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Angesichts eines so vielschichtigen Themas wie jenem der Veränderung von Organisationen taucht die Frage auf, wie dieses für "Akteure" und "Betroffene" so beschrieben werden kann, dass die in diesem Zusammenhang auftretende Komplexität gleichzeitig ausreichend reduziert (um handlungsfähig zu bleiben oder zu werden) und dennoch auch erweitert wird (um auf den ersten Blick auch nicht leicht zu erkennende Zusammenhänge sichtbar werden zu lassen). 1. Brille: "Die System-Brille"Wir betrachten Organisationen als "Systeme". Um es so einfach wie möglich zu sagen (ohne Intensivexkurs in die Systemtheorie), bedeutet das für uns vor allem folgendes:
Mit diesen relevanten Umwelten bildet das System eine Überlebenseinheit. Inwieweit dieses Überleben auch gelingt, ist in gewissem Sinne eine Frage erfolgreichen "Erwartungsmanagements". Es gilt für das System selbst die wechselseitigen Erwartungen der jeweiligen Umwelten zu erfüllen, bzw. „produktiv zu enttäuschen“ und umgekehrt die eigenen Erwartungen erfolgreich zu kommunizieren und in möglichst großem Ausmaß erfüllt zu bekommen. In der Beratung gelingt uns diese Betrachtung mit Hilfe des Instruments der "System-Umfeld-Analyse". Sie ermöglicht eine Ist-Situationsanalyse sowie eine Soll-Zustandsbestimmung der Relationen von Umfeld-Erwartungen und System-Antworten. Dabei kommt uns als BeraterInnen meist die Aufgabe zu, "blinde Flecken" des Systems zu erhellen. Wir haben bislang immer Systeme beobachtet (einschließlich unseres eigenen Unternehmens) welche bestimmte "Systempartner" (im Sinne relevanter Umwelten) sehr genau beobachten, mit ihnen erfolgreich kommunizieren und die wechselseitigen Erwartungen gut managen und gleichzeitig andere – durchaus relevante – Umwelten weitgehend ignorieren, bzw. deren Erwartungen falsch einschätzen. 2. Brille : "Die Lern-Brille"System und Umwelt vollziehen immer eine "Ko-Evolution" (Bateson, Simon). Evolution aber ist Lernen und Lernen damit eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Veränderung von Organisationen. Nun verwenden wir den Begriff "Lernen" in der Regel für Menschen. In der Tat ist es unverzichtbar, dass Menschen in Organisationen (ver-)lernen, wenn eine Veränderung der Organisation möglich werden soll. Wie auch immer diese Veränderung des Bewusstseins vor sich geht: solange Menschen leben, solange "lernen" sie: Sie nehmen ihre Umwelt wahr, entwickeln daraus ihre Hypothesen und schlussendlich richten sie ihre Handlungen oder Unterlassungen danach aus. Auch "nicht lernen" ist in diesem Sinne ein Lernen, laut Simon sogar eine "Kunst" (siehe hier auch Argyris und Schön mit ihrem Ansatz der defensiven Routinen). Dieses "Personenlernen", dieser "change of mindset" wird in Organisationen in der Regel meist auch strukturell professionell unterstützt und ist in der Funktion der Personalentwicklung, bzw. des Human Resources Managements gut aufgehoben. Natürlich geschieht Personenlernen nicht nur in dort angebotenen Seminaren, sondern auch auf höchst individuelle Weise durch entsprechende Lernaktivitäten Einzelner oder auch in Netzwerken und Gruppen. Gemeinsam ist diesen Formen des Lernens jedenfalls, dass einzelne Personen lernen oder "nicht lernen". Organisationen lernen aber eben anders als Personen. Ein Bewusstsein haben sie nicht. Aber "dumm" können sie dennoch sein. Trotz vieler schlauer Mitglieder. Organisationen lernen über Kommunikations-, über Kooperations- und über Entscheidungsregeln. "Regeln" bedeutet dabei natürlich nicht, dass es sich dabei um veröffentlichte und immer transparente Regeln handelt. Gerade die verborgenen Regeln sind oft besonders wirksam und nicht selten auch allen – unbesprochen - bekannt. Wo steht schon, wer mit wem worüber sprechen darf und worüber besser nicht ("Kommunikationsregel"), wie in einem Projekt mit der Loyalität gegenüber der entsendenden Linienabteilung umgegangen werden soll ("Kooperationsregel") oder wer nach welchen Kriterien mit wem (gemeinsam?) eine Karriereentscheidung über andere trifft ("Entscheidungsregel")? Veränderung gelingt nur, wenn es innerhalb der Organisation eine "Bühne" gibt, auf welcher diese Regeln zum Thema und auf ihre Stimmigkeit hin überprüft und gegebenenfalls angepasst werden können Eine gute Gelegenheit hierzu bieten Klausuren. Die Verantwortung für das Zustandekommen solcher Veranstaltungen kann nicht an das Human-Resources-Management delegiert werden, sondern bleibt ureigenste Führungsaufgabe von Managern in Veränderungsprozessen. Hier bietet sich ihnen die Gelegenheit vom "Organisationsopfer" zum "Organisationstäter" zu werden. Als BeraterInnen in Veränderungsprozessen betonen wir unter dem Gesichtspunkt dieser "Brille" nicht nur die gleichwertige Bedeutung von Personen- und Organisationslernen für das Gelingen dieser Prozesse, sondern auch die Bedeutung des formalen Aspektes organisatorischen Lernens. Wenn die Auseinandersetzung über die Zweckmäßigkeit organisatorischer Spielregeln ausschließlich verdeckt im Informellen stattfindet, hat dies zwar oft den Vorteil, dass der "Normalbetrieb" weiterläuft, strukturelle Veränderungen aber gleichzeitig keine Chance auf Realisierung haben. Das Informelle wirkt hier einerseits wie ein "Schmiermittel" (manchmal auch im doppelten Wortsinn) und ist damit auch hilfreich (schließlich ist "Dienst nach Vorschrift" ja in der Regel eine Drohung und kein Versprechen), verhindert aber andererseits auch häufig die offiziell angestrebte Veränderung, vor allem wenn diese – wie durch die folgende, dritte Brille betrachtet - tiefgreifender sein soll. 3. Brille: "Die Muster-Brille"Wir verwenden in der Regel den Begriff "Veränderung" im organisatorischen Umfeld für zwei sehr unterschiedliche Phänomene. Im Veränderungsmanagement ist es aber sinnvoll und nützlich, diese beiden auseinanderzuhalten, weil sie unterschiedliche "Begleiterscheinungen" hervorrufen. Dies insbesondere hinsichtlich des Widerstands gegen Veränderungen. Auf diesen Widerstand blicken wir dann noch intensiver mit Hilfe der vierten bis sechsten Brillen. Die zweite Art der Veränderung ("Wandel 2.Ordnung") bezeichnen wir in der Regel als "Musterwechsel" und daher auch unsere dritte Brille als "Muster-Brille", weil sie uns helfen soll, die beiden Arten der Veränderung auseinanderzuhalten. Hier geht es quasi ans "Eingemachte". Und das Eingemachte der Organisation sind ihre Kommunikations-, Kooperations- und Entscheidungsspielregeln. Jetzt dreht es sich nicht mehr nur darum, eine bessere Input-Output-Relation zu erreichen (obwohl langfristig meist auch darum), sondern etwas wirklich "anders" als bisher zu machen, also "nach anderen Regeln zu spielen". Eine ZwischenbilanzAus der Logik der Planung eines Veränderungsvorhabens ist mit Hilfe der Brillen 1, 2 und 3 der Grundaufriss fertig gestellt:
Diese Entscheidung ist für die weitere Planung des Veränderungsvorhabens nicht nur unerlässlich, weil das Prozessdesign bei den stabilen Strukturen der Optimierung anders gestaltet werden kann als bei den instabilen Verhältnissen des Musterwechsels. Die Entscheidung birgt zusätzliche "hard impacts", denn je mehr Veränderung nach dem Muster "anders als bisher", umso deutlicher wird die Systemabwehr wirksam werden. Die Brillen 4, 5 und 6 fokussieren die möglichen Auswirkungen der Systemabwehr schon in der Planungsphase. Sie sind Umsetzungsbrillen und helfen die Möglichkeiten zu schärfen, wie von (gravierender) Veränderung Betroffene effektiv "abgeholt" und "mit ins Boot genommen" werden können. Wenn nun im Fall des Musterwechsels der Widerstand das Normale und keine Panne ist, stellt sich für Veränderungsmanager wie Berater in gleicher Weise die Frage, ob und wie man überhaupt Energie für Veränderung entwickeln kann. Um uns an eine Antwort anzunähern, setzen wir die 4. Brille auf. 4. Brille: "Die Energie-Brille"Um sich für eine Veränderung erwärmen zu können, muss man deren Sinn und damit deren Notwendigkeit verstehen. Denn sie konfrontiert uns ja gleichsam mit einer "Zumutung", sich vom lieb und vertraut gewordenen Ist-Zustand lösen zu müssen. Darauf wird am Beginn von Veränderungsprozessen aus unserer Beobachtung häufig viel zu wenig geachtet. Man unterstellt vielfach, dass die Organisation schon irgendwie mitziehen wird. Eine durchaus übliche Ausgangssituation in Veränderungsprozessen ist, dass das Management die Veränderungsidee in den Führungskreis trägt und dazu eventuell auch schon ein neues Organigramm mitbringt. Das war es dann. Denn, siehe oben, man geht davon aus, dass das mittlere Management die Idee schon entsprechend weiter tragen bzw. übersetzen und in der Folge umsetzen wird. Das mittlere Management ist aber allzu oft beileibe noch nicht so weit, kann die Veränderungsnotwendigkeit selbst nicht richtig erkennen, meint sie aber kommunizieren zu müssen. Die Interpretationsspielräume sind entsprechend groß, wie "die da oben" es gemeint haben könnten. Und in rasender Geschwindigkeit ist die gute Veränderungsidee in sich und in unterschiedliche Teillogiken aufgelöst. Erste Spitzenleute verlassen aus Verunsicherung oder Ärger darüber das Unternehmen, die durch und für die Veränderung erhoffte Power zieht gleichsam dahin. Und manchmal ist die Idee damit auch wieder gestorben.
Bei der Beantwortung dieser Fragen ist das (Top)Management gefragt! Erst wenn in der gemeinsamen Sicht auf diese drei Eckpfeiler der Energiebrille "kein Blatt mehr" zwischen die Vorstände oder Geschäftsführer (etc.) passt, kann daraus vernünftiger Weise die eigentliche Veränderungsnotwendigkeit abgeleitet werden. Jetzt erst ist man dem "Sinn" auf der Spur, oder wie Kotter formulieren würde, dem "case for action". Und der ist klar, einfach und eindeutig kommunikativ zu vermitteln. Denn auf den Punkt gebracht ist die Veränderungsbotschaft für die davon Betroffenen eben jene Zumutung, von der wir eingangs gesprochen haben. Sie hat den Charakter einer "schlechten" Nachricht, die zunächst einmal verdaut werden muss (siehe auch 6. Brille): "Das, was die Organisation bisher erfolgreich gemacht hat, ist nicht mehr überlebensfördernd." Dieses vergemeinschaftete Verständnis für die Dringlichkeit in der Anfangsphase von Veränderungsvorhaben ist die Schlüsselressource für den möglichen Erfolg. Ohne Wissen, "welche Not gewendet werden soll" gibt es keine Energie für Veränderung. 5. Brille: "Die Integrations-Brille"Mit der 4. Brille wird bei der Beschreibung des Wegs vom Ist zum Soll bereits ein zentraler Aspekt möglicher Beteiligung unter die Lupe genommen. Die spätere Akzeptanz durch die Betroffenen wird umso leichter zu gewinnen sein, je mehr Hinweise es gibt, dass an eine Mitwirkung durch sie gedacht wurde. Deswegen empfehlen wir bereits in der Planungsphase mit Hilfe der 5. Brille ein Beteiligungskonzept zu entwickeln, das dann ebenso wie die Veränderungsnotwendigkeit klar und unmissverständlich zu kommunizieren ist. Denn wenn man nicht weiß, ob man überhaupt eingeladen ist mitzuwirken, oder nicht gesagt bekommt, worin die Beteilung besteht, neigen Betroffene dazu, sich entweder nur als "Opfer" zu fühlen ("uns sagt ja keiner was, was wir denken interessiert ja doch niemanden, wir müssen immer nur ausbaden, was sich die da Oben ausgedacht haben") oder sich in eine Beteiligungsform hineinzureklamieren, die gar nicht vorgesehen war. Die Integrations-Brille schärft die Sicht auf vier Grade möglicher Beteiligung, die das Management anbieten kann:
Je nach Beteiligungsgrad sind im Prozessdesign unterschiedliche Formate vorzusehen. Also etwa "Informationsveranstaltungen" oder "Dialogveranstaltungen" oder Klausuren bzw. Workshops. 6. Brille: "Die Emotions-Brille"Mit dem Brillenset 1-5 haben wir den Grundaufriss des Vorhabens, die notwendigen Energiequellen sowie die Grade möglicher Beteiligung beleuchtet. Also könnte man sagen, stünde der eigentlichen Veränderung wohl nichts mehr im Weg und der Ist-Zustand könnte zugunsten des veränderten, neuen Zustands nun endlich aufgegeben werden. Wie man aus Praxisbeispielen hinlänglich weiß, funktioniert das aber anscheinend nicht so linear wie gewünscht. Man kommt nicht so einfach trockenen Fußes von A nach B. Manchmal leiden Betroffene noch Monate oder gar Jahre an den Folgen von Übernahmen, Fusionen oder anderen radikalen Einschnitten. In den meisten Fällen wohl deswegen, weil der Gestaltung des Übergans von der alten Realität in den gewünschten Zielzustand zu wenig Bedeutung beigemessen wurde. Diese Phase des Übergangs zoomen wir mit der 6. Brille näher heran. Dabei erkennt man, dass jetzt die "Systemabwehr" (3. Brille) in Form von mehr oder weniger heftigen Emotionen ins Spiel kommt. Diese sind Voraussetzung dafür, dass Personen und Organisation sich vom Alten ablösen, und in das Neue wieder eingliedern können. Es gilt gleichsam eine Schwelle zu überwinden, wo man sich nicht mehr im alten Zustand befindet, aber auch noch nicht in der neuen Realität angekommen ist. Es geht um loslassen, um verlernen, akzeptieren, dass etwas definitiv vorbei ist. Es geht um das Aushalten von vorübergehender Orientierungslosigkeit und Identitätsverlust. Wer bin ich, wenn ich nicht mehr das bin, was mich einmal erfolgreich gemacht hat? Und dann gilt es, sich an das Neue heranzutasten, es auszuprobieren, es abzuwägen und nach und nach zu akzeptieren und zum Bestandteil der eigenen neuen Identität zu machen. Das ist ein intensiver Prozess, der von einer Abfolge von Grundgefühlen und deren intrapsychischer und innerorganisatorischer Verarbeitung (siehe 2. Brille über die Regeln von Kommunikation, Kooperation und Entscheidung) begleitet wird. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von emotionalen Verarbeitungsphasen, die vom Management entsprechend begleitet werden müssen, wenn die Veränderung erfolgreich umgesetzt werden soll. In der populären Change-Literatur verwendet man an dieser Stelle gerne das Bild vom "Tal der Tränen". Die emotionalen Verarbeitungsphasen sind in ihrer Abfolge meist aus eigener Erfahrung bekannt.
Diese emotionalen Verarbeitungsphasen zu begleiten, ist Aufgabe der Führungskräfte. Die 6. Brille schärft den Blick, womit diese angesichts von "Systemwiderstand" jenseits aller (sachlichen) Logik von der soft fact Seite her zu rechnen haben. Die Haltung, mit der sie dieser Dynamik begegnen sollten ist: nicht beschleunigen und nicht ungeschehen machen wollen, sondern Raum und Zeit schaffen, damit sich aus der Formlosigkeit des Übergangs das Neue formen kann.
Literaturhinweise: Argyris, C. / Schön,D. (1996) Organizational Learning II. Theory; Method and Practice, Reading, Massachusetts: Addison-Wesley Publishing Company Wimmer, Rudolf (2009): Kraftakt radikaler Umbau Change Management zur Krisenbewaeltigung. In: Zeitschrift fuer OrganisationsEntwicklung, Nr. 3 / 2009, S. 4 - 11. |
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