AC: "Ich spreche lieber vom understanding center"

Dr. Kurt Durnwalder, Geschäftsführer der Firma ITO, über diverse Formen des Assessment-Centers und Entscheidungskriterien bei der Auswahl geeigneter Testverfahren.

Wenn Potential etwas Mögliches, noch nicht Realisiertes ist, wie soll ich das feststellen? Ich kann feststellen, was jemand heute weiß, was er derzeit tut, aber was er vielleicht künftig vermag, woher soll ich das wissen?

Der Vergleich ist leichter, wenn man den Sport hernimmt. Wenn man da junge Leute sucht, schaut man, wie ist die Motorik, wie ist das Kind im Vergleich zum Alterskollegen, wie ist das, was er künftig braucht, jetzt schon entwickelt?

Das Problem der Potentialerkennung fängt ja nicht in den Unternehmen an, sondern schon ganz früh in der Ausbildung, wo die kleinen Kinder von den Eltern meist in bestimmte Richtungen dirigiert werden, entsprechend den Werten und Erwartungen. Das hat häufig viel mit den Wünschen der Eltern, aber wenig mit dem Potential des jeweiligen Kindes zu tun.

Ich habe einmal ein eindrucksvolles Beispiel erlebt, als ich einen Teilnehmer in einem Seminar hatte, der Kampfsport gemacht hat, gekleidet war wie ein Rocker und ziemlich grob und aggressiv aufgetreten ist. Als wir auf das Thema Potential kamen, fing er plötzlich zu weinen an und erzählte, dass er als Kind immer Maler werden wollte, seine Eltern ihm das aber verboten hatten. Dann fing er dort an, Bilder zu malen, die waren extrem beeindruckend. Der hat dreißig Jahre das falsche gemacht, das total weggesperrt

Wenn ich mich nun frage, was ist mein Potential? Wie kann ich mich dem annähern? Durch Tests, um meine Neigungen zu entdecken? Oder indem ich mich frage, was mache ich besonders gerne, besonders oft, was fällt mir besonders leicht?

Das Feststellen von Begabungen ist auf kognitiver Ebene noch relativ leicht. Da gibt es viele Tests, die das ganz gut messen. Man stellt dem Probanden Aufgaben und schaut wie er sie löst. Man kann schauen, was sind die Elemente, die er einsetzt um das Problem zu lösen. Wie denkt er, wie handelt er? Was gibt es für Muster? Aber auch der Begriff „Fähigkeit“ ist eine Interpretation, „Begabung“ ist eine Interpretation. Ich nehme etwas wahr, z.B. dass ein Verhalten im Vergleich zu Anderen wesentlich stärker ausgeprägt ist, interpretiere es als besondere Fähigkeit, schreibe das dem anderen zu und schließe aus dem, was ich sehe,  dass er es auch in anderen Situationen können wird. Man muss aber auch die Vorerfahrungen hernehmen. Wenn Sie zwei Musiker haben, beide spielen Gitarre, und der eine hat mit sechs Jahren zu üben angefangen, der andere vor einem halben Jahr, dann müssen Sie das berücksichtigen.

Es gibt eine Vielzahl von Testverfahren, wie finde ich heraus, was sinnvoll ist und qualitätsvoll und das zu meinen konkreten Anforderungen passt?

Die Einkäufer sind mit einer Flut überschwemmt. Wenn es um Nachwuchsführungskräfte geht, würde ich Verfahren wählen, das nicht nur kognitive Aspekte anspricht, sondern eine Mischung aus kognitiven Kompetenzen, Handlungskompetenzen, sozialer und emotionaler Kompetenz und Motivation. Das müsste breit sein. Einen Test nur zum Ankreuzen würde ich schon einmal abhaken. Es gibt gewisse Leistungstests, die sind für bestimmte Merkmale sehr wohl brauchbar. Aber wenn es um Führung geht, muss das breiter sein.

Dann habe ich zu jedem Punkt 20 Tests und Verfahren, wie wähle ich da aus? Und dann ist immer noch die Frage, an welcher Zielgruppe wurden die getestet? Vielleicht an Studenten, aber was hat das mit Verkäufern oder Nachwuchsführungskräften zu tun?

Wenn es um Persönlichkeitsmerkmale geht, setze ich keinen einzigen Test ein. Da gibt es aus meiner Sicht zu viele berechtigte Einwände. Man kann mehr Schaden anrichten als dass es nutzt. In erster Linie sind sie nicht fälschungssicher, man kann irgendwas eintragen. Da ist das persönliche Gespräch um Klassen besser. Ich kann nach konkreten Situationen fragen. Da gibt es eine Annäherung, aber keine wissenschaftliche Sicherheit. Die Ergebnisse sind immer kontextabhängig, sie sind interpretationsabhängig.

Beim AC, ist mein Eindruck, man erfährt eigentlich mehr über die Beobachter, darüber worauf sie geschaut haben, darüber wie sie es interpretieren als über den Beobachteten.

Genau, das ist auch ein Einwand, den wir haben, dass die vorgefertigten Beobachtungsraster sehr einschränken. Man schaut auf den Raster und was da nicht drinnen ist, wird nicht wahrgenommen.

Aber man hat je immer einen Raster, Kriterien auf die man schaut.

Ich empfehle, intuitiv vorzugehen, zu schauen, was nehme ich an der Person wahr. Und was von dem, was ich wahrnehme, ist denn hinderlich für die Aufgabe, was ist förderlich?

Detaillierte Raster vermitteln eine Art Pseudoobjektivität, dabei ist und bleibt der Eindruck subjektiv. Da ist es ehrlicher, keine detaillierten Kriterien vorzugeben und die Leute zu fragen: Was ist Ihnen aufgefallen? Aber natürlich macht es Sinn, grobe Kriterien zu definieren, z.B. wie gestaltet jemand Beziehungen?

Aber das aus meiner Sicht entscheidende ist Transparenz: Anzugeben, worauf man schaut, anzugeben, wie man zu den Aussagen kommt. Es muss für den Teilnehmer nachvollziehbar sein. Z.B. kann man mit ihm noch einmal eine Sequenz am Video anschauen um ihm bestimmte Verhaltensmuster zu verdeutlichen. Viele Tests, aber auch ACs  verkünden quasi ex cathedra: So bist Du!. Sie sagen aber nicht, wie sie zu dieser Aussage kommen. Das muss in Frage gestellt werden können.

Deswegen rede ich auch nicht gern von ACs, sondern lieber von understanding centers. Ich möchte verstehen, wer ist die Person, warum handelt sie so, wo will sie hin. Ich will das nachvollziehen können und ich will, dass die Person das auch nachvollziehen kann. Wer im klassischen AC fragt denn einmal nach, warum hast Du das so gemacht, was war denn dein Ziel? Schauen wir uns einmal an, was du tatsächlich gemacht hast, was es bewirkt hat. Wenn ich nicht weiß, warum jemand etwas tut, habe ich es nicht verstanden. Klar ist es aufwendiger, es so zu machen, aber wenn man den Menschen einigermaßen gerecht werden will, muss man sich die Mühe antun.

Was wären Kriterien, die helfen, bei Angeboten Entscheidungen zu treffen?

In Bezug auf ACs würde ich mich z.B. fragen:

  • Welche Philosophie vertritt der Anbieter? Passt das zu unserem Unternehmen?
  • Wie argumentiert er seine spezielle Vorgangsweise, warum hält er sie für am geeignetsten?
  • Wie stellt er sicher, dass das gemessen wird, was man messen will?
  • Wie werden Übungen ausgewählt? Welche Art von Übungen sind das? (Sind das fiktive Übungen, Übungen aus konkreten Situationen in diesem Unternehmen?) Wie werden solche Übungen konstruiert? Wie kommt man z.B. zu einer situationsadäquaten Simulation?
  • Inwieweit gibt es für die Teilnehmer Transparenz, was mit den Übungen bezweckt wird?
  • Wird mit den Teilnehmern auch vor und nach den Übungen geredet?
  • Nach welchen Kriterien wird beobachtet? Wie werden Beobachter geschult?
  • Wie schauen die Auswertungen konkret aus - für den Getesteten, für den Auftraggeber?
  • Was genau passiert mit den Ergebnissen?
  • Wie passiert die Rückmeldung an die Teilnehmer?
  • Was passiert nach diesem Verfahren?

Was meinen Sie mit „wie passiert Rückmeldung?“

Im klassischen AC wird nicht lange herumgefackelt, da heißt es schnell, der ist so und so. Da passiert relativ schnell eine Festschreibung, vielleicht auch noch unter Berufung auf die Wissenschaft. Ohne dass im Einzelnen nachvollziehbar ist, wie die Beobachter zu dieser Einschätzung gekommen sind. Ich kann aber auch sagen, Sie werden so und so wahrgenommen, und was so wahrgenommen wird, sind folgende Muster, schauen wir uns das kurz am Video an.

Viele Manager schienen dann am glücklichsten zu sein, wenn die Aussage über die beobachtete Person einem Satz oder einem kurzen Chart zusammengefasst wird. Je einfacher, desto besser.

Ja, wobei es durchaus seine Berechtigung hat, wenn der Vorstand z.B. ein Chart oder eine aggregierte Übersicht will. Nur - das darf nicht alles sein. Für jeden Beteiligten muss es ein anderes Produkt geben. Wenn der Getestete so eine Auswertung bekommt, ist es absolut unbefriedigend, der will verstehen und sich verstanden wissen. Er will detaillierte Ergebnisse und vor allem wissen, wie man dazu gekommen ist. Der Vorstand braucht etwas ganz anderes, nämlich eine Übersicht über das vorhandene Potential und eine Entscheidungsgrundlage, um beurteilen zu können, wo er wen einsetzen kann.

Der Fehler der manchmal gemacht wird, ist, dass man das Interesse des Vorstands, bzw. des Auftraggebers, als alleingültig nimmt. Man muss aber allen Beteiligten gerecht werden.

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