"Für unnötige Veränderungen fehlt uns die Zeit"

Mag. Klaus P. Mörtl, Personalchef von tele.ring über die speziellen Herausforderungen schnellen Wachstums.

Herr Mörtl, wenn man unterscheidet zwischen Veränderung als Entwicklung einerseits und  Wandel als Bruch und radikalem Musterwechsel andererseits, wo steht da tele.ring?

So wie Sie das skizzieren, kann ich Ihnen primär zum ersten Punkt Erfahrungen geben, da „tele.ring“ ein junges Unternehmen ist und es daher keinen Bruch zu früher gibt. D.h. der Wandel bei uns ist eine größtenteils geplante Veränderung. Natürlich nicht in jedem Teil, aber wir wußten bereits 1998 weitgehend, mit welcher Aufbauorganisation wir im Jahr 2000 arbeiten werden. Man weiß, dass es eine Verfeinerung der Strukturen geben wird, eine Verfeinerung und Umplanung bei Prozessen und dass nicht jede Führungskraft, die beim Start ideal besetzt ist, das auch in einer großen Organisation sein muß. Diese unterschiedlichen Anforderungen in verschiedenen Unternehmensphasen sind bekannt. Das gibt uns die Möglichkeit, dass wir das wo immer möglich einbeziehen und steuern können.

Bei uns gibt es drei Treiber für Veränderung: Einerseits die Expansion mit den Anforderungen an Aufbau- und Ablauforganisation, Informationsfluß, Dokumentation, Personalmanagement etc. Dann die Produktgruppen, die Felder der Unternehmenstätigkeit: 1998 das Festnetz, 1999 das Internet und seit zwei Wochen den Mobilfunk. Das wirkt sich in der Organisation, den Prozessen und den abzudeckenden Tätigkeitsfeldern der Mitarbeiter aus. Drittens dann die Markt- und Kundenbedürfnisse, die uns immer wieder zu Focusveränderungen und Umbauten bringen. Der letzte Punkt ist vielleicht am schwierigsten zu planen.

Beim Aufbau solcher Unternehmen gibt es ja bereits Erfahrungen.

Ja es gibt Erfahrungswerte aus dem Mutterkonzern: diese Organisationsform hat sich bewährt, jenes Provisionsrechnungssystem, usw. Man kann sich benchmarken. Wobei die Veränderung im Vergleich zu anderen Branchen natürlich enorm ist. Wir hatten im Oktober 1998 42 Mitarbeiter, stehen jetzt Juni 2000 bei 670 Mitarbeitern und bis Jahresende werden es 800 sein. Das bringt schon allein von der Personenanzahl und der räumlichen Verteilung her einen unheimlichen Wandel mit sich.

Wie gehen wir nun damit um? Zum einen haben wir von Anfang an in den Einstellungsgesprächen, in allen Informationsmedien und in den Mitarbeitergesprächen den bevorstehenden Wandel und die nächsten Schritte mit den Mitarbeitern besprochen. Im Sinn von: „Es ist nix fix. Es wird sich noch vieles ändern, es gibt unheimliche Chancen und Karrieremöglichkeiten, und es wird davon abhängen, wie sich die Organisation entwickelt. Wer heute allein Produktmarketing für eine Sparte macht, macht das in zwei Jahren vielleicht mit 10 Mitarbeitern.“ Diese Zukunftsperspektive konnten wir von Anfang an allen mitgeben. Das heißt aber nicht, dass wir keine Probleme mit dem Wandel haben. Auch wenn ich das allen Mitarbeitern klar sage, ist das Gehörte noch nicht das Verstandene, geschweige denn, dass man sich damit immer wohl fühlt.

Es gibt Mitarbeiter, denen das Tempo zu groß wird, oder denen das Unternehmen an sich zu groß wird, sprich zu unpersönlich, oder sie verkraften diesen Streß aus Arbeitsbelastung und Veränderung nicht. Oder sie können sich in diesem Wandel nicht den Erwartungen entsprechend entwickeln.

Es gibt ja so Typeneinteilungen zwischen sehr sicherheitsbetonten Menschen und sehr risikofreudigen. Kommen da nicht eher schon die passenden?

Ja, wobei wir viele Bewerber haben, die gerade wegen der Sicherheit zu uns kommen. Es ist nur eine andere Form der Sicherheit. Sicherheit bei uns heißt, da steht ein potenter, finanzkräftiger Konzern im Hintergrund und es ist eine stark wachsende Branche und ein stark expandierendes Unternehmen. Das sind sogar die Mehrzahl der Leute. Dazu kommen aber Eigenschaften wie Pioniergeist, gepaart mit dem Willen etwas aufzubauen und eine hohe Flexibilität. Wenn jemand aber die große Goldgräberstimmung sucht, geht er wahrscheinlich nicht zu uns, sondern macht eher eine dot.com auf, mit viel Risiko, viel action, viel Selbstgestaltungsspielraum.

Wo ist die Grenze des ständigen Wandels? Wann ziehen die Leute nicht mehr mit?

Es kommt sicher irgendwann der Punkt, wo jemand nicht mehr mitmacht. Aber wir provozieren das ja nicht. Wir bemühen uns, dass wir z.B. bei der Raumplanung eine langfristige Planung im Auge haben, um unnötige Umzüge zu vermeiden. Wenn Dinge temporär sind, dann bauen wir das auch als Projektarchitektur auf, mit umfassender Information der Leute, z.B. dass geplant ist, diesen Teil dann nach dem erfolgreichen Aufbau in die bestehende Organisations-/Abteilungsstruktur zu integrieren. Aber selbst wenn es jedem bewußt ist: wenn es dann soweit ist, gibt es trotzdem Schmerzen.

Gerade weil die Belastung eh schon groß genug ist, bemühen wir uns, wo immer möglich, vermeidbare Zusatzbelastungen durch Veränderungen zu vermeiden. Also keine Veränderung der Veränderung willen. Allerdings fällt uns das auch nicht schwer, da wir gar nicht die Zeit hätten, weil wir genug mit den dringend notwendigen Veränderungen zu tun haben.

Wenn das eigene Selbstbild maßgeblich mit meiner beruflichen Position und Aufgabe verbunden ist, kommt es bei Veränderungen, auch wenn mir rational klar ist, dass es sinnvoll ist, schnell zu einer zumindest teilweisen Identitätskrise, oder?

Ja, wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele dieser Probleme eben oft auch massiv von außen "gemacht" werden. Teilweise von anderen Kollegen im Unternehmen – wie schauen mich die an, wenn ich nach einer Zusammenlegung, einer Neuorganisation nicht mehr diesen Titel, diese Funktion habe - zum Teil aus der Familie und dem Freundeskreis. Das ist für das persönliche Leiden mindestens so schwierig zu verkraften wie das Gewöhnen an neue Prozesse.

Als Organisation macht es zum Beispiel Sinn, wenn weitere Veränderungen absehbar sind, jemanden zum Leiter einer Arbeitsgruppe, einer taskforce oder eines Projektteams zu machen und nicht zum Leiter einer Abteilung, die bald wieder zusammengelegt oder aufgelöst wird. Damit lindere ich den Schmerz und damit kann man den Aspekt der "Befristung" auch besser nach außen signalisieren. Wobei man das auch nicht ewig machen kann, aber die Struktur  verfestigt sich bei uns ohnehin schrittweise. Wir haben auch sehr gute Erfahrungen mit begleitenden Teamtrainings gemacht. Das löst auch nicht alle Probleme, aber es hilft, frühzeitig Probleme zu sehen und reagieren zu können.

Wobei es in Ihrem Fall ja auch die Perspektive gibt, dass sich diese Veränderungen in ein, zwei Jahren einmal verlangsamen und stabilisieren.

Ja sicher, die Kurve verflacht. Der erste Teil, der expansionsbedingte Wandel, wird flacher, die Produktschiene wird auch flacher, wobei das aufgrund der technologischen Entwicklung immer noch wesentlich schneller ist als in anderen Branchen - dafür werden aber die Kundenbedürfnisse zunehmend zum Treiber. Da werden sicher auch in Zukunft permanent Veränderungen passieren.

Was genau halten Mitarbeiter aus Ihrer Erfahrung eher schlecht aus?

Das rasante Wachstum, also die vielen neuen Leute, die man gar nicht mehr alle kennt - das ist gar nicht so das Problem, das ist eher so eine Art Fruchtbarkeitssymbol, das signalisiert: wir sind erfolgreich und deshalb wachsen wir. Jeder möchte in einem erfolgreichen, ertragreichen, mit positivem Image versehenen Unternehmen arbeiten.

Das Problem sehe ich eher darin, dass Mitarbeiter durch das Wachstum das Gefühl bekommen: ich werde weniger wichtig, ich dringe immer weniger durch; die familiäre Atmosphäre verschwindet, es wird anonymer. Also: mein Platz in dieser Größe ist nicht mehr so, wie ich es mir vorstelle.

Herr Mörtl, vielen Dank für das Gespräch.

07.2000

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