"Von wessen Wandel reden wir?"

Im Gespräch mit den Beratern Dr. Ruth Seliger und Mag. Erich Kolenaty über das Zusammenspiel von Veränderungen der Organisationen und der darin arbeitenden Personen.

Frau Dr. Seliger, wie viel Wandel halten die Menschen in einer Organisation aus?

R. Seliger: Ich habe nicht das Bild, dass die Menschen in einer Organisation sind. Und daher auch nicht das Bild, dass sich zuerst die Organisation wandelt und dann ihr Innenleben, sprich die Menschen. Ich habe das Bild: Organisation ist Organisation und Menschen sind Menschen, ich treffe die Unterscheidung Menschen – Organisation – Markt.

Menschen sind in diesem Bild außerhalb der Organisation, und das heißt, es geht hier um die Koppelung von Menschen und Organisation, wenn also Organisationen sich ändern, müssen die Menschen diese Koppelungen neu gestalten. Sie müssen sich fragen, wie definiere ich jetzt mein Verhältnis zur Organisation, was bekomme ich von ihr, was will ich von ihr und was biete ich ihr unter diesen geänderten Bedingungen? D.h. in der Organisation spielen sich Veränderungen ab, in den Menschen spielen sich Veränderungen ab und in der Koppelung Person – Organisation spielen sich Veränderungen ab.

Dieser Koppelungsprozeß gelingt dann nicht, wenn sich die Leute in dem Neuen nicht mehr wiederfinden, wenn der Sprung zu groß ist, wenn das zu sehr weit abweicht von ihren Vorstellungen, wie ihr Leben ausschauen sollte, von ihren Zielen und Wünschen. Wenn das nicht mehr integriert werden kann, wenn man das Gefühl hat, das ist eine Bewegung gegen einen und nicht mit einem. Was wir aus der Arbeit mit Großveranstaltungen wissen, ist, dass er besser gelingt, wenn die Partizipation am Prozeß des Wandels größer ist und die Leute Gelegenheit haben, ihre Vorstellungen von ihrem Leben in der Organisation zu artikulieren und wenn sie es schaffen, da einen Nutzen zu sehen.

Was weißt dann eigentlich Wandel? Wann ist jemand gewandelt?

E. Kolenaty: Wenn Unternehmen sich wandeln, sich z.B. neue Strukturen geben, dann ist das ja nicht der Wandel der Menschen, sondern aus der Sicht der Menschen ändert sich ihr Kontext, es ändert sich eine relevante Umwelt. Das ist so, wie wenn die Luft verschmutzt wird oder sich die Lufttemperatur ändert. Aus Sicht der Menschen ist Organisation eine relevante Umwelt so wie Familie oder andere Bereiche. Und die Menschen müssen sich permanent auf diese Umweltveränderungen einstellen. Genauso wie sich die Unternehmen auch deswegen wieder wandeln, weil ihre Umwelten, etwa ihre Kunden, sich ändern.

Nun empfinden sich aber viele Personen als Teil der Organisation

E. Kolenaty: Das wurde ihnen auch lange genug eingeredet. Das ist eine Frage der Selbstbeschreibung. Bei der Frage nach dem Wandel müßte es dementsprechend um die Frage gehen, wie können sich Menschen gut auf die Veränderungen einstellen, im Sinn von: man zieht sich je nach Wetterlage anders an, je nachdem ob es kalt ist, regnet, schneit oder die Sonne scheint. Da hat man noch nicht das Gefühl, sich besonders zu verändern.

Der Unterschied zum Wetter ist, dass die Menschen Wetterveränderungen in aller Regel nicht als empörend oder als Zumutung empfinden, Veränderungen in der Organisation aber schon. Man empfindet es beim Wetter höchstens als Stress, wenn sich das Wetter zu oft und zu stark ändert, dann wird das subjektiv von vielen auch als unangenehm empfunden. Wobei man beim Wetter eben den Eindruck hat, darauf habe ich keinen Einfluß, bei Organisationsveränderungen ist das aber nicht zwangsläufig so, sondern eine Frage der Entscheidungen des Systems. Das ist ein großer Unterschied. Vor allem hatten viele Leute bei den Veränderungen der letzten Jahre den Eindruck, dass ihre Vertragsbedingungen einseitig verändert wurden. Der Koppelungsprozeß hat sich also einseitig verändert. Damit stehen die Personen vor neuen Entscheidungen, etwa: Will ich unter diesen neuen Bedingungen noch?

Wenn sich die Organisation ändert und damit bisherige Rollen, Beziehungen, Anforderungen an die Personen, hat das jetzt Auswirkungen auf die Personen?

R. Seliger: Ich glaube, dass sich Personen ununterbrochen in irgendeiner Weise verändern. Es gibt keinen statischen Punkt. Die Frage ist eher, ob man bestimmte Dinge anders macht, und ob man das ausgemacht hat, ob man das will und vielleicht auch, ob man das kann. Worüber wir reden, ist auch eine Frage der Synchronität, der Gleichzeitigkeit, das rechte Maß von Co-Evolution. Manchmal erscheint es wie eine Herzrhythmusstörung, wenn die Rhythmen zu unterschiedlich sind. Heute bekommen die Leute keine Luft mehr, weil es zu rasant geht, früher bekamen sie Erstickungsanfälle, weil nichts weiter gegangen ist.

Aber es gibt doch die Erwartung, dass es so bleiben soll wie es ist.

E. Kolenaty: Einspruch, ich glaube nicht, dass es darum geht, dass die Menschen wollen, dass es so bleibt wie es ist, sondern sie wollen, dass es sich bewegt, wie sie es sich denken. Menschen denken sich durchaus dynamisch, im Sinn eines Veränderungs-, eines Reifungsprozesses, im Sinn einer Karriere. Was man sagen kann, ist dass der Prozeß der Passung zwischen Organisation und Person immer häufiger neu gestaltet werden muß. Dazu bedarf es der Kommunikation, des Dialogs und eines Managements, das um diese Problematik weiß, das sich bewußt ist, dass, wenn es die hardware - die Arbeitsweise und Strukturen - verändert, die Leute Energie brauchen, um sich hier wieder neu zu arrangieren.

R. Seliger: Ich glaube, dass die Organisationen den Menschen momentan viel zumuten und ihnen wenig Ventile geben, den Unmut, der durch zuviel Bewegung entsteht, auszudrücken. Oder zuwenig Gelegenheit geben, einen Beitrag zu leisten, wie der Wandel anders gestaltet werden könnte. Eine konkrete Möglichkeit dazu liegt im Design eines Prozesses, wo von oben hinunter entschieden und geführt wird, wo aber gleichzeitig von unten nach oben die Leute ihren Rhythmus, ihre Befindlichkeit mitteilen können, sonst kann Management auch keine klugen Entscheidungen treffen, da es die Informationen nicht hat, was das für die Menschen heißt. Großgruppen sind eine Form, wo das ganz gut gelingt.

Wenn eine Firma Sie fragen würde, wieviel Veränderung halten die Leute aus, was würden Sie antworten?

Das müssen Sie Ihre Mitarbeiter fragen!

Frau Dr. Seliger, Herr Mag. Kolenty, vielen Dank für das Gespräch.

07.2000

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