Behandlungsresistent?

Dr. Karl Purzner, Organisationsentwickler im Psychiatrischen Krankenhaus Baumgartner Höhe, Wien, über die mitunter mühsamen, manchmal aber auch verblüffend schnellen Veränderungsprozesse im Gesundheitswesen.

Herr Dr. Purzner, Sie haben als junger Assistent des ärztlichen Leiters zuerst Ende der 70er-Jahre die „die Wiener Psychiatrie-Reform im Spital“ miterlebt, die den damals katastrophalen organisatorischen Bedingungen in der Psychiatrie ein Ende setzte und dann Anfang der 90er-Jahre als nächste einschneidende Veränderung die „Wiener Spitalsreform“. Was war beim zweiten Mal anders?

In den 90er Jahren ging es von Seite der Ökonomie los. Es war klar, daß die explodierenden Kosten im Gesundheitswesen eingedämmt werden mußten und damals begann man massiv gegenzusteuern. 1993 wurden die Magistratsabteilungen 16 (das AKH) und 17 (das Anstaltenamt) zu einer neuen organisatorischen Einheit zusammengezogen, dem Wiener Krankenanstaltenverbund, der nun aus 26 Krankenhäusern und Pflegehäusern besteht. Der Leitungsposten wurde damals mit dem Deutschen Dr. Nägler besetzt, der dann gleich kräftig umgerührt hat. Schon damals hieß es, „wir sind ein Konzern, mit einem Budget von 30 Mrd. und 30.000 Mitarbeitern“. Das sind immerhin fast die Hälfte der Gesamtbediensteten des Magistrats.

Der zweite Schritt wird jetzt unter seinem Nachfolger, Dr. Hauke, gerade intensiv betrieben, nämlich die Umwandlung des Verbunds in ein eigenes Unternehmen. Das alles ist natürlich nicht unabhängig zu sehen von der Veränderung im Magistrat, wo der neue Amtsdirektor Dr. Theimer, kaum im Amt, gleich eine erste Aussendung verschickt und die Abteilungen aufgefordert hat, einmal kritisch zu hinterfragen, welche Aufgaben unter dem Blickwinkel Kundenorientierung und Bürgernähe Sinn machen und welche nicht. Da hat das, was wir damals schon auf der Baumgartner Höhe gestartet hatten, natürlich gut dazu gepaßt.

Was hat diese Reform in Ihrem Krankenhaus verändert?

Konkret hieß das immer weniger Geld, aber trotzdem ständig neue Aufträge. Nicht nur waren also die Leistungen aufrechtzuerhalten und ständig neu dazukommende zu bewältigen, sondern gleichzeitig mußten wir den Modernisierungsrückstand aufholen, und das ganze noch dazu unter verknappten Bedingungen. Die Anforderungen sind also massiv angestiegen, besonders im Managementbereich, Schlagwort vom Verwalter zum Manager. Eine wichtige Erkenntnis war: Es ist unglaublich, was unter ökonomischen Zwangsbedingungen plötzlich möglich wird. Vorher hab ich mir jahrelang den Mund fusselig geredet über bestimmte Dinge, und jetzt auf einmal...

Was heißt das konkret?

Naja, wenn es etwa plötzlich eine finanzielle Deckelung gibt, gleichzeitig aber eine Fülle von Aufgaben, dann muß man sich eben fragen, was wichtiger ist, denn alles ist nicht mehr machbar, d.h. Prioritäten setzen. Die Leute waren das aber nicht gewöhnt und daher war auch die nötige Konflikt- und Kommunikationskultur nicht da. Da haben dann natürlich ganz massive Verteilungskämpfe begonnen: Warum kriegt der, was er verlangt und ich nicht? Nach welchen Kriterien wird hier entschieden? Da braucht es dringend Leitlinien und eine Strategie, die schlüssig beantwortet, in welche Gesamtrichtung das Ganze geht. Damit wird diese Diskussion versachlicht. Die Strategie war zu dem Zeitpunkt noch nicht da, aber plötzlich ging das dann.

Das würde heißen, die beste Möglichkeit, so ein System in Bewegung zu bringen, ist den Geldhahn abzudrehen, da dann die bisherigen Lösungen nicht mehr funktionieren..

Ja, zumindest erlaubt das nicht mehr, die bisher gängigen Strategien zu fahren. Bei uns führte das ab einem bestimmten Zeitpunkt zu dem Spruch: „das Winken mit dem Leichentuch nützt nichts mehr“. Der bezog sich auf die bisherige Argumentation der Ärzte, die, wenn sie bei den politisch Verantwortlichen etwas durchdrücken wollten (eine eigene Station, mehr Betten, die neuesten Geräte...), das bisher immer mit dem Argument untermauerten, „sonst sterben aufgrund der nicht optimalen Ausstattung halt so und so viele Patienten“. Plötzlich hat es dann erstmals geheißen: wir haben trotzdem kein Geld.

Die Mitarbeiter haben das auch erst lernen müssen. Manche Ärzte haben bisher operiert auf Teufel komm raus. Z.B. Orthopäden, die Hüftgelenke eingesetzt haben. Nun gibt es halt neuerdings Kontingente und das Krankenhaus bekommt ab einer bestimmten Grenze nicht mehr den ganzen Satz und macht daher ein Verlustgeschäft. Den Ärzten war das aber egal, die haben weiter operiert, als hätte sich nichts geändert. Nur sind die dann plötzlich zur Krankenhausleitung zitiert worden, wo ihnen gesagt wurde: meine Herren das geht so nicht! Dann sind sie erbost zum Stadtrat gepilgert und der hat ihnen dasselbe gesagt. Diese Erfahrung macht man jetzt zunehmend, daß es nicht mehr so geht wie früher.

Anderes Beispiel: wir machen gerade das Projekt Führungsverständnis 2000, wo wir überlegen, wie die drei Ebenen Krankenhausleitung, Abteilungsleitung, und Stationsleitung  die Aufgaben dieser drei Ebenen und auch die Linienaufgaben (Ärzte, Pflege, Verwaltung, Technik) am besten untereinander aufteilen: Welche Aufgaben gibt es überhaupt? Wer macht sinnvollerweise was? Und damit einhergehend: Was müssen die Führungskräfte heute sinnvollerweise mitbringen, um die Aufgaben überhaupt erfüllen zu können? Da gibt es, was Führung und Management anbelangt, noch massiven Entwicklungsbedarf.

Es laufen im Moment ja eine ganze Menge Projekte...

Ja, unter den neuen Bedingungen dieser Notsituation ist wirklich unglaublich, was auch in einer öffentlichen Einrichtung enorm rasch zu erreichen ist. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Was in den letzten zwei Jahren plötzlich möglich geworden ist - das leidige Strategiethema etwa, da sind wir jetzt knapp vor der Fertigstellung der Vision, der Leitwerte, der strategischen Grundsätze, der Umsetzung in Sektorstrategien, einschließlich der notwendigen Kennzahlen. Das heißt schon sehr viel, denn damit wird endlich Orientierung geschaffen. Oder: Wir haben uns im Kollegialorgan gefragt: Was sind die Hauptprozesse in einem Krankenhaus? Das haben wir dann Schritt für Schritt erarbeitet. Das war alles erst in den letzten, zwei drei Jahren. Darauf habe ich immer gewartet.

Wenn ich nun irgendwo 100 Leute zuviel habe, kann aber, weil alle pragmatisiert sind, niemanden entlassen, was mache ich dann?

Wir haben weniger das Problem, zuviel Leute an Bord zu haben, die wir nicht loswerden, sondern wir haben eher für die zu bewältigenden Aufgaben zuwenig Posten. Unser wirkliches Hauptproblem ist, daß wir uns immer weniger leisten können, daß sich 10-15% des Personals in der inneren Emigration, in der sogenannten freizeitorientierten Schonhaltung befinden. Hier stellt sich die Frage: wie kann ich die motivieren mitzumachen, denn diese Leistungsreserven, die fehlen uns zunehmend, diesen Ausfall können wir uns immer weniger leisten. Und das ist eine enorm herausfordernde Führungs- und PE-Aufgabe.

Herr Dr. Purzner, vielen Dank für das Gespräch.

07.1999

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