Wissen - Fertigkeiten - Talent

Die Amerikaner Marcus Buckingham und Curt Coffman treffen eine plausible und hilfreiche Unterscheidung von Wissen, Fertigkeiten und Talent.

Wissen

unterteilen sie in "Faktenwissen" und "Erfahrungswissen". Faktenwissen umfasst das, was man aktiv gelernt hat. Erfahrungswissen umfasst das Verständnis, das man sich im Laufe der Zeit angeeignet hat. Es gilt immer wieder innezuhalten, zurückzublicken und die Erfahrungen der Vergangenheit auszuwerten. Durch diese Reflexion beginnen sich Muster, Strukturen und Zusammenhänge herauszuschälen – man begreift, gewinnt Verständnis. Ein Finanzbuchhalter zum Beispiel wird mit zunehmender Berufserfahrung in steuergünstiger Bilanzerstellung immer besser. Der Leiter eines Einzelhandelsgeschäftes gewinnt im Lauf der Zeit Einblick in das Kaufverhalten seiner Kunden und lernt, seine Produkte saisonal besser zu platzieren.

Fertigkeiten

sind erlernbar, sie betreffen das Wie, sozusagen die Durchführungstechnik. Für den Buchhalter ist Rechnen eine solche Fertigkeit, beim Angestellten der versierte Umgang mit Microsoft Word und Excel. Eine Krankenschwester muss Injektionen patientensicher setzen können.

Wenn man an Talent denkt, denkt man im ersten Moment immer an große herausragende Leistungen - "der hat wirklich Talent" - und glaubt, dass das nur ganz wenige haben. "Ich doch nicht." Buckingham und Coffman vertreten in diesem Punkt eine andere Ansicht: Ihren Studien nach hat jeder Mensch bestimmte Talente. Das Entscheidende ist, diese Talente mit Aufgaben zusammen zu bringen, bei denen diese Talente den Unterschied ausmachen zwischen durchschnittlicher und überragender Leistung.

Talente

so die Definition von Buckingham und Coffman, sind  "wiederkehrende Denk- Gefühls- und Verhaltensmuster, die sich produktiv einsetzen lassen." Eine der vielen Gallup-Studien zeigte beispielsweise, dass eine der wichtigsten Begabungen eines guten Buchhalters in seinem ausgeprägten Genauigkeitssinn, der Lust am Exakten, liegt. Fragen Sie einen sehr guten Buchhalter, was ihn besonders froh macht und Sie werden wahrscheinlich die Antwort bekommen: "Wenn die Bücher stimmen." Jedesmal, wenn die Rechnung hundertprozentig aufgeht, hat er ein Glücksgefühl, weil er bei seiner Arbeit absolute Perfektion erlebt.

Abgrenzung von Fertigkeiten/Kompetenzen:

Bei der Beschreibung von "Kompetenzen" geht es, so die Autoren, oft wild durcheinander: Manche von ihnen zählen zu den Fertigkeiten, andere gehören in die Wissenskategorie, wieder andere sind Begabungen. Das Konzept mischt Erlernbares mit Unlernbarem zusammen. Als Folge werden Mitarbeiter in Kurse geschickt, um strategisches Denken zu lernen oder Innovationsstärke oder Genauigkeit. "Ziele zu vereinbaren" kann man lernen ebenso wie "ein strukturiertes Mitarbeitergespräch zu führen", "unter Druck Ruhe zu bewahren" hingegen kaum. Man kann vielleicht Entspannungsübungen trainieren, aber man kann niemandem ein ruhiges Temperament beibringen.

Abgrenzung von Gewohnheiten:

Die meisten Gewohnheiten sind nach Ansicht der Autoren Begabungen. Wenn Sie gewohnheitsmäßig dominant oder einfühlsam oder stark wettbewerbsorientiert sind, dann dürften Sie es schwer haben, das zu ändern. Es ist durchaus möglich zu lernen, mit diesen Strebungen anders umzugehen und sie produktiver einzusetzen, sie also mit entsprechenden Fertigkeiten zu verbinden, aber man wird sich (und seine tiefsitzenden Muster) nicht radikal ändern.

Abgrenzung von Einstellungen:

Viele Führungskräfte legen bei der Auswahl größten Wert auf die innere Einstellung und sie tun gut daran. Die dominanten Einstellungen sind Teil unseres mentalen Filters. Sie bestimmen, worauf wir schauen, was wir wahrnehmen und was nicht. Man kann zynisch oder vertrauensvoll sein, optimistisch oder fortwährend unzufrieden. Keine der Haltungen ist grundsätzlich besser als die andere, keine verhindert Spitzenleistungen in den passenden Bereichen. Der ewig Unzufriedene kann ein phänomenaler Unternehmer sein, weil der den Status Quo nicht akzeptiert. Der Zyniker kann ausgezeichnet im Rechtsbereich, ins Polizeiwesen oder in den investigativen Journalismus passen – überall dorthin, wo ein gesundes Misstrauen dringend angebracht ist.

Abgrenzung von Antrieb:

Viele Manager machen einen Unterschied zwischen Begabung und Motivation. "Schauen Sie, Sie sind ja sehr talentiert. Aber Sie müssen sich stärker reinhängen, sonst geht Ihr Talent vor die Hunde." Klingt nicht schlecht, nur kann man, so die Autoren, den grundlegenden Antrieb eines Menschen nicht ändern. Manche Leute machen aus allem und jedem einen Wettbewerb. Sie stürzen sich auf jeden Vergleich. Andere lässt das völlig kalt. Dafür sind sie vielleicht wieder Selbststarter, die sich selbst ständig Ziele setzen, die sie solange verfolgen, bis sie erreicht sind. Gegen andere zu gewinnen hingegen reizt sie nicht. Wieder andere folgen ihrer "Mission", sie wollen Sinn finden, Mitmenschen helfen etc. Diese motivationalen Strukturen lassen sich von außen nicht ändern. Es sind Begabungen, wiederkehrende Muster, die von Dauer sind.

Beispiel Krankenschwester

In einem ersten Schritt ließ man 100 Patienten von einer Testgruppe von Spitzenkräften eine Injektion verabreichen. Dann wurde dieser Versuch an der selben Patientengruppe noch einmal mit einer aus weniger guten Pflegekräften bestehenden Kontrollgruppe durchgeführt. Obwohl es sich um das exakt gleiche Verfahren handelte, registrierten die Patienten einen deutlichen Unterschied. Die Behandlung durch die Spitzenkräfte war schmerzloser. Warum? Beherrschten sie eine spezielle Technik? Hatten sie eine sicherere Hand?

Nichts dergleichen. Sie bereiteten die Patienten mental besser und geschickter auf den Nadelstich vor. Eine weniger gute Krankenschwester kam herein und und ging mit dem knappen Satz "Keine Sorge. Tut überhaupt nicht weh" gleich zur Sache. Anders die gute Kollegin. "Ich weiß, das tut jetzt ein bißchen weh. Wird aber nicht schlimm. Ich bin ganz vorsichtig." Die guten Kräfte verfügten über das Beziehungstalent "Einführungsvermögen". Sie wussten, dass die Spritze nicht ganz schmerzlos sein würde, und fühlten sich verpflichtet, dies dem Patienten auch ehrlich zu sagen – und zwar durchaus in ihrem individuellen Stil. Das Bekenntnis wirkte sich positiv auf das Schmerzempfinden der Patienten aus. Sie hatten das Gefühl, als nähme ihnen jemand einen Teil der Schmerzen ab. Die Schwester war auf ihrer Seite, die Schwester verstand. Der Einstich wurde deshalb als weniger schlimm empfunden als zunächst befürchtet.

Beispiel LKW-Fahrer

Bei einem in Amerika landesweit operierenden Transportunternehmen legt ein durchschnittlicher Fahrer pro Jahr 200.000 Kilometer zurück und hat dabei im Durchschnitt etwa vier Unfälle. Einer der besten Fahrer dagegen hat gerade seinen viermillionsten unfallfreien Kilometer gefeiert. Alle Fahrer waren denselben Stimuli ausgesetzt, ihre Reaktionen sind aber höchst unterschiedlich. Wenn man die Spitzenfahrer fragt, was sie beim Fahren denn so machen, dann lautet die Antwort etwa: "Ich mache mir Gedanken darüber, was ich tun würde, wenn.... Wenn der Wagen da vorne ausscheren würde, wenn der Fußgänger bei Rot über die Kreuzung ginge, wenn meine Bremsen versagen würden." Während die meisten Fahrer an den nächsten Stop denken, oder daran wie viele Kilometer sie noch vor sich haben, spielen die besten Fahrer durch Was-wäre-wenn-Spiele mögliche Risiko-Situationen durch, planen Ausweichmanöver, etc. Auch hier: Gleiche Stimuli – unterschiedliche Reaktionen – sehr unterschiedliche Ergebnisse.

Wie finde ich Talent?

Tipp 1:

Studieren Sie Ihre Spitzenkräfte, um herauszufinden, auf welche Talente es bei dieser Tätigkeit wirklich ankommt. Nur wenn sie Ihre Spitzenkräfte genau kennen, finden Sie jene Fragen, aus denen die relevanten Unterschiede zwischen Spitzenkraft und anderen Mitarbeitern deutlich werden. Unterscheiden Sie bei jeder Position zwischen notwendigem Wissen, Fertigkeiten und erforderlichen Talenten. Das schärft Ihren Blick.

Tipp 2:

Führen sie "Talentinterviews". Es kommt nicht darauf an, was Sie hören wollen, es kommt darauf an, was Sie tatsächlich hören! Wenn Sie einen Kandidaten fragen, wie wichtig es für ihn ist, der Beste zu sein und er antwortet: "Naja, ich bin schon gern der Beste, aber in der Regel genügt es mir, so gut zu sein, wie ich eben sein kann", dann nehmen Sie es so, wie er es sagt! Wenn Sie wissen wollen, was ihn am Verkaufen reizt und er erzählt Ihnen, dass er möglichst schnell ins Management aufrücken will, dann glauben Sie es – es hat seine Bedeutung.

Tipp 3:

Rasches Lernen ist ein wichtiger Talentindikator: Fragen Sie den Kandidaten, welche Aufgaben er sich in der Vergangenheit besonders schnell aneignen konnte. Erkundigen Sie sich, welche Tätigkeiten ihm leicht fallen.

Tipp 4:

Die Quellen, aus denen jemand Befriedigung zieht, geben Hinweise auf sein Talent. Fragen Sie den Bewerber daher, was ihn persönlich am meisten beglückt. Welche Arten von Situationen ihn aufbauen, ihm Kraft geben, was ihn besonders zufrieden macht. Die Antworten helfen Ihnen besser einzuschätzen, welche Tätigkeiten ihm dauerhaft liegen.

Können sich Menschen ändern? Ja, durchaus, allerdings nicht in allen Bereichen und oft nur mit viel Aufwand. Aus Sicht eines Unternehmens stellt sich jedoch die Frage, ob es Sinn macht und effizient ist, sich mit viel Aufwand auf die Beseitigung von Schwächen zu konzentrieren und damit allenfalls Mittelmaß zu erzielen oder ob es nicht viel sinnvoller und produktiver ist, Mitarbeiter gemäß ihren Stärken einzusetzen. Noch sind die meisten Personalentwicklungskonzepte und -maßnahmen extrem defizitorientiert ausgerichtet, entsprechend groß ist damit auch das Produktivitätssteigerungspotenzial.

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