"Wer Leistung fordert, muss Sinn bieten"

Bei Themen wie Sinnverlust und Überlastungssymptomen scheinen viele Führungsetagen blind und taub zu sein.

Wenn ehemals hoch motivierte und für die besondere Identifikation mit ihrer Arbeit berühmte Mitarbeiter eines bekannten deutschen Konzerns nur mehr widerwillig zur Arbeit gehen und – bis vor kurzem undenkbar – beginnen, in größerer Zahl über einen Jobwechsel nachzudenken, woran liegt das? An den zahlreichen Umstrukturierungen in einer "hochdynamischen Branche", an den noch zahlreicheren Überstunden oder an den teilweise abwertenden und für viele kränkenden Aussagen des Top-Managements?

Interessanter Weise hat sich an der konkreten Arbeit für diese Mitarbeiter gar nicht so viel geändert. Sie fertigen immer noch die gleichen, wenn auch technisch modifizierten Produkte wie vor einigen Jahren. Auch die Überstunden waren bislang kein Problem und selbst die ständigen Umbauten im Konzern gehören nun auch schon seit Jahren mit dazu. Was sich dennoch grundlegend gewandelt hat, ist die Einstellung dieser Mitarbeiter. Dieselbe Arbeit, die einst ein Quell von Freude und Stolz war, erscheint ihnen heute nur mehr mühsam und weit weniger attraktiv als noch vor ein, zwei Jahren.

Wandel braucht Begründungen

Auf diese Wechselwirkung von Einstellung und Situation bezieht sich Dr. Rudolf Karazman, geschäftsführender Gesellschafter der IBG, Betriebliche Gesundheitsförderung GmbH, wenn er meint: "Wandel an sich ist ja nichts schlechtes. Denken Sie nur an die starren Organisationen im öffentlichen Bereich, in denen sich über Jahrzehnte nichts geändert hat. Ist dort zu arbeiten attraktiver, schöner, besser? Für viele Menschen sicher nicht. Die Frage beim Wandel ist, wie vermittelt man die Ziele, bindet man die Leute mit ein? Welchen Zweck erfüllt der Wandel? Geht es um Nachhaltigkeit, um die Stabilität des Unternehmens oder ums Ausquetschen?"

Kein Sinn? Keine Motivation!

Franz Schweifer, seit viele Jahren spezialisiert auf das Thema Zeit- und Selbstmanagement, verweist ebenfalls auf die entscheidende Rolle der inneren Haltung, mit der wir solchen Situationen begegnen: "Ob wir in einer bestimmten Situation gesunden Eustress erleben, d.h. eine angenehme, belebende Spannung oder ob wir Distress verspüren, krankmachenden Stress, hat viel damit zu tun, ob wir in dieser Situation für uns einen Sinn entdecken und für uns wichtige Werte verwirklichen können."

Vor diesem Hintergrund wird schnell verständlich, welche Wirkungen es haben kann, wenn wie im obigen Beispiel geschehen, der Vorstand laut über diverse Massenmedien kundtut, dass man die Produktion ja jederzeit in andere Länder verlegen könnte, zumal die Arbeitskräfte dort mindestens genauso gut wären wie in Deutschland. Das ist nicht nur eine massive Abwertung und ein Schlag ins Gesicht dieser auf ihre Arbeit so stolzen Belegschaft, diese Aussage stellt die bisher gültige Beziehungsdefinition zwischen Organisation und Person auf eine ganz neue Basis. Das bisherige Selbstbild der Mitarbeiter und ihre darauf gründende Arbeitsethik ("wir leisten erstklassige Arbeit und werden weltweit für unsere Arbeit geschätzt") wird durch solche Aussagen aus dem Top-Management massiv erschüttert. Typische Folge: die bisherige Sinn- und Werteverwirklichung scheint blockiert, Arbeitsleistung und –qualität gehen zurück.

Das Schizophrene daran: Jeder - bis auf die obersten Managementebenen - weiß Bescheid. Die Unternehmensspitze scheint auf diesem Auge blind zu sein, die breitflächige Enttäuschung und der Frust werden nicht wahrgenommen, Hinweise in diese Richtung negiert, aus der offiziellen Kommunikation verbannt und das sich ständig verschlechternde Klima im Unternehmen äußeren Rahmenbedingungen wie der schlechten Wirtschaftslage zugerechnet.

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: