Coaching für die Währungshüter

Die Idee, den Führungskräften in der Nationalbank Coaching als Dienstleistung anzubieten, stieß auf wesentlich höhere Akzeptanz als gedacht.

Sicherheit, Verlässlichkeit, Beständigkeit. Das waren und sind die Werte, die man gemeinhin mit der Nationalbank assoziiert. Umso ungewöhnlicher war daher für die Mitarbeiter die in der ersten Hälfte der 90er-Jahre in die Wege geleitete umfassende Restrukturierung der Nationalbank. Zwar war schon damals klar war, dass im Zuge eines EU-Beitritts Österreichs und der Etablierung einer europäischen Zentralbank viele der in der Nationalbank angesiedelten Agenden von Veränderungen betroffen sein würden, doch Ausmaß und Umfang des Change-Programms waren für viele überraschend und belastend.

Als dann eine Führungskraft einen Herzanfall erlitt und verstarb, machte das traurige Ereignis schlagartig sichtbar, dass viele der Führungskräfte unter den neuen und ungewöhnlichen Belastungen litten. Was aber konnte man tun, um ihnen zu helfen?

Coaching als Form individueller Begleitung bot sich ideal an. Den ersten Versuchsballon startete Helmut Aschauer, bereits seit 1987 Leiter der Personalentwicklung in der Nationalbank, indem ein besonders exponierter Projektleiter in den Genuss von Coaching kam. Die Erfahrungen waren höchst positiv und ermutigend und Anlass genug, mit dem zuständigen Vorstandsdirektor zu reden und ihm die Idee eines Coachingangebots für die Führungskräfte schmackhaft zu machen.

Wie kommt man zu Coaches?

In einem ersten Schritt startete Helmut Aschauer eine Serie strukturierter Interviews mit 40 bis 50 potentiellen Coaches, teils bereits zuvor mit der PE kooperierende Trainer und Berater, teils von diesen empfohlene Personen. „Das eine Ziel war, mein Konzept auf seine Tauglichkeit hin abzuklopfen. Also habe ich jedem Gesprächspartner zu Beginn meine Vorstellungen erzählt. Und dann habe ich meist eine von zwei Situationen erlebt. Entweder wurde ich dann während des Interviews durch die Fragen meines Gegenübers zum Konzept quasi selbst gecoacht oder aber das Vis-a-Vis wechselte rasch in eine Art Verkaufsgespräch. Da hat sich dann bereits die Spreu vom Weizen getrennt. Ein weiteres Gesprächsziel war, den Hintergrund der Leute abzuklopfen, zu schauen, ob sie Organisationswissen besaßen und Führungserfahrung. Nicht interessant waren für uns Coaches aus dem klinischen, therapeutischen Eck.“

Wie sag ich´s den Managern?

Nach Fertigstellung des Konzepts folgte Anfang 1995 die erfolgsscheidende Frage: Wie sollte Coaching im Unternehmen eingeführt werden? Die Entscheidung fiel zugunsten von zwei Veranstaltungen, die prompt weit besser besucht waren als angenommen. Zu Beginn präsentierte Helmut Aschauer sein Konzept, lieferte den interessierten Führungskräften des Hauses Antworten auf die Frage, was genau ist Coaching überhaupt – eine freiwillig angeforderte, personenbezogene Einzelberatung; eine Begleitung von Projektleitern, Führungskräften und Managern auf ihrem selbst zu gehenden Weg zu beruflichen Spitzenleistungen und persönlicher Arbeitszufriedenheit -  und auf Fragen wie: Warum dieses Instrument, was kann das Instrument, was ist es nicht? Dann stellte er die Rahmenbedingungen vor, unter denen Coaching in der Nationalbank ablaufen würde.

Im zweiten Teil des Abends plauderten zwei erfahrene Coaches, Dr. Barbara Heitger von der Beratergruppe Neuwaldegg und Dr. Ralph Grossmann vom IFF mit den Zuhörern über die Veränderungen der Führungsaufgabe, typische Anwendungsbeispiele des Führungskräftecoachings sowie über Stärken und Schwächen dieses Instruments.

Kaum waren die Veranstaltungen absolviert, trudelten die ersten interessierten Anrufe in der Personalabteilung ab. Der ursprüngliche Plan - 10% der anvisierten Führungskräfte innerhalb von 3 Jahren mit Coaching in Kontakt zu bringen – erwies sich schnell als überholt. Das Ziel war bereits nach einem Jahr erreicht.

Leid und Lust

Die Motivation der Führungskräfte war durchaus vielgestaltig. Zum einen gab es den klar gestiegenen Leidensdruck aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen, welcher die Möglichkeit, mit einem neutralen, kompetenten Gesprächspartner die eigene Führungsrolle und das eigene Verhalten zu reflektieren, doppelt attraktiv erscheinen ließ. Zum anderen gab es in dieser Expertenorganisation, die die Nationalbank ja ist, schon bisher eine starke Aus- und Weiterbildung und eine hohe Akzeptanz der Idee des ständigen Lernens, um immer up-to date zu sein. Schließlich sind in der Nationalbank Aufgaben angesiedelt, die in diesem Land von keiner anderen Organisation wahrgenommen werden. Die damit verbundene Expertise muss natürlich ständig aktualisiert werden. Nun eben auch das Führungs-Know-How.

Klar war allerdings auch, so wie in allen anderen Organisationen, dass jede Form der „Unterstützung“ bei Managern zuerst einmal Angstreflexe auslösen würde: bedeutet Coaching das Eingeständnis, es nicht allein zu schaffen, eine schlechte Führungskraft zu sein....?

Helmut Aschauer stellte diesen Bildern immer das damals gerade populäre Beispiel aus dem Tennis gegenüber, indem er den Führungskräften unzählige Male entgegnete: „Nehmen Sie den Thomas Muster. Er hat eine Menge Talent und arbeitet extrem hart. Dennoch ist höchst fraglich, ob er ohne seinen Coach – auf sich allein gestellt - über längere Zeit Spitzenleistungen erbringen könnte.“

Waren es bisher vor allem die Führungskräfte aus der dritten Ebene - jene Gruppe, die am meisten in die operative Umsetzung der organisatorischen Neuordnung involviert waren – die Coaching in Anspruch genommen haben, so tun sich neuerdings plötzlich völlig neue Perspektiven auf. So äußerte kürzlich eine Gruppe hochrangiger, erfahrener Führungskräfte bei einer Veranstaltung gegenüber dem Personalentwickler ihren Unmut darüber, wie gut die jungen Führungskräfte in diesem Hause unterstützt und servisiert würden, während sich um sie anscheinend niemand kümmere. Und dann kam von diesen Führungskräften die Frage, auf die Personalentwickler mitunter ein Berufsleben lang warten müssen: „Wie können wir auch zu so was kommen?“ Plötzlich hatte Coaching eine Akzeptanz und Verbreitung im Haus, die noch vor kurzem höchstens als kühne Vision durchgegangen wäre.

Wie funktioniert Coaching in der Nationalbank?

     

  • In einem ersten Schritt kontaktiert die interessierte Führungskraft ein Mitglied des Projektteams (Leitung der Personalleitung, Personalentwickler). Wenn die Führungskraft sagen kann und will, worum es in groben Zügen geht, so hilft das, schneller den passenden Coach zu finden bzw. zu klären, ob wirklich ein für Coaching geeignetes Thema vorliegt. Wenn sie das aber nicht kann oder will, ist auch das in Ordnung.
  • Im nächsten Schritt nimmt der Personalentwickler Kontakt zu einem der Coaches aus dem Coachpool auf und organisiert ein Dreier-Treffen im Büro.
  • Es folgt ein Dreier-Treffen im Büro des Personalentwicklers, wo der Klient den Coach kennen lernt. Es kommt zur Vereinbarung eines Rahmenvertrags mit maximal 30 Coachingstunden in maximal einem Kalenderjahr (in über 70% der Coachings wird dieser Rahmen nicht ausgeschöpft).
  • Um das Prinzip der Freiwilligkeit und Selbstinitiative zu untermauern, meldet sich nur der Klient beim Coach, gemeinsam vereinbaren sie Ort und Zeitdauer der Coachings.
  • Nach der Hälfte der Zeit erfolgt eine kurze Rückmeldung an den Personalentwickler, nicht inhaltlicher Natur, sondern nur zum bisherigen Verlauf.
  • Als Abschluss des Coachings gibt es wieder ein Sechs-Augen-Gespräch mit Rückmeldungen zum Verlauf des Coachings: was lief gut, was weniger, was könnte man weiterentwickeln, verändern?
  • Auf den Rechnungen des Coaches findet sich übrigens nur ein Kürzel, kein Name. Der Personalentwickler weiß, um wen es sich handelt, diese Person überprüft die Rechnung, dann wird sie von der PE weitergeleitet.

10.2001

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