Kapazität zwischen 60 und 150 Prozent

Die Arbeitsorganisation des Büromöbelherstellers Blaha widerspricht den gängigen Konzepten total und funktioniert daher hervorragend.

"Die einzige interessante Flexibilität ist die, die dem Kunden Flexibilität bringt." Und die, meint Friedrich Blaha, Eigentümer und Geschäftsführer der Korneuburger Firma Blaha Büromöbel, liege bei seinen Kunden vorrangig in einer kurzen, garantierten Lieferzeit. Denn durch die bei Blaha garantierten „9 Tage ab Bestellung“, die fernab der branchenüblichen Lieferzeit von 6-8 Wochen liegen (und maximal 50% Treue, das an dem zugesagten Tag auch tatsächlich alles geliefert wird), gewinne der Kunde einerseits Entscheidungsspielraum, da er sich erst neun Tage, bevor er die Möbel benötigt, festlegen und entscheiden müssen. Zum anderen könne er dadurch ohne Mehrkosten bis neun Tage vor Lieferung Umplanungen vornehmen.

Arbeitszeit je nach Arbeitsanfall

Um den Kunden dieses Ausmaß an Flexibilität zu ermöglichen, vollzog Blaha in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre einen radikalen Schwenk und begann seine Firma von Grund auf neu zu organisieren. Das neue Credo: auftragsbezogene Fertigung. D.h. Der vom Kunden fixierte Liefertermin zieht quasi den Auftrag durch das Unternehmen. Und zwar folgendermaßen: Bei Auftragserteilung wird der gewünschte Liefertermin vereinbart. Der Auftrag kommt in die Mappe des Tages der Auslieferung. Neun Tage vor diesem Termin startet der Prozess: die Mappe dieses Liefertages wird erstmals wieder hervorgeholt, die für diesen Tag gesammelten Aufträge sortiert und überprüft. Sollten die summierten Aufträge 150 Prozent der Tageskapazität übersteigen, kommt es zur Kontaktaufnahme mit den Kunden: Ist der Termin überhaupt noch gewünscht, passt gegebenenfalls auch der nächste Tag? Sechs Tage vor Auslieferung kommt es am sogenannten OK-Punkt zur Übergabe der "Tagesportion" an die Produktion. Die Tagesportion ist genau jene Menge, die von Kunden in sechs Tagen gewünscht wird. Nicht mehr und auch nicht weniger.

Der gesamte Produktionsprozess dauert fünf Tage, dann folgt am sechsten Tag Auslieferung und Montage. Übergeben werden darf eine Tagesportion zwischen 60 und 150 Prozent der Normalkapazität (= Arbeitsleistung an einem Normalarbeitstag mit 7,5 Arbeitsstunden). Beträgt die Tagesportion 60 Prozent, reduziert sich der Arbeitstag des Teams, das für den ersten Arbeitschritt - die Holz- und Metallbearbeitung - zuständig ist, auf 5,5 Stunden. Beträgt die Tagesportion hingegen 150 Prozent, dann dauert ihr Arbeitstag 9,5 Stunden. Der Arbeitstag ist dann zu Ende, wenn die Tagesportion fertig bearbeitet ist. Das Team, das diese fertige Portion dann am nächsten Tag zu Weiterbearbeitung übernimmt, sieht also heute, wie lange ihr Arbeitstag morgen sein wird, das Team der dritten Stufe erkennt ihren Arbeitsanfall in zwei Tagen usw.

Qualifizierung zahlt sich aus

Da Tagesportionen nun einmal auf ganze Tage ausgelegt sind, war die erste Hürde bei der Umstellung der bis dahin geltende kurze Freitag, an dem traditionellerweise zu Mittag Schluss war. In einer ersten Abstimmung sprachen sich die Mitarbeiter gegen den Normalarbeitstag am Freitag aus, nach der Vereinbarung einer doppelten Lohnerhöhung, um diese Umstellung für sie attraktiver zu machen, stimmten sie der Neuregelung jedoch zu.

Gleichzeitig kam es zu einer neuen Entlohnungsregelung für die Produktionsmitarbeiter. Da die Zahl der Arbeitstage pro Monat schwankt, schwankt dementsprechend auch ihr Lohn, wenn nach den in diesem Monat geleisteten Stunden abgerechnet wird. Die neue Regelung dividierte die Jahresstundenzahl durch die Monate und brachte, multipliziert mit dem jeweiligen Stundenlohn, einen konstanten Monatslohn über das Jahr gerechnet.

Parallel gibt es ein Zeitkonto, auf das die +/- Stunden, bezogen auf die Normalarbeitszeit gebucht werden. Dieses Zeitkonto wird alle drei Monate diskutiert. Vereinbart wurde folgende Regelung: Wenn ein Mitarbeiter nach drei Monaten Plus-Stunden hat, wird er gefragt, willst du es als Überstunden mit Zuschlägen ausgezahlt haben, willst du es weiterführen oder willst du es als Zeit verbrauchen? Bei Zeitausgleich wird es 1:1 abgerechnet.

Bald nach Umstellung der Produktionsweise entschloss sich die Firma, eine neue Punkteregelung einzuführen, insgesamt 45 Punkte - jeder Punkt ein Schilling - um die sich der Stundenlohn der Arbeiter erhöhen konnte. Die Hälfte der Punkte bezog sich auf Qualifikationen (wie viele Maschinen kann ein Arbeiter wie gut bedienen?), die andere Hälfte auf die Persönlichkeit mit vier klar definierten Kriterien. Der Effekt dieses Anreizes war auf Seite der Mitarbeiter ein deutliches Ansteigen der Mehrfachqualifikationen, verbunden mit besserem Einkommen (und somit auch höhere Lohnkosten fürs Unternehmen). Auf Seite des Unternehmens war der Effekt eine reibungslose Produktion. Die klare Regel, dass jedes Team (in dem mehrere Arbeitsschritte entlang der Wertschöpfungskette zusammengefasst sind), für die Erledigung seiner Tagesportion selbst verantwortlich ist, mag zwar schön klingen, ist aber nur dann realisierbar, wenn die Mitarbeiter auch in der Lage sind, auftretende Probleme tatsächlich selbst zu lösen. Und dazu beraucht es neben der Delegation von Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten auch die erforderlichen Qualifikationen. Ansonsten hängt der hehre Anspruch im luftleeren Raum.

Verzögerung verboten

Von enormer Wichtigkeit ist in diesem System die fixe Durchlaufzeit. Wenn die Produktionskette reißt, ist der Termin nicht zu halten. Die logische Konsequenz ist: Neben den meisten Maschinen (lieber kleinere, dafür schneller umrüstbar) steht eine zweite Maschine als Reserve. Wo dies aus Platz- oder technischen Gründen nicht machbar ist, müssen sich die Teams andere Lösungen einfallen lassen. So traf etwa das Team aus der Blechbearbeitung Vereinbarungen mit jenen Unternehmen im näheren Umkreis, die über dieselben Maschinen verfügen. Fällt nun eine Maschine aus, fahren die Blaha-Mitarbeiter mit Material, Sonderwerkzeug und Diskette zur anderen Firma, erledigen, wenn die dortigen Arbeiter fertig sind, ihre Tagesportion und sind so in der Lage, pünktlich ans nächste Team zu übergeben.

Durch die unterschiedlichen Tagesportionen kann es sein, dass ein Team an einem Tag sehr viel zu tun hat, das andere nicht. Durch die Flexibilität der Mitarbeiter ist es heute möglich, dass Mitarbeiter des einen Teams bei anderen Teams aushelfen können.

Wo ist der Haken?

Sobald die Tagesportion abgearbeitet ist, können die Mitarbeiter nach Hause gehen. Werden sie nun als Team immer effizienter und schaffen eine Tageskapazität von 150% statt in 9,5 Stunden in 8,5 Stunden, ist die derzeitige Form der Bezahlung für sie von Nachteil. Denn wenn sie früher nach Hause gehen, bekommen sie eine Minusstunde am Zeitkonto verbucht.

Daher laufen derzeit in der Firma gerade Gespräche, das Lohnsystem umzustellen und zwar in jene Richtung, die der Montagebereich sozusagen als Pilot schon seit zwei Jahren erfolgreich praktiziert. Die Grundidee ist, die Intelligenz der Mitarbeiter und ihr Mitdenken, das zu effizienterem Arbeiten führt, nicht zu bestrafen, sondern zu belohnen. In der Form, dass jedes Teil mit einer bestimmten Zeit hinterlegt wird.

"Man spricht beispielsweise mit den Leuten in der Holz- und Metallbearbeitung und fragt sie, wie lange braucht ihr für die Bearbeitung von 800 Platten? Es zeigt sich, das entspricht der Tagesportion eines Normalarbeitstages von 7,5 Stunden. Dann kann ich jede Platte mit einem bestimmten Minutenbedarf hinterlegen und sagen: Die heutige Portion sind X Platten, ergibt Y Minuten, ergibt einen Verdienst von Z. Wann ihr damit fertig seid, ist mir egal, dann könnt ihr nach Hause gehen. Im Idealfall bekommen die Mitarbeiter dann 100 Prozent der Zeit bezahlt und erledigen die Arbeit in 90 Prozent der Zeit. Das kann man eine gewisse Zeit ausprobieren und dann die Werte gegebenenfalls gemeinsam anpassen. Natürlich will das Unternehmen auch von einem Produktivitätsgewinn profitieren, aber es müssen beide gewinnen, sonst funktioniert es nicht. Entscheidend ist, dass man die richtigen Zeitwerte hineinbringt und das System einfach und übersichtlich hält. Die Krux bei vielen Konzepten ist ja, dass sie so viele Parameter verwenden, das es so kompliziert wird, dass sich keiner mehr auskennt und es nicht mehr handhabbar ist."

Klingt einleuchtend, stellt sich also die Frage, warum funktioniert es in einem Unternehmen, im anderen nicht? Friedrich Blaha: "Zum Teil setzen die Firmen einfach arbeiterfeindliche Maßnahmen. Man muss aber die Maßnahmen so treffen, dass die Mitarbeiter und das Unternehmen und die Kunden gewinnen. Es ist auch die Art und Weise, wie ich mit den Mitarbeitern rede, wie wir miteinander umgehen, wie das Klima ist. Vertrauen sie uns, oder haben wir sie schon einmal über den Tisch gezogen? Der Fehler vieler Manager ist, dass sie nicht darüber nachdenken, wie bringe ich die unproduktiven Dinge alle weg und das Werk ins Rennen, sondern sie denken ständig darüber nach, wie kann ich dem Arbeiter 1,5 Schilling vom Stundenlohn wegschneiden."

Bleibt als letzte Frage: Wie hoch ist nun die tatsächliche Liefertreue? "Wir übergeben 105% pünktlich. Im Sinn, hält die Produktion das ein, was der Verkauf verspricht. 100% weil die Produktion die Termine hält, 105% deswegen, weil manchmal der Kunde drei Tage vorher anruft und sagt, ich habe euch zwar auf den Tag festgelegt, aber der Teppichleger hat mich im Stich gelassen. D.h. es dreht sich um, manchmal können unsere Kunden den Termin nicht halten."

Autor: Peter Wagner, 10.2003

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Mag. Friedrich Blaha, Blaha Büromöbel