"Einseitige Modelle scheitern furchtbar"

Dr. Johannes Gärtner, Geschäftsführer des Arbeitzeitspezialisten Ximes und Autor des Buchs „Arbeitszeitmodelle – Handbuch zur Arbeitszeitgestaltung“ über die konkreten Schritte beim Erarbeiten neuer Arbeitszeitmodelle.

Was genau meint „mehr“ Flexibilität?

Mehr Flexibilität kann man als zunehmende Selbststeuerungsfähigkeit von Organisationen betrachten, als Möglichkeit, über mehr Einflussgrößen zu steuern. Es kann aber nicht alles flexibel sein, sonst steigt der Aushandlungsaufwand ins Gigantische. Dabei geht es immer auch um die Frage der Verteilung von Flexibilität. Pointiert formuliert: Die Flexibilität des einen ist die Festigkeit für den anderen. Wenn ich z.B. meine Kinderbetreuung zu jedem beliebigen Zeitpunkt anrufen kann, muss sie extrem flexibel sein, während es in diesem Fall für mich eine feste, planbare Größe wird. Allerdings werden durch Flexibilisierung effizientere Gestaltungsmöglichkeiten realisiert und damit gibt es auch zusätzliche Verteilungsspielräume.

Inwiefern mehr Gestaltungsspielraum?

Wenn Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt im Betrieb sind, wo sie nicht benötigt werden, das im neuen Modell wegfällt und sie dafür bei Spitzen länger da sind, spart die Organisation viel Geld. Selbst wenn ein Teil davon den Arbeitnehmern zugute kommt, ist das eine beträchtliche Einsparung für das Unternehmen.

Häufig ist es so, dass eine deutliche Verbesserung für die eine Seite nur leichte Nachteile für die andere bringt. Daher schnüren wir in der Praxis Pakete und versuchen, wechselseitig Vorteile zu realisieren. Da wo es schlicht um Kostenkürzung geht, muss man klar sagen: Arbeitszeitsysteme sind einfach zu kompliziert, um sie den Mitarbeitern einseitig aufzuoktroyieren. Ohne die Bereitschaft der jeweils anderen Seite, da mitzutun, scheitern solche Systeme furchtbar.

Womit fängt man nun konkret an?

Mit der Frage: Um was geht es überhaupt? Wohin soll es gehen? Das eine ist, dass man sich fragt, wie hoch ist überhaupt mein Bedarf? Wie kann ich wissen, wann ich wie viel Personen brauche? Auf der sozialen Ebene geht es darum, eine arbeits- und entscheidungsfähige Projektstruktur zu bilden, mit der die Themen gemeinsam durchgearbeitet werden. Es braucht ein wechselseitiges Verständnis für die Anforderungen und Schwierigkeiten der anderen Gruppen.

Festzustellen, wann welche Nachfrage besteht und wie sie schwankt, ist mitunter ein schwieriger Suchprozess. Ein Beispiel: Bei einem Projekt mit der deutschen Polizei haben wir uns angeschaut, wie viele Anrufe bei einer Einheit pro Stunde eingehen und wie das pro Tag, Monat und Jahr schwankt. Interessant ist, dass die durchschnittliche Bearbeitungszeit pro Anruf und Einsatz überraschend stabil ist. Die englische Polizei beispielsweise braucht durchschnittlich 40 Minuten pro Fall.

Nun ist es leicht einsichtig, dass am Abend ein größerer Bedarf an Polizisten besteht als in der Früh. Viele Polizeieinheiten in Europa planen bereits so. Die österreichische Polizei geht allerdings noch um 7.00 Uhr in der Früh auf 100% Stärke und senkt um 19.00h auf 50% ab. Damit entstehen enorme Überstunden. Das hängt eng mit dem Entgeltsystem zusammen. In Österreich gibt es ein niedriges Grundgehalt und extrem hohe Zulagen, diese Sonderkomponenten sind daher erheblicher Teil des Einkommens. In diese Frage rennt man bei Arbeitszeit-Projekten relativ oft. Es gibt viele Beschäftigtengruppen, die sehr viele Überstunden haben und ungern davon weggehen. Bei einer Neugestaltung bräuchte man daher den Mut, das als Gesamtpaket anzugehen, denn ohne eine Veränderung des Entgeltsystems können Sie hier das Arbeitszeitsystem nicht verändern.

Jetzt hat man eine Nachfragekurve und die Bearbeitungszeit, was dann?

OK, auf dieser Basis kann man einmal einen ungefähr Personalbedarf berechnen. Dann schaut man, wie man dieser Kurve mit Frühschichten, Tagschichten, Spätschichten möglichst nahe kommt. Samt der Frage: Was ist eine akzeptable Unterdeckung bzw. Überdeckung?

Diese Schichtplanung ist mathematisch komplex und ergonomisch anspruchsvoll, weil die Zeiten enormen Einfluss auf Arbeits- und Lebenszeit der Mitarbeiter haben: Wenn man kurze Schichten plant, sind die Leute ständig damit beschäftigt in die Arbeit und wieder nach Hause zu kommen, wenn man schlechte Beginn- und Endzeiten plant, wird das wenig Begeisterung ernten. Wenn Sie zu lange Zeiten planen, führt das zwar zu mehr freien Tagen, aber zu hoher Belastung während der Arbeit; Bei der Schichtplanung muss man die arbeitswissenschaftliche Sicht ebenso berücksichtigen wie die betriebliche Sicht.

Ein weiterer Punkt ist: Man muss auch mitdefinieren, welche Qualifikationen vorhanden sein sollen. Damit wird sichtbar, ob meine Personalressourcen ausreichen, ob ich die nötigen Qualifikationen überhaupt habe bzw. wie viele Stunden gegebenenfalls offen bleiben. Das sind dann wichtige Infos für die Personalplanung und die Weiterbildung.

Auf dieser Basis bastle ich Dienste, damit ich weiß, wann ich wie viele Leute zu welchem Zeitpunkt beginnen lasse, und wie lange die bleiben sollen. Dann muss ich schauen, ob das mit Vollzeitarbeitskräften zu realisieren ist oder ob ich Teilzeitarbeitskräfte brauche.

Gut geplante Arbeitszeitmodelle bringen auch insofern Vorteile für die Arbeitnehmer, weil es häufig weniger chaotisch wird. Aus diesem Chaos resultiert ja eine hohe Belastung. Im besten Fall spart also das Unternehmen Geld und die Leute haben bessere Arbeitsbedingungen.

Herr Dr. Gärnter, vielen Dank für das Gespräch.

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Dr. Johannes Gärtner,