"Mitarbeiter brauchen Goodies, um mitzumachen"

Mag. Gabriela Grottenthaler-Riedl ist Personalleiterin des Austria Wirtschaftsservice und war zuvor als Beraterin spezialisiert auf die Entwicklung neuer Arbeitszeitmodelle und innovative Projekte bei Abbaumaßnahmen.

Wenn Unternehmen zu ihren Mitarbeitern sagen, "Ihr müsst flexibler werden", denken sich da die Mitarbeiter nicht, aha Arbeitszeit wird unsicherer, Einkommen wird unsicherer, Arbeitsplatz wird unsicherer?

Flexibilisierung kann keine Einbahnstrasse sein, daher muss man den Mitarbeitern auch bestimmte Stabilitätselemente in die Flexibilisierung einbauen, damit sie sich darauf einlassen können. Wenn ich z.B. von einem Mitarbeiter möchte, dass ich ihn relativ kurzfristig einberufen kann oder dass er länger arbeitet, dann kann man z.B. als Regel definieren, ok, dieses Recht hat das Unternehmen 15 mal im Jahr pro Person. Man markiert Eckpfeiler, an denen sich die Mitarbeiter orientieren können. Sonst ist zuviel Unsicherheit und Ungewissheit da, um sich auf ein neues System einlassen zu können. Flexibilisierung lässt sich nicht erzwingen, denn dann wird es von den Mitarbeitern unterlaufen.

Wie geht man flexible Arbeitszeiten konkret an?

Man startet immer mit der Analyse, um herauszufinden, welches Arbeitszeitmodell das Unternehmen braucht. Dazu schaut man mehrere Eckdaten an: z.B. wie schwankt die Auftragssituation wirklich, wie hat sich das in den vergangenen Jahren verändert, wie frühzeitig erkennt man im Unternehmen Schwankungen, was sind die Signale, in welchem Zeitrahmen gibt es welche Auftragsdeckungskurven, wie viel Prozent meiner Aufträge weiß ich heute für das nächste Monat, für das nächste halbe Jahr? Damit bekommt man einmal Zeitwerte. Ohne diese Daten ist die WAhl des passenden Systems ganz schwierig, aber gerade KMUs haben oft ein schlechtes Managementinformationssystem.

Dann betrachtet man die rechtlichen Rahmenbedingungen: Was ist vom Kollektivvertrag und von den Betriebsvereinbarungen her möglich? Wenn man die Daten beisammen hat, stellt man eine Projektgruppe zusammen, in der die unterschiedlichen Interessensgruppen vertreten sind.

Es gibt bei den Regelungen eine Hierarchie: Den ersten Rahmen steckt das Gesetz ab. Der Kollektivvertrag darf nicht schlechter stellen als das Gesetz und die Betriebsvereinbarung  darf nicht schlechter stellen als der Kollektivvertrag. Was aber sehr wohl möglich ist - allerdings ist das mit den Sozialpartnern zu vereinbaren - ist, dass man ein Pilotprojekt macht, um etwas auszuprobieren, das über diese Regelungen hinausgeht. Das geht, wenn die Gewerkschaft das duldet und es dann z.B. nach einiger Zeit evaluieren darf. Das kommt auch immer wieder vor.

Was passiert dann?

Wenn in Firmen viele Überstunden anfallen und man sich genau anschaut, wer die Leute sind, die diese Überstunden leisten, wird man merken, dass das in aller Regel nicht gleich gestreut ist. Meist sind das exponierte Mitarbeiter, oft die best qualifizierten, die das umfangreichste Wissen haben. Daher ist ein wichtiger Schritt, dieses Wissen auf mehr Leute zu verteilen bzw. andere höher zu qualifizieren, damit diese Personen überhaupt aus dieser Situation mit vielen Überstunden herauskommen können.

Manchmal merkt man auch, dass die Überstunden schon so teuer kommen, dass es für die Firma billiger ist, eine zusätzliche Kraft einzustellen, z.B. bei vielen Überstunden am Sonntag. Entweder man stellt Mitarbeiter befristet ein oder man nimmt eine Leasingkraft.

Damit diese Maßnahmen funktionieren, muss aber auch das Mittelmanagement flexibler werden. Bislang nehmen sie bei bestimmten Aufgaben halt immer den, wo sie die größte Sicherheit haben, der macht das schon, der kann das am besten. Für diese Aufgaben auch einmal jemanden anderen einzusetzen, erfordert auch ein Umdenken im Management. Meist gibt es hier bislang auch keine Vorgaben, die muss man erst entwickeln. Hier geht es um die Führungskraft als Personaleinsatzplaner.

Daher geht es hier oft auch um Schulung von Mitarbeitern und ein Coaching von Führungskräften, wie sie damit umgehen sollen. Oft sind das nur Kleinigkeiten, aber eben ein Mehraufwand, den sie bisher gescheut haben. Etwa: Wie schaut es mit Informationspolitik aus? Wie schaut der Plan für nächste Woche aus, was wissen wir schon? Ist der Plan im Unternehmen ausgehängt, können sich die Leute informieren und darauf einstellen oder nicht?

Wie bringe ich Mitarbeiter dazu, sich auf positive Art damit auseinander zu setzen?

Wenn man auf der Managementebene die Daten und eine Idee hat, welches Modell das Unternehmen bräuchte, dann geht es in der zweiten Runde darum, Interviews auf Mitarbeiterebene zu machen und sie zu fragen: "Unter welchen Spielregeln würden Sie ein anderes Arbeitszeitmodell akzeptieren? Was sind die Goodies, die Sie brauchen, damit Sie sagen, da spiele ich mit." Was das im Einzelnen ist, ist von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Es ist ja nicht so, dass sich die Mitarbeiter keine Gedanken machen. Wenn sie sehen, sie arbeiten normal weiter, aber die Auftragstände sind um 30% geringer als vor einem Jahr, dann erleben sie als viel bedrohlicher, wenn gar nicht reagiert wird. Denn dann ist klar, irgendwann kommt ein beinhartes Costcutting.

Wichtig bei den Arbeitszeitmodellen ist: Die Mitarbeiter brauchen Sicherheit über das Monatseinkommen. Das muss relativ stabil bleiben, aber die Arbeitszeiten sollen floaten. Die Mitarbeiter haben oft die Sorge, dass mehr oder weniger Arbeiten ein Floaten im Grundgehalt bedeutet, diese Sicherheit muss man daher geben, indem Arbeitszeit und Gehalt entkoppelt werden.

Einen wichtigen Punkt finde ich, dass viele Unternehmen beim Personalbedarf immer noch eher in Richtung Spitzen planen, was meistens das viel geringere Problem ist. Dramatischer ist, wenn die Auslastung fehlt und die Unternehmen hier keine Maßnahmen in der Schublade haben, wie sie damit umgehen können und dann panikartig Leute entlassen. Oft ohne zu überlegen, dass sie die in Kürze wieder brauchen könnten.

D.h. ein Teil der Abfederung sind Arbeitszeitmodelle

Ja wobei man mit Arbeitszeit-Modellen nur eine bestimmte Flexibilität erreichen kann. Ich würde schätzen, bei einem Personalstand von 100 Personen kann man eine Schwankungsbreite von +/- 10 Prozent abfangen. Aber teilweise sind Unternehmen mit viel höheren Schwankungen konfrontiert. Da braucht man Zusatzinstrumente, z.B. einen Teil der Belegschaft als Randbelegschaft, die man auch rasch aus dem Unternehmen bekommt bzw. Reserven am Arbeitsmarkt, mit denen man in Kontakt ist, um sie schnell ins Unternehmen herein zu bekommen. Das kann Leiharbeit sein, befristete Verträge, Werkverträge, geringfügig Beschäftigte.

Wer will schon für ein halbes Jahr einen Job haben?

Es gibt durchaus solche Leute, z.B. Studenten, oder man schaut, wer wartet gerade auf den Präsenzdienst und braucht eine Überbrückung. Die Frage ist, wer braucht sonst noch eine Überbrückung? Diese Personen muss man ausfindig machen, und das heißt, man braucht als Unternehmen zunehmend das Wissen, wo man diese Leute findet, wie man mit ihnen in  Kontakt kommt. Wichtig ist, ein Maßnahmen-Set im Koffer zu haben, das man sofort ausspielen kann, wenn es erforderlich ist. Wenn man erst zu überlegen anfängt, wenn der Fall eingetreten ist, ist es zu spät.

Aber auch all das kann nicht reichen. Dann sollte sich das Unternehmen mit dem Konzept der Employability beschäftigen und ehrlich kommunizieren: "Ich kann dir keinen Lebensjob anbieten, aber dafür biete ich dir die Möglichkeit, zusätzliche Qualifikationen zu erwerben und dir, wenn wir uns trennen, beim Wieder-Fuß-Fassen zu helfen." Da gibt es in Deutschland schon ganz interessante Konzepte. Lebensjobs sind vorbei. Viele Unternehmen gaukeln da den Leuten noch etwas vor.

Frau Mag. Grottenthaler-Riedl, vielen Dank für das Gespräch.

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