.

Gab es Reaktionen auf Ihr früheres Verlassen des Büros?

Ja. Keine Kommentare, aber erstaunte Blicke. Inzwischen gehe ich einmal in der Woche fix um 16.00 Uhr nach Hause. Das ziehe ich durch. Am Anfang ist mir das extrem schwer gefallen: "Da könnten die Mitarbeiter ja denken: Die hat es gut, die macht es sich leicht und ich muss noch dasitzen und das fertig machen, was sie mir gerade noch aufgetragen hat." Und nach oben hin: Mein Chef könnte sich ja wundern: Warum ist die um 16.00 Uhr nicht mehr da? Ich habe sicherheitshalber deponiert, das man mich in dringenden Fällen am Firmenhandy erreichen kann, aber das ist bis dato noch kaum passiert. In dem halben Jahr, seit ich das praktiziere, gab es in Summe vielleicht fünf Anrufe.

Was hat sich für Sie im vergangenen Jahr körperlich und psychisch geändert?

Körperlich hat sich geändert, dass bei der Gesundenuntersuchung meine Blutwerte wieder auf einem guten Niveau sind. Ich fühle mich fitter und belastbarer, es gibt weniger, das mich aus der Ruhe bringt und in Stress versetzt. Heute schaue ich bei den Aufgaben im Büro zuerst: Ok, wer kann das außer mir machen? Zum anderen denke ich nicht mehr automatisch, dass alles immer sofort passieren muss. Dadurch kann man Tempo herausnehmen.

Aber wie überzeugt man sich als Perfektionist, dass das auch andere machen können?

Indem man es schrittweise angeht. Man gibt jemandem die Aufgabe, sagt der Person, wie man es sich vorstellt und lässt sie es einmal probieren. Dann geht man es gemeinsam durch, streicht heraus, was richtig gemacht wurde und wenn man etwas findet, das nicht stimmt, weist man in netter Form darauf hin und bittet, in Zukunft darauf zu achten. Dann lässt man die Person den Fehler ausbessern und macht einen letzten Check. Mit der Zeit findet man plötzlich Spaß daran, weil man bei den Mitarbeitern eine Entwicklung sieht.

Heute frage ich mich bewusst immer wieder: Was mache ich da eigentlich? Ist das wirklich eine Aufgabe, die unbedingt ich erledigen muss oder könnte das nicht auch einer meiner Mitarbeiter? Wenn das fünf oder sechs Tätigkeiten mit jeweils einer halben Stunde Arbeit sind, bedeutet das drei Überstunden pro Woche weniger und es macht schon einen Unterschied, ob ich 50 oder 47 oder 44 Stunden in der Woche arbeite. Heute schaue ich auch darauf, dass meine Mitarbeiter nicht ins Burnout rutschen. Viele Überstunden zu machen, kann temporär ok sein, z.B. wenn der Jahresabschluss zu machen ist, aber ich habe meine Mitarbeiter inzwischen auch schon direkt aufgefordert, im nächsten Monat die Überstunden radikal zu vermindern. Eine Mitarbeiterin war richtig fertig und momentan vor den Kopf gestoßen, als ich das gesagt habe. Am Anfang hat sie das als Zwangsbeglückung empfunden, aber drei Monate später ist zu mir gekommen und hat sich bedankt.

Wie sagt man als jemand, dem es ein Graus ist, eine Aufgabe abzulehnen, Nein?

Man sagt ja nicht direkt Nein. Man formuliert es weicher: "Naja, ich kann mir das einmal anschauen und prüfen." Wenn die Prüfung kein positives Ergebnis zeigt, kann man es auch wieder fallen lassen. Meine Erkenntnis dabei war: Man braucht teilweise nicht einmal die Prüfung beginnen, weil nach gewissen Dingen, die am Anfang angeblich extrem wichtig und dringend sind, schon nach kurzer Zeit kein Mensch mehr fragt. Da kann man viel Zeit sparen.

Wie geht es Ihnen heute, verglichen mit vor einem Jahr?

Wesentlich besser. Mein Coach würde sagen, ich bin weicher geworden. (lacht). Ich bin weit davon entfernt, dass ich sagen würde, ich habe 100 Prozent Energie. Beruf und Kleinkind kosten immer noch viel Kraft, aber ich habe heute sicher die doppelte Energie wie noch vor einem Jahr und eine ganz andere Motivation und Einstellung. Die Bewegung und das Wiederbeleben der sozialen Kontakte haben mir sehr viel Kraft gegeben. Ich erlaube mir heute bewusst, mir selbst etwas Gutes zu tun und mir Zeit für mich zu nehmen.

Wenn Sie heute bei einem Bekannten merken würden, dass er immer tiefer ins Burnout rutscht, was würden Sie ihm sagen?

Das ist schwierig, denn wenn man drinnen steckt, will man es meist nicht hören. Wenn damals jemand zu mir gesagt hätte, du hast ein Burnout, hätte ich wahrscheinlich gesagt: "Das mögen andere haben, aber ich nicht. Die viele Arbeit macht mir nichts, ich bekomme ja auch was dafür." Am Anfang steht das Eingeständnis, dass etwas falsch läuft, erst dann ist man aufnahmefähig für Änderungen.

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