OE, UE oder was? Teil 2

Im Gespräch mit Dr. Rudi Wimmer, geschäftsführender Gesellschafter der OSB, Wien und Professor am Lehrstuhl für Führung und Organisation von Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke, Deutschland.

Herr. Dr. Wimmer, was unterscheidet Organisations- von Unternehmensentwicklung?

Wenn man auf die Differenz OE und UE schaut, muss man zunächst sehen, dass der Begriff Organisation selbst ein schillernder Begriff ist, der unterschiedliche Bedeutungsinhalte gleichzeitig in sich birgt. In der sozialwissenschaftlichen Theorie meint man mit Organisation einen ganz bestimmten Typus sozialer Systeme, angesiedelt zwischen den makrogesellschaftlichen Systemen der Wirtschaft, der Politik, des Gesundheitswesens usw. und dem, was Luhmann Interaktionssysteme nennt, also Gruppen. Da dazwischen ist das soziale System Organisation angesiedelt, und gebaut, um die in den Funktionssystemen oder zwischen ihnen angesiedelte Problemstellungen bearbeitbar zu machen: die Heilung von Krankheiten im Sinn des Krankenhauses oder die Sozialisation im Sinne der Schule.

Also es gibt gesellschaftliche Probleme ...

und um die herum bauen sich komplexe soziale Systeme. Diese sozialen Systeme können ihre gesamtgesellschaftliche Aufgabe aber nur erfüllen mit Hilfe von Organisationen.  Sie sind überhaupt nur problemlösungsfähig dadurch, dass es Organisationen gibt.  DIE Wirtschaft handelt nicht, oder DAS Wissenschaftssystem, sondern das was agiert, sind Organisationen. Das heißt, der Begriff Organisation, so wie wir ihn verwenden, auch in der Systemtheorie, meint diesen speziellen Typus von sozialen Systemen. Und Unternehmen in dem Sinn sind ein bestimmter Typus von Organisationen, nämlich Organisationen im Wirtschaftssystem. Insofern ist Unternehmen die kleinere Menge und Organisation der übergeordnete Begriff, denn er meint eben nicht nur “Wirtschaftsorganisationen”, sondern er umschließt auch Organisationen in anderen gesellschaftlichen Systemen, z.B. Ministerien und Behörden in der öffentlichen Verwaltung, Parteien im politischen System, Gerichte im Rechtssystem....

Was bedeutet so ein Zugang nun in Bezug auf die Differenz OE - UE?

Also, da muss ich von einer anderen Seite her kommen: ich brauche einen angemessenen Begriff Organisation, das ist bereits deutlich geworden, der der Komplexität unserer gesellschaftlichen Verhältnisse adäquat ist. An der klassischen OE würde ich kritisieren, dass sie diesen Begriff von Organisation vermissen lässt. Es fehlt ihr ein theoretisch fundiertes Organisationsverständnis, das den heutigen Verhältnissen angemessen ist.

Im klassischen Verständnis dient OE als Mittel zum Zweck, wo derjenige der gestaltet, sich quasi als außerhalb definiert, und jetzt die Organisation gestaltet, damit sie den vordefinierten Zwecken besser dient. Das ist ja eine eigenartige Vorstellung, dieses instrumentelle Organisationsverständnis, weil es einfach von der Realität abstrahiert, dass die Gestalter  selbst Teil dessen sind, was sie da gestalten.

Was haben Sie für ein Entwicklungsverständnis?

Ich gehe davon aus, dass jede Organisation, solange sie existiert, sich ohnehin entwickelt. Es ist schon irgendwie eine Verkürzung zu meinen, es gibt eine Organisation, die man entwickeln muss, weil sie sich sonst nicht entwickelt, weil sie sonst nicht lebensfähig wäre. Jede Organisation hat ihre Muster an Selbstentwicklung längst ausgeprägt und schafft darüber ein bestimmtes Maß an Überlebensfähigkeit. Jetzt kann man natürlich der Meinung sein, dass diese naturwüchsig aufgebauten Mechanismen der Selbstadaption an sich verändernde Umwelten dysfunktional sind, dass sie zu wenig schnell gehen oder sich in die falsche Richtung entwickeln.

OE oder Veränderungsmanagement ist insofern der Versuch, in diese naturwüchsigen Muster, die jede Organisation aufgebaut hat, gezielt einzugreifen und dem eine bestimmte Richtung zu geben, die man meint, verfolgen zu müssen.

Aber um auf das Ausgangsthema zurückzukommen, wenn Sie wollen, ist OE für mich der Überbegriff, der diese Art von gezielten Entwicklungsmaßnahmen theoretisch fasst und auch eine Praxeologie für die Gestaltung mitliefert. Und UE ist halt dasselbe herunter gebrochen auf Unternehmen, OE im Kontext von Wirtschaftsorganisationen. Aber ich habe denselben Grundgedanken, wenn es darum geht, ein Ministerium umzubauen oder Krankenhäuser zu transformieren oder Universitäten. Klar, natürlich hat man andere Voraussetzungen, andere Organisationszustände, andere Umwelten, andere Grenzen in der Gestaltbarkeit, das sind die speziellen Färbungen, die Organisationen in diesen gesellschaftlichen Systemen haben.

Wie passt in das eben Gesagte das systemische Denken hinein?

Die systemische Organisationsberatung ist ja erstmals eine wirkliche Theorie für das, was Beratung heißt. Die klassische OE hat kein eigenes Beratungsverständnis, weil dort nicht unterschieden wird, was der Manager und was der Berater macht, das ist eine Soße. Da gibt es keine adäquate Rollendifferenzierung, mit ein paar Ausnahmen, und die sind holprig. Es ist eine undifferenzierte Soße des Eingreifens, und deshalb nehmen viele Berater auch Ersatzmanagerfunktionen an, ähnlich wie klassische Unternehmensberater. Das Wesen der systemischen Beratung ist, dass sie genau an diesem Unterschied ansetzt, an diesem Rollenunterschied und fragt: Was kann jemand, der außen ist, tun mit einem System, das er eigentlich nicht von außen beeinflussen kann, um es doch gezielt zu beeinflussen? Wie wird er mit dieser unmöglichen Aufgabe fertig?

Herr Dr. Wimmer, vielen Dank für das Gespräch.

07.1999

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Dr. Rudolf Wimmer, OSB-Consulting