Brainstormen allein reicht nicht

Damit revolutionäre Ideen entstehen, genügt es nicht, frei zu phantasieren. Es sind gerade die Vorgaben, die Brainstorming effektiv machen.

Wer hat das nicht schon erlebt: Ein Brainstorming wird angesetzt, die Flips füllen sich mit Ideen, doch wirkliche Begeisterung mag keine aufkommen. Denn vor allem findet sich auf den vollgeschriebenen Flips Altbekanntes, bereits oft Gedachtes. Von wirklich kreativen, andersartigen, geschweige denn bahnbrechenden und revolutionären Ideen ist weit und breit keine Spur. Woran liegt das? An der Technik selbst, überzogenen Erwartungen oder an der häufig vagen und ungenauen Aufgabenstellung?

In der neue Ausgabe des Harvard Business Manager (Juli 2008) beschäftigen sich das Autorenteam Kevin Coyne, Patricia Gorman, Clifford und Renee Dye, welcher Voraussetzungen es bedarf, damit Brainstorming sein Potential wirklich ausschöpfen kann.

Paradoxe Aufforderungen

Kreativitätstechniken sind oft begleitet von der Aufforderung, "bewusst unkonventionell zu denken", "sich von "gedanklichen Barrieren frei zu machen". Wie soll das bitte gehen? Vorgaben und Leitlinien gelten per se als Feind kreativer Ideenfindung. Doch die meisten Manager und Mitarbeiter, so die Beobachtung der Autoren, können gerade innerhalb vorgegebener Strukturen sehr effektiv denken, da sie im Rahmen ihrer Arbeit ständig mit Beschränkungen konfrontiert sind und daher automatisch im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach alternativen Lösungen und Zugängen suchen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln jonglieren und diese neu zusammensetzen. Statt also die Teilnehmer aufzufordern, "über den Rahmen hinauszudenken" – was auch immer das bedeuten mag – ist es nach Ansicht der Autoren viel wirkungsvoller, "einen anderen Rahmen vorzugeben". Und dieser andere Rahmen entsteht durch die richtigen Fragen. Es gilt Vorgaben zu machen, die nützlich sind, sihc aber von denen unterscheiden, an die die Mitarbeiter normalerweise gebunden sind.

Klingt gut, aber was heißt das jetzt genau? Am Beginn ihres Beitrags demonstrieren sie den Unterschied folgendermaßen: "Angenommen Sie stellen die Aufgabe: 'Entwickeln Sie eine neue Geschäftsidee. Sie haben 20 Minuten Zeit.' Allzu häufig haben wir erlebt, dass Manager angesichts einer derart diffusen Aufgabe kapitulieren, ohne sich überhaupt ernsthaft an einer Lösung zu versuchen. Stellen wir stattdessen eine konkretere Aufgabe: ' Was haben Inlineskates, Häagen-Dazs-Eis und Spider-Man-Filme gemeinsam?' Die Antwort lautet: sie beruhen alle auf demselben Prinzip. Ein Unternehmen nimmt etwas ins Visier, das Kinder besonders gern mögen und produziert eine extremere und teurere Variante für Erwachsene. Ausgehend von diesen Beispielen würde Ihnen sicher auch etwas dazu einfallen und sicher kämen in der Gruppe einige interessante Ideen heraus."

Entscheidend ist somit
a. die richtigen Fragen zu stellen und
b. wie Sie solche Kreativsitzungen organisieren und durchführen

Die richtigen Fragen

Wie stellt man sich nun "die richtige" Frage? Dazu untersuchte das Autorenteam eine Reihe von Unternehmen, die es geschafft hatten, aufgrund revolutionärer Ideen in kurzer Zeit rasant zu wachsen. Dabei interessierte sie vor allem, welche Fragen am Anfang dieser Entwicklungen standen. Dabei stellte sich heraus, dass es nicht darauf ankam, ob ein Unternehmen von einer bestimmten Frage ausgegangen war oder nicht, sondern dass entscheidend war, ob überhaupt eine Frage existierte, die außergewöhnliche Marktchancen hätte aufdecken können, wie sie z.B. CNN, Ebay Google oder Amazon ausgenutzt hatten. Die Autoren wählten rund 50 revolutionäre Ideen aus und verfolgten zurück, "welche Fragen am Anfang der jeweiligen Idee gestanden haben könnten, die jedem intelligenten Manager dieselbe Eingebung beschert hätten." Einige Fragen waren sehr branchenspezifisch, doch es schälten sich auch Fragen mit durchaus allgemeingültigem Charakter heraus.

Eine kleine Auswahl der eher allgemeinen Fragen wäre:

Käufer und Nutzer differenziert betrachten:

     

  • Welche Kunden verwenden oder kaufen unser Produkt auf besonders ungewöhnliche Art und Weise?
  • Welche Kunden investieren mindestens 50 Prozent des Produktpreises, um es ihren Bedürfnissen anzupassen?

Unerwartete Erfolge aufdecken:

     

  • Wer verwendet unser Produkt auf eine Weise, die wir gar nicht beabsichtigt oder erwartet hatten?
  • Wer verwendet unser Produkt in überraschend großen Mengen?

Andere Branchen und Unternehmen beobachten:

     

  • Wer kämpft mit demselben Problem wie wir, aber aus einem anderen Grund? Wie gehen diese Unternehmen das Problem an?
  • Welche Informationen über Kunden oder Produktverwendung fallen als Nebenprodukt unseres Geschäfts an, das wir nutzen können, um ein anderes Geschäft radikal zu verbessern?

Hindernisse für Kundenbindung analysieren:

     

  • Was ist das größte Ärgernis beim Kauf oder Gebrauch unserer Produkte?
  • Welche spontanen Verbesserungen haben Kunden an unserem Produkt vorgenommen?
  • Welche Kunden bedient die Branche bewusst nicht und warum?

Der richtige Ablauf

Geleitet werden Brainstorming-Treffen oft vom Chef, vor dem sich keiner eine Blöße geben will oder von einem Moderator, der das Geschäft nicht kennt. Eine Brainstorming-Sitzung steht und fällt mit der Zusammensetzung. Abhängig von der Fragestellung sollten vor allem solche Personen eingeladen werden, die eigene Beobachtungen und Erfahrungen beisteuern und unterschiedliche Zugänge und Blickwinkel einbringen können.

Den Rahmen abstecken: Was macht im konkreten Fall eine gute Idee aus? Was genau suchen wir? Eine radikal neue Idee oder einen sicheren Gewinnbringer? Wie viele Resourcen stehen und zur Verfügung, wie schnell muss sich die Investition rechnen? Wenn es solche Rahmenbedingungen gibt, macht es Sinn, sie auch klarzumachen, um nicht eine Fülle von Ideen zu produzieren, die dann wegen mangelnder Realisierungsmöglichkeiten wieder ausgeschieden werden müssen, was nur Frust erzeugt. Es sind gerade die Grenzen – die Rahmenbedingungen für die Ideenfindung – die die Kreativität in die richtigen Bahnen lenken.

Motivation, sich zu engagieren: Bei einer klassischen Brainstorming-Sitzung ist den meisten Teilnehmern der Erfolg deutlich weniger wichtig als Ihnen. Kleine Tricks, um das zu ändern und sie anzuspornen, alles zu geben, wären: Eine kleine Wette unter den Kleingruppen: 10 Euro für diejenige Gruppe, die die besten Vorschläge bringt. Oder das Versprechen, dass das Siegerteam die Logofarbe des Endprodukts auswählen darf, oder die Zusage, dass das Siegerteam als Statisten im Fernsehwerbespot auftreten darf. Wie auch immer der Incentive aussieht, den Sie sich überlegen, er fördert das Engagement.
Soziale Normen nützen: Bei einer Gruppe über 10 Personen gibt es immer einige wenige dominante Personen, die viel reden, während sich die meisten anderen aufs Zuhören beschränken. Die Unterteilung in Vierer- oder Fünferteams sorgt dafür, dass sich keiner "verstecken kann", sondern sich aktiv beteiligt. Umso mehr wenn man die dominanten Personen in einer Gruppe zusammenfasst.

Mehrstufiger Prozess: Überraschend viele Brainstorming-Sitzungen sind einmalige Ereignisse. Dabei wirken sie oft als Anstoss, sich über eine bestimmte Frage Gedanken zu machen und im Hinterkopf weiter damit zu beschäftigen, indem man Ideen weiterentwickelt, umformt etc. All das geht verloren, wenn es bei der einen Sitzung bleibt. Zudem entstehen oft Ideen, die mit Daten unterlegt werden müssen, um ihre Tauglichkeit abschätzen zu können. (Haben wir hier überhaupt Daten? Wissen wir, wie Kunden damit umgehen oder müssten wir erst einmal Daten zusammentragen? Planen Sie daher nächste Schritte ein.
Auswahl der Ideen: Es gibt nichts frustrierenderes als eine lange Liste von Ideen, bei denen völlig unklar ist, was davon weiterverfolgt wird. Schieben Sie das Sortieren der Ideen nicht auf. Wird das nicht sofort erledigt, ist die Gefahr groß, dass die Anstrengungen im Sand verlaufen. Vor allem aber geht es beim Brainstorming nicht nur darum, möglichst viele Ideen zu produzieren, sondern die guten Ideen herauszufiltern und in einem nächsten Schritt gleich weiterzuentwickeln. Und zwar jetzt und hier und nicht irgendwann in den nächsten Wochen.
Siegerideen benennen: Vielen Manager widerstrebt es, Sieger zu küren, weil die befürchten, damit die anderen Teilnehmer zu enttäuschen. Das ist ein Fehler. Den meisten ist es lieber, sofort zu erfahren, welche Ideen ausgewählt wurden. ´

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