Erst verstehen, dann verstanden werden

Was tun, wenn eine Person auf eine beide Seiten zufriedenstellende Lösung hinarbeitet, der andere aber nur den eigenen Vorteil im Blick hat. Zwei sehr unterschiedlich verlaufende Gesprächsbeispiele.

In dem Buch "Führungsstark in alle Richtungen" verdeutlicht der Führungstrainer Alexander Groth anhand zweier Gesprächsausschnitte Stephen Coveys Prinzip: "Erst verstehen, dann verstanden werden" und wie mit Hilfe des aktiven Zuhörens starre Positionen aufgeweicht, drohende Konflikte entschärft und die Suche nach gemeinsam befriedigenden Lösungen aufgenommen werden kann.

Beispiel 1:

In das Büro des Vertriebsleiters Müller kommt der Leiter der Produktion, Herr Schmidt, sichtlich aufgebracht hereingestürmt. Herr Schmidt grüßt nicht und wartet auch nicht ab, bis Herr Müller ihn begrüßt, sondern kommt gleich zur Sache:

Schmidt: "Hören Sie mal Herr Müller, das geht so nicht. Ihre Leute versprechen den Kunden dauernd irgendwelche Sonderanfertigungen. Wissen Sie eigentlich, was das heißt, wenn wir jedes Mal alle Maschinen umstellen müssen?"

Müller: "Jetzt mal ganz langsam. Sie müssen die Produkte ja nicht verkaufen. Meine Mitarbeiter sind beim Kunden und nicht Ihre. Was glauben Sie denn, wie viele Chancen wir am Markt hätten, wenn wir keine Sonderwünsche erfüllen würden? Die Konkurrenz schläft nicht. Meinen Sie, mit reinen Standardprodukten hätten wir beim Kunden eine Chance?"

Schmidt: "Ihre Leute versprechen dem Kunden doch gerade, was sie wollen. Außerdem vereinbaren sie immer viel zu kurze Liefertermine. Und wer muss das ausbaden? Wir! Bei uns werden dauernd Überstunden geschoben, nur weil Ihre Mitarbeiter nicht mal halbwegs realistische Termine mit den Kunden vereinbaren können. Wenn der Kunde fragt, bis wann geliefert werden kann, sagt ihr doch immer: Sofort!"

Müller: "Sie machen mir Spaß! Was Wollen Sie eigentlich? Einen Monatsplan im Voraus? Wenn der Kunde anruft, dann brennt´s meistens. Sie möchte ich sehen, wenn Sie dem Kunden ins Gesicht sagen: In fünf Wochen können wir liefern. Da können Sie genauso gut gleich nach Hause gehen."

Schmidt: "Ach ja, und damit soll dann wohl alles entschuldigt sein? Es ist doch immer dasselbe. Ihr Vertriebsleute seid sowas von…."

Dass die beiden Streithähne zu einer für beide Seiten befriedigenden Lösung kommen, ist nicht mehr sehr wahrscheinlich. Was aber passiert, wenn Herr Müller nach dem Prinzip "Erst verstehen, dann verstanden werden" vorgeht:

Schmidt: "Hören Sie mal, Herr Müller, das geht so nicht. Ihre Leute versprechen den Kunden dauernd irgendwelche Sonderanfertigungen. Wissen Sie eigentlich, was das heißt, wenn wir jedes Mal alle Maschinen umstellen müssen?"

Müller: "Hallo, Herr Schmidt. Sie scheinen mir ja richtig aufgebracht. Ist was passiert?"

Schmidt: "Und ob was passiert ist. Ihre Leute versprechen den Leuten dauernd Sonderausführungen, ohne dass irgendjemand das vorher mit uns abstimmt. Am Ende müssen wir dann sehen, wie wir das irgendwie hinbekommen."

Müller: "Wo liegt denn das Problem mit den Maschinenumstellungen?"

Schmidt: "Das Problem besteht darin, dass wir die ganze Produktion für eine Stunde stoppen müssen, um die Maschinen umzurüsten, wenn wir Sonderanfertigungen produzieren. Das ist eigentlich auch ganz normal. Weil Ihre Leute aber so kurzfristige Liefertermine vereinbaren, können wir die Sonderproduktionen nicht gebündelt bearbeiten, sondern müssen im Extremfall dreimal am Tag die Maschinen umstellen, um die Termine einhalten zu können. Das sind dann drei Stunden, in denen nichts produziert wird. Das können wir nur durch Überstunden wieder reinholen. Die Sachen müssen ja trotzdem fertig werden."

Müller: "Das gibt dann wahrscheinlich Ärger mit dem Betriebsrat, wegen zu vieler Überstunden."

Schmidt: "Genau."

Müller: "Was würde Ihnen denn helfen?"

Schmidt: "Das Hauptproblem sind im Prinzip die Termine. Wenn die Aufträge nicht so  kurzfristig terminiert wären, könnten wir Sonderproduktionen bündeln und hätten weniger Umrüstzeiten."

Müller: "Wie sind denn die momentanen Lieferfristen für die Bestellungen?"

Schmidt: "Teilweise bei drei Tagen."

Müller: "Das ist natürlich sehr knapp. Da kann ich Sie verstehen."

Schmidt: "Gut."

Schmidt hat sich bereits sichtbar beruhigt und spricht mittlerweile in einer normalen Tonlage. Müller hat aufmerksam zugehört und verstanden, um was es Schmidt geht. Jetzt ist er an der Reihe, seine Argumente vorzubringen.

Müller: "Eine Sache sehe ich als problematisch an. Die Konkurrenz hat in den letzten Monaten ihr Sortiment erweitert und ihre Lieferzeiten verkürzt. Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir im Vertrieb insbesondere bei größeren Aufträgen auf die Sonderwünsche der Kunden eingehen, und auch mit den Lieferzeiten haben wir nicht viel Spielraum, weil der Kunde mittlerweile eine kurze Lieferzeit voraussetzt. Ich könnte Ihnen aber anbieten, dass ich mit meinen Leuten rede und sie bitte, kleinere Aufträge nicht zu kurzfristig zu temrinieren, damit Sie wegen einer kleineren Bestellung nicht extra alles umstellen müssen. Das sollten unsere Kunden normalerweise akzeptieren. Damit ließen sich die Spitzen bei Ihren Überstunden einschränken. Was halten Sie davon."

Schmidt: "Ich glaube, das würde helfen."

Müller: "Könnten Sie mir mal eine Aufstellung machen, wie oft Sie welche Sonderproduktion im Monat fahren, damit meine Leute besser abschätzen können, was zeitlich realistisch ist? Ich muss gestehen, ich weiß es selbst nicht so genau."

Schmidt: "Da haben Sie natürlich recht. Ihre Leute wissen ja auch nicht, was wie viel Aufwand bedeutet. Wie wäre es denn, wenn Ihre Außendienstmitarbeiter uns bei der nächsten Vertriebstagung hier im Haus mal wieder besuchen? Dann könnten wir Ihnen das vor Ort erklären und auch das Herstellungsverfahren für unsere Neuheiten vorführen. Dieses Wissen könnten Sie dann im Verkaufsgespräch nutzen."

Müller: "Das ist eine gute Idee. Ich denke, über diese Abwechslung im Tagesprogramm werden sich alle freuen."

Tipp: Beobachten Sie einmal, wer von Ihren Managerkollegen das Prinzip "Erst verstehen, dann verstanden werden" bereits verinnerlicht hat und es umsetzt. Und probieren Sie selbst immer wieder als kurze Übung, gleich am Beginn eines Gesprächs, sich nur darauf zu konzentrieren den Gesprächspartner zu verstehen, bevor Sie Ihren eigenen Standpunkt darstellen.

Quelle: Alexander Groth: Führungsstark in alle Richtungen, Campus Verlag, 2008

Zum Haupttext: Kooperation mit Manager-Kollegen

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