Bürokratie ohne Bürokraten

Neue Gesetze erzwangen eine Neuordnung der Aufgabenverteilung und führten so zu massivem Veränderungsbedarf und Überkapazitäten im österreichischen Wissenschaftsministerium. Allen Unkenrufen zum Trotz – der radikale Umbau gelang.

Mehr Autonomie für die einzelnen Universitäten! Das war die Absicht des neuen Universitätsstudiengesetzes, abgekürzt UOG 93. Erreichen wollte man diese Kehrtwendung gegenüber den bisherigen Gesetzen, in denen den Hochschulen alles bis ins Detail vorgeschrieben war, durch eine deutliche Aufgabenverlagerung aus dem Wissenschaftsministerium hin zu den einzelnen Universitäten. Im Beraterkauderwelsch hieße so etwas: Dezentralisierung und Verlagerung der Entscheidungs- und Durchführungsverantwortung an die Basis.

Verstärkt wurde diese Intention durch das neue Studiengesetz (UniStG), wo 11 bestehende Gesetze und 127 Verordnungen durch – man höre und staune - 1 einziges Gesetz ersetzt wurden. Konkrete Folge dieser Aufgabenverschiebung war der Auftrag an die zuständige Sektion im Ministerium für Wissenschaft und Verkehr, aufgrund der geänderten Umstände eine „entsprechende Kapazitätsanpassung“ vorzunehmen.

Das Projekt ROSI

Die erste Hauptentscheidung des zuständigen Sektionsleiters Dr. Sigurd Höllinger, der selbst federführend am neuen UOG mitgewirkt hatte, war, das Veränderungsprojekt „Reorganisation der Sektion I (abgekürzt ROSI“) inhaltlich durch eigene Mitarbeiter gestalten zu lassen und die beigezogenen Berater der „infora“ als Prozessberater einzusetzen.

Die zweite wichtige Entscheidung war, eine Art „Auftrags- und Zielklärungsphase “ vorzuschalten, in der es darum ging, im Rahmen des obersten „Managementkreises“ mit dem Sektionsleiter und den vier Gruppenleitern grobe Projektziele zu definieren, Projektinhalte festzulegen und die Anforderungen an die noch auszuwählenden Projektmitarbeiter zu besprechen. Für den späteren Projekterfolg mitentscheidend war, so der infora-Berater Mag. Walter Sumetzberger, „auf dieser obersten Ebene eine gemeinsame Sprache und Sicht zu finden, was mit diesem Projekt genau passieren soll.“

Gerade weil dieses Projekt im Vergleich zu allem bisher Dagewesenen so aus dem Rahmen fiel und von der Größenordnung der angepeilten Einsparung her (ca. 20 Prozent der Mitarbeiter) geeignet war, enorme Schockwellen unter den Beamten zu produzieren, war es von eminenter Bedeutung, die obersten Spitzen wirklich mit im Boot zu haben, um so die Gefahr zu verringern, dass das Projekt in der Folge blockiert oder verschleppt würde.

Die nächste wichtige Weichenstellung betraf die Auswahl des Projektleiters Mag. Michael Bauer und der drei Projektmitarbeiter, die alle vollzeitlich für das Projekt abgestellt wurden. Insofern ein Vorteil, als diese Regelung Schutz und Heimathafen bot vor Anfeindungen sich bedroht fühlender Kollegen („Seid ihr wahnsinnig? Ihr ruiniert unsere Sektion!“) und so erst die Möglichkeit entstand, sich als wirkliches Team zu etablieren.

Es wird nicht so heiß gegessen wie......und ob!

Der Auftrag ans Projektteam lautete: Entwicklung eines Aufgaben-/Geschäftsprozessmodells, Analyse der Ist-Situation und Erarbeitung mehrerer Varianten von neuen Zuständigkeitsverteilungen unter Berücksichtigung der geplanten Aufgabenveränderungen.

In die Ist-Analyse wurden sämtliche Mitarbeiter der Sektion mit eingebunden, indem sie mithalfen, ihre derzeitigen Aufgaben mit dem jeweils geschätzten Zeitbedarf zu erheben. Die Einbindung der 22 Abteilungsleiter erfolgte durch Arbeitsgruppen, die der Projektgruppe bei den einzelnen Projektzielen zuarbeiteten. Nach dieser Ist-Erhebung wurden in einer ersten Managementrunde all jene Aufgaben ausgeschieden, die nach dem neuen UOG wegfielen. Die übrig gebliebenen Aufgaben wurden in einer an den Geschäftsprozessen orientierten Weise zusammengestellt, neu hinzugekommene Aufgaben integriert und der notwendige Ressourcenbedarf geschätzt.

Das Projektendergebnis war:

     

  • 5 Vorschläge zur Neugestaltung der Sektion
  • Die Festlegung der in Hinkunft notwendigen Aufgaben
  • Die Anpassung der Aufgaben an die neue Situation in Form von Geschäftsprozessen
  • Die Feststellung des Ressourcenbedarfs für die einzelnen Aufgaben

 

Das erste Projekt ROSI endete im Jänner 98 mit der Präsentation mehrerer möglicher Gliederungsvarianten für die Sektion. In einem daran gleich anschließenden Projekt namens URS, „Umsetzung der Reorganisation der Sektion I“, kam es dann zur abschließenden Bewertung der verschiedenen Vorschläge, zur Diskussion mit den Gruppenleitern und einer Letztentscheidung durch den Sektionschef. Der formale Abschluss war die Vorlage einer neuen Geschäftsordnung, die vom ressortverantwortlichen Minister abgesegnet wurde und damit in Kraft trat.

Unblutiger Abbau

Bereits in der Regierungsvorlage für das UOG 93 hatte man die voraussichtliche Personaleinsparung auf rund 20 Prozent der Mitarbeiter taxiert. Zusätzliches Einsparungspotential ergab sich in der Folge aufgrund des neuen Studienrechts. Letztendlich bedeutete das, 35 „Jahresvollzeitäquivalente“ einzusparen. Ein Ziel – und das ist eines der sensationellen Resultate dieses Projektes - das bereits Mitte 2000 wie geplant abgeschlossen war. Zusammen mit diesen „Köpfen“ verschwand in der Sektion I, die zuvor aus 4 Gruppen mit 22 Abteilungen bestanden hatte, eine ganze Gruppe mit ihren 6 Abteilungen.

Mehr als die Hälfte dieser geplanten 35 „Jahresvollzeitäquivalente“ wurden bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Geschäftsordnung durch Pensionierungen und Nicht-Nachbesetzungen abgebaut sowie durch die Freigabe von Kollegen, die sich dann mit Unterstützung ihrer Vorgesetzten für andere Bereiche bewarben. Die noch ausstehenden Einsparungen passierten hingegen fast alle durch absehbare Pensionierungen. Einziger Wermutstropfen für den Sektionschef: „Das einzige was uns nachhängt, ist der damalige Vorschlag, vier Mitarbeiter in Form einer Reduktion von Überstunden abzubauen. Das haben wir bis heute nicht zusammengebracht, weil wir dazu die pauschalierten Überstunden reduzieren müßten und das ist bei uns eine heilige Angelegenheit. Und je näher die Personalvertreterwahlen rücken, desto weniger geht das.“

Gruppenleiter ohne Gruppe?

Rein rechnerisch sind schon die 35 Ministeriumsposten eine beeindruckende Reduktion, aber so ein Abbau geht natürlich nie reibungslos vor sich. Auch bei noch so guter Planung gehen nicht immer die richtigen Personen auf den richtigen Stellen in Pension. Mitunter verliert man gerade in Umbruchzeiten besonders wichtige Know-how-Träger, weil die eben zufällig gerade die Altersgrenze überschritten haben. Hingegen bleiben der Sektion Mitarbeiter erhalten, die nicht über die benötigten neuen Qualifikationen verfügen und auch nicht so ohne weiteres darauf hingeschult werden können. Für diese gilt es neue Aufgaben zu finden.

Zudem war klar, dass aufgrund des Dienst- und Entsoldungsrechts Gruppenleiter auch nach einer organisatorischen Änderung Gruppenleiter bleiben und Abteilungsleiter Abteilungsleiter. Im Klartext: Mitarbeiter in leitender Position, deren Gruppe oder Abteilung aufgelöst wurde, die aber noch nicht direkt in die Pension wechselten, wurden unter Wahrung aller Rechte und Bezüge mit neuen Aufgaben den Reformprozess betreffend betraut. Mit Aufgaben, für die es nach ihrer Pensionierung in ein paar Jahren dann keine Nachfolger geben wird. Das ist nicht immer sehr lustig für die Betroffenen, die zwar als wertvolle Know-how-Träger oft noch wertvolle Dienste in dieser Übergangsphase leisten, sich aber durch diese Regelung leicht abgewertet und punziert fühlen durch Kollegen-Kommentare wie „Ausgedinge“, „Mitarbeiter mit Ablaufdatum“.

Nach Kunden organisiert?

Für die verbliebenen Mitarbeiter gab es mehr oder weniger massive Veränderungen in Form veränderter Aufgabenbereiche. Ausgehend vom Prinzip des „one face to the costumer“ war die Grundidee der letztlich gewählten neuen Struktur, pro Universität bzw. Fachhochschule einen einzigen Ansprechpartner zu installieren, der diesen „Kunden“ dann mit einem Team von Experten aus den früheren Fachabteilungen in allen Belangen betreut. Das bedeutete ein kräftiges Verschieben von Kästchen entlang den zentralen Geschäftsprozessen. Dem Zufall sei´s gedankt, ergab sich genau in dieser Phase die Möglichkeit einer Übersiedelung, wodurch die neugebildeten Abteilungen auch räumlich zusammenziehen und durch die Zusammenführung das Wir-Gefühl stärken konnten.

Entgegen allen Unkenrufen bewies dieses Projekt vor allem eines: Es zeigte eindrucksvoll, wie viel Bewegung auch im öffentlichen Bereich möglich und realisierbar ist, wenn die notwendige Veränderung aufgrund neuer Rahmenbedingungen von oben forciert und mitgetragen wird und man einen Weg findet, der für die Mitarbeiter gangbar erscheint, auch wenn man es selbst in diesem Fall nicht jedem recht machen wird.

Autor: Peter Wagner, 07.1999

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: