Erfolge fördern das Umdenken

Die Ausgangslage war 72 Mio. Euro pro Jahr – Verlust, nicht Umsatz. Vier Jahre später war der Geschäftsbereich Technische Services (TS) der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) bereits im Begriff, ausgeglichen zu bilanzieren. Keine schlechte Performance, oder?

Den ursprünglichen Anstoß für die radikale Umgestaltung lieferte das Bundesbahngesetz 1992, das bei der ÖBB eine neue Ära einläutete. Erstmals kam es damit zu einer Trennung in die beiden großen Bereiche Infrastruktur und Absatz und zu der dezidierten Festschreibung, daß der Absatzbereich in Hinkunft nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu führen sei. Vorbei waren damit die Zeiten, als ständig größer werdende ÖBB-Defizite Jahr für Jahr aus dem Bundeshaushalt abgegolten wurden.

Im Zuge der damals eingeleiteten Restrukturierungen fiel dann im Jahr 94 auf Vorstandsebene die Entscheidung, den Unternehmensbereich Maschinendienst in die zwei eigenständigen Bereiche Traktion und Technische Services (die ehemaligen Werkstätten) aufzuspalten. Die zugrundeliegende Logik: Die Traktion – unter diesen Bereich fallen u.a. die Lokomotiven – ist einer der wichtigsten Kunden des Werkstättenbereichs, d.h. hier gibt es eine interne Kunden-Lieferanten-Beziehung, die man, will man effizient wirtschaften, besser fein säuberlich auseinanderhält.

Die Restrukturierung des neu geschaffenen Bereichs Technische Services wurde öffentlich ausgeschrieben und der damals siegreiche Berater Dr. Alfred Zimmermann vom zuständigen Vorstandsmitglied Dr. Helmut Draxler auf die intensivstmögliche Weise mit der Umsetzung beauftragt: Der Vorstandssprecher ernannte ihn kurzerhand zum neuen Leiter dieses Bereichs mit damals annähernd 7.500 Mitarbeitern. Getreu dem Motto: Wenn Sie der Meinung sind, daß das von Ihnen erarbeitete Konzept realisiert werden kann, warum machen Sie es dann nicht gleich selber? Wer könnte so ein Angebot schon ablehnen?

Wider die Regionalkaiser

Um in einem so großen Bereich überhaupt etwas in Bewegung zu bringen, muss man die Mannschaft einmal kräftig aufrütteln und etwas gänzlich neues machen, statt nur punktuelle Veränderungen vorzunehmen. Bei TS bedeutete das, die traditionelle regionale Gliederung aufzulösen und durch eine völlig neue Struktur zu ersetzen, die sich an den Hauptkunden und den entsprechenden Produkten orientierte. Damit entstanden die vier Geschäftsfelder Elektrofahrzeuge, Reisezugwagen und Dieselfahrzeuge, Güterwagen, und Sonderfahrzeuge. Mit der radikalen Zerschlagung der Regionalgliederung ging eine entsprechende Machtverschiebung einher, indem die altgedienten „Regionalkaiser“ an Einfluß verloren und mit den neu eingesetzten Geschäftsfeldleitern Reformer an einflußreiche Positionen gehievt wurden. Ein klares Signal an die Mitarbeiter.

Als sich dann kurz nach Inkrafttreten der neuen Struktur zeigte, dass sich in allen vier Bereichen in unterschiedlicher Ausprägung die Anlagentechnik wieder fand, die mit der Instandhaltung von Nicht-ÖBB-Kerngeschäft wie Fahrtreppen, Aufzügen, Hubanlagen, Staplern etc. beschäftigt war, lag es nahe, in einem nächsten Schritt diese Querschnittsfunktion in einen eigenen Bereich mit Namen „Anlagentechnik und Werkerhaltung“ zusammenzufassen und bald darauf überhaupt aus dem Bereich TS herauszunehmen, da sie mit dem Kerngeschäft nichts zu tun hatte.

Ende 98 hielt man also wieder bei 4 Geschäftsfeldern und dem Kerngeschäft „Erhaltung, Wartung und Umbau von Schienenfahrzeugen“, beschäftigte aufgrund der Abgabe der „Anlagetechnik“ und der Nicht-Nachbesetzung von Pensionierungen nun aber statt der ursprünglich 7.500 nur mehr 5.500 Mitarbeiter. Mit dem organisatorischen Umbau gingen einerseits kräftige Investitionen einher, um die größtenteils veralteten Werkstätten auf modernden Standard zu bringen und den Mitarbeitern die geforderte Produktivitätssteigerung überhaupt erst zu ermöglichen, zum anderen erfolgte parallel dazu gleich auch eine Neudefinition der Prozesse.

Neue Arbeit muss her

Die mit der Straffung der Arbeitsprozesse verbundenen Produktivitätssteigerungen von dreißig bis vierzig Prozent in einem Betrieb zu erzielen, dessen Dienstrecht zu einem hohen Maße Unkündbarkeit vorsieht, lief bald auf die heikle und delikate Frage hinaus: Was machen wir mit den Mitarbeitern, die durch die Rationalisierungsmaßnahmen im Arbeitsprozess des Kerngeschäfts eingespart werden? Irgendwie musste man sie schließlich beschäftigen. Die Folge war ein Abweichen vom Ur-Kerngeschäft Servisierung und der gewagte, aber erfolgreiche Schritt in den Bereich Neubau und Modernisierung von Waggons.

Aufzublühen begann das neue Geschäftsfeld 1996 mit dem Projekt Doppelstockwagen, bei dem von den Lieferanten nur mehr Wagenkasten und Komponenten angeliefert wurden, der Zusammenbau aber von der eigenen Mannschaft übernommen wurde. Der nächste logische Schritt war, sukzessive auch die Komponentenfertigung selbst aufzuziehen. Inzwischen produzieren ÖBB-Mitarbeiter Sitze, Gepäckträger und Teile der Innenverkleidung auf hohem industriellem Niveau. So richtig auf den Geschmack gekommen, wurden nach dem Neubau im Reisewagenbereich auch erste Neubauten und Umbauten im Güterwagenbereich in Angriff genommen und in der kurzen Zeit bereits einige beachtliche Innovationen geschafft.

Vom Underdog zum Überflieger

Eine neue Organisation mit neudefinierten Leistungsprozessen ist die eine, noch relativ leicht zu bewerkstelligende Seite des Umbaus. Die andere, viel schwierigere ist der Umbau in den Köpfen. Die Herausforderung war, die historisch gewachsenen Eisenbahnerkultur einer gründlichen Neuausrichtung zu unterziehen, ohne aber gute, wichtige und hochgehaltene Werte und Grundsätze zu untergraben.

Um Kundendenken und Kundenorientierung, Denken in Leistungsprozessen und vor allem betriebswirtschaftliches Denken in einer fachlich bereits hoch versierten Mannschaft zu verankern, gab und gibt es eine Unzahl von Maßnahmen, sei es in Form von Broschüren, Großveranstaltungen, Besprechungen mit den Vorgesetzten, Seminaren und Workshops - wieder und wieder. Nur steter Tropfen höhlt den Stein.

Die zugehörigen Managementvokabeln: Einbindung der Mitarbeiter, offenere Kommunikation, Abbau des hierarchischen Denkens, Stärkung der Zusammenarbeit, Verantwortungsübernahme am Ort der Leistungserstellung, effizientere Leistungserstellung und leistungsgerechtere Bezahlung, zufriedenere Kunden, damit Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und damit Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze.

Die sich häufenden Erfolgsmeldungen lieferten dazu einen wichtigen Beitrag. Nicht nur das äußere und innere Erscheinungsbild der Werkstätten wurde damit renoviert, auch das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter im Unternehmensbereich Technisches Services stieg deutlich an. Man hatte wieder Grund, auf die eigene Arbeit stolz zu sein und genoss den Respekt der Kollegen aus anderen Bereichen. Wer dieses gute Gefühl einmal erlebt hat, möchte es dann auch nicht mehr missen.

Autor: Peter Wagner, 07.1999

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