Wissensnetzwerke bei Novartis

Novartis war einer der ersten großen Konzerne, der sich ernsthaft und umfassend des Themas Wissensmanagement annahm und aus den ersten Versuchen wichtige Lehren zog.

Im Pharmabereich ist es von entscheidender Bedeutung, neue Produkte, deren Entwicklung mit extrem hohen Kosten verbunden ist, schneller entwickeln und auf den Markt bringen zu können als die Konkurrenz. Einige Monate früher oder später am Markt zu sein, können den Unterschied ausmachen zwischen Milliardengewinnen oder –verlusten.

Nun werden bei der Firma Novartis, die 1996 aus der Fusion von Sandoz und Ciba-Geigy entstand, die meisten Funktionen wie Forschung und Entwicklung, Human Resources, Einkauf, Verkauf, Marketing entsprechend der Unternehmenskultur dezentral in den einzelnen Sektoren wahrgenommen. Je mehr diese Aufgaben global verteilt sind, desto entscheidender wird eine gute Koordination und Vernetzung dieser Einheiten, um Doppelgleisigkeiten entgegenzuwirken und erfolgreiche Entwicklungen und Verbesserungen schnell für alle verfügbar und nutzbar zu machen. Ein anspruchsvolles Unterfangen bei insgesamt 82.000 Mitarbeitern, die um die Jahrtausendwende in 140 Ländern und mehr als 400 Standorten einen Umsatz von etwa 18 Mrd. Euro erwirtschaftet haben.

Lateral statt zentral

Bereits 1994 begann ein eigens dafür zusammengestelltes Team, Mittel und Möglichkeiten zu entwickeln, damit Wissen, das an einem Ort erarbeitet wurde, über organisatorische Grenzen hinweg auch an anderem Ort angewendet werden kann. Aufgrund der einer dezentralen Struktur bei Novartis galt es Wege zu finden, eine laterale Vernetzung sicherzustellen, die auf freiwilliger Basis erfolgen und daher attraktiv genug sein musste, um tatsächlich zu funktionieren.

Der Start erfolgte durch den Auftrag eines Vorstandsmitglieds an einen erfahrenen Manager, eine Pilotinitiative zu starten und im kleinen Rahmen zu beginnen. Jörg Stäheli, der beauftragte Manager, begann daher damit, wie er kürzlich bei einer Wissensmanagement-Veranstaltung des Konferenzveranstalters IIR in Wien berichtete, seine langjährig aufgebauten Kontakten im Management zu aktivieren und aus dieser Gruppe ein Netzwerk aus 50 Leuten zu formen, die weltweit verstreut waren, einen Mix darstellten aus allen Unternehmensbereichen und allen Regionen, den nötigen Pioniergeist mitbrachten und in der Hierarchie hoch genug angesiedelt waren, um  ihre Mitarbeiter mitzuziehen und so als Botschafter zu fungieren.

Bestehendes fördern

Bei verschiedenen Managementtreffen wurden jeweils 20 Minuten vorgesehen, um die Idee globaler Netzwerke vorzustellen und die Führungskräfte neugierig zu machen. Zuerst galt es, bereits existierende, lokale Initiativen zu orten, miteinander zu vernetzen und Angebote zu entwickeln, die den Bedürfnissen dieser Leute entgegenkamen. Dazu bot sich an, eine gemeinsame Plattform auf Basis der Groupware lotus notes zu schaffen, die bereits bei einem Großteil der Mitarbeiter verfügbar war.

Ziel war, die ein- bis zweimal im Jahr bei Meetings zusammentreffenden, aber sonst über den gesamten Globus verteilten Spezialisten dazu zu ermutigen, den Kontakt zwischen diesen Treffen zu intensivieren und systematisch Erfahrungen auszutauschen. So entstanden immer mehr von Stäheli und seinem Team aufgebaute, betreute und moderierte virtuelle Foren zu den unterschiedlichsten, für das Unternehmen relevanten Themen. Der angenehme Nebeneffekt. Da diese Foren für alle Mitarbeiter offen zugänglich waren, boten sie eine hervorragende Möglichkeit, Mitarbeiter zu identifizieren, die ebenfalls am jeweiligen Thema interessiert und mitunter bereits äußerst kundig waren, ohne bisher aber in der Organisation als Experten oder Ansprechpartner bekannt zu sein.

Start und Stop

Kaum war die Initiative aus der Pilotphase herausgetreten, kam der Merger von Sandoz und Ciba-Geigy und das Projekt ruhte ein gutes Jahr. Nach dem Merger galt es daher, das Projekt neu aufzusetzen. Anfang 1998 kam es dann zu einem Treffen der Top 400 Führungskräfte in Florida. Als das Knowledge-Networking-Team davon erfuhr, beschloß es sofort, dort einen Markt-Stand aufzubauen und plazierte ihn direkt im Foyer, sodass alle Teilnehmer daran vorbei mußten. Dr. Stäheli: „Wir hatten nur 10-30 Sekunden Zeit mit jeder Person. Daher haben wir jedem eine Broschüre in die Hand gedrückt und gesagt: Wenn Sie mehr wissen wollen, kommen wir gerne bei Ihnen vorbei. In der Folge haben mich dann verschiedene Leute eingeladen, die Idee aufgegriffen und in ihrem Bereich forciert. So kam es zu einem Schneeballeffekt“

Harvard virtuell

Über das Treffen in Florida kam Dr. Stäheli auch in Kontakt mit einem Novartis-Mitarbeiter, der eine Führungskräfte-Ausbildung in Harvard organisiert hatte. Die Netzwerk-Idee wurde den Teilnehmern präsentiert, mit großer Zustimmung quittiert und gipfelte in einer nach Abschluß des einjährigen Lehrgangs über drei Wochen anberaumten „virtuellen Konferenz“ zum Thema Balanced Scorecard, an der insgesamt 150 Personen aus 30 Ländern teilnahmen.

Betreut und moderiert wurde dieser Wissensaustausch-Event von einem Harvard Professor, der die Beiträge strukturierte und einmal wöchentlich ein review an den Präsidenten von Novartis sandte, in dem besonders gelungene Beiträge lobend erwähnt wurden. Nach dieser virtuellen Konferenz wußte Novartis um einiges genauer, wer dieses Instrument bereits verwendet, wer welche Erfahrungen und Kompetenzen hat, wer die zentralen Know-how-Träger sind, was typische Probleme und Fragen und bereits erprobte Lösungen sind. Ein weiterer Vorteil: Kein Teilnehmer mußte seinen Arbeitsplatz verlassen und reisen, jeder Interessierte konnte teilnehmen, je nachdem, wann er Zeit hatte. Man konnte sich in aller Ruhe einen Überblick über den bisherigen Fortgang der Konferenz verschaffen und an jedem beliebigen Punkt einschalten.

Noch, Monate, nachdem die Konferenz stattgefunden hatte, konnte sich jeder Mitarbeiter des Unternehmens in dieses Forum einklinken, den Diskussionsverlauf nachvollziehen, auf die Beiträge reagieren und mit damaligen Teilnehmern in Kontakt treten.

Voraussetzung fürs Gelingen:

Knowledge Networking hat den Zweck, akkumuliertes Wissen in Wertschöpfung umzuwandeln. Die Eröffnung eines virtuellen Meetings steht allen 82-000 Mitarbeitern bei Novartis offen. Damit solche Foren aber gelingen, bedarf es aber einiger Voraussetzungen:

     

  • Zu Beginn benötigt man einige Personen, die die Inititalzündung geben. Denn wenn man in so einen Raum hineingeht und kein interessantes Material findet, dann steigt man gleich wieder aus und kommt nie wieder. Daher braucht es zu Beginn einige ausgewiesene Experten, die initial sellers, die bereit sind Know-how in Form von Inputs zur Verfügung zu stellen.
  • „Informationsmanagement hat mit Technologie zu tun, Knowledge Management hat mit Menschen zu tun.“ Man braucht IT-Know-How und technischen Support, aber Wissensnetzwerke sind kein IT-Problem, der „Rest“ ist das Entscheidende. Damit Mitarbeiter ihr Wissen auch preisgeben, braucht es Vertrauen. Und Vertrauensaufbau braucht Zeit. Vertrauen entsteht nur im persönlichen Kontakt, weshalb Initiativen am ehesten dann Früchte tragen, wenn sie von Gruppen ausgehen, die schon in Kontakt stehen und nun die neue Technologie nutzen, um dem bereits existierenden Austausch eine zusätzliche Qualität zu geben. Gilt es, ein neues Netzwerk aufzubauen, muß man zuerst in den persönlichen Kontakt investieren.
  • Für einen Knowledge-Networker, so Dr. Stäheli, „sind graue Haare oder Glatze von Vorteil. Soll heißen, man muß das Unternehmen und seine Mechanismen kennen und braucht ein bestimmtes Maß an Organisationswissen. Zudem sollte einen möglichst alles interessieren, ohne dass man dem Anspruch gerecht werden muß, überall Experte zu sein.
  • das größte Hindernis für den Austausch liegt im „Wissen-ist-Macht-Syndrom“. Solange die begründete Angst besteht, durch Wissensweitergabe die eigene Position zu schwächen, wird auch nur das Nötigste weitergegeben. Allerdings: die Halbwertszeit des Wissens wird immer kürzer und damit die Vorteile daraus, Wissen zu horten, immer geringer.
  • Im Intranet der Novartis gibt es einen eigens definierten Raum mit Namen „What is new“? Hier kann jeder, der auf der Suche ist für sein aktuelles Problem seine Anfrage deponieren. Diese Seite können alle Mitarbeiter, die daran interessiert sind, durchgehen oder auch automatisiert jeden Tag abrufen lassen, um zu schauen, was interessiert mich, wo kann ich helfen und sich dann am Austausch beteiligen.

03.2000

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