Schwierig, schwieriger, Mitarbeitergespräch!

Das jährliche "strukturierte Mitarbeitergespräch" gehört in vielen Unternehmen bereits zum Standardrepertoire. Doch die Schärfe dieses Instruments, das als Treibriemen die Unternehmensentwicklung unterstützen soll, wird bei der Einführung häufig unterschätzt, was sich dann in hinhaltendem Widerstand ("keine Zeit") oder lustloser Durchführung ausdrückt.

Auslöser für den Beschluss, das Führungsinstrument "strukturiertes Mitarbeitergespräch" in einem deutschen Logistikkonzern einzuführen, war der Besuch einer General-Management-Veranstaltung durch den Vorstandsvorsitzenden, bei der dieser das Instrument kennen und schätzen gelernt hatte. So schnell die Entscheidung in ihm gereift war, so langwierig war der Weg bis zur tatsächlichen Umsetzung.

Die aufgetretenen Hindernisse sind alles andere als ein Einzelfall:

     

  • Die anderen Vorstandsmitglieder waren zwar auch der Meinung, "dass wir das brauchen", allerdings mit dem Nachsatz "aber erst ab der zweiten Ebene".
  • Man sah die Vorteile des Instruments, hatte aber ernste Bedenken, die eigenen Führungskräfte (und wohl auch sich selbst) damit ein Stück weit zu überfordern.
  • Die anfängliche Vorstellung, ein quasi fertiges Produkt einzukaufen, es ein wenig einzuüben, eine erste Gesprächsrunde durchzuführen und dann würde das schon laufen, erwies sich als Trugschluss.
  • Die Auswirkungen durch die mit diesem Instrument auf den Tisch gebrachten Themen, die die Strukturen, Prozesse und Kultur des Unternehmens berührten, wurden zu Beginn in ihrem Ausmaß nicht gesehen.
  • Der Zeitbedarf von der Entscheidung bis zum Abschluss des "ersten Durchgangs über mehrere Ebenen" wurde folglich stark unterschätzt.

Mitarbeitergespräche machen Angst

"Ein strukturiertes Mitarbeitergespräch besteht ja aus fünf Teilen: dem Rückblick aufs vergangene Jahr samt Auswertung, der Eignungs- und Potentialeinschätzung des Mitarbeiters, dem Punkt Führungsbeziehung, einer Vorausschau und etwaigen Entwicklungsmaßnahmen. So ein Gespräch stellt einige Anforderungen an die kommunikative Kompetenz einer Führungskraft: Sie muss Feedback geben und auch annehmen können, sie muss Potentiale beobachten und dann auch benennen können, sie muss gegebenenfalls ein Kritikgespräch führen und verhandeln können sowie Entwicklungsvereinbarungen treffen. Vor diesen Anforderungen schrecken sich viele“, verdeutlicht Dr. Gudrun Vater von der Beratungsfirma OSB, warum die Scheu vieler Manager vor diesen Gesprächen durchaus gute Gründe hat.

Denn diese Gesprächsformen irgendwo einmal auf einem Führungsseminar im Rollenspiel geübt zu haben und das eine oder andere Mal im Alltag zu verwenden, ist eine Sache, sie in einer ungewohnten, angstbesetzten Situation in dieser geballten Form auch mit dem entsprechenden Gefühl von Sicherheit anwenden zu können, etwas ganz anderes. Auch an der Unternehmensspitze.

Gerade weil dem so ist, wird die Unternehmensleitung bei der Einführung dieses Instruments von der Belegschaft auch so intensiv und mitunter argwöhnisch beobachtet. Begibt sie sich nicht selbst in Vorlage und demonstriert damit, "wir lassen uns auch darauf ein", ist das Projekt bereits gestorben, bevor es richtig gestartet wurde. Ohne Risiko oben auch keine Risikoübernahme weiter unten. Natürlich macht es Sinn, Führungskräfte mit Schulungen auf die Gespräche vorzubereiten, diese Maßnahme alleine greift jedoch zu kurz.

Die "Vorphase" entscheidet

Da zu Beginn oft nicht allen Beteiligten klar ist, wie viele Themen mit diesem Instrument verknüpft sind, lohnt es sich, eine Vorphase einzuschalten, damit Vorstand, Personaler und Betriebsrat überhaupt abschätzen können, inwieweit dieses Instrument zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnvollerweise implementierbar ist. Frau Dr. Vater: "Wenn man in einem kurzen Workshop das Instrument in seiner Grundkonstellation vorstellt, auseinander nimmt und Punkt für Punkt mit seinen Implikationen diskutiert, tauchen schnell diejenigen "Baustellen" auf, die mit berücksichtigt werden müssen."

So zeigt sich bei der Frage "Wer soll mit wem das Gespräch führen?" rasch, inwieweit in der Organisation klar ist, wer für wen fachlich, personell verantwortlich ist. Im Falle des bereits erwähnten Logistikunternehmens führte diese Frage zur Erkenntnis, daß der Bereich Fuhrpark mit seinen rund 400 Fahrern über keine Unterstruktur verfügte, sondern nur einem einzigen Manager unterstand. Hier galt es, anhand geeigneter Fragen - Wer verfügt überhaupt über Beobachtungen und Daten über die Fahrer? Wer ist im Alltag ihr Ansprechpartner? - erst einmal die Strukturen zu schaffen, damit überhaupt Mitarbeitergespräche geführt werden konnten. Anlässlich der Einführung der Mitarbeitergespräche wurde somit deutlich, dass es einen großen Bereich im Unternehmen gab, in dem aufgrund fehlender Strukturen bislang keine wirkliche Führung stattfanden konnte. Führen war aufgrund dieser Rahmenbedingungen darauf reduziert, "den Leuten zu sagen, was sie tun sollen".

Weitere Baustellen

"Unebenheiten" in den Führungsstrukturen und unklare Zuständigkeiten kommen in dieser Vorphase ebenso auf den Tisch wie Kommunikationsstörungen zwischen Hierarchieebenen oder Bereichen, die vorherrschende Gesprächskultur und gelebte Führungsverständnisse. Die Voraussetzungen und Auswirkungen dieses Instruments gehen also weit über die eigentliche Gesprächssituation hinaus.

So zeigte sich, um ein weiteres Beispiel zu nehmen, bei einem staatsnahen, noch stark hierarchischen, österreichischen Unternehmen in dieser "Organisationsdiagnose", dass die Funktion Personalführung de facto von dem traditionell starken Betriebsrat ausgeübt wurde. Mit ihm oder der Personalabteilung redeten die Mitarbeiter, wenn es Probleme gab. Die Führungskräfte führten fachlich, nicht aber menschlich und personell. Durchaus logisch und nachvollziehbar war daher die Skepsis vieler Vorgesetzter angesichts dieses massiven Eingriffs in die derzeitige Unternehmenskultur.

Weitere typische Fragen in solch einem ersten Workshop betreffen Kultur und Strategie: Passt das Instrument zu Ihrer derzeitigen Unternehmenskultur? Wie schaut die strategische Ausrichtung aus? Wohin soll es gehen? Fehlt hier Klarheit, wird es für die Führungskräfte gelinde gesagt schwierig werden, mit den Mitarbeitern klare Ziele zu vereinbaren und Entwicklungspfade im Sinne der vom Unternehmen angestrebten Kompetenzen festzulegen.

Wofür das Ganze?

Der Nutzen dieses Instruments mag für Führungskräfte rational nachvollziehbar und akzeptiert sein, ein mulmiges Gefühl im Bauch bleibt dennoch. Vor allem, weil mit dem Mitarbeitergespräch oft das Gefühl verbunden ist, den Mitarbeitern ein Instrument in die Hand zu geben, durch das die Manager nun ihrerseits differenzierter beobachtet werden können, sich mehr als früher festlegen müssen und damit weiter unter Druck kommen. Das wiederum heißt: Es bedarf daher eines gehörigen Maßes an innerer Sicherheit und klar erkennbarer Vorteile, um sich als Manager auf dieses Unterfangen einzulassen. In den vorherrschenden Fehlervermeidungskulturen gelingt das kaum, ohne den ersten Gesprächsdurchgang explizit als "Probe" oder "Diagnosedurchgang" zu titulieren, der gar nicht fehlerfrei ablaufen kann und bei dem es eigentlich nur darum geht herauszufinden, wo es noch Verbesserungs- und Unterstützungsbedarf gibt. Auch in Hinblick auf diesen Aspekt hat es sich bewährt, zu Beginn eine Projektgruppe mit Mitarbeitern verschiedener Bereiche und Hierarchieebenen zu bilden, die geeignete Beobachtungskategorien für ihr Unternehmen definieren und dazu konkrete Beispiele anführen, die dann während des Gesprächs als Haltegriffe dienen.

Klar erscheint nach dem Gesagten, dass man die Einführung des strukturierten Mitarbeitergesprächs mit rein trainingsbezogenen Maßnahmen "nicht auf den Boden bekommt". Erforderlich ist darüber hinaus beraterische Kompetenz, um anhand des Instruments gemeinsam eine Art Organisationsdiagnose zu erstellen, Chancen und Risiken abzuwägen, um dann, nach erfolgreichem Abschluß dieser wichtigen Vorphase, gegebenenfalls mit Schulungen und anderen Begleitmaßnahmen bei der Einführung und "Servicierung" zu unterstützen.

03.2000

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Dr. Gudrun Vater, OSB