"Ein Flirren an der Oberfläche"

Mag. Heinz Jarmai von der Beratergruppe Neuwaldegg über die Auswirkungen flexibilisierter Arbeitsverhältnisse auf das Verhältnis von Mitarbeitern und Unternehmen.

Herr Mag. Jarmai, welche Auswirkungen haben die Veränderungen in den Unternehmen Ihrer Ansicht nach auf die Beziehung von Person und Organisation?

Da gibt es momentan sicher eine starke Bewegung in den Unternehmen in Hinblick auf die Frage, wie die Relation Person und Organisation flexibilisiert werden kann. Wenn man es kritisch sagt, nimmt die „Verantwortungslosigkeit“ der Organisation zu, d.h. die Organisationen übernehmen immer weniger Verantwortung im Sinne eines lebensbegleitenden Arbeitsfeldes. Es gibt weniger Beziehungssicherheit, die Beziehung dynamisiert sich.

Das heißt aber noch nicht zwangsläufig, dass sich damit auch die Personen verändern müssen. Sie können durchaus konstant bleiben, solange sie eine Form finden, dass sich ihre Kontrakte mit Organisationen flexibilisieren. Das erleben wir in sehr vielen Bereichen. Beratung ist ein da typisches Feld. Die Berater bleiben teilweise über viele Jahre konstant, sie haben eigentlich keinen psychischen Veränderungsdruck, das Problem löst sich darüber, dass sie immer wieder mit anderen Klienten zusammenarbeiten.

D.h. eine mögliche Antwort der Personen ist, sie bieten ihr Können mehreren Auftraggebern an. Die sogenannten prekären Arbeitsverhältnisse?

Die atypischen. Sie werden dort als prekär bezeichnet, wo es um einfache Dienstleistungen geht, sie werden in anderen Bereichen als durchaus elitär bezeichnet, etwa bei Rechtsanwälten, Beratern, Wissenschaftlern, Freelancern in der Werbung etc. Es gibt also zwei Beschreibungen: Das eine ist die Beschreibung als Verantwortungslosigkeit, das andere ist die steigende Eigenverantwortung des Einzelnen und die vermehrten Möglichkeiten zur Selbstgestaltung.

Man darf nicht vergessen: Die heute so beschworenen Sicherheiten hatten ja auch eine Menge Schattenseiten. Momentan erleben wir einen Transfer in ganz andere Verhältnisse, die auch wieder ihre Schattenseiten haben. Die größte Problematik liegt bei denen, die sich in dieser Übergangsphase befinden. Die Jungen wachsen teilweise schon mit einem ganz anderen Selbstverständnis auf, wo etwa junge Mitarbeiter völlig desinteressiert abwinken, wenn ihnen die Möglichkeit der Pragmatisierung angeboten wird. „Ich will doch nicht mein Leben lang in dieser Firma bleiben“. Es entkoppelt sich das Verhältnis von Arbeit und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Firma.

Aber das deutet doch auch darauf hin, dass viele Leute  in den Unternehmen nicht mehr bekommen, was sie suchen?

Wieso? Ich würde das ganz anders beschreiben. Die sind auf ihrem Weg und bekommen es dauernd. Die Identität besteht in dem, was man kann, was man leistet, und weniger als bei der Generation davor in einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Firma. Die Generation X ist ja keine Erfindung von Großkonzernen. Es gibt eine Parallelität von Entwicklungen, die nicht nur an die Wirtschaft gekoppelt sind.

Es hat nicht nur die Seite, dass die Organisationen die Mitarbeiter flexibilisieren wollen. Es gibt zunehmend Leute, die auch völlig andere Vorstellungen haben. Aber natürlich gibt es auch viele, die hoch enttäuscht sind. Die aufgewachsen sind mit dem Versprechen, „wir sorgen für dich“ und jetzt ziehen sich alle zurück. Das bricht ein Vertrauensverhältnis und das ist eine tiefgehende Frustration.

Nun wünscht sich doch jedes Unternehmen flexible Mitarbeiter, aber gleichzeitig ihre volle Loyalität.

Das kriegt man einfach nicht mehr. Das müssen die Organisationen auch lernen, dass, wenn sie laufend solche Botschaften senden, „wir sind flexibel, wir müssen uns verändern, ihr auch“, dass dann die alten Loyalitäten auch immer weniger einforderbar sind und dass die Mitarbeiter dann stärkere Identifikationsmöglichkeiten in der Aufgabe finden, in Projekten, in Entwicklungsthemen, in der Sicherung zukünftiger Arbeitsmöglichkeiten und viel weniger Identifikationsmöglichkeiten in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation.

Neue Organisationen haben eher schon das umgekehrte Problem und fragen sich: Wie stellen wir wieder mehr Bindung her bei diesen wandernden Heerscharen von Spezialisten, die so clan-artig durch die Welt wandern? In der EDV-Branche oder im Investmentbanking geht einer und dann geht gleich das ganze Team mit, eben weil dieser Clan mehr Sicherheit und Identität bietet als die jeweilige Organisation.

Wenn Unternehmen von Wandel reden, was meint das eigentlich genau?

Da muß man einmal den Begriff Wandel hinterfragen: Was man aus vielen Bereichen weiß, ist, dass Wandel im Sinn eines Musterwechsels 5-7 Jahre dauert. Ich brauche Zeit, damit sich neues auch verankern kann. Viele Organisationen befinden sich momentan eher in so einem flirrenden Zustand. Auf der Oberfläche gibt es eine permanente Erneuerung, es wird alles dauernd anders, und auf einer tieferen Ebene bleibt eigentlich vieles gleich, weil die Veränderungen auf der Strukturebene die Ebene der tatsächlichen Kommunikations- und Interaktionsstrukturen nie erreichen.

Wenn nun tiefergehende Veränderung 5-7 Jahre dauert, Unternehmen aber im Jahresrhythmus Veränderungsprozesse starten, wie soll das zusammengehen?

Das Ausmaß und Tempo des Wandels ist angelegt in den Menschen, den Beziehungen und den Systemen. Ich glaube nicht, dass alleine die Personen das Problem sind, ich glaube eher, dass irgendwann die Organisation kollabiert, weil sie gar nicht in der Lage ist, in so schneller Zeit ihre Bezahlungs-, Controlling-, Karriere- oder EDV- Systeme umzubauen, was eine derartige Veränderung in der Praxis erst möglich machen würde. Die psychologische Seite ist also nur eine, wenn auch sehr wichtige. Aber ich kann doch die Karrieresysteme nicht jedes Jahr ändern, oder die Bezahlungssysteme, das ist ja völlig absurd. Das eine Jahr Hochsprung zu machen und das nächste Jahr Staffellauf, und beides auf hohem Niveau, das ist nicht leistbar. Da wird der Energieaufwand dysfunktional.

Veränderungen sind nun einmal eine komplexe Sache. Systeme bewegen sich nicht von einem Zustand in den anderen, wenn ich einen Schalter umlege. Tempoänderung ist ein hoch sensibler Akt, der sehr viel Vorausschau und Sensibilität erfordert. Es geht nicht um ein Für oder wider die Veränderung. Der Raum zwischen den Extremen ist der interessante und da gibt es viele Optionen.

07.2000

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