Was leistet Beratung? Teil 2

In einer bemerkenswerten Dissertation gibt Christoph Kolbeck einen aufschlußreichen Überblick über den (eher dürftigen) Stand der einschlägigen Forschung über Unternehmensberatung, er untersucht die Gründe für die zunehmende Kritik bezüglich der Wirksamkeit von Beratungsleistungen und vergleicht mehrere Beratungsansätze, ihre Grundannahmen und Tätigkeitsformen. Einige der interessantesten Ergebnisse in geraffter Form.

Stand der Forschung

Derzeit gibt es wenig gesichertes Wissen darüber, welche Wirkung externe Beratungsleistungen ausüben. Zudem existiert ein fundamentaler Widerspruch zwischen der außerordentlichen Dynamik dieser Branche einerseits und der seit Jahren zunehmenden Kritik an Unternehmensberatern und –beratungen andererseits. Die Kritik richtet sich dabei vornehmlich an die von den Beratern mitinduzierten Managementmoden, den hohen Standardisierungsgrad der Beratungsprojekte und die zum Teil unzureichende Implementierungsunterstützung. Eine gezielte Beratungsforschung beginnt sich erst langsam zu etablieren.

In der Literatur finden sich lediglich Systematisierungsbeiträge, die Beratung aus verschiedenen Perspektiven beschreiben und nach bestimmten Kategorien analysieren. Die wenigen Studien zum Thema begnügen sich damit, verbale Stellungnahmen von Beratern und Klienten über deren Beratungserfolge zu quantifizieren. Ein weiteres Defizit im Evaluierungsbereich ist, dass die Qualität der zur Anwendung gelangten Methoden einen eher niedrigen Stand aufweist: "Der überwiegende Teil der Studien operiert mit schriftlichen/postalischen Interviews, was bekanntermaßen zu nicht-repräsentativen Rücklaufquoten führt. Außerdem werden meist rein deskiptive Auswertungsverfahren angewandt." (Steyrer, 1990)

Gründe für Beratung

In Anlehnung an Eschbach können unterschiedliche Funktionen von Beratung unterschieden werden: Wissenstransfer-, Wirtschaftlichkeits- Neutralitäts. Durchsetzungs und Legitimationsfunktion.

Wissenstransfer

Beratung wird in Anspruch genommen, wenn das zur Lösung einer Problemstellung notwendige Wissen in der Organisation nicht vorhanden ist. Klassische Unternehmensberatungen sammeln Praktiken, Methoden und Märkte. Praktiken die sich in Unternehmen bewährt haben, werden auf andere Unternehmen übertragen. Vermeintlich erfolgreiche Unternehmen werden untersucht, gemachte Erfahrungen interpretiert und verallgemeinert, so daß bestimmte Erfolgsfaktoren ausgewiesen werden können, aus denen dann wiederum neue Beratungskonzepte geformt werden. (z.B. das 7-S-Modell von Peters/Watermann)

Wirtschaftlichkeitsfunktion

Unternehmen fragen Beratung auch dann nach, wenn sie zur Lösung einer bestimmten Problemstellung nicht genügend eigene Ressourcen besitzen. „Komplexe Problemstellungen einer Organisation, die nur hin und wieder anfallen und keiner routinemäßigen Lösung zugeführt werden können, eignen sich somit für eine gezielte Hereinnahme externer Berater.“ Diese Funktion gewinnt auch in dem Maß an Bedeutung, da Unternehmen seit Anfang der 90er-Jahre ihre Organisationen radikal verschlankt haben.

Neutralitätsfunktion

In einer Organisation herrschen in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt oder eines zu lösenden Problems unterschiedliche, kontroverse Auffassungen. Entsprechend können Entscheidungen als Ergebnis politischer Spiele, an denen alle Organisationsmitglieder beteiligt sein können, interpretiert werden. Beratung kann als vermeintlich neutrale Instanz, die nicht in mikropolitische Spiele verwickelt und unmittelbar von den Entscheidungen betroffen ist, in das Geschehen eingreifen. „Es geht um Entscheidungen zwischen Lösungsalternativen, die der Berater aus seiner „höheren Warte“ und auch weniger durch Betriebsblindheit beeinträchtigt analysieren kann.“ (Kieser, 1998)

Legitimationsfunktion

Zum einen erfüllen Berater diese Funktion für Unternehmen gegenüber deren Ansprechgruppen‚ (Eigentümer, Aufsichtsräte, Banken, Aktionäre, politische Instanzen, Mitarbeiter), zum anderen werden sie in der sog. Blitzableiterfunktion in Anspruch genommen. Da Entscheidungen getroffen werden müssen, unterliegt die Unternehmensleitung immer dem Risiko, eine falsche Entscheidung zu treffen. Eine naheliegende Strategie ist es daher, sich an dem zu orientieren, was andere Unternehmen in einer ähnlichen Situation gemacht haben oder was allgemein in der Umwelt des Unternehmens für effizient gehalten wird. Damit reduziert sich die Verantwortung der Unternehmensleitung, gerade auch im Fall nachträglich festgestellter Erfolgslosigkeit.

Stimmen die Angaben?

Betrachtet man die bisherigen empirischen Untersuchungen zu diesen Aspekten, so kommen sie zu dem Ergebnis, dass vor allem die Wissenstransfer-, die Wirtschaftlichkeits- und die Neutralitätsfunktion eine zentrale Rolle spielen, der Legitimationsfunktion kommt nach Ansicht der Befragten kaum eine Bedeutung zu. Diese Ergebnisse, die primär auf Befragungen von Klienten und Beratern beruhen, sind mit einem großen Fragezeichen zu versehen.

Die dominierende Funktion, die Wissenstransferfunktion, basiert auf der Prämisse, dass die Beratungen gegenüber dem Klienten über einen Wissensvorsprung verfügen. Es stellt sich die Frage, ob Berater wirklich „ein mehr an Wissen“ besitzen als ihre Klienten. In der Regel können Klienten auf ein wesentlich umfangreicheres Wissen in Bezug auf ihr Unternehmen zurückgreifen als Berater es können, die zu Beginn des Projektes nur kursorisch über die Geschäftsprozesse informiert sind. Selbst nach Abschluß des Beratungsprozesses wissen die Berater weniger über das beratene Unternehmen als der Klient selbst. Überdies, wenn Wissen – insbesondere Erfahrungswissen, wie die Berater betonen – die wichtigste Ressource des Beratungsunternehmens darstellt, verwundert es, dass Beratungen einen hohen Anteil an Junior Consultants aufweisen, die direkt nach dem Hochschulstudium in der Beratungspraxis tätig sind.

In Bezug auf die Neutralitätsfunktion ist zu sagen: Beratung lebt zu einem hohen Anteil von Folgeaufträgen. Geht es daher bei Beratungsprojekten um Entscheidungen die auch den Auftraggeber betreffen, ist es aus Sicht des Beraters eine naheliegende Strategie, die neutrale Position aufzugeben, um sich auf Seite des Auftraggebers zu stellen. Schon die von Beratern selbst gerne gewählte Bezeichung eines Change Agents läßt den Anspruch auf Neutralität zumindest zweifelhaft erscheinen. Es liegt also zumindest die Vermutung nahe, dass Berater viel häufiger als angegeben in der Legitimationsfunktion adressiert werden.

Berater schaffen ihre Nachfrage

Die bisherigen Erklärungen für den Beratungsboom orientieren sich an der Nachfrageseite. Einige Indizien sprechen jedoch dafür, dass Beratungsunternehmen einen nicht unerheblichen Teil an dem anhaltenden Boom nach Beratungsleistungen selbst produzieren und sich ihre Nachfrage selbst schaffen. Der Hauptauslöser für die zunehmende Nachfrage nach Beratungen liegt sicher in der steigenden Verunsicherung der Manager. Berater tragen aber durch die Produktion von Managementmoden, durch den Abbau von Managementkapazität (Lean Management) und durch Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen aktiv zur Verunsicherung bei.

Strickmuster eines Bestsellers

Berater übertragen nicht nur Praktiken, sie vermitteln auch Sinn und entfachen über Bestseller, Artikel in Managementzeitschriften, Seminare und Kongresse eine höchst wirkungsvolle Rhetorik – „Diskurse, in denen Rationalitätsvorstellungen institutionalisiert werden“. Eine wichtige Funktion solcher Diskurse ist, Manager aufgeschlossen zu machen für entsprechende Beratungsprojekte.

Damit ein Managementbuch zu einem Bestseller werden kann, muß es einige wesentliche Elemente aufweisen:

     

  • Ein Schlüsselfaktor wird besonders hervorgehoben. Dieser Faktor ist nach Ansicht der Autoren bisher kaum beachtet worden, weshalb die „Entdeckung“ als radikaler Bruch mit den bisherigen Managementkonzepten gesehen werden kann.
  • Die Anwendung der neuen Prinzipien wird als unausweichlich gesehen, weil die bisherigen angesichts der drohenden Gefahren scheitern müssen.
  • Die Verfasser belehren nicht die Unternehmensführungen, sondern machen auf erfolgreiche Unternehmen aufmerksam und führen deren Erfolg auf die besagten neuen Prinzipien zurück.
  • Das jeweilige Buch zeichnet sich durch eine raffinierte Mischung aus Einfachheit und Mehrdeutigkeit aus. Jedes Prinzip ist für sich klar und einfach mit gängigen Beispielen illustriert. Die Verbindungen zwischen diesen Prinzipien werden aber nur angedeutet. Mehrdeutigkeit entsteht schließlich durch das Fehlen einer detaillierten Beschreibung des Umsetzungsprozesses.
  • Das Buch ist einfach zu lesen, es enthält kaum Fremdwörter, keine akademische Sprache und kurze Sätze.

Keine Kapazitäten nach Stellenabbau

Durch die populären Downsizing-Konzepte, die Unternehmen unter Kostenaspekten untersucht und „verschlankt“ haben, fand ein massiver Personalabbau statt. Insbesondere das mittlere Management wurde als Kostentreiber in den Beratungsprojekten ausgemacht und reduziert. Dadurch stehen den Unternehmen heute zur Bearbeitung bestimmter Problemstellungen nicht mehr genügend Mitarbeiter zur Verfügung, also werden externe Berater hinzugezogen, um die quantitative Kapazitätslücke zu schließen. Auch wenn Berater ihren Kunden helfen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und alles abzustoßen, was nicht zum Kerngeschäft gehört, entwickelt sich das für Berater mitunter im doppelten Sinn zur Cash-cow. Sie verdienen am Beratungsprojekt und übernehmen dann auch noch das Management der outgesourcten Teile wie EDV, Buchführung, PE oder Call-Center.

Intensivierung des Wettbewerbs

Durch viele Beratungsprojekte kommt es zur Intensivierung des internen Wettbewerbs. Flache Hierarchien vermindern die Karrierechancen des Managements. Der unternehmensinterne Kampf um Positionen wird heftiger, die Ressourcenverteilung durch den Abbau organisationaler Polster konfliktbeladener. Das wiederum führt zu einer verstärkten Nachfrage externer Berater als „neutrale Instanz“.

Die Intensivierung zwischen den Unternehmen wird von Beratern gesteigert, indem abwechselnd Kriterien wie Schnelligkeit, Internationalität oder Qualität zum Gegenstand von Beratungen gemacht werden. Wird die Leistungsfähigkeit eines beratenen Unternehmens gesteigert, „müssen“ die anderen Unternehmen nachziehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zusammenfassend kann also bilanziert werden, dass Beratungen einen wesentlichen Teil an der Verunsicherung des Managements beitragen.

Autor: Dr. Christoph Kolbeck, 03.2000

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: