Appreciative Inquiry: "Eine massive Haltungsänderung"

Im Gespräch mit Andrea Bumharter und Peter Böhm von der Beratungsfirma Böhm und Bumharter über das Veränderungspotenzial "wertschätzender Befragung".

Meiner Erfahrung nach können richtig gestellte Fragen zwar energetisieren, aber wenn man die Antworten sammelt, bündelt und verschriftlicht, verpufft da nicht wieder die Energie? Das erinnert mich an Seminarprotokolle, die niemand wieder anschaut.

A. Bumharter: Es geht um kraftvolle Geschichten, und wenn sie gut sind, werden sie weitererzählt. Ich denke aber, das Entscheidendste passiert in den Interviews selbst. Da gehen oft massive qualitative Veränderungen in den Personen vor, weil ich da jemandem gegenübersitze, der sich wirklich dafür interessiert, was ich gut gemacht habe. Und das ist für viele eine höchst ungewöhnliche Erfahrung. Leider.

Ich habe vor 2,3 Jahren bei einer Abendveranstaltung die Gäste gebeten, in einer kurzen Phantasiereise zurückzugehen und darauf zu schauen, worauf sie besonders stolz sind, was sie besonders gut gemacht haben. Es wurden also die ersten 2,3 Fragen des AI-Prozesses kurz angerissen. Dann habe ich die Teilenehmer gefragt: "Wann hat sie das letzte Mal jemand gefragt, ob sie auf etwas stolz sind, worauf sie stolz sind, was ihnen gut gelungen ist? Letzte Woche, vor einem Monat, letztes Jahr?" In einem persönlichen Gespräch hat mir dann ein Manager gesagt: "Bei Ihrer Frage ist mir schlagartig klar geworden: Es hat sich noch nie jemand dafür interessiert, was ich gut gemacht habe, worauf ich stolz bin." Das ist traurig, aber leider durchaus typisch für die vorherrschende Fehler-Kultur in unseren Unternehmen. Durch die AI-Fragen  passiert da eine qualitative Veränderung.

Umso mehr wundert mich, dass Leute, die das erfahren haben, das nicht gierig aufnehmen und nicht ihr Führungsverhalten danach auszurichten, sondern schnell wieder in die Problemtrance hineinfallen.

A. Bumharter: Das hat es viel mit unserer Kultur zu tun. Wir sind eine defizitorientierte Gesellschaft, darauf trainiert zu schauen, wo das Problem ist. Das wird AI nicht mit einem Mal ändern. Es wäre auch eine Überforderung, zu erwarten, wenn man ein Instrument einmal einsetzt, würde sich die Unternehmenskultur gleich radikal ändern. Es zeigt aber Managern und Mitarbeitern einen sehr konkreten Weg zu einem wertschätzenden Umgang miteinander.

Was sind Ihre positiven Erfahrungen mit AI?

P. Böhm: Bei uns selbst hat es viel verändert. Z.B. haben wir in der Vorbereitung von Seminaren gemerkt, dass bestimmte unserer bisherigen Fragen nicht nach den Prinzipien des AI formuliert sind und das geändert. Auch unsere Sicht auf die Kunden und deren Situation hat sich verändert. Man ist als Berater immer verleitet – man wird ja geholt, weil der Kunden ein Problem hat – sich darauf zu konzentrieren, was alles nicht gut läuft. Da schaue ich heute viel bewusster, ok die haben ein Problem, aber was machen sie gut, was ist ihr Bemühen, es besser zu machen? Das klingt platt, aber es macht unheimlich viel aus, mit welcher Einstellung ich an die Arbeit, an die Projekte herangehe.

Wird das Potenzial, das in diesem Ansatz steckt, von den Firmen schon voll ausgeschöpft?

P. Böhm: Zum einen ist es ein Ansatz, der noch nicht sehr bekannt ist. Zum anderen wird AI von den Beratern meistens nur im Rahmen eines Projektes eingesetzt, nicht so sehr als explizite Methode. Die Fragen fließen ins Seminar- oder Projektdesign ein und der Begriff AI kommt vielleicht kein einziges Mal vor. Das Wichtige ist, dass diese Seite, die Highlights, die positiven Erlebnisse durch AI überhaupt thematisiert werden, dass darüber geredet wird und wie darüber geredet wird. Das ist in vielen Firmen eine massive Veränderung und die würde ich nicht unterschätzen. Ich sehe AI als Impuls, um eine andere Sicht auf sich selbst, die anderen, die Welt zu bekommen und dann mit dieser Haltung weiterzuarbeiten.

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