"Wir beschlossen, etwas zu ändern"

Die neuerdings auch in Europa verbreitete „Fish-Philosophie“ enthält einige, sehr konkrete und leicht praktikable Ideen, um die eigene Arbeitssituation zu verbessern.

Mary Jane Ramirez ist Abteilungsleiterin in einem großen Versicherungsunternehmen in Seattle. Bei Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten beliebt und anerkannt – eine Führungskraft, wie sie im Buche steht – bekommt sie eines Tages das Angebot eine andere größere Abteilung mit 30 Mitarbeitern zu übernehmen, Beförderung und Gehaltserhöhung inklusive.

Karriereaussichten mit einem kleinen Haken

Sie zögert. Aus gutem Grund. Die neue Abteilung hat im ganzen Unternehmen einen katastrophalen Ruf. Dort scheint Hopfen und Malzen verloren. Sie wäre die dritte Abteilungsleiterin in zwei Jahren. Nicht gerade verheißungsvoll. Dennoch, sie übernimmt den Job und handelt sich damit zu Anfangs jede Menge Ärger ein. Das Klima in der Abteilung ist unerträglich, die Mitarbeiter sind gelangweilt, frustriert, klagen und jammern über alles und jeden und haben größtenteils innerlich längst gekündigt. Die Abteilung wirkt wie ein geschlossenes System, aus dem sämtliche Energie abgepumpt worden ist. Ihr firmeninterner Spitzname ist "Giftmülldeponie". Der Druck des Vorgesetzten auf Ramirez, "endlich was zu unternehmen" steigt von Tag zu Tag und wird begleitet von so aufmunternden Aussagen wie: "Wenn Sie sich der Situation nicht gewachsen fühlen, muss ich das wissen".

Als Mary Jane eines Tages die Mittagspause zu einem Spaziergang nutzt, um sich über erste Maßnahmen klar zu werden, kommt sie zufällig beim Pike Place Fishmarket vorbei. Bei einem der Geschäfte gibt es einen Menschenauflauf, sie hört laute Rufe und Gelächter, wird neugierig, geht hin und wird Zeugin einer ungewöhnlichen Art, Fische zu verkaufen. Sie kommt mit den Verkäufern ins Gespräch, schildert ihre Situation und erfährt nun Schritt für Schritt, wie es die Mitarbeiter dieses Geschäfts geschafft haben, ihre an sich eintönige, von den Rahmenbedingungen nicht gerade sehr angenehme Arbeit in einen Arbeitsplatz mit hoher Energie zu verwandeln.

Anhand dieses Vorbilds beginnt sie, die eigene Abteilung umzukrempeln, was natürlich von Erfolg gekrönt ist. Wie könnte es auch anders sein, schließlich ist diese Geschichte Inhalt des Business Bestsellers „Fish“, der seit vergangenem Jahr auch in Europa zunehmend Verbreitung findet und als erfolgsversprechender Ansatz, „müde Mitarbeiter wieder munter zu machen“ gehandelt wird.

Einfach, aber nicht simpel

Die im Buch propagierten vier Prinzipien – wähle deine Einstellung, spiele, sei präsent, mach anderen eine Freude – erscheinen nicht gerade rasend neu, warum also ist die Fish-Philosophie so ein Erfolg? Die Gründe sind wohl vielfältiger Natur: Ein Erfolgsfaktor sind zweifellos das hervorragende Marketing der Autoren. Am Beginn stand ein 17-minütiges Video über den Pike Place Fishmarket, auf dem sichtbar gut gelaunte Verkäufer sich gegenseitig Fische zuwerfen, dabei Spaß haben und eine lockere, ungezwungene Atmosphäre schaffen, ihre Kunden dabei ins Geschehen mit einbinden und so quasi nebenbei ihre Arbeitsabläufe effizienter gestalten und jede Menge Fisch verkaufen.

Natürlich kommen die Mitarbeiter in dem Video immer wieder ausführlich zu Wort, erklären Entstehungsgeschichte und Hintergrund ihrer Arbeitsweise und vermitteln dem Zuschauer so implizit „wenn wir eine Arbeit wie Fische verkaufen so gestalten können, dass sie Spaß macht und lohnend ist, dann können Sie das in ihrem Job auch!“ Dass so eine Botschaft, wenn sie wie in diesem Fall glaubwürdig rüberkommt, auf fruchtbaren Boden fällt und die eigene Sehnsüchte der Zuschauer anspricht, ist verständlich. Auf das Video folgte dann das Buch „Fish“, das die Arbeitshaltung und Arbeitsweise dieser Firma in Prinzipien bündelte und in eine fiktive Geschichte verpackte, gefolgt von zwei weiteren Videos und dem Buch „Noch mehr Fish“ mit Beispielen aus Firmen, die die Fish-Prinzipien in der Zwischenzeit bereits erfolgreich anwenden.

Entscheiden ist Macht

Ein weiterer Grund für den Erfolg liegt wohl auch in den Prinzipien, die - in lockerem Ton hinübergebracht – bei genauerer Betrachtung sehr grundlegende Fragen ansprechen. Allen voran das Thema Macht und Ohnmacht, das Pendant zu Selbstverantwortung versus Verantwortungsdelegation. Am besten auf den Punkt gebracht in dem Buchtitel von Reinhard Sprenger „Die Entscheidung liegt bei Dir“. Die Grundaussage, stark verkürzt: Du hast – auch wenn der Gedanke unangenehm sein mag - immer die Wahl. Du hast diese Arbeit gewählt, du kannst sie auch wieder abwählen. Wenn du das aus bestimmten guten Gründen nicht tust, ist das in Ordnung und zu respektieren. Aber es ist und bleibt deine eigene Entscheidung. Selbst dann kannst du immer noch entscheiden, mit welcher Haltung du z.B. an die selbst gewählte Arbeit herangehst. Damit bestimmst du auch selbst mit, in welchem Arbeitsklima du arbeitest.

Gestalter oder Opfer?

In jedem Job gibt es Faktoren, die man als Einzelner nicht direkt beeinflussen kann oder aus bestimmten Gründen nicht will. Umso größer die Gefahr, alles und jedes für das eigene Befinden und Verhalten verantwortlich zu machen und damit direkt in eine passive Opferhaltung zu gleiten, begleitet von Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit. In dem Augenblick aber, in dem einem (wieder einmal) klar wird, dass die eigene Einstellung und das eigene Verhalten selbst gewählt sind, verändert sich auch das eigene Befinden. Wählen können aber geht einher mit einem Gefühl der persönlichen Macht ("ich kann ja doch etwas tun") und das wiederum katapultiert einen in Sekundenschnelle aus der bisherigen Opferhaltung heraus. Man kann sich nicht gleichzeitig als Mit-Gestalter des Geschehens und als ohnmächtig erleben.

"Wollen wir so weitermachen? Oder wollen wir in einer Umgebung arbeiten, die Spaß und Energie vermittelt und in der wir etwas bewegen können? Und wer von uns kann was dazu beitragen?" sind z.B. Fragen, die sich ein Arbeitsteam selbst stellen und selbst beantworten kann. Dazu braucht man keinen den Sanktus von oben. Keinen unternehmensweiten, vom Vorstand getragenen Veränderungsprozess. Dazu braucht es "nur" die eigene Entscheidung und das Bewusstsein für die eigenen vielfältigen Möglichkeiten. Und sei es nur, in der Früh die Kollegen freundlich zu grüßen, sie wertschätzend statt abfällig zu behandeln und ihnen zu helfen, statt ihnen das Leben schwer zu machen. Das würde mancherorts schon viel ändern.

Lächeln steckt an

Was allerorten als Kundenorientierung abgefeiert wird, bekommt auf dem Pike Place Fishmarket einen sehr pragmatischen und umso wirkungsvolleren Zug. So meint einer der Fischhändler im Buch: "Wir suchen immer nach Möglichkeiten, bei den Leuten angenehme Erinnerungen zu hinterlassen. Wir beziehen unsere Kunden mit ein, um gemeinsam Spaß zu haben. Alles mit Respekt, versteht sich." Die Kunden machen gerne mit und so entstehen Erinnerungen, die noch lange Zeit Gesprächsstoff und Grund zum Schmunzeln geben werden. Indem die Verkäufer die Kunden mit einbeziehen, wenden sie ihre Aufmerksamkeit den Kunden zu. Sie sind präsent, d.h. ihre Kunden fühlen sich wahrgenommen, geachtet und wertgeschätzt, selbst wenn der Kontakt nur 15 Sekunden dauern mag. Das Bemühen, jemandem einen guten Tag zu bereiten, sorgt über dessen Lächeln dafür, dass man sich selbst gut fühlt.

"Motivieren" mit Fish?

Fish! in seiner Ursprungsform könnte man bezeichnen als einen Ansatz, bei dem Mitarbeiter den Entschluss fassen, sich selbst beim Schopf zu nehmen und aktiv an die Umgestaltung ihrer Arbeitssituation zu machen. Dazu braucht es keine Trainings, nicht einmal unbedingt die Unterstützung des Vorgesetzen, auch wenn dies selbstverständlich hilfreich und notwendig ist. Vor allem, wenn es darum geht, hinderliche Rahmenbedingungen zu verändern. Der Ansatz schöpft seine Energie wesentlich aber gerade daraus, dass Menschen für sich selbst den Entschluss fassen, etwas an ihrer Situation zu ändern, dass sie, wie Sprenger sagt, "in die Verantwortung gehen". Je populärer der Fish-Ansatz wird, desto zahlreicher werden jetzt aber auch die Angebote für Fish-Seminare. Die Gefahr dabei ist, dass dieser Ansatz zu einem weiteren der unzähligen Motivationstrainings verkommt, mit denen Mitarbeiter beglückt, sprich "mal wieder so richtig motiviert werden sollen" Wenn´s sein soll, dann eben mittels Fish. Geht der Impuls von den Mitarbeitern aus und suchen diese nach Unterstützung, kann solch eine interne oder externe Begleitung durchaus von Nutzen sein.

Auch Logistik-Mitarbeiter wollen Spaß haben

Beim Logistik-Konzern "Gebrüder Weiss" lernte die Personalentwicklerin Monika Mandl Fish! bei einem Seminar kennen, begeisterte sich dafür, erarbeite daraufhin ein Konzept, wie das eigene Unternehmen Fish! für sich nutzen könnte und stellte diese Ideen samt Fish-Video den Führungskräften vor. Die zeigten sich davon ebenso angetan und dann – passierte erst einmal nichts. Bis nach einigen Monaten ein Bereichsleiter den Wunsch äußerte, diese Ideen in seinem Bereich auszuprobieren.

Vorgangsweise und Zeitplan wurde mit dem Bereichleiter und den Abteilungsleitern besprochen, dann erging an die Mitarbeiter der drei Abteilungen eine Einladung zu einer halbtägigen Veranstaltung, auf der Monika Mandl dann – so wie zuvor den Führungskräften - den Mitarbeitern die Grundzüge des Konzepts samt Video präsentierte und das eben Gesehene anhand einiger Leitfragen von ihnen diskutieren ließ. "Was interessanterweise nicht stimmt", so Mandl, "ist, dass die Leute, um von Fish! zu profitieren, besonders unzufrieden sein müssen. Gerade die Abteilung, die ein sehr gutes Arbeitsklima hatte, war sofort Feuer und Flamme."

Der erste Halbtag schloss damit, dass die Gruppe sich in vier Untergruppen teilte. Jede bekam eines der vier Fish-Prinzipien zugeteilt, mit der Aufgabe, bis zum nächsten Termin zu überlegen, welche Möglichkeiten es im eigenen Bereich gäbe, dieses Prinzip verstärkt anzuwenden.

Beim zweiten Kurzworkshop, so Frau Mandl, ging es vor allem um die Präsentation und Diskussion der erarbeiteten und gesammelten Vorschläge und um die Entscheidung, welche davon der Gruppe am wichtigsten erschienen und daher gemeinsam umgesetzt werden sollten. Drei Wochen später kam es schließlich zum letzten Treffen, bei dem die bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung ausgetauscht wurden und das Thema Motivation und Eigenverantwortung nach einem kurzen Input leidenschaftlich diskutiert wurde. "Erst bei diesem letzten Workshop kommen, wenn gewünscht die jeweiligen Führungskräfte dazu, speziell wenn das Team der Meinung ist, es gäbe Dinge, zu deren Veränderung die Unterstützung bzw. Entscheidung des Vorgesetzten benötigt wird."

Gemeinsame Freude verbindet

Was waren nun die Effekte? Monika Mandl: "Für das ganze Unternehmen kann ich es noch nicht beurteilen, dazu machen wir es noch zu kurz. Was es innerhalb des Bereichs schon bewirkt hat, ist, dass die Leute wieder mehr miteinander reden, vor allem abteilungsübergreifend, dass sie mehr aufeinander zugehen und sich gegenseitig mehr respektieren. Womit man sich in unserer Kultur sicher am schwersten tut, ist das Thema Spielen. Arbeit und Spiel geht schwer zusammen. Wenn dann Ideen dazu kommen, ist es oft wieder getrennt, hier die Arbeit dort das Vergnügen, z.B. Ideen wie eine Dartscheibe, ein Billardtisch. Ich frage daher lieber: Was könnt ihr tun, damit ihr bei der Arbeit mehr Freude, mehr Spaß habt? Damit können die Mitarbeiter mehr anfangen."

Ebenso wie Manager. Nachdem immer mehr Mitarbeiter des Konzerns durch Mund-Zu-Mund-Propaganda von der "witzigen und ungewöhnlichen" Veranstaltung erfahren und neugierig werden, steht nun ein Workshop mit Führungskräften in Ungarn auf dem Programm. Eine gute Sache, schließlich kann ein wenig mehr Lockerheit im Management sicher nicht schaden.

Autor: Peter Wagner, 04.2003

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