Reengineering der Personalarbeit

Dieser Veränderungsprozess würde nicht so ablaufen wie die bislang üblichen Kostensenkungsprogramme. Das merkten die Mitarbeiter in der Personalabteilung der Quelle AG gleich zu Beginn.

Vorbei die Zeiten, als Reengineering-Projekte bei der Quelle AG für den Personalbereich noch hießen, alle anderen Bereiche im Umgang mit Veränderungen zu unterstützen. Diesmal bezog der Prozess auch die Human-Resources-Abteilung selbst ein und zwar nicht zu knapp.

     

  • Die ehrgeizigen Ziele des Veränderungsvorhabens:
  • Das Reengineering des Personalbereichs
  • Die Einführung einer Prozessorganisation
  • Die Neupositionierung des Bereichs
  • 15% weniger Personal, und quasi als i-Tüpfelchen
  • Parallel dazu die Einführung von SAP.

 

Und all das in einem denkbar engen Zeitkorsett: Start der Konzeptionsphase war Ende November, Start der Umsetzung am 7. März, Projektende am 31. Dezember.

Der Personalbereich wird offensiv

Dass im Zuge des unternehmensweiten Reengineering-Projektes diesmal auch der Personalbereich mit einbezogen werden würde, war klar gewesen. Der frühe Zeitpunkt und das hohe Tempo des Teilprojektes Reengineering HR basierte allerdings auf einem Beschluss des Personalleitungsgremiums, bestehend aus dem Personalvorstand und den vier Bereichsleitern. Denn während der ursprüngliche Plan gelautet hatte, zuerst mit den Kernbereichen wie der Produktion anzufangen und sich erst in einem zweiten Schritt den internen Dienstleistern zuzuwenden, kamen Personalbereich und EDV zum Schluss, sinnvollerweise bereits vor den anderen mit dem Veränderungsprozess fertig sein zu müssen, um ihre eigentliche interne Servicefunktion überhaupt erfüllen zu können. Denn wenn neue Abläufe und Strukturen definiert werden sollen, muss die EDV bereits in einem optimierten Zustand sein, um den geänderten Anforderungen entsprechen zu können. Ebenso erfordert die mit dem Projekt einhergehende Umwälzung für die Mitarbeiter des Konzerns die volle Arbeitsfähigkeit der Personalabteilung, um dem enormen Arbeitsanfall gewachsen zu sein.

Die Argumentation fand beim Vorstand Gehör, die beiden Bereiche bekamen grünes Licht und noch dazu die Erlaubnis, eigene Berater zu engagieren. Nicht unbedingt zur Freude von McKinsey, die das unternehmensweite Reengineering-Projekt leitete. Nach einem Benchmarking bei anderen Unternehmen und der Präsentation mehrerer Berater wählte man die Beratergruppe Neuwaldegg und startete mit einem ersten Workshop des obersten Leitungsteams zur Definition des Projektauftrages, der Ziele und der weiteren Projektstruktur.

Volle Power bis zur Kündigung?

Als entscheidende Frage erwies sich bald: Wie stellt man es an, die ehrgeizigen Ziele, die nur mit vollem Einsatz aller Mitarbeiter zu erreichen sind, zu erfüllen, wenn gleichzeitig klar ist, dass von den ursprünglich 180 Mitarbeitern im Personalbereich 30 Leute bald nicht mehr dabei sein werden? Konkrete Maßnahmen dazu waren:

Transparenz

Es gab maximale Offenheit und Transparenz in der Kommunikation, um Gerüchten vorzubeugen und die auftauchenden Ängste, wenn schon nicht zum Verschwinden zu bringen, so doch wenigstens ein bisschen abzubauen. So gab es regelmäßige Informationsveranstaltungen und das Leitungsteam verpflichtete sich öffentlich zu „Projekttelegrammen“, in denen jede gefällte Entscheidung innerhalb von 48 Stunden veröffentlicht wurde.

Ebenfalls unmissverständlich kommuniziert wurde die Schrittfolge: Zuerst ging es um das Klären der Anforderungen von Seiten der Kunden (Jänner) und die Definition geeigneter Leistungsprozesse (Jänner/Februar), im zweiten Schritt dann um die Erarbeitung passender neuer Strukturen (Februar) und erst als das geklärt war, um die Neubesetzung der vorhandenen Positionen (März). Somit war klar, wann was entschieden würde, und so gab in dieser unsicheren Zeit wenigstens diese klare zeitliche Strukturierung ein Stück Orientierung und Sicherheit.

Der Projektablauf in Stichworten:

     

  • Analyse der Ist-Situation: Was machen wir derzeit? Wer sind unsere Kunden? Wie werden wir wahrgenommen?
  • Neudefinition der Kern- und Subprozesse: Was sind die zentralen Leistungsprozesse und die dazugehörigen Anforderungen unserer Kunden?
  • Erarbeitung zweier alternativer Strukturmodelle: Wie müssen wir uns organisieren, um diese Leistungen bestmöglich erbringen zu können?
  • Letzte Entscheidungen und Präsentation im Abschlussworkshop am 6. März
  • Umsetzung ab 7. März, Zuteilung der Mitarbeiter in die neuen Personalteams am 1. April
Einbindung

Ein großer Teil der Mitarbeiter wurde in die Projektgruppen und Expertengruppen mit eingebunden, um aktiv mit zu gestalten anstatt wie sonst häufig bei Reengineering-Prozessen nur passiv zu erleiden, sich als Opfer zu sehen und Gefahr zu laufen, ins Tal der Depressionen abzurutschen.

Den geeigneten Rahmen für die vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft bildeten eintägige, moderierte Mini-Workshops zur Frage nach dem künftigen Selbstverständnis als Personalabteilung – wer wollen wir sein, was wollen wir leisten, wie wollen wir von unseren Kunden wahrgenommen werden – und zur Frage nach der persönlichen Zukunft samt Erstellung eines eigenen Jobprofils.

Denn - wer an Bord bleiben würde und wer nicht, kristallisierte sich ja erst im Lauf des Prozesses heraus. Hingegen war schon früh absehbar, dass sich auch für die verbleibenden Mitarbeiter vieles an der Arbeitsweise und den Arbeitsinhalten ändern würde. Also machte es Sinn, alle dazu zu ermuntern, über ihre eigenen Zukunftswünsche und –pläne nachzudenken. Zumal es zu einer internen Ausschreibung aller in der neuen Struktur verfügbaren Stellen und der Einrichtung eines „Marktplatzes“ kam, auf dem sich dann jeder Mitarbeiter für jede Stelle bewerben konnte.

Entdramatisieren von Entlassungen

Kein Mitarbeiter verlor „von heute auf morgen“ seinen Job, zumal das auch arbeitsrechtlich schwierig gewesen wäre, hätte man doch entweder die bestehenden Verträge ablösen oder die Mitarbeiter freistellen müssen. Es gab also zwei definierte Zeitstufen, Ende des Jahres und Ende des Folgejahres, bis zu denen der Abbau vollzogen sein sollte.

Aufgrund der Altersstruktur mit einerseits vielen älteren und andererseits vielen jungen Mitarbeitern, hingegen kaum „mittelalterlichen“, gelang ein Teil des notwendigen Abbaus mittels Vorruhestandsregelungen. Die Übergangsregelungen erwiesen sich dabei als durchaus vorteilhaft für das Unternehmen, da so dringend benötigte und nur mittelfristig zu ersetzende Know-how-Träger lange genug an Bord blieben.

Was hat diese Vorgangsweise bewirkt?

     

  • Die angestrebten Einsparungsziele wurden erreicht
  • Die Fluktuationsrate war trotz enormer Arbeitsbelastung minimal
  • Die Krankheitsquote war nicht höher als vorher
  • Der Wechsel von einer klassisch funktionalen Organisation hin zu Personalteams, die bestimmte Unternehmensbereiche der Quelle AG vollständig abdecken, brachte eine deutliche Aufwertung vieler Aufgabenbereiche, bedingte aber gleichzeitig umfassende Qualifizierungsmaßnahmen.

Was dieser Übergang zu Teamstrukturen mit dem Grundprinzip „one face to the customer“ für die Führungskräfte der Quelle AG als den Kunden des Personalbereichs bedeutet, das wurde bei der Kickoff-Großveranstaltung in einem Rollenspiel eindrucksvoll demonstriert. Hatte es eine Führungskraft bei bestimmten Anfragen an die Personalabteilung bisher im schlimmsten Fall mit 11 unterschiedlichen Ansprechpartnern zu tun, so verringerte sich die Zahl auf nunmehr einen Ansprechpartner für sämtliche Themen. Weniger schafft nicht einmal McKinsey.

Autor: Peter Wagner, 05.1999

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