Arbeitszeit nach Maß

In Oberösterreich entwickelten die Sozialpartner gemeinsam ein innovatives Modell zur Neugestaltung der Arbeitszeit.

Gmundner Keramik, Greiner Extrusionstechnik, das Pflegeheim Sonnenhof, die Nährmittelerzeuger Haas und Knorr, Schweitzer Ladenbau, Hueck Folien oder Atzlinger Landtechnik - rund 30 Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl von 25 bis 2.300 nutzten in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, an einem innovativen Modellprojekt im Bundesland Oberösterreich teilzunehmen und für ihren Betrieb neue Arbeitszeitmodelle zu entwickeln und umzusetzen.

Experten aller Lager

1994 gab Prof. Hanns-Peter Euler vom Institut für Soziologie der Universität Linz den Anstoß, das Problem der Arbeitszeitregelungen in den Betrieben grundlegend neu zu überdenken. Unter Einbezug sozial- und arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse und der Moderation von Prof. Euler formierte sich ein Arbeitskreis mit je einem Experten der Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer, Kammer für Arbeiter und Angestellte und dem Gewerkschaftsbund.

Ziel dieses Forums war, abseits der Parteipolitik die Anforderungen an moderne Arbeitszeitregelungen aus verschiedenen gesellschaftlichen Blickwinkeln und Interessenslagen zu beleuchten, mehr Verständnis der unterschiedlichen Positionen zu gewinnen und in den ca. 20 Sitzungen über 2 Jahre ein von allen Gruppen mitgetragenes Modell zu entwickeln. Das ehrgeizige Vorhaben gelang und gipfelte im Leitfaden „Arbeitszeit nach Maß – ein Weg zu neuen Vereinbarungen“, in dem wichtigen Eckpfeiler für die Erarbeitung betriebsspezifischer Modelle definiert wurden.

Im Sommer 97 wurde das Modell in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt und sogleich meldeten sich die ersten interessierten Betriebe. Ein Projektsteuerkreis, dem je ein Vertreter der Sozialpartner, der Landesregierung und der Wissenschaft angehören, kümmerte sich um Auswahl und Betreuung der Projekte.

Um diesen Zugang des Interessensausgleichs auch im Programm abzubilden, wird jedes Firmenprojekt von zwei „Vertrauensberatern“ als Prozesssteuerern begleitet, je einem von der Arbeitnehmerseite (Gewerkschaft oder Arbeiterkammer) und einem von Arbeitgeberseite (Wirtschaftskammer). Die Hälfte der Beratungskosten wird gefördert. Durch eine von der Universität durchgeführte Mitarbeiterbefragung zu Beginn und am Ende jedes Projekts erfolgt eine wissenschaftliche Begleitforschung.

Jede Lösung ist einzigartig

So ähnlich die Vorgangsweise bei den einzelnen Projekten ist, so spezifisch sind die gefundenen Lösungen. Bei der Gmundner Keramik etwa bezog sich das Projekt darauf, die bisher starre Arbeitszeit in Lager und Versand den saisonalen Auftragsschwankungen anzupassen. Ein Projektteam aus Vertrauensberatern, Vertretern der Geschäftsleitung, des Betriebsrates und Mitarbeitern der betroffenen Abteilung erarbeitete in fünf Sitzungen ein Modell, dem alle Versand- und Lagermitarbeiter zustimmten. Für die Umsetzung wurde eine Betriebsvereinbarung auf ein Jahr abgeschlossen. Das neue Modell ist ein Jahresarbeitszeit-Bandbreitenmodell zwischen 37 Stunden an vier Tagen und 42 Stunden an fünf Tagen pro Woche, das den Auftragsschwankungen ebenso gerecht wird wie den Mitarbeiterwünschen: weniger Arbeitszeit in den Sommermonaten, mehr in den Zwischenjahreszeiten, zusammenhängende Freizeitblöcke, Einarbeitungszeiten für Zwickeltage und Weihnachten, kurze Arbeitstage am Freitag, keine Samstagsarbeit. Quasi als Nebeneffekt kam es zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und des Gesunheitsschutzes.

Im Unterschied zur Gmundner Keramik betrifft das neue Arbeitszeitmodell der Firma Greiner Extrusionstechnik alle Mitarbeiter am Stammsitz. In den einzelnen Bereichen gab es eine Fülle gewachsener, oft mit Mitarbeitern individuell abgestimmter Arbeitszeitregelungen, die nur mehr schwer überschau- und koordinierbar waren. Zudem gab es hohe Überstundenbelastungen. Das eingesetzte Projektteam untersuchte die Arbeitsanforderungen der einzelnen Bereiche und präzisierte die Sollvorgaben und konzipierte für die einzelnen Bereiche verschiedene Lösungsalternativen wie Gleitzeit-, Bandbreiten- und Schichtmodelle. Man analysierte die jeweiligen voraussichtlichen Vor- und Nachteile und stellte die Modelle den Bereichen vor. Die Begleitforschung lieferte durch eine Mitarbeiterbefragung eine Beurteilung der Mitarbeiter zur Ist-Situation und ihre wünsche hinsichtlich Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit.

Durch ein gemeinsames Bewertungsverfahren von Geschäftsleitung, Betriebsrat und Projektteam wurden zwei Modelle zur Realisierung ausgewählt und eine entsprechende Betriebsvereinbarung abgeschlossen: das Modell einer erweiterten Gleitzeit (+/- 30 Stunden pro Monat) für den Verwaltungs- und Konstruktionsbereich und ein Jahresarbeitszeit-Bandbreitenmodell (Mind. 32 bis max. 45 Stunden pro Woche) für den Produktionsbereich. Auch hier gab es eine wissenschaftliche Begleitforschung.

Hindernisse bei der Einführung

  • Trotz unterschiedlicher Interessenslagen muss eine grundsätzliche Konsensbereitschaft gegeben sein. Gibt es nur eine Scheinkonsensbereitschaft und fehlt das nötige Vertrauen in die Zusammenarbeit, scheitern innovative Arbeitszeitmodelle.
  • Die Bruchlinien des Konsensvermögens liegen nicht unbedingt, wie zu erwarten, zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft bzw. Betriebsrat, sondern oft auch innerhalb der Leitungsebenen von oberen, mittlerem und unterem Management und genauso zwischen Belegschaft und Betriebsrat.
  • Der Wille zur innovativen Veränderung und die Kräfte des Bewahrens des Bisherigen (von oft nicht immer legal gedeckten, aber überwiegend einvernehmlichen Regelungen) stoßen bei Arbeitszeitprojekten aufeinander.
  • Die Personalbemessungsgrundlage ist eine äußerst wichtige Rahmenbedingung und Voraussetzung für Flexibilisierungsmaßnahmen. In vielen Betrieben ist sie auf einen unterdurchschnittlichen Arbeitsanfall, nicht selten auf die Mindestauslastung ausgelegt. Bezahlte Überstunden, Leasingpersonal und Outsourcing sind dann oft die wichtigsten Flexibilisierungsinstrumente. Dadurch ergeben sich große Probleme für die Anwendung von Bandbreitenmodellen. Zudem benötigen diese neben umsatzstarken auch -schwache Zeiten, da sonst die Spielräume für Zeitausgleich fehlen und wieder hohe Zuschläge fällig werden.
  • Viele Unternehmen halten sich sehr damit zurück, das Stammpersonal Marktentwicklungen anzupassen, da es nicht der Kultur entspricht über das Personal abzufedern, da man dadurch den innerbetrieblichen Frieden und das Firmenimage gefährdet sieht. Das macht Überstunden attraktiv, selbst wenn dadurch beträchtliche Mehrkosten in Kauf genommen werden müssen. Die Angst vor Verlust der Überstundenverdienste steht der Einführung neuer Modelle daher häufig im Weg.

Autor: Mag. Peter Wagner

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