Was leistet Beratung? Teil 1

Beratungsprojekte – so sie erfolgreich sind - unterstützen Unternehmen beim Ausbau oder der Wiedergewinnung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Dennoch klafft in kaum einer anderen Branche eine derartige Kluft zwischen Sein und Schein, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen kolportierten und tatsächlich eingetretenen Beratungserfolgen.

Der Markt der Unternehmensberatung ist ein seltsamer Markt: Es gibt bereits tausende Berater – wie viele genau weiß allerdings niemand – aber jeder im Markt weiß, daß die Zahl der Anbieter von Tag zu Tag zunimmt. Der Markt ist völlig unübersichtlich, klare Anbieterprofile sind eine Seltenheit und verlässliche Zahlen sind so gut wie nicht vorhanden. Dafür gibt es die verschiedensten Versuche einer Markteinteilung, bei denen sich in der Praxis allerdings jeder Anbieter nach Belieben zuordnet.

Höchst erfolgreiche Beratungsprojekte finden sich ebenso wie gescheiterte, wiewohl über fehlgeschlagene Projekte sowohl von Beratern wie Auftraggebern in aller Regel der Mantel der Schweigens gebreitet wird und Erfolgsquoten überhaupt unter die höchste Geheimhaltungsstufe zu fallen scheinen. Doch all dem zum Trotz, der Beratungsmarkt boomt. Heute mehr denn je. Wie ist das zu erklären?

Ist alles so komplex?

Die offiziellen Antworten sind bekannt und lauten sinngemäß: Die Komplexität hat zugenommen (heißt das im Klartext, die Manager blicken nicht mehr durch?), das Tempo des Wandels hat sich beschleunigt (heißt das, die Manager kommen nicht mehr mit?) und überhaupt die Globalisierung, Sie wissen schon (heißt das, die Manager denken zu begrenzt?). Keine Frage, natürlich gibt es all diese Trends und natürlich ist die Managementaufgabe in den letzten Jahren anspruchsvoller geworden, aber erklärt das schon hinreichend die enorm steigende Nachfrage nach Beratungsleistungen? Einige andere, nicht mehr ganz so offizielle Erklärungen könnten ebenso weiterhelfen. Etwa:

Beratung ist salonfähig geworden

Während man als Manager vor zehn Jahren oft noch schief angeschaut wurde, wenn man sich einen Berater ins Haus holte („der kriegt das wohl selbst nicht auf die Reihe“), gibt es heute gerade unter den Top 500 wohl kein Unternehmen mehr, das nicht schon in irgendeiner Form Beratung in Anspruch genommen hätte. In manchen großen Unternehmen sind heute bereits ständig mehrere Beraterteams in Lohn und Brot. Die Einstellung zu Beratung hat sich deutlich verändert: Berater zu engagieren gilt nicht mehr als Zeichen der Rückständigkeit, sondern der Fortschrittlichkeit.

Beratung ist verlockend

Nach wie vor ködern viele Berater ihre Kunden mit einer Art Heilsversprechen: „Du hast ein Problem, wir haben (sind) die Lösung.“ Das stimmt zwar kaum jemals, entlastet aber ungemein. Sollte es dann nicht klappen, war es immer der andere: die falschen Berater, das falsche Konzept oder die mangelhafte Umsetzung durch Management und Mitarbeiter.

Beratung ist eine Form der Absicherung

Je größer der Druck auf das Management wird, unmögliches möglich zu machen, desto größer wird auch die Versuchung, sich eine Art Versicherung bzw. Sündenbock ins Haus zu holen. Wenn einem sogar klangvolle Beratungsfirmen bescheinigen, die passende Strategie und erfolgsversprechende Konzepte verfolgt zu haben, dann kann man doch nicht falsch gelegen haben.

Beratung als taktisches Manöver

Wer als hochrangiger Manager neu ins Unternehmen kommt, weiß zu Beginn selten, was tatsächlich an schwierigen Aufgaben und Problemen auf ihn zukommt. Da macht es Sinn, das Unternehmen von einem externen Berater durchchecken zu lassen, um sich schnell ein Bild machen können. Genauso ist es leichter, seine eigenen Vorstellungen gegenüber anders denkenden Vorstandskollegen durchzusetzen, wenn Berater mit klangvollem Namen die eigene Marschrichtung bestätigen. Und schließlich: Wer sollte einem Manager, der unter dem Druck steht, schnell wichtige Entscheidungen treffen zu müssen, abschlagen, noch zuzuwarten, bis die Ergebnisse der gerade durchgeführten Unternehmensanalyse am Tisch liegen? Manager haben gelernt, Beratung für die vielfältigsten Zwecke zu nützen. Durchaus nicht immer zum Schaden des Unternehmens, nur eben auch nicht immer gemäß den offiziell ausgeschilderten Beratungszielen.

Beratung stabilisiert

Wer sagt eigentlich, daß das Ziel von Beratung immer Veränderung ist? Oft genug lautet der unausgesprochene Beratungsauftrag: Verändern Sie was, damit sich nichts verändert. Sogenannte fehlgeschlagene Beratungsauftrage haben einen klaren und eindeutigen Effekt: sie helfen, das System zu stabilisieren und wieder ein bißchen resistenter zu machen gegen diese ständigen irritierenden Störungen von außen. Und trotzdem vermitteln sie durch die ständigen Aktivitäten den Anschein einer Weiterentwicklung.

Beratung erleichtert unangenehme Entscheidungen

Man stelle sich den rein hypothetischen Fall vor, das Top-Management kommt zum Schluß, 1000 Mitarbeiter abbauen zu müssen. Keine sehr angenehme Aufgabe und eine nicht gerade wohlwollende Stimmung, die einem da aus der Belegschaft entgegenschlägt. Doch angenommen, ein externes Beratungsunternehmen kommt zum Schluß, man müsse eigentlich zweitausend Leute einsparen. Ein Aufschrei geht durchs Unternehmen, der Betriebsrat ruft zum Kampf, das Management gebiert sich als Retter und verkündet: schmerzliche Einschnitte seien zwar unabdingbar, aber es müßten „nur“ 1000 Mitarbeiter gehen. Der Betriebsrat denkt, er hat hart verhandelt, die Belegschaft meint, das war das beste, was herauszuholen war und das Management hat seine Ziel erreicht und sich trotzdem die Kommunikationsbasis mit der Belegschaft erhalten.

Gute Vorbereitung führt zu guten Beratern

Die tatsächlichen Funktionen von Beratung sind also höchst vielfältig und tragen das ihre zum Wachstum dieser noch sehr jungen Dienstleistungsbranche bei. Mehr als die Hälfte der Consultingfirmen ist noch keine fünfzehn Jahre alt und gar nur 1% der Firmen existiert seit mehr als fünfzig Jahren. Gespeist wird das wachsende Angebot durch Uni-Professoren ebenso wie durch ehemalige Manager, interne Personalentwickler oder auch bislang angestellte Mitarbeiter großer Beratungsunternehmen, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Ein generelles Urteil über die Qualität der Anbieter wäre aber ebenso unseriös wie nichtssagend. Erst das Ringen um eine adäquate Problemdefinition und die daraus abgeleiteten Anforderungen an Art und Umfang der gewollten Unterstützung liefern passende Kriterien zur Auswahl des geeigneten Kooperationspartners. Eines aber ist sicher: Die Definition einer genauen Aufgabenstellung und dessen, was als Erfolg, Teilerfolg oder Mißerfolg der gemeinsamen Arbeit zu werten ist, ist und bleibt ureigenste Aufgabe des Managements.

Autor: Mag. Peter Wagner, Leaders Circle, 01.2000

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