Gender Balance gewinnt an Fahrt

Die Organisationsberaterin Anke van Beekhuis im Gespräch über den Unterschied von Gender Balance und Frauenförderung und den vielfältigen Mehrwert für die Unternehmen.

Was genau meint eigentlich Gender Balance?

Gender Balance meint eine Ausgewogenheit der Geschlechter, wobei immer mehr Unternehmen verstehen, dass es nicht um eine reine Frauenförderung geht, sondern dass es hier wirtschaftliche Aspekte gibt. Es gibt vor allem zwei Entwicklungen, warum das Thema in den vergangenen Jahren deutlich an Fahrt gewonnen hat. Zum einen kommen Unternehmen durch neue Regeln von außen vermehrt unter Druck. Etwa einen bestimmten Anteil von Frauen im Aufsichtsrat. Oder durch Ausschreibungen, in denen immer öfter ein bestimmter Frauenanteil in Führungsetagen gefordert wird. Oder börsennotierte Unternehmen, die von Seite der Investoren und Aktionäre verstärkt unter Druck geraten, die Forderungen zum Thema Frauen in Führung stellen.

Der Druck von Kundenseite wächst ebenfalls. Es gibt immer mehr Kunden, die darauf achten, wie Unternehmen nach außen auftreten. Wenn ganz oben nur Männer sitzen, bekommt man heute als Unternehmen zunehmend Probleme mit seinen Kundinnen. Unternehmen wissen inzwischen, – um nur ein Beispiel zu nennen, das ich kürzlich mit einem Vorstand diskutiert habe -  dass männliche Versicherungsmakler eher Männer ansprechen, während sich Frauen von Frauen besser betreut und verstanden fühlen. Wenn man dann fast nur Männer im Vertrieb hat, lässt man ein beachtliches Marktpotenzial unbearbeitet. Wer kann sich das heute noch leisten? Hier geht es wesentlich darum, dass der Markt sich im Unternehmen widerspiegelt – und zwar nicht nur auf Ebene der Mitarbeiter, sondern auch in den Führungsebenen. Was soll das denn eigentlich, wenn ein Mann, der noch nie in seinem Leben mit einem Kinderwagen durch die Gegend gegangen ist, einen Supermarkt gestaltet, dessen Zielgruppe Mütter mit Kleinkindern und Kinderwagen sind?

Eine weitere wichtige Entwicklung passiert auf Mitarbeiterseite: Die Unternehmen merken: Es gehen ihnen zunehmend potenzielle Mitarbeiterinnen durch die Lappen. Attraktive Arbeitgeber sehen heute anders aus!

Wann haben Sie begonnen, sich mit diesen Aspekten zu beschäftigen?

Als Organisationsberaterin habe ich schon in meiner Anfangszeit gemerkt, dass in den Organisationen die weibliche Perspektive fehlt. In Holland bei Nike oder in anderen Unternehmen, in denen ich vor meiner Selbstständigkeit vor 12 Jahren gearbeitet hatte, hatte ich ja selbst gesehen und erlebt, was für einen Unterschied das macht, wenn Gender Balance von Unternehmen tatsächlich gelebt wird. Vor 9 Jahren habe ich dann angefangen zu analysieren, warum es in Österreich keine Gender Balance gibt. Die meisten sprachen damals noch von gläserner Decke, Frauenfeindlichkeit, etc. Ich dachte mir, das kann ja nicht sein, in anderen Ländern geht es auch, warum bei uns nicht? Bei der Analyse kamen mehrere Faktoren heraus, u.a. dass wir eine andere Sozialisierung als in anderen Ländern haben, klassische Rollenbilder, die in Organisationen noch verbreitet gelebt werden. Sowohl von Männern als auch von den Frauen. Wenn man hingegen internationale Unternehmen anschaut, ist das teilweise anders. Nike, Microsoft oder IBM  haben das Thema teilweise nicht. Da gibt es bestimmte Diskussionen gar nicht erst. Sei es Frauen im Top-Management, gleiche Bezahlung oder dass eine Frau nach einem halben Jahr Karenz wieder einsteigt und dann als Rabenmutter bezeichnet wird. Ein schneller Wiedereinstieg ist dort völlig normal. In Österreich bedeutet Ausgewogenheit oder mangelnde Ausgewogenheit eben auch, dass zu wenige Frauen in der Führungsrolle sind.

Auf der Analyse aufsetzend habe ich dann im nächsten Schritt nachgeforscht, was die Hindernisse für Frauen sind. Dabei wurde deutlich, dass Frauen auch selbst Mitverantwortung tragen, dass sie nicht in Führung sind. Das hat mit der Eigenmotivation zu tun und damit, dass sie selbst bestimmte Rollenbilder weiterleben. Z.B. glauben viele Frauen nicht, dass es möglich ist, dass die Frau wiedereinsteigt und der Mann in Karenz geht. Viele Frauen blenden auch aus, dass sie keine ordentliche Pension bekommen werden, wenn sie nicht bald wieder arbeiten gehen oder nach der Karenz nur mehr Teilzeit arbeiten. Die größte Risikogruppe zur Verarmung sind alleinerziehende Frauen. Und die Scheidungsrate in Österreich ist sehr hoch.

Auf welche Argumente springen die Manager nun vermehrt an?

Wirtschaftlichkeit. Es rechnet sich einfach, auf verschiedenste Art und Weise. Frauen haben etwa eine geringere Fluktuationshöhe. Männer haben beispielsweise im Vertrieb eine durchschnittliche Verweildauer von 3-3,5 Jahren, Frauen deutlich höher. Dann geht es Männern heute immer öfter darum, andere Sichtweisen ins Unternehmen zu bringen. Sie wissen selbst, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass die Masse an grauen oder blauen Schlipsträgern wirklich out of the box denkt. Das andere ist, dass ihnen, wie schon kurz angesprochen, ganze Kundengruppen durch die Lappen gehen und das Firmenimage leidet. Wenn solche Firmen in Employer Branding investieren, können sie das Geld auch gleich verbrennen.

Es kommt daher immer öfter vor, dass Top-Manager merken, dass sie selbst und ihre Unternehmen da einen blinden Fleck haben. Ihr Problem ist aber: Viele Organisationen wissen bei dem Thema nicht genau, wo sie ansetzen sollen. Dann heisst es ganz vage, „wir wollen was für die Frauen machen“. Dann frage ich immer: „Sind Sie sicher? Wer genau will das, wer nicht?“ Wenn man die aktuelle Situation nicht genau kennt, ist die Chance groß, dass man da viel Geld beim Fenster hinaus wirft und Projekte startet, die nichts bringen. Sinnvoller ist, vorher einen Check zu machen, was in der spezifischen Organisation die besten Hebel sind. Ist das in dieser Firma wirklich Frauenförderung oder vielleicht etwas ganz anderes? Frauenförderung ist nur ein Bruchteil dessen, was Gender Balance ermöglicht und ausmacht. Viele denken, wir machen Frauenförderung und stärken die Frauen, damit sie besser in der Männerwelt zurecht kommen. Das ist aber nicht Sinn und Zweck. Es braucht eine Kulturveränderung, damit es zu einer Balance kommt! Es geht ja nicht nur um die Frauen. Wenn man verstaubte Männer in der Führung hat, bekommt man ja auch keine guten jungen Männer, denn die wollen in so einer Kultur auch nicht arbeiten. Vielen Managern wird dann bewusst: Wenn sie im Bereich Gender Balance etwas machen, dann machen sie etwas für Frauen und Männer im Sinn einer neuen Kultur. Typische Hebel sind Recruiting, Wiedereinstieg nach der Karenz und die Quote auf allen Führungsebenen. So machen es die meisten amerikanischen Unternehmen. Gerade wenn es um Karenz und Wiedereinstieg geht, wird mit den Frauen in den meisten Unternehmen entweder gar nicht geredet oder viel zu wenig. Und kaum während der Karenz. Man kann als Frau oft nicht genau einschätzen, wie es dann nach der Geburt wirklich ist. Oft gibt es Mechanismen, die alle Frauen über einen Kamm scheren. Das funktioniert nicht.

Der Punkt, den die meisten Firmen übersehen, ist: Viele Frauen steigen mental schon Jahre vor einem Kind aus ihrer möglichen Karriere aus. Sie überlegen z.B. mit 30, ob sie ein Kind bekommen wollen und wenn sie innerlich entscheiden, ja gern in den nächsten Jahren, dann hören sie auf, sich für Leitungspositionen zu bewerben, weil sie denken, das macht eh keinen Sinn. Das ist ein großes Problem. Führungskräfte denken dann oft: „Was ist denn mit der Mitarbeiterin los? Ich sehe in der so viel Potenzial, aber die will sich nicht entwickeln. Ich versteh das nicht.“ Ich frage dann immer: „Wie alt ist sie denn?“ „30.“ „Ist sie verheiratet?“ „Nein, sie lebt in einer Partnerschaft.“ „Über was denkt sie wohl nach?“ „Über Kinder?“ „Genau.“ „Was soll ich also mit der machen?“ „Reden Sie einmal mit ihr, wie sie die Situation sieht. Klären Sie sie einmal auf, dass sie trotz Führungsposition schwanger werden kann, dass sie trotz Kind Karriere machen kann. Frauen wissen das oft gar nicht.“ Das kann auch bei uns in Österreich parallel laufen so wie in anderen Ländern. Bei uns ist der Normalfall: Frau bekommt ein Kind, steigt aus, kommt nach 1,2 Jahren wieder und macht dann oft nur mehr Teilzeit, sonst gilt sie als Rabenmutter.

Bei uns gibt es aber auch viel weniger unterstützende Infrastruktur als in anderen Ländern. Krabbelgruppen, Kinderkrippe, etc.

Ja. Wenn mich jemand fragt, warum es bei uns schlechter funktioniert als anderswo, sage ich immer: Es gibt vor allem zwei Gründe: Erstens die Quote, die hatten alle Länder, die heute führend sind. Das zweite ist die Kinderbetreuung. Wenn du nicht weisst, dass das Kind gut betreut ist, gehst du nicht arbeiten, oder so kurz wie möglich. Da gibt es einen Mangel, vor allem in den Bundesländern. Dazu kommt, dass die Frauen das immer noch zu wenig einfordern. Ich wohne in Himberg nahe Wien, und dort hatten wir z.B. keine Kindergrippe, als ich schwanger war. Ich bin zum Bürgermeister und habe ihn gefragt, wie das möglich ist und warum er da nichts macht, denn ich brauche dringend einen Platz. Das kann doch nichts sein. Zuerst hieße es: Platzmangel. So ein Blödsinn! Meine Tochter musste in Wien in die Krippe gehen. Ich habe dann immer wieder gedrängt, da hat es dann geheissen, Was wollen Sie, Sie haben ihre Tochter eh schon untergebracht. Darauf habe ich gemeint: Das ist doch völlig egal. Es gibt genug andere Frauen wie mich, die das dringend brauchen. Es gibt auch noch Frauen nach mir, die Kinder kriegen. Irgendwann wurde es gemacht. Zuerst haben sie Container aufgestellt, weil die Angst da war, dass sie es nicht voll bringen. Jetzt ist die Krippe voll. Und die Nachfrage bereits größer als die vorhandenen Plätze. In Österreich wird „Bedarf erhoben“, aber nicht geschaffen! Wenn die Frauen nicht aktiv Druck machen, passiert nichts – das ist unser Teil der Verantwortung.

Das Problem ist nicht die Frau oder die Frau mit Kind, sondern das Problem ist, dass sich eine Kultur entwickelt, wo es möglich und normal ist, dass Frauen mit Kindern arbeiten können. Wo z.B. ein 09.00 - 17.00 Uhr Job möglich ist, der flexibel ist, wo Arbeit nicht nur im Büro erledigt werden muss, sondern teilweise auch von Zuhause erledigt werden kann. Wo Meetings nicht am Abend angesetzt werden, weil das familienfeindlich ist. Dieses Anwesend-sein-müssen, am Abend das Licht lange brennen lassen, das schadet Männern wie Frauen. Wir haben hohe Burnout Raten, Überforderung, aber nicht die erforderliche Flexibilität. Das schadet beiden Geschlechtern. Auch bei Männern ändern sich die Wünsche und Anforderungen an den Job. Stichwort New Generation. Die interessiert das auch nicht mehr.

Frauen sind heute besser ausgebildet als Männer und wenn ich gute Leute bekommen will, muss ich mich eben danach richten, wie deren Lebenssituation ist. Zu glauben, man kann das vorgeben und die anderen müssen sich danach richten, damit fahren die Firmen zunehmend ein. Da wird sich in den nächsten Jahren viel ändern. Man bekommt sonst einfach die Leute nicht mehr.

Aber nur durch das Hereinholen einzelner Leute ändert sich keine Unternehmenskultur.

Das stimmt. Dazu kommt, dass nicht alle Personalisten strategisch denken. Die meisten denken in Maßnahmen, vor allem, wenn sie wenig Budget haben. Kulturveränderungen greifen sie meist nicht an; das ist auch nicht ihre Aufgabe, soweit ich das sehe. Sie überlegen Maßnahmen und fragen: Was kostet das? Summe X? Ok, das Budget haben wir, machen wir! Wenn es darüber hinaus ist – sinnvoll wäre noch das und das – heisst es: Das können wir nicht entscheiden, da müssen wir den Vorstand einbeziehen. Worauf ich immer sage: „Ok, dann machen wir das. Gehen wir zum Vorstand und besprechen das.“ Wenn der Vorstand es versteht, kann er auch die nötigen Budgets freigeben. Das sind ganz andere Gespräche. Die Manager wollen wissen, was sie damit für die Organisation erreichen können, den Mehrwert. Nicht, wie man das macht oder welche Maßnahmen es dazu braucht. Mitunter wird es sogar eher von HR Seite blockiert, weil sie bei diesem Thema auch in ihren Maßnahmen und Ansätzen hinterfragt werden. Z.B. in ihren Recruitingprozessen. Der Druck zu dem Thema wird immer größer. Es gibt das Thema Frauenförderung und Seminare dazu, aber in der Organisationsberatung gibt es außer mir kaum Leute, die sich damit beschäftigen.

Organisatorisch sind die Hebel also: Verständnis im Vorstand, dann Recruiting, ….

..der zweite Hebel ist Arbeitszeitmodelle, dann Gleichbehandlung beim Gehalt und offene Recruitingprozesse. Man muss darauf schauen, dass nicht ständig nach Selbstähnlichkeit ausgewählt wird. Ich bin z.B. ein großer Fan von anonymisierten Bewerbungen: ohne Geschlecht und ohne Namen. Google z.B. macht nicht den nächsten Schritt im Bewerbungsprozess, bevor sie 50% Männer, 50% Frauen im Bewerbungsprozesss haben. Damit das gelingt, muss man ganz anders recruiten, anders starten, die Leute anders ansprechen und erreichen als das heute üblich ist.

Was ist mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit?

In vielen Firmen verdienen Frauen für die gleiche Arbeit immer noch weniger als die Männer. Das hängt auch damit zusammen, dass Frauen Gehaltserhöhungen weniger aktiv einfordern als Männer und sich laut den Personalisten, mit denen ich darüber gesprochen habe, meist leichter abwimmeln lassen. Damit ersparen sich die Firmen kurzfristig etwas Geld, aber die Frauen reden untereinander und ich habe erst vor kurzem mit einem Unternehmen zu tun gehabt, das auf einen Schlag 5 Top-Frauen verloren hat, weil es denen gereicht hat. Da baut man diese Frauen über Jahre zu Top-Leistungsträgerinnen auf und dann verliert man sie, weil man zu geizig ist, ihnen so viel zu zahlen wie den Männern. Jetzt zahlt die Firma ein Vielfaches des scheinbar Ersparten, um – wenn sie Glück haben – gleichwertigen Ersatz zu finden. Wie dumm ist das denn? Ganz abgesehen davon, dass sich so ein Verhalten heutzutage schnell herumspricht und zu einem massiven Imageschaden fürs Unternehmen auswachsen kann.

Was verlieren Unternehmen ohne Gender Balance?

Kunden, Ausschreibungen, Image, jede Menge Potenzial im Unternehmen, etc. Dazu gibt es mittlerweile genug Studien von McKinsey und Co. Es ist schon ein alter Hut, dass - wenn man Probleme betrachtet und über Lösungen nachdenkt - die Lösungsansätze viel breiter und vielfältiger sind, wenn man in der Gruppe Frauen dabei hat, Leute aus anderen Nationalitäten, aus verschiedenen Altersgruppen etc. Die meisten von uns haben schon mal erlebt, wie sich die Dynamik in einer Gruppe ändert, wenn in eine Männergruppe plötzlich eine Frau reinkommt. Da ändern sich die Verhaltensweisen, die Gespräche werden respektvoller, die Arbeit wird effizienter, partnerschaftlicher, etc. Es wird kreativer und macht einfach mehr Spaß.

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