Wie standardisiert ist Beratung?

Dr. Christoph Kolbeck von der Universität Witten/Herdecke setzt sich kritisch mit dem Thema Standardisierung und Implementierung von Beratungsprojekten auseinander.

Eine häufig geübte Kritik an der klassischen Beratung setzt an den standardisierten Vorgehen an. In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es bisher zwei Untersuchungen, die sich mit dem Standardisierungsgrad von Unternehmensberatungen auseinandersetzen. Das ist zum einen die Studie von Payne und zum anderen die Analyse von Pfähler.

Die Studie von Pfähler baut auf der Untersuchung von Payne auf, der eine Positionierung amerikanischer Unternehmensberatungen nach dem ‘Grad der Spezialisierung’ und dem ‘Grad der Standardisierung’ vorgenommen hat. Pfähler positioniert die in Deutschland tätigen Beratungen nach dem ‘Grad der Standardisierung’ und dem ‘Grad der Auftraggeberbeteiligung’. Seine Studie konzentriert sich auf die klassischen Unternehmensberatungen (die fünfzehn größten Beratungsunternehmen nach Umsatzzahlen), die aus Sicht von Klienten in einer Matrix anhand der Dimensionen ‘Grad der Standardisierung’ und ‘Grad der Auftraggeberbeteiligung’ positioniert werden.

Hohe oder niedrige Standardisierung?

Die Ausprägung der Eigenschaft ‘Grad der Standardisierung’ wird in der Studie auf einer Meßlatte von gering bis hoch gemessen. Die Extrema lassen sich wie folgt charakterisieren: Ein geringer Standardisierungsgrad zeichnet sich dadurch aus, daß die Beratungen den Prozeß ohne bereits vorgefaßtes Ablaufschema der einzelnen Projektschritte initiieren. Es gibt demnach kein Patentrezept, das auf Abruf eingesetzt wird. Demgegenüber kauft der Klient bei einem hohen Standardisierungsgrad ein standardisiertes ‘Pauschalangebot’, das den Projektablauf bis ins Detail festlegt. Als Beispiel führt Pfähler für ein derartiges Pauschalangebot die Gemeinkostenwertanalyse an. Allen standardisierten Beratungsprodukten ist gemein, daß sich eine Unternehmensberatung einer bereits ausgearbeiteten, oft erprobten Vorgehensweise bedient. Die Leistung des Beraters ist in der Anpassung des Patentrezeptes an das beratene Unternehmen zu sehen.

Die zweite Dimension ‘Grad der Auftraggeberbeteiligung’ mißt die Intensität der Zusammenarbeit zwischen Klienten und Berater. In einer geringen Auftraggeberbeteiligung kommuniziert der Berater fast ausschließlich mit der Führungsebene des beratenen Unternehmens. Die Rollen in dem Beratungsprojekt sind klar verteilt: In der Regel hat der Berater die Projektleitung; der Klient schaltet sich in den Prozeß lediglich unterstützend ein, indem er dem Berater Informationen und Unternehmensdaten zur Verfügung stellt. Eine hohe Auftraggeberbeteiligung liegt dann vor, wenn es zu einer intensiven Kommunikation und Interaktion zwischen Berater und Klient kommt, die sich auf alle Hierarchieebenen des Unternehmens erstrecken.

Was meinen die Kunden?

Die empirische Untersuchung kommt zu folgendem Ergebnis: “Im Durchschnitt aller befragten Unternehmen betreiben die von ihnen eingeschätzten Unternehmensberatungen einen relativ geringen ‘Grad an Auftraggeberbeteiligung’ und einen recht hohen ‘Grad an Standardisierung’. [...] Insgesamt 80% der Befragten waren der Meinung, die Beratung erfolge mit relativ hohem Grad an Standardisierung.”

Besonders kritisch ist das Auftreten von Beratungen gemäß dem Motto: ‘Wir haben die Lösung, was ist Euer Problem?’ zu beurteilen. Dieses Verhalten ist - so meint Rolf Stiefel - “ein oft beobachtbares Vorgehen bei großen Beratergruppen, die mit fertigen Lösungen im Kopf entsprechenden ‘Produkten’ beim Kunden anmarschieren, den Kunden so bearbeiten, daß er die für die fertigen Lösungen passenden Probleme generiert und ihre Beratungsprodukte (und standardisierten Vorgehensweisen) dann in eindrucksvoll einstudierten Situationen als Beitrag für die Lösung der ‘manipuliert’ erhobenen Probleme demonstrieren.”  Auch Alfred Kieser stellt fest, daß nicht selten Klientenprobleme vom Berater so lange uminterpretiert werden, bis auf sie die Lösungen passen, die er zur Verfügung hat. In der amerikanischen Beraterliteratur hat sich bereits ein eigener Begriff (‘biased problem definition’) herausgebildet, unter dem diese Diskussion geführt wird.

Alle mit derselben Strategie?

Indem die Beratungsunternehmen ihre standardisierten Erfolgskonzepte in verschiedenen Projekte gleichzeitig vorschlagen, kann es zu einer Gleichförmigkeit der Strategien der beratenen Unternehmen kommen. Verstärkt wird dieser Effekt noch dadurch, daß relativ wenige Beratungsunternehmen einen großen Markt abdecken, will heißen, viele Unternehmen von den gleichen externen Ratgebern beraten werden: Durch die Gleichförmigkeit der Strategien geht den Unternehmen jedoch ein wichtiges Differenzierungskriterium verloren. Wirklich erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch originelle Strategien aus.

Außergewöhnlicher Erfolg kommt gerade durch ein schwer zu kopierendes ‘Anders-Sein’ auf der ganzen Linie und nicht durch ein Streben nach einem ‘Besser-Sein’ in einer Sammlung von Standard-Lösungsansätzen zustande. Demnach wird der Kauf von Standardlösungen auf dem Beratungsmarkt nicht den spezifischen Situationsanforderungen der einzelnen Unternehmen gerecht.
Resümierend kann festgehalten werden, daß kumuliertes Wissen aus anderen Unternehmen oder Branchen zwar für ein bestimmtes Unternehmen nützlich sein mag, ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil kann dadurch aber nur in den wenigsten Fällen erreicht werden.

Implementierungsschwächen

Neben dem standardisierten Vorgehen der Beratungen sehen die Klienten einen weiteren Kritikpunkt in der mangelnden Unterstützung bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Lösungen. Der Schwerpunkt der Beratungsprojekte lag bisher v.a. bei der Analyse, Diagnose und Konzepterstellung. So formuliert ein McKinsey-Berater prägnant, was er im wesentlichen tut: “Probleme sauber strukturieren, die strukturierten Probleme kommunizieren und zur Entscheidung vorlegen.”
Die Klienten geben sich allein mit den Empfehlungen der Beratungsunternehmen immer seltener zufrieden und fordern eine stärkere Beteiligung an der Umsetzung. Wer heute eine Beratergruppe engagiert, verlangt in der Regel auch konkrete Hilfestellung in der schwierigen Umsetzungsphase eines Projekts.

In einer vom Bundesverband der Deutschen Unternehmensberater in Auftrag gegebenen Studie wurden 102 Vorstände  bzw. Geschäftsführer zu dem Thema interviewt: ‘Was erwarten Klienten in den 90er Jahren von Unternehmensberater?’
Im Rahmen der Untersuchung wurde auch die Frage gestellt, inwiefern die Unternehmensberatungen die erarbeiteten Lösungen gemeinsam mit dem Klienten umsetzen und dieser Aspekt zukünftig an Bedeutung gewinnt. In einer Skala von 1 (‘trifft voll und ganz zu’ bzw. ‘zukünftig sehr wichtig’) bis 5 (‘trifft überhaupt nicht zu’ bzw. ‘zukünftig überhaupt nicht wichtig’) findet sich die Bewertung der derzeitigen Zusammenarbeit im hinteren Mittelfeld mit 3,3 wieder. Der Ausdruck der Unzufriedenheit zeigt sich auch darin, daß die Klienten sich zukünftig eine engere Zusammenarbeit bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Lösung wünschen (2,0).

Die Forderung der Klienten ist um so verständlicher, wenn man betrachtet, daß eine erfolgreiche Umsetzung der schwierigere Teil eines Beratungsprojektes ist, der sorgfältig vorbereitet und begleitet sein will. Eine interne McKinsey-Studie hat bspw. herausgefunden, daß 2/3 der Veränderungsprozesse in den beratenen Unternehmen nicht an der inhaltlichen Qualität der vorgeschlagenen Lösung scheitern, sondern an der mangelnden Fähigkeit in der Umsetzung. Diese Erfahrung hat auch Michael Nippa im Rahmen einer Untersuchung von Reengineering-Konzepten gemacht. “Ein generelles Problem der Unternehmensberatung tritt bei Reengineering noch deutlicher zutage. Nicht ein bestechendes, auf der Basis von Erfahrungswissen generiertes Konzept, sondern die - meist langwierige - Umsetzung in der Organisation ist entscheidend für die Realisierung von Rationalisierungs- bzw. Effizienzsteigerungszielen. [...] Hier liegen die wirklichen Beratungsaufgaben.”

Für den Bereich der Strategie stellt auch Aldrian Payne fest: “The implementation of strategy is at least as important as, and frequently more difficult than, the formulation of strategy. [...] The idea that successful consultancy depends solely on the use of analytical expertise is losing ground; in the future, success will be derived from the consultant combining analytical and process skills.”

Wie ist die Antwort auf die Kritik?

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß der vorherrschende Beratungsansatz einige Schwächen aufweist. Die klassischen Beratungen versuchen die Probleme, die mit diesem Beratungsverständnis einhergehen, innerhalb ihres Konzeptes zu lösen. So verweisen die Interviewpartner darauf, daß sie sich zukünftig verstärkt an der Implementierung vorgeschlagener Lösungen beteiligen werden.  Die Phase der Implementierung - so die Aussagen der Befragten - wird als Ergänzung zu der Phase der Analyse und der Konzeptformulierung angeschlossen.
Das dafür benötigte Prozeßknow-how wird bspw. über interne Schulungsmaßnahmen durch Organisationsentwickler oder Komplementärberatungen integriert. Diese Beobachtungen decken sich mit den Ausführungen von Helmut Willke und Susanne Mingers, die in einer Fallstudie hinsichtlich Wissensmanagement bei Unternehmensberatungen konstatieren, daß McKinsey in letzter Zeit dreihundert Organisationsentwickler eingestellt hat.

Autor: Dr. Christoph Kolbeck, Universität Witten/Herdecke, 09.2000

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: