Was leistet Beratung? Teil 3

Dr. Christoph Kolbeck skizziert einige zentrale Kritikpunkte der Wissenschaft an populären Beratungsansätzen.

Managementkonzepten ist gemein, daß sie bestimmte Erfolgsfaktoren in den Mittelpunkt stellen, die bisher aus Sicht der Modeschöpfer vernachlässigt worden sind. Diese ‘Erfolgsfaktorenforschung’ ist aber aus wissenschaftlicher Sicht mit großen Fragezeichen versehen:

     

  • Versteht man ein Unternehmen als ein soziales System, bereitet es große Probleme, den Wettbewerbserfolg einer Organisation auf wenige Erfolgsfaktoren zu reduzieren. Einzelne Erfolgsfaktoren entfalten häufig erst in der Verknüpfung mit anderen Einflußgrößen ihr optimales Nutzenpotential. Eine statistische Isolierung spezifischer Erfolgsfaktoren ist daher - wenn überhaupt - nur unter großen Informationsverlusten möglich. 
  • Selbst wenn sich Erfolgsfaktoren isoliert identifizieren lassen, besteht immer noch das Problem der Operationalisierung. Wie lassen sich bspw. Kriterien wie Schnelligkeit, Flexibilität oder Innovationsförderlichkeit quantifizieren? Auf diese Frage geben die Modekonzepte keine eindeutigen Antworten, sondern flüchten sich in nichtssagende Aussagen. So sprechen Peters und Waterman bspw. von ‘straff-lockerer Führung’ und verstehen darunter “soviel Führung wie nötig, so wenig Kontrolle wie möglich. Die überragenden Unternehmen sind zentralistisch und dezentralisiert zugleich.” Eine präzise Beschreibung der Umsetzungsprozesse, wie ein Unternehmen zu einem exzellenten Unternehmen werden kann, ist dem Buch aber nicht zu entnehmen. Auch der BPR-Guru Champy meinte in einem Interview, daß ein Unternehmen, das sich auf das Konzept einläßt, sich auf eine Reise begibt, “von der keiner so genau weiß, wohin sie geht und wie lange sie dauert” und für die es nicht einmal eine Landkarte gibt.
  • Es ist weiterhin fraglich, ob die Erfolgskriterien, die sich in bestimmten Unternehmen bewährt haben, auch für andere Unternehmen gelten. Die von den Managementmoden unterstellte Generalisierbarkeit ist mit einigen Fragezeichen behaftet, da unternehmens- und branchenspezifische Besonderheiten nicht berücksichtigt werden.

Wirklich neu?

Weitere Ansatzpunkte zur Kritik sehen die wissenschaftlichen Beobachter in der Neuigkeitsdramatisierung der Konzepte. Die auf den ersten Blick neuen Konzepte erweisen sich bei einer genaueren Analyse zum Teil als Kombination von bekannten Wissenselementen. Auch in bezug auf BPR kann festgestellt werden, daß die Grundideen der Prozeßgestaltung schon länger bekannt sind. Nach Picot geht die Analyse von Prozessen in Deutschland bis auf Nordsieck (1934) zurück und wurde in jüngeren Arbeiten weiterentwickelt. In einem Interview mit der Zeitschrift für Organisation ‘gesteht’ Hammer, daß die Kritik berechtigt ist: “Viele Aspekte des Reengineering haben unterschiedliche Quellen. Plagiat ist das Kopieren einer Quelle, Forschung ist das Kopieren einer Vielzahl von Quellen. Ich bin ein Forscher und somit auf der sicheren Seite.” Genauso fragwürdig wie die wissenschaftliche Fundierung dieser Ansätze ist der oft propagierte Erfolg dieser Konzepte.

Praktische Wirkung?

Homburg geht in seiner Studie der Frage nach, wie es um die Anwendbarkeit des Konzeptes des BPR in der Praxis bestellt ist. Das Ziel der Untersuchung war, ein umfassendes Bild der Erfahrungen deutscher Unternehmen mit dem Konzept des Reengineering zu zeichnen. Dazu wurden branchenübergreifend einhundert deutsche Unternehmen mit mehr als eintausend Beschäftigte befragt, die mehrjährige Reengineeringerfahrung besitzen. Im Hinblick auf die Frage, welche Ziele die Unternehmen mit den Reengineering-Projekten verfolgen, kristallisierten sich fünf Zielsetzungen heraus. Die höchste Bedeutung kommt dabei der Steigerung der Produktivität zu. In einem nächsten Schritt wurden den Unternehmen die Frage gestellt, inwiefern die angestrebten Zielsetzungen tatsächlich erreicht wurden.

Die Gegenüberstellung zeigt, daß bei allen Zielen deutliche Lücken zwischen Anspruch und Realität bestehen. Bei keinem der genannten Ziele liegt die ‘Zielerreichungsquote’ deutlich über 50 Prozent. Überraschenderweise tritt die größte Diskrepanz dabei beim wichtigsten Ziel ‘Steigerung der Produktivität’ auf. Der Zielerreichungsgrad liegt hier lediglich bei etwa einem Drittel. Mit Homburg kann entsprechend eine ernüchternde Bilanz bisheriger Reengineering-Aktivitäten gezogen werden: “Die dargestellten Ergebnisse unserer empirischer Untersuchung lassen nur den Schluß zu, daß das Konzept des Reengineering in der Anwendung gescheitert ist.”

Eine von der amerikanischen Beratung Arthur D. Little durchgeführte Studie umfaßt 350 Unternehmen, die in vierzehn unterschiedlichen Branchen tätig sind. Auch diese untersuchten Unternehmen haben alles andere als Quantensprünge verzeichnen können. Nur bei 1/6 der Befragten sind die Ergebnisse erwartungsgemäß ausgefallen: “Nur 17 Prozent waren wirklich zufrieden. Nahezu 40 Prozent waren schlicht desillusioniert, oft hatten sie nur spärliche Teilerfolge verzeichnet, oder das ganze Programm dauerte zu lange. Fast 70 Prozent der Unternehmen räumten unvorhergesehene Probleme und unbeabsichtigte Nebeneffekte ein.”

Wie wirkt Downsizing?

Bei solchen Ergebnissen stellt sich die Frage, ob nur das BPR-Konzept gescheitert ist oder ob auch andere Managementmoden nicht den erhofften Erfolg gebracht haben. Wie verhält es sich bspw. mit den Auswirkungen und Konsequenzen der Anfang der neunziger Jahre durchgeführten Downsizing-Projekte? Die bisher umfangreichste Studie in diesem Feld wurde von Cameron, Freemann, and Mishra durchgeführt: Bei den untersuchten Redimensionierungsprojekten zeigten sich zwölf wiederholt auftretende negative Nebeneffekte.

Diese sog. ‘dirty dozen’-Effekte sind mit den Auswirkungen für die Organisation im folgenden aufgeführt:

     

  • Centralization: Die Entscheidungskultur wird nach oben verlagert und es werden weniger Machtbefugnisse geteilt.
  • Short term, crisis mentality: Der Zeithorizont wird verengt zur Unmittelbarkeit mit einer Vernachlässigung des langfristigen Denkens.
  • Loos of innovativeness: Versuch- und -Irrtums-Lernen wird beschnitten und insgesamt gibt es weniger Toleranz für Risikoübernahme und Fehlermachen.
  • Resistance to change: Zunahme an Konservatismus und Bewahrung eingenommer Positionen.
  • Decreasing morale: Reibereien und abnehmende gegenseitige Hilfsbereitschaft machen sich breit.
  • Politicized special-interest groups: Spezielle Gruppeninteressen organisieren sich und machen sich stärker bemerkbar. Insgesamt entsteht eine Zunahme an Politisierung.
  • Nonprioritized cutbacks: Abnehmende Prioritätenbildung; man versucht Konflikten durch unternehmensweite ‘Rasenmäher’-Kürzungen aus dem Weg zu gehen.
  • Loss of trust: Führungsfiguren verlieren das Vertrauen ihrer Mitarbeiter, es entsteht Mißtrauen in der Belegschaft.
  • Increasing conflict: Geringere Ressourcen verstärken den Verteilungskampf.
  • Restricted communication: Nur noch gute Nachrichten werden nach oben weitergegeben. Information wird insgesamt aus Angst und Mißtrauen nicht mehr offen zugänglich gemacht.
  • Lack of teamwork: Einsetzender Individualismus und ein ‘Sich-Abkoppeln’ erschweren Teamarbeit.
  • Lack of leadership: Ausprägung einer Leadership-Schwäche, da die Führungsfiguren als Sündenböcke herhalten müssen; Entstehen einer Art ‘Festigungsmentaltität’.

Fazit: Den Managementkonzepten mangelt es nicht nur an theoretischer Stringenz, sondern auch an praktischer Wirksamkeit.

Autor: Dr. Christoph Kolbeck, Universität Witten/Herdecke, 05.2000

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