Von der Geburtshilfe zur BabyVilla

Im Jahr 2001 stand die Geburtshilfe-Abteilung des Krankenhauses Klosterneuburg knapp vor dem Zusperren. Ein Jahr darauf war die Zahl der Geburten in diesem Krankenhaus aufgrund der erfolgreichen Neupositionierung um über 120 Prozent in die Höhe geschnellt.

179 Geburten in einem Jahr, auf einer Station mit 25 Betten, das ergab die klare Diagnose: akut lebensbedrohlich. Die Zahl markierte im Jahr 2001 einen historischen Tiefstand im Krankenhaus Klosterneuburg. Darin waren sich Primar Dr. Stopfer, ärztlicher Leiter des Krankenhauses und in Personalunion Vorstand der Geburtshilfe-Station sowie der Bürgermeister als Eigentümervertreter einig. Eine Notoperation war angesagt. Aber welche? Entfernen, Transplantieren oder alternative Behandlung?

Variante 1, die Abteilung zuzusperren, hätte nicht nur die Arbeitsplätze auf der Geburtshilfe-Abteilung gekostet, sondern auch die Existenz des gesamten 160-Betten Spitals gefährdet, verfügt es doch als zweitkleinstes Krankenhaus in Niederösterreich nur über insgesamt drei bettenführenden Abteilungen.

Variante 2, die damals diskutierte Option, das mittlerweile geschlossene, nahe gelegene Geburtshaus Nussdorf am Stadtrand von Wien nach Klosterneuburg zu holen, erwies sich als nicht realisierbar. Primar Stopfer: „Der springenden Punkt war: Nussdorf stand für ambulante Geburt, das aber heißt in unserem Finanzierungssystem, Sie haben den ganzen Aufwand eines Krankenhaussystems, bekommen für eine ambulante Geburt aber kaum etwas ersetzt. Das ging finanziell nicht zusammen.“ Blieb

Variante 3: Sich schnell etwas Besonderes einfallen zu lassen, um die Geburtshilfe in Klosterneuburg für werdende Mütter attraktiver zu machen und so die Zahl der Geburten wieder zu steigern. Aufgrund des vorgelegten Konzepts entschied sich der Gemeinderat einstimmig für Variante 3. Zu recht, wie sich erweisen sollte.

Was hebt uns heraus?

Mit ein paar kosmetischen Veränderungen wie Wassergeburten, Übernachtungsmöglichkeiten für die Väter oder offenen Besuchszeiten, das war schnell klar, würde man sich nicht wirklich von anderen Krankenhäusern abheben können. Wo waren also die Ansatzpunkte für eine wirksame Differenzierung?

Betrachtet man Kliniken, fallen zwei Dinge auf: Erstens: Das Krankenhaussystem ist starr, der „Kunde“ muss sich anpassen. Die Organisation gibt den Takt vor: Wecken, Mahlzeiten, medizinische Versorgung, Visite etc. Kundenorientierte Prozesse sind - so vorhanden - höchstens Flickwerk, die mit der Krankenhauslogik immer wieder in Konflikt geraten. Zweitens: Kunden nennt man hier Patienten. Nur – ein Kind zu bekommen ist keine Krankheit und solange alles glatt geht, braucht man dazu nicht einmal einen Arzt, sondern vor allem eine Hebamme.

Stichwort 1: familienorientiert

Die Überlegung, die werdende Familie in den Mittelpunkt des Handels zu stellen, klingt zwar nett, hat aber enorme Konsequenzen. Vor allem: völlig andere, nämlich kundenorientierte Denk- und Verhaltensweisen. Was aber wollen diese Kunden? Primarius Stopfer: „Ich habe früher immer gedacht, wir sind eh so gut, wir haben sehr gute Fachärzte, wir haben eine tolle Ausstattung, die Leute müssten doch in Scharen kommen. Dem war aber nicht so. In einer deutschen Studie wurden einmal 30.000 Mütter befragt, warum sie in ein bestimmtes Krankenhaus gegangen sind. Wissen Sie, was an erster Stelle stand? Der Parkplatz! Dann kam der Kaffee, dann die Ausstattung der Räume und irgendwann an zehnter Stelle stand: Weil ich gehört habe, dass dort gute Ärzte sind’. Eine Studie, die das Fessel-Institut in Österreich durchgeführt hat, hat ähnliche Ergebnisse geliefert. Es war also an der Zeit, vom hohen Ross herunterzusteigen und der akute Leidensdruck hat uns dabei sicher geholfen.“

Der leichtere Teil der Übung bei dem Vorhaben, die Familie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, war die Adaption der Räumlichkeiten: die Schaffung eines Familienappartements, der Bau eines Tepidariums, eines Wärme- und Entspannungsraums, der ein besonderes Geburtserlebnis unterstützt, die Umgestaltung der Kreissäle, eine harmonische Farb- und Formgestaltung, gemütlichere Sitzecken, wärmere Beleuchtung, Frühstücks- und Abendbuffet, „Vollpensionspreise“ für Väter, eine Außenstelle des Standesamtes zur Erledigung der Formalitäten etc. Alles Maßnahmen in Richtung Hotelerlebnis im Krankenhaus. In Summe eine Investition von 120.000,- Euro.

Viel schwieriger, meint der kaufmännische Direktor, Dr. Fritz, „war für die beteiligten Schwestern, Hebammen und Ärzte die Erkenntnis, dass mit solch einem Konzept neue Formen der Zusammenarbeit, neue Arbeitsprozesse und damit eine Neudefinition der eigenen Rolle erforderlich sind. Zum einen in Hinblick auf den Umgang mit den Bedürfnissen der unmittelbaren Kundinnen, der werdenden Mütter und Familienangehörigen. Zum anderen im Bezug auf  zwei weitere, für den Erfolg des neuen Konzepts ebenso entscheidende „Kundengruppen“: die niedergelassenen Hebammen und die niedergelassenen Ärzte.“

Stichwort 2: hebammenorientiert

Das Verhältnis zwischen den niedergelassenen Hebammen und den Krankenhäusern ist traditionell von Rivalitäten und Eifersüchteleien geprägt („die Hebammen sollen froh sein, dass sie hier entbinden dürfen“ versus „die im Krankenhaus sollen froh sein, dass sie eine Geburt bekommen“). Die Mitarbeiter in Klosterneuburg sprangen hier über ihren eigenen Schatten. So sicherte sich die kollegiale Leitung bereits bei der Entwicklung und Umsetzung des neuen Konzepts die Mitwirkung von Anne Marie Koch, einer erfahrenen Hebamme, die in Niederösterreich die „Mütterstudios“ aufgebaut hatte - eine von Hebammen geleitete Einrichtung, die Frauen eine Vielzahl von Angeboten vor, während und nach der Geburt offeriert.

Durch die Vernetzung von Frau Koch mit den selbständigen Hebammen und durch ihre genaue Kenntnis der (bisher meist unerfüllten) Erwartungen und Anforderungen dieser Zielgruppe an die Krankenhäuser entstand die zweite wichtige Säule dieses Konzepts mit dem Ziel, dieser Berufsgruppe „einen großen Bahnhof“ zu bereiten und die Arbeitsbedingungen in Klosterneuburg so attraktiv zu machen, dass sie in Zukunft mit ihren Kundinnen zur Geburt lieber hierher zu gehen würden als in ein anderes Krankenhaus. Ähnlich gelagerte Aktivitäten setzte Primar Dr. Stopfer im Kreis der Gynäkologen..

Stichwort 3: facharztbetreut

Eine Atmosphäre fast wie Zuhause, die Geburt hebammenbetreut und dazu im Hintergrund, für den Fall der Fälle einen Facharzt mit der gesamten medizinischen Infrastruktur rund um die Uhr. Das erwies sich nicht nur wichtig für die Schwangeren selbst, sondern auch als Sicherheit für die Hebammen und ebenso für die niedergelassenen Ärzte, die so die Gewissheit hatten, stets einen Kollegen vor Ort zu haben, der jederzeit bereit wäre einzuspringen.

Das Konzept basierte also auf drei Säulen:

     

  • familienorientiert
  • hebammenbetreut
  • facharztüberwacht

 

Das war aber nur die halbe Miete. Zu einer klaren Positionierung gehört ein geeigneter Name, das A und O einer guten Marke. Den lieferte ein PR-Fachmann, ein guter Bekannter der damaligen Pflegedirektorin, mit dem tollen Vorschlag „BabyVilla“.

Ansprechend, einprägsam und von allen im Haus mit Begeisterung aufgenommen. Damit konnte man sich identifizieren. Name und Logo wurden prominent an die Hausfront gepinselt, die regionale Presse griff den Namen auf und begann, über die im Krankenhaus vollzogenen Veränderungen zu berichten und als als glücklicher Zufall bei der Eröffnung eines Umbaus durch den Landeshauptmann Erwin Pröll vor versammelter Prominenz seine Frau, Sissi Pröll, die einige Monate zuvor als Kinderschwester nach Klosterneuburg gewechselt war, mit einem Neugeborenem im Fenster erschien, gab es überhaupt kein Halten mehr im Blätterwald.

Die Wirkung dieser Neuausrichtung übertrag in Geschwindigkeit und Ausmaß alle Erwartungen. Innerhalb eines Jahr stieg die Zahl der Geburten von 179 auf 404. Heuer gab es in den ersten vier Monaten bereits 200 Geburten, somit hochgerechnet rund 600 Geburten in diesem Jahr, womit die Kapazität auch schon fast ausgeschöpft ist. 2001 gab es in der Geburtshilfe noch ein Minus in Millionen(Schilling)höhe, vergangenes Jahr bereits ein ausgeglichenes Ergebnis und heuer – trotz höher Kosten aufgrund zusätzlichen Personals – wieder einen Überschuss. Die einzigen Leidtragenden sind die Krankenhäuser in der näheren und weiteren Umgebung. Jetzt sinkt dort die Zahl der Geburten, weshalb die Primarii schon fleißig nach Klosterneuburg pilgern.

Warum hat es geklappt?

     

  • Bereits durch den mit Hilfe der Beratungsfirma „Impuls & Wirkung“ vor ca. 4 Jahren begonnenen Qualitätssicherungsprozess kam es zur Bildung interdisziplinärer Teams, bestehend aus Ärzten, Schwestern, Hebammen und Mitarbeitern aus der Verwaltung. Die hier erprobten Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten trugen entscheidend zur Akzeptanz und Umsetzung  des neuen Konzepts bei.
  • Indem man durch die Kooperationsangebote nach außen einen markanten Unterschied zum traditionell angespannte Verhältnis von Krankenhausbelegschaft und niedergelassenen Hebammen und Ärzten setzte, gelang eine klare Abgrenzung gegenüber anderen Krankenhäusern. Durch die demonstrative Einbindung einer Leitfigur der „Gegenseite“ wie Frau Koch gab es gegenüber dieser Berufsgruppe ein klares Signal des Goodwill und somit einen Vertrauensvorschuss, der in der Folge auch tatsächlich eingelöst wurde.
  • Der geniale neue Name erweckte Neugierde und Aufmerksamkeit, bündelte den „Kundennutzen“, unterstützte die Kommunikation nach außen und erwies sich als toller, unbezahlbarer Aufhänger für unzählige PR-Stories.

Autor: Peter Wagner, 06.2003

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