Gelebte Ausstiegskultur, Praxisempfehlungen

Acht Handlungsempfehlungen für die ersten Schritte hin zu einer aktiv gelebten Ausstiegskultur.

Je höher die Position der zu pensionierenden Person und mit je mehr Expertise und Beziehungskapital sie verknüpft ist, umso relevanter ist es für die Organisation, die „große Klammer“ von den ersten 100 Tagen zu den letzten 1000 Tagen und noch darüber hinaus zu spannen. Dies betrifft zunächst die Aufmerksamkeit und Haltung der personalverantwortlichen Führungskräfte und von HR. Diese Authentizität ist notwendig, damit nicht das eintritt, was einige unserer Befragten befürchten: "Wenn es tolle Tools gibt und das Gefühl da ist, das ist eine Pflichtübung, dann wird das alles dahin bröseln! Es darf nicht aufgesetzt sein."

Entsprechend eingebettet, können sich Aktivitäten zur aktiven Ausstiegskultur schwerpunktmäßig auf die formal/organisatorische, auf die inhaltliche und auf die persönlich/emotionale Ebene beziehen. Da diese in der Praxis häufig ineinander übergehen, beschreiben wir die Maßnahmen nicht nach Ebenen getrennt.

1. Das Einrichten einer aktiven Gesprächskultur im Zusammenhang mit dem Ausstieg

Dazu gehört zunächst ein erstes Gespräch der Führungskraft mit der ausscheidenden Person etwa 3-5 Jahre vor dem Zeitpunkt der Pensionierung rund um die Themen:

  • Was wird in den letzten Arbeitsjahren wichtig sein?
  • Worauf sollte/möchte sich der am Beginn der beruflichen Abschlussphase stehende Mitarbeiter konzentrieren?
  • Wie wird/könnte/sollte sich seine Rolle im Sinne alter(n)sgerechtes Arbeiten verändern?
  • Welche Erwartungen bestehen von ihm an die Organisation?
  • Welche Erwartungen bestehen umgekehrt an ihn?
  • Was wird in den nächsten 3-5 Jahren zu klären/worauf wird zu achten sein?

Dabei kann es sinnvoll sein, dieses Gespräch mit HR vorzubereiten bzw. nach zu besprechen, damit gegebenenfalls Maßnahmen bereits abgeleitet werden können. Werden ohnehin bereits habituell Mitarbeitergespräche geführt, empfehlen wir, diese mit der oben genannten Fokusverschiebung zu nützen. Diese Gespräche sollten jährlich wiederholt und die dort besprochenen Maßnahmen reflektiert und weiter vertieft werden.

2. Ermöglichen von Rollenanpassung im Sinnes eines alter(n)gerechten Arbeitens

In diesem Zusammenhang empfehlen wir, dass zunächst HR in Kooperation mit den Führungskräften bzw. dem Management der Organisation Varianten ausarbeitet, die es Mitarbeitern ermöglichen, die eigene Arbeit in weniger anstrengender Form weiter zu führen und gleichzeitig das angesammelte Wissen an jüngere Personen weiterzugeben. So könnte etwa ein langjähriger Verkäufer in den letzten Jahren der Berufstätigkeit seine Reisetätigkeit zurückfahren zugunsten von Beratungen oder Trainings für neuere Reisende.
Dazu könnte ein Projekt aufgesetzt werden, in welchem ein Konzept für ganz bestimmte Rollen erarbeitet wird, die viel Expertise und Beziehungs- bzw. Netzwerkkapital beinhalten. Die Umsetzung könnte eng verzahnt mit dem Seminarangebot (s. Pkt. 3) und dem Wissenstransfer (s. Pkt. 5) erfolgen.

3. Ein fokussiertes Seminarangebot für Personen, die in 5-7 Jahren in den Ruhestand treten

Dieses Angebot sollte drei Arten von Themen betreffen:

  1. Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die im Sinne von alter(n)sgerechtem Arbeiten die Betroffenen auf neue Rollen in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit vorbereiten (Mentoring, Coaching, Kollegiale Beratung, Trainer)
  2. Angebote, die die Betreffenden auf die Zeit nach dem Berufsleben einstimmen (Pensionsschock nein Danke)
  3. Angebote, die auf den Erhalt der Gesundheit bezogen sind (Rückenschule)

4. Spezifische "Ausgleitpakete"

Diese bieten sich an, um das persönliche Ausgleiten passend zur betreffenden Person und zur jeweiligen Organisation angemessen zu planen und zu managen. Dazu gehören:

  • Eine Recherche, was in vergleichbaren Organisationen und Unternehmen passiert
  • Ein Fachgespräch mit HR/BR, um die gesetzlichen Möglichkeiten auszuloten
  • Das Thema „Die letzten 1000 Tage“ beispielsweise in ein Treffen von HR-Leitenden einbringen mit der Anregung zu best Practice Austausch
  • Ein Coaching-Angebot im Umfang von z.B. 10 Doppelstunden in den letzten 3 Jahren

5. Zum Wissenstransfer vor dem Pensionsstichtag

Bis zu 10 Jahre vor dem Austritt eines Mitarbeiters, abhängig vom Spezialisierungsgrad, können umfassende Maßnahmen des Wissensmanagements sinnvoll sein, die insbesondere der Organisation helfen, den Übergang ohne größere Wissensverluste - im Idealfall gar mit Gewinnen -  zu absolvieren. Für den angehenden Pensionär ergeben sich zusätzlich persönliche Reflexionspotenziale. Wissensmanagement spielt sich dabei in mehreren Handlungsfeldern ab, deren Berücksichtigung wir empfehlen:

  • Wissen intern/extern vernetzen und weitergeben (z.B. Mentoring-Programme, Job Rotation)
  • Wissen speichern und verfügbar machen (z.B. Wissenslandkarte, gelbe Seiten zum Nachschlagen, Lerntagebuch)
  • Wissensprozesse steuern und reflektieren (z.B. Wissensbilanz, Kompetenzmessung, Einrichten einer Wissensmanagement-Funktion)

Ganz besonders wichtig ist die Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen. Hier empfehlen wir den Versuch, den Mitarbeiter/die Führungskraft auch Wissensbestände explizieren zu lassen, die er sonst wahrscheinlich nur implizit mitführt, etwa Netzwerk- und/oder Organisationswissen im Gegensatz zum reinen Fachwissen. Dazu eignen sich folgende Tools: Wissenstage, Kollegiale Beratung, Best Practice, After Work Specials, Lessons Learned usw.

Wir empfehlen diese Maßnahmen, sofern möglich, im engen Austausch etwa mit dem potentiellen Nachfolger zu konzipieren, so dass implizite Wissenstransfers tatsächlich stattfinden können. Schließlich ist eine individuelle Zeitplanung nötig, die in Jahresabständen die Erfordernisse des Wissensmanagements und die einzelnen Schritte (z.B. zunächst Wissen konservieren/explizieren durch Datenbanken o.ä. und später die Übertragung impliziten Wissens, Teambegleitung usw.) koordiniert, begleitet und kontinuierlich anpasst.

6. Zum Wissenstransfer nach dem Pensionsstichtag

Realistisch betrachtet geht es hier vor allem um die ersten beiden Jahre nach Pensionsantritt. Spätestens danach wird Wissen obsolet, Kundenbeziehungen verändern sich mit Funktionswechseln in den Kundenorganisationen und die Pensionäre selbst finden wahrscheinlich nach und nach mehr Geschmack an den Freuden des Privatlebens. Demnach gilt es zunächst zu klären, in welchen Bereichen und Funktionen Ausgleich von Engpässen bzw. Wissenstransfer nach Pensionsantritt noch sinnvoll sein könnte und zu entscheiden, welches formale Kleid dafür jeweils angemessen ist (Konsulenten- oder Teilzeitverträge, geringfügige Beschäftigung, Anstellung auf Stundenbasis). Dies kann der Organisation helfen, Engpässe, wie sie auch manchmal bei abrupten Ausstiegen passieren (wenn z.B. Stichtage sich plötzlich verschoben haben), abzufedern und ermöglicht für die Pensionäre einen sanfteren Ausstieg.

Wir empfehlen, die Information zu den in diesem Zusammenhang erarbeiteten Möglichkeiten in der Organisation zu verbreiten (Mitarbeiter-Zeitung, Intranet, Info-Board,...). Dann wissen alle Beteiligten, woran sie sind und im Bedarfsfall ist schnelles Handeln möglich. Ebenfalls sinnvoll könnte die Etablierung eines sog. "Weisenrats" mit Sounding Board Charakter zu spezifisch-strategischen Fragestellungen  sein.

7. Stimmungstransporteure

Auch um die Rolle der Pensionäre als Stimmungstransporteure weiter zu nützen, wurden in unserer Befragung zahlreiche Aktivitäten beschrieben wie beispielsweise die Einladung zu Weihnachtsfeiern und Firmenjubiläen, die Möglichkeit, Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens weiterhin zum Mitarbeiterpreis zu beziehen sowie die Firmenzeitung weiter zu erhalten. Zusätzlich regen wir beispielsweise an,

  • in der Firmenzeitung jeweils eine Seniorenrubrik einzurichten
  • ein Team von Pensionären mit der Erstellung einer Firmen Chronik zu beauftragen

8. Abschiedsfeiern

Der Bereich der Abschiedsrituale wird derzeit in den befragten Organisationen am meisten und intensivsten bespielt. Daher möchten wir dazu hier keine weiteren Empfehlungen geben.

Autor: Dr. Monika Veith, C/O/N/E/C/T/A

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