OE, UE oder was? Teil 1

Welche Annahmen, Theorien und Ansätze verbergen sich hinter den sperrigen Begriffen systemische Beratung, Organisationsentwicklung oder Unternehmensentwicklung? Die UE startete mit diesem Gespräch eine Interviewserie, um Klarheit in das Begriffswirrwarr zu bringen. Den Anfang machte dabei DI. Alexander Exner, Mitbegründer der Beratergruppe Neuwaldegg in Wien.

Herr Dr. Exner, was genau macht jemand, der „OE betreibt“?

Ich zögere ein bisschen mit der Antwort, denn wer ist dieser jemand? Ein Berater, ein Manager? Meine Grundannahme ist: es gibt keine durchgängige Theorie über Organisationsentwicklung, sondern es gibt sehr unterschiedliche Zugänge von der Beraterseite her. Nicht gerade einfacher wird es dadurch, dass ein großer Prozentsatz der Berater meiner Meinung nach ohne Welttheorie und ohne Beratungstheorie unterwegs ist. Manager wiederum verwenden das Wort überhaupt sehr unterschiedlich, soweit sie es überhaupt verwenden. Komischerweise verwenden sie es jetzt, wo es in der Beratung gar nicht mehr so aktuell ist.

Was war das Problem, für das OE als Antwort fungiert hat?

Die OE ist geschichtlich entstanden als Gegenpendel zum Taylorismus. Das immer höher arbeitsteilige, auf Effizienz orientierte Unternehmertum, das ja unglaubliches geschafft hat, hat zu einer Gegenbewegung geführt mit der Betonung darauf, dass in diesen Kästchen ja Menschen drinnen sind, die da verkümmern. Eine zentrale Grundannahme der OE war, dass Mitarbeiter, die mehr Spaß an der Arbeit haben und mehr Mensch sein können – Stichwort „Humanisierung der Arbeitswelt“ - auch mehr leisten und dadurch auch das Unternehmen was davon hat.

Gab es auch so etwas wie eine OE-Theorie?

Als die OE sozusagen modern wurde, waren zwei Zugänge vorherrschend. Einmal der klassische betriebswirtschaftliche, technische Zugang, mit dicken Berichten und tollen Konzepten, wo man gemerkt hat, dass die häufig nicht umgesetzt werden und dadurch keine Wirksamkeit entfalten. Andererseits die Psychologen und die Gruppendynamiker, die von Unternehmen als „soziotechnischen Gebilden“ geredet und gemeint haben, man muss die Menschen mit einbeziehen, die aber sehr stark auf das Individuum fokussiert haben. Dadurch ging es zwar vielleicht den Menschen besser, aber es hat sich im Unternehmen trotzdem nicht viel bewegt.

Eine andere Hypothese der OE war ja: Veränderung der Organisation passiert durch Veränderung des Menschen in der Organisation. Und ganz wichtig für die OE war auch die Vorstellung des „Lernen lernens“. Lernen aber nicht im Sinn der heutigen „Lernenden Organisation“, sondern das war eher ein pädagogischer Ansatz im Sinn von: Wir lehren sie, wie sie lernen, solche OE-Prozesse selber machen zu können. Es war nicht so klar damals, wie die Methode ist, klar war aber, dass der Anspruch da ist: Die sollen das selber lernen und wir machen uns als Berater somit wieder überflüssig. Das ist allerdings ein Anspruch, der sich meiner Meinung nach im Großen und Ganzen nicht wirklich realisiert hat. Das war aus jetziger Sicht übertrieben, es enthält ein Stück Überforderung. Denn das ist eine ganz eigene Expertise, die Unternehmen in aller Regel nicht in dem Ausmaß haben. In heutiger Terminologie würde ich sagen, das Know-how zur Gestaltung von Veränderungsarchitekturen und -designs.

Was ist nicht OE?

Für mich ist Nicht-OE beispielsweise betriebswirtschaftliche Beratung ohne soziale Kompetenz. Weiters Training, also nur mit den Menschen zu arbeiten, ohne wirklich den Kontext Organisation hereinzubringen. Zu fragen „In welcher Organisation leben Sie?“ ist noch keine OE, weil das keine Intervention in die Organisation setzt. Wir haben schon damals gesagt - und da waren wir sehr fortschrittlich - nur über den Menschen kannst du die Organisation nicht verändern. Und ich glaube, dass viele geglaubt haben und teilweise immer noch glauben, ‘ich drehe an Dir, und damit verändere ich die Organisation’. Das ist auch ein ziemlicher Unterschied zum systemischen Ansatz, da dreht sich der Blickwinkel um: Aus systemischer Sicht würde ich sagen, ich muss schauen, dass sich an den Strukturen, an den Mustern in der Organisation was verändert, dann werden sich auch die Menschen anders verhalten.

Was macht nun diesen Schwenk von der OE zur systemischen Beratung aus?

Aus der Auseinandersetzung mit der Systemtheorie heraus ist ein neues Weltbild in die Beratung hereingekommen: z.B. „Unternehmen sind lebende Organismen“. Damit verbunden war eine neue Haltung der Demut, der Nicht-Beherrschbarkeit: ich kann z.B. die Pflanzen am Tisch hier nicht zwingen, plötzlich rot zu werden oder schneller zu wachsen. Genauso wenig kann ich ein Unternehmen zwingen, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten. Das ist ein völlig anderes Bild als das einer Maschine, wo ich nur an einer bestimmten Schraube drehen muss, und dann erziele ich eine klar bestimmte Wirkung. Hier geht es vor allem um den Unterschied in der Beraterhaltung. Was heißt das für meine Grundhaltung, für meine Interventionsstrategien, was kann ich dann eigentlich überhaupt tun, was nicht? Wie erziele ich Wirkung? Veränderung ist nicht „machbar“. Dieses Bild war früher nicht so da. Früher war das Bild ganz klar. Ich bin als Berater auf der Seite Veränderung: die müssen Lernen lernen, die müssen effizienter werden und ich bin eigentlich dafür verantwortlich. Das ist die ganz große Grunddifferenz.

Jetzt sitzt hier ein Manager und sagt, ich habe folgende Probleme.., und dann sitzen ihm gegenüber ein klassischer Unternehmensberater, ein klassischer OE-ler und ein systemischer Berater. Wie würden die jeweils reagieren?

Also ich typisiere jetzt natürlich unzulässig: der klassische Berater würde sagen, kein Problem, das mache ich Ihnen! Zuerst machen wir eine Analyse, dann ein Konzept, das setzen wir dann um. Der OE-ler würde sehr stark auf die kommunikative Ebene schauen: was ist da los, was müssen wir da an Lernprozessen initiieren? Der systemische Berater würde sich überlegen: Wofür steht dieses Problem überhaupt? Was drückt sich durch dieses Problem aus? Als geschickter systemischer Berater würde er dann einmal am Symptom bleiben, weil er bereits gelernt hat, dass er nur schwer zu Aufträgen kommt, wenn er immer gleich das Problem redefiniert. Aber er würde viel mehr fragen: Was ist die Funktion des Symptoms? Was bewirkt das, wenn man das verändert? Warum ist so, wie es ist? I

ch würde aber als systemischer Berater witzigerweise mehr inhaltliche Position beziehen wie der Organisationsentwickler, denn der OE-ler hat das große Problem, dass er sich fachlich völlig herausnehmen muss, weil er glaubt, er ist nur der Spezialist für den Prozess. Das schwierige an der Frage ist, es hängt sehr davon ab, welcher Klient sitzt mit gegenüber, mit welchem Weltbild, mit welcher Vorerfahrung. Und – um das ganze weiter zu verkomplizieren - in der Realität gibt es ja mittlerweile, wenn auch selten, auch den klassischen Fachberater mit systemischem Weltbild; dann wird es spannend. Wenn er reiner Maschinist ist, ist es noch relativ einfach.

Gute Leitfragen im Umgang mit Beratern wären: Von welchem Weltbild geht der Berater aus? Was sind die Thesen des Beraters: Wie funktionieren Organisationen? Und: Was ist seine Beratungstheorie?

Herr Dr. Exner, vielen Dank für das Gespräch.

05.1999

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Dr. Alexander Exner, Beratergruppe Neuwaldegg