Wie glaubwürdig ist das Top-Management?

Dr. Rudolf Wimmer über die fatalen Auswirkungen einer einseitigen Shareholder-Value-Orientierung auf das Vertrauen ins Top-Management.

Was kritisieren Sie am Shareholder-Value-Konzept?

Der Grundkonflikt in Unternehmen ist: einerseits die Überlebensfähigkeit des Unternehmens und andererseits die Bedienung von Anspruchsgruppen - was hat Priorität? Es gibt die Renditeerwartung des Kapitalmarktes und andererseits die Frage, was ist mittelfristig in der derzeitigen realen Wirtschaft einspielbar. Aus der realwirtschaftlichen Sicht kann es sinnvoll sein, jetzt massiv zu investieren und nur 2% Rendite zu riskieren, weil dadurch Entwicklungsmöglichkeiten in bestimmten Märkten eröffnet werden, die man sonst nicht hätte.

Dieser Grundkonflikt zwischen den Renditeerwartungen der Investoren und dem, was ein Unternehmen aus seinen strategischen Überlegungen in Bezug auf die reale Wirtschaft, die Branche und das Umfeld an Notwendigkeiten erkennt - dieser Grundkonflikt wird beim Shareholder-Value-Konzept ins Unternehmen hineinverlagert und zwar in die Vertikale. Der Konflikt ist ja nicht weg. Nur hat sich in einigen Unternehmen das Top-Management aus der Austragung dieses Konfliktes verabschiedet. Es übernimmt die Renditeerwartungen, gibt sie an die Geschäftsbereiche weiter und nun müssen sich die überlegen, wie sie das einspielen sollen: Wie geht das, ist das überhaupt machbar? Damit verabschiedet sich die Spitze eines Unternehmens, die sich ganz dem Kapitalmarktziel verpflichtet fühlt, aus der Austragung des Konfliktes.

Der Konflikt wird nicht im Vorstand ausgetragen, sondern nach unten gereicht?

Das ist für mich der Knackpunkt: Meine Kritik fußt nicht darauf, dass es einen Kapitalmarkt gibt und dass es darum geht, Erträge zu erwirtschaften, die über den normalen Zins des Kapitaleinsatzes hinausgehen, usw.. Das ist nicht der Punkt. Sondern der Punkt ist, dass die Grundparadoxie in ihrer Austragung zwischen Spitze und nächsten Ebenen aufgespalten wird. Jetzt sind diejenigen, die sich ums Unternehmen und seine künftige Überlebensfähigkeit kümmern, nicht mehr die Top-Manager, sondern die Ebene darunter. Jetzt müssen die sich überlegen, ob das unter langfristigen strategischen Gesichtspunkten überhaupt machbar und sinnvoll ist. Das schafft für Führung in Unternehmen eine immense Glaubwürdigkeitskrise, weil diejenigen, die dann den Stress haben, die Ziele zu erreichen und die sehen, dass das für das Unternehmen nicht sinnvoll ist – z.B. sich von bestimmten Geschäftsfeldern zu trennen, nur damit die Umsatzrendite stimmt, die man dem Kapitalmarkt versprochen hat – den Eindruck bekommen, dass durch diese Politik dem Unternehmen geschadet wird. Aus kurzsichtigen Bilanzgesichtspunkten. Damit bekommen die Firmen schlicht ein unternehmerisches Motivationsproblem.

Wieso ein Motivationsproblem?

Diese Manager glauben denen oben nicht mehr und sagen: Der Vorstand sorgt nicht gut für unser Unternehmen, das müssen wir selber tun.. D.h. hier kommt eine Spaltung ins Management hinein, wo in den Strategiemeetings, den Budgetverhandlungen, den Zielvereinbarungen die nachgelagerten Ebenen dem letztlich zustimmen, sich aber in ihrem Alltag warm anziehen und alle Argumente sammeln, warum das doch nicht erreichbar war. Und häufig ist es auch nicht erreichbar. Dann kommen die schlechten Nachrichten irgendwann in Form von Gewinnwarnungen auf den Kapitalmarkt. Letztlich ist das nur eine zeitliche Verschiebung des Konfliktes. Dann werden vom Top-Management unter Umständen die Leute in den Bereichen ausgetauscht, weil die Zahlen nicht erreicht wurden und das Top-Management so signalisieren will, dass es handelt. Damit verschlechtert sich die Gesprächsfähigkeit über die Hierarchieebenen hinweg weiter. Man bekommt damit eine destruktive Konfliktdynamik hinein, die etwas zu tun hat mit der nicht mehr offenen Gesprächsfähigkeit. Hier wird oben etwas verlangt, was unten für nicht machbar und für nicht vernünftig erachtet wird, man hat aber nicht die Macht es zu korrigieren. Also wird man sich zuerst einmal arrangieren und verschiebt den Konflikt in die Zukunft. Vielleicht geschieht ein Wunder, dann geht es sich aus. Wenn es aber nicht passiert, dann kommt es halt Ende des Bilanzjahres hervor, und dann gibt es auch tausend Gründe, die man auflisten kann, warum es sich nicht ausgegangen ist. Dann wird es ein paar erwischen, die ausgewechselt werden.

Das sind alles Maßnahmen, die das offene Miteinander über die Hierarchiegrenzen hinweg verschlechtern. Sie bewirken eine Parzellierung, die Leute ziehen sich zurück, jeder versucht, sein Aufgabengebiet möglichst zu schützen, damit es einen nicht selbst erwischt. Es kommt zu einer Verlagerung des Überlebensinteresses in die dezentralen Bereiche hinein, damit zu einem Kampf  jeder gegen jeden. Denn wenn ich beeinflussen kann, dass die negativen Ergebnisse beim Nachbar anfallen und nicht bei mir, werde ich es natürlich tun. So etwas wie eine Sorge um das Gesamte gibt es dann nicht mehr, darauf schaut niemand mehr. Das ist längerfristig ein ganz fataler Mechanismus, weil das Gesamtsystem sozusagen managerial unterversorgt ist. Meine These ist, dass diejenigen Manager, die die Botschaft des Shareholder Value einseitig ernst nehmen, genau in diese Problematik hineingeraten.

Was passiert dann?

Wenn der Dialog mit den nachgelagerten Ebenen einmal tot ist, dauert es lange, das wieder zu sanieren. Das ist ein ganz mühsamer Prozess. Wenn durch dieses ständige Taktieren die Kooperations- und Vertrauensbeziehungen einmal zerstört sind, wenn der Virus einmal im Unternehmen steckt, ist der nicht mehr kurzfristig rauszukriegen.

Die Glaubwürdigkeit des Führungszusammenhangs über die Ebenen hinweg beweist sich ja immer in schwierigen Umgestaltungssituationen. Solange es gut läuft, ist es kein Problem, schlagend wird es, wenn man zusammenhelfen muss, um einen schmerzhaften Umbau vorzunehmen, wo Opfer gebracht werden müssen. Den Unterschied merke ich daran, ob die Entscheidungen miteinander akkordiert sind und dann auch miteinander in der Umsetzung getragen werden und ob das destruktive Potenzial, das in solchen Phasen immer auch hochkommt, beherrschbar gemacht wird – oder eben nicht. Ein externer Beobachter kann das vielleicht gar nicht unterscheiden, aber von innen her fühlt sich das ganz anders an.

Herr Prof. Wimmer, vielen Dank für das Gespräch.

08.2003

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Prof. Dr. Rudolf Wimmer,