"Es gibt so viele Leute mit Begabung"

Wolfgang Niessner, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Logistikkonzerns Gebrüder Weiss über Unternehmerpersönlichkeiten, die eigenen Karriereschritte und seine Führungserfahrungen in kleinen und großen Familienunternehmen und Konzernstrukturen.

Herr Niessner, was war Ihre erste Führungsposition?

Das war quasi eine Co-Führung bei der damaligen Walter Air Service, einer Tochtergesellschaft der LKW-Walter Organisation, in der ich ja beruflich aufgewachsen bin. Der Inhaber ermöglichte damals  seinem Sohn, eine Luft- und Seefrachttochter am Flughafen Wien aufzubauen und stellte ihm dazu erprobte Leute aus der LKW-Walter-Organisation bei. Ich war glücklicherweise bei dieser Aufbauarbeit dabei und hatte insofern Führungsverantwortung, weil diese heterogene Gruppe von LKW-Walter Mitarbeitern ja sozusagen auf dieses neue Geschäftsfeld ausgerichtet werden musste.

War haben Sie davor gemacht?

Die erste Firma, bei der ich nach der Matura gearbeitet habe, war Wienerberger, aber die hatte mit dem heutigen Wienerberger-Konzern nichts gemein. Ich war dort im Direktionssekretariat und das wurde mir nach 2 Jahren zu langweilig. Ich hatte eine HAK-Matura, und habe in den zwei Jahren parallel die Latein-Matura nachgeholt, weil ich geglaubt habe, nebenbei Jus studieren zu können. Das hat zwar nicht funktioniert, aber ich hatte zumindest die Latein-Matura gemacht.

Dann habe ich ein Inserat in der Zeitung gelesen „Die Welt steht Ihnen offen“, das war der Einstieg bei LKW-Walter. Dort habe ich die traditionelle Laufbahn absolviert, bin als Trainee eingestiegen, habe Training on the Job gemacht, vordergründig irgendwelche Hilfsarbeiten, denn man hat ja zuerst vom Geschäft keine Ahnung. Nach einiger Zeit habe ich dann – wie man sagt - einen Verkehr übernommen. Zuerst die Schweiz, dann den Benelux, die Disposition und die Ergebnisverantwortung, wobei man dazu sagen muss, LKW Walter hatte damals ein klares Prinzip bei der Einstellung: keine Wiener! Was für eine Firma, die mitten in Wien ansässig ist, recht kurios war. Wie ich eingestiegen bin, hatte die Firma ungefähr 200 Mitarbeiter und genau zwei Wiener, einer davon war ich. Der Eigentümer selbst ist Oberösterreicher und hat die Wiener Mentalität grundsätzlich nicht sehr geschätzt. Daher hat er die Leute aus dem ländlichen Raum rekrutiert, weil er der Auffassung war, dass die gelernt haben zu arbeiten.
Die Arbeit hat sich schön entwickelt, es kamen dann die ersten Karrieresprünge, Handlungsvollmacht und Prokura und ich bin dann relativ stark in den Verkauf gegangen.

Was war dann die erste Position als Führungskraft?

Das war dieser Einstieg bei Air Service.

Bei LKW-Walter selbst war es eine Fachaufgabe?

Da muss man dann differenzieren, was man unter Führung versteht. Ich hatte auch damals in gewisser Weise Führungsverantwortung, weil ich einer der Ausbildner war. Ich hatte die Aufgabe, junge Menschen an diesen Job heranzuführen, aber es war keine Führung im Sinn von: eine größere Organisationseinheit eigenständig zu neuen Horizonten zu führen. Insofern war es eine sehr eingeschränkte Führungstätigkeit.
Bei Walter Air Service war es anders, denn dieses Unternehmen musste sich zuerst einmal etablieren, profilieren, positionieren, musste gegen die Gott sei dank sehr überhebliche Konkurrenz der eingesessene Luftfahrtsspediteure reüssieren und das war eine spannende Geschichte

Wie lange waren Sie schon bei Walter, als sie gewechselt sind?

Bei LKW Walter eingetreten bin ich 1977, ausgetreten 1989. Ich glaube, bei Air Service war ich die letzten fünf Jahre.

Wenn man sagt, Führung von Organisationseinheiten einerseits, Führung im Sinn von Personalführung andererseits, macht diese Trennung für Sie Sinn?

Nein, ich denke, dass es ein Ziel für das Unternehmen geben muss und daran orientiert man die Führung der Mitarbeiter. Wenn ich in einem Dienstleistungsunternehmen das Ziel habe, mich in einem Markt stärker zu positionieren, dann wirkt sich das notwendigerweise auf das Verhalten der Mitarbeiter aus. Daher muss es sich auch notwendigerweise auf die Führungsarbeit auswirken. Wenn ich aggressiv Marktanteile gewinnen möchte, dann muss eine gewisse Grundhaltung in der Mannschaft vorhanden sein. D.h. vom unternehmerischen Ziel abgeleitet sollte das Führungsverhalten angepasst sein.

Nun gibt es Teamleiter, die andere Personen führen müssen. Das ist doch eine andere Aufgabe als eine reine Fachaufgabe.

Wenn Sie es so interpretieren, dann war diese Ausbildnertätigkeit in gewisser Weise auch schon Führung und das war relativ bald. Wenn ich 1977 eingetreten bin, hat das vermutlich 1980, 1981 begonnen. Eine operative Tätigkeit und parallel dazu eine Entwicklungstätigkeit. Ich habe das als unglaubliche Bereicherung empfunden, weil es eine anspruchsvolle Ergänzung zur operativen Tätigkeit war, es hat mir Spaß gemacht.

Was genau haben Sie mit diesen Leuten gemacht?

Ich habe versucht, sie so rasch wie möglich ins operative Geschäft einzubinden und davor gewisse Situationen mit ihnen zu simulieren und ihnen den Walter Spirit weiterzugeben, der ein sehr besonderer und prägender ist.

Inwiefern?

Dieses Unternehmen zeichnet eine ganz besondere Kultur aus. Die zu beschreiben ist verhältnismäßig schwierig. Sie ist sehr stark geprägt vom Eigentümer, der bei der Personalauswahl sehr vorsichtig ist und sich das lange Zeit selbst vorbehalten hat. Er ist immer noch im Geschäft. Dkfm. Krauter, mittlerweile über 80, aber immer noch die Seele des Geschäfts, eine ganz große Persönlichkeit.

Die Walter Kultur ist sehr stark ergebnisorientiert. Da kommen konstruktiv- aggressive Menschen besonders gut zur Geltung. Der Erfolg der unmittelbaren Organisationseinheit steht stark im Vordergrund und wenn alle Profit Center intensiv an ihrem Erfolg arbeiten, dann ist die logische Konsequenz, dass das gesamte Unternehmen einen großen Erfolg hat. Außerdem ist das Unternehmen sehr fokussiert und strategisch sehr klar aufgestellt. Es ist kompromisslos markt- und ergebnisorientiert. Was übrigens schwer zu kopieren ist, Walter-Leute in einem anderen Umfeld einzupflanzen ist daher oft gescheitert.

Warum?

Sie sind eine gewisse Kultur gewohnt, die sie in anderen Unternehmen nur selten finden. Ich wiederhole mich, das Unternehmen ist sehr stark geschäftsorientiert, es gibt wenig Administration und die moneymakers werden von administrativen Belastungen wirklich verschont. Sie haben nur die Aufgabe, so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich zu verdienen. LKW-Walter ist ja im herkömmlichen Sinn keine Spedition. Ich sage immer LKW-Walter ist ein Handelsbetrieb und er handelt halt zufällig mit Frachten. Es ist ein Volladungsgeschäft, wo es darum geht, möglichst günstig den Frachtraum einzukaufen und möglichst teuer an den Kunden weiterzuverkaufen. Allein an dieser Aussage würde ein Insider erkennen, dass das ein qualitativ großer Unterschied ist zur traditionellen Spedition. Denn die traditionelle Spedition, zumindest früher, hat sich wenig mit Verkauf und Marketing beschäftigt, und mit dem Einkauf des Frachtraums hat man sich fast gar nicht beschäftigt. Frächtermarketing und diese Dinge sind in konventionellen Firmen bis heute nicht wirklich ausgeprägt.

Natürlich gab es immer Segmente in der Spedition, wo der Einkauf sehr wichtig war, Seefracht, Luftfracht, Eisenbahn, aber das ist irgendwie anders. Da ist der Carriermarkt sehr eingeschränkt, es gibt nur eine gewisse Anzahl von Fluglinien und die kennt man. Bei Reedereien gilt das gleiche, und bei der Eisenbahn gibt primär die ÖBB. LWK Walter hat verstanden, dass eine Kunst, um in dem Geschäft Geld zu verdienen, darin besteht, dass man im Einkauf möglichst gute Konditionen erzielt.

Dann hat der Sohn das neue Projekt in Angriff genommen und Sie sind mitgegangen?

Herr Dkfm. Krauter hat gemeint, dass er Walter-infizierte Menschen hin bringen muss, um das Geschäft nach Walter-Logik aufzubauen. Und das war dann auch sehr rasch sehr erfolgreich. Aus der damaligen Firma Walter Air und Sea Services sind die heutigen Cargo-Partners in Fischamend entstanden und der Sohn ist nach wie vor Eigentümer und Geschäftsführer. Nur unsere Wege trennten sich 1989, nicht zuletzt aus persönlichen Gründen.

In dieser neuen Funktion bei Air Services, was genau haben Sie da gemacht und was hatte das mit Führung zu tun?

Einerseits galt es, den Walter Spirit auf die mitgekommenen Mitarbeiter und die neu eingestellten Trainees zu übertragen.

Was war die genaue Funktion?

Funktionen bei Walter zu beschreiben ist relativ schwierig, aber ich war verantwortlich für die Entwicklung Nordatlantik, für die Partner in den USA, quasi Routemanager Nordatlantik. Ich habe Kontakte zu den Carriern aufgebaut und war - ein großes Wort - ein bisschen die graue Eminenz. Am Anfang waren es vielleicht 10 Mitarbeiter, wie ich gegangen bin, waren es vielleicht 30-40.

Was heißt in diesem Zusammenhang Führung? Welche Relevanz hat das Thema?

Damals bedeutete Führung für mich, zu einer Corporate Identity beizutragen, eine Richtung mitzubestimmen, die nach meiner Beurteilung erfolgsversprechend war und die dazu notwendige Basis zu schaffen. Führung heißt ja, das langfristige und nachhaltige Überleben des Unternehmens zu sichern. Und wenn man das so versteht, dann war die Führungsaufgabe damals, genau die Grundlagen zu schaffen, um dieses langfristige und nachhaltige Überleben zu gewährleisten. Das hat viele Dimensionen, da sind wir wieder bei den Kernfaktoren Personal, Kunden, Carrier.

Wie macht man das konkret? Geht es da um den Transport bestimmter Werte, Regeln..

Walter hat keine geschriebenen Regeln gehabt, sondern gelebte Regeln. Und ich glaube unverändert ganz fest daran, dass es viel wichtiger ist, Regeln vorzuleben als sie irgendwo zu dokumentieren. Ich habe das in anderen Unternehmen erlebt, wo es Corporate Guidelines und Fibeln gab. Ich glaube fest daran, dass es wichtig ist, den Mitarbeitern die Werte vorzuleben und ihnen ein Beispiel zu geben.

Wenn ich damals zu dem Unternehmen gekommen wäre, woran hätte ich das beispielsweise gemerkt?

Sie hätten in einem Gespräch mit mir gemerkt, dass es ein Commitment gibt. Wenn Sie als Kunde oder Partner gekommen wären, dann hätten Sie festgestellt, dass ich Ihnen gut zugehört hätte, dass ich ernsthaft versucht hätte, ihre Bedürfnisse zu erkennen, für Sie irgendeinen Nutzen zu stiften und dann hätten Sie wahrscheinlich gemerkt, dass wir das liefern, was wir versprechen. Nicht nur nett essen gehen, freundlich betreuen und lieb sein, sondern bedingungslos die Zusagen einhalten. Das hat das Unternehmen damals deutlich von den anderen am Flughafen unterschieden. Wir waren hungrig und das hat man gespürt. Es gab den Willen zum Erfolg, wir waren nicht saturiert, wir wollten aufsteigen, vorne mit dabei sein, gewinnen.

Wenn man merkt, es geht nicht in die Richtung, in die man will oder das ganze zerfleddert, was macht man dann?

Dann leidet man, zieht sich zurück und überlegt, ob der Weg der Richtige ist, ob die Leute, die man versucht hat, mitzunehmen die Richtigen sind, und ändert möglicherweise die Richtung. Aber das war bei Walter nicht notwendig, die Leute waren die Richtigen, der Weg war bei LKW Walter als erfolgreich bewiesen und der Erfolg hat sich dann auch eingestellt. Wir waren in gewisser Weise indoktriniert, haben die Doktrin mitgenommen und sie hat sich auch in der neuen Firma als richtig herausgestellt. Es war keine Kurskorrektur notwendig. Es war die konsequente Fortführung eines mir bekannten Weges in einen neuem Umfeld, aber die herrschenden Gesetze waren die gleichen. Es war halt ein anderer Verkehrsträger mit seinen spezifischen Anforderungen. Daher ließ sich das adaptieren.

1989 sind Sie dann weggegangen..

Sagen wir so, es gab unterschiedliche Auffassungen, aber ich bin mit dem Vater und einigen bedeutenden LKW-Walter-Menschen nach wie vor in sehr guter Beziehung. Es gab halt Umstände, die für mich persönlich dann nicht mehr sehr attraktiv waren. Wir haben dann ernsthaft nach Alternativen gesucht, hat aber nicht funktioniert.

Waren das eher strategische Fragen oder ging es um die Chemie?

Das war eher eine chemische Sache. Ich bin dann zu Gebrüder Weiss gewechselt. Das war eine ganz andere Kultur, Gebrüder Weiss war damals am Flughafen die Nummer eins, Air Service war mittlerweile die Nummer zwei. Alles andere wäre für mich daher ein Abstieg gewesen. Ich hatte die Möglichkeit, zur Nummer eins zu gehen und habe sie genützt, wobei der Bereich am Flughafen trotz Nummer Eins in keiner sehr guten Verfassung war.
Ich war der Leiter der Niederlassung Flughafen Wien. Durch den Standort war ich relativ wenig in das Gesamtgefüge eingebunden, der Flughafen war damals eher ein Satellit, wodurch ich die Gebrüder Weiss-Kultur wenig mit bekommen habe. Es gab außerdem eine starke Trennung zwischen Land und Luft. Wir haben dadurch quasi auf unserem eigenen Planeten gelebt, was für mich ok war, weil ich mich dadurch relativ unbehindert sehr gut entfalten konnte.

Es gab in meiner gesamten Laufbahn nie einen wirklichen Konflikt nach meinem Wechsel. Ich habe beispielsweise nie versucht, irgendwelche Kunden oder Partner mitzunehmen.  Dass es das eine oder andere Mal passiert ist, weil es die eine oder andere persönliche Beziehung gegeben hat, ist klar. Aber ich habe zum Beispiel auch nie versucht, mich an irgendwem zu rächen oder sonst irgendwelche derartige Schwachsinnigkeiten. Ich habe mich einfach auf die neue Aufgabe konzentriert. Das waren damals am Flughafen ca. 70-80 Leute.

Sie kamen mit dem Auftrag, die Niederlassung wieder in Schwung zu kriegen, Wie macht man das?

Eine gute Frage. 1989 war ich 35 Jahre. Beim nächsten Schritt, als ich Danzas Generaldirektor wurde, war ich 37 Jahre, das war dann eher ungewöhnlich. Bei Weiss war es so, dass ich zuerst einmal mit den Mitarbeitern gesprochen und versucht habe herauszufinden, wo die Probleme liegen und auf wen ich mich in weiterer Folge stützen kann. Da habe ich tolle Erfahrungen gemacht. Dann habe ich versucht, ein bisschen die Mentalität zu ändern und Akzente zu setzen, die meiner Meinung nach erfolgversprechend waren und die waren dann auch erfolgreich.

Wie setzt man solche Akzente? Indem Sie Sachen besonders hervorheben, auf bestimmte Dinge besonders schauen, sozusagen die Aufmerksamkeit steuern...?

Ja, das ist es. Ich habe durch meine Walter-Prägung ja bestimmte Werte mitgenommen und die legen Sie nicht einfach ab wie einen Mantel. Ergebnisorientierung und Kampfgeist, das merken die Mitarbeiter, wenn ich an vorderster Front mitkämpfe und wenn ich versuche, die Mitarbeiter zu begeistern und mitzunehmen. Es ist immer wieder verblüffend festzustellen, wie viel Potenzial in Unternehmen brach liegt. Es geht gar nicht immer nur darum, Leute von anderen Unternehmen dazuzuholen, es gibt so viele Leute mit Begabungen, die sie halt aus irgend welchen Gründen nicht entwickeln können, meist – meiner Meinung nach – aufgrund falschen Führungsverhaltens. Das zu erkennen und an dieser Schraube zu drehen, ist in der Dienstleistungsbranche die halbe Miete.

Was heißt hier falsches Führungsverhalten?

Das hat mit scheinbar so banalen Dingen zu tun wie Respekt, mit Verantwortung übertragen, Vertrauen geben, die „eh klar´s“ Jeder weiß es, überall steht es, aber es ist so schwierig, es dann zu leben.

Woran liegt das dann, kommt man dann wieder zurück auf die Persönlichkeit der Führungskraft?

Sie müssen es vor allem authentisch und glaubhaft machen. Wenn Sie es nur aufgesetzt machen, wird das schnell entdeckt und dann leidet Ihre Glaubwürdigkeit extrem. Wenn Sie davon überzeugt sind, wenn das Werte sind, die Sie irgendwo einmal mitgenommen haben, ob in der Erziehung oder wo auch immer, dann wird das wahrscheinlich rüber kommen und wenn der Glaube der Mitarbeiter einmal vorhanden ist, dann ist das eine tolle Basis, um weiter zu machen.

Die eine Ebene ist die Arbeit mit den Personen, das andere die Organisation?

Das ist Handwerk, Defizite in der Organisation zu erkennen, ist keine Kunst. Die richtigen Schlüsse zu ziehen und dann die richtigen Leute hinzusetzen, das ist schon ein bisschen schwieriger. Aber das hängt auch vom Geschäftstypus ab. Wenn man den einmal verstanden hat, findet man, glaube ich, auch relativ leicht organisatorische Konzepte, um da gegenzusteuern. Aber ich betone, diese Aussagen sind sicher branchenspezifisch, das mag für einen Industriemanager komisch klingen, weil dort die Prozesse ganz anders laufen.

Ich sage nicht, dass nicht bei uns auch Innovation notwendig ist, aber wenn wir rein von der Ablauforganisation reden, dann ist das nach meiner Beurteilung keine wirkliche Wissenschaft. Customer Care Center, das ist Handwerk, Man kann daran glauben oder nicht, wenn man daran glaubt, wird man es einrichten. Die Kunst ist eben, in dieses Customer Care Center jemanden zu setzen, der das mit Begeisterung macht.

Gab es da eine Vorlage mit LKW Walter, wo Sie gesehen haben, wie Prozesse effizient ablaufen und wenn man dann vergleicht, sieht man schnell, woran es krankt?

Wenn man in einer Branche eine gewisse Zeit lang gearbeitet hat, entwickelt man ein Gefühl für das Sinnvolle, Machbare, Notwendige. Dieses Prozesse verändern sich natürlich im Lauf der Jahrzehnte, der heutige Prozess ist mit den damaligen nur mehr schwer vergleichbar, dennoch – bei diesem Wechsel von Walter zu Weiss musste ich rein organisatorisch nichts Neues erfinden.
Der wirtschaftliche Erfolg hat sich dann eingestellt und es gibt viele gute Erinnerungen an diese Zeit. Jetzt werden Sie mich sicher gleich fragen, warum ich dann weggegangen bin. Es waren leider wieder persönliche Gründe und da reagiere ich manchmal empfindlich. Nicht mit den Eigentümern, sonst hätten mich die wohl nicht 1999 zurückgeholt, sondern es gab damals einen Mann, knapp vor der Pensionierung, da gab es König-Kronprinzen-Syndrom.

Jetzt kann man sagen, der Niessner ist eitel, leicht gekränkt, das mag alles stimmen, aber um mich entfalten zu können, brauche ich ein bestimmtes Umfeld. Das ist so und wenn ich das nicht finde, .....Wobei ich noch anmerken möchte, mit dem Herrn bin ich menschlich längst wieder versöhnt, aber in dieser Situation war es nicht gut. Das Problem war, dass man versucht hat, und zwar sehr ungeschickt, die Fortschritte und Leistungen am Flughafen zu relativieren. Das hat weh getan. Der Zufall wollte es, dass mich damals ein Headhunter angesprochen hat, noch dazu für die Position Generaldirektor Danzas.

D.h. eine momentan schlechte Stimmung plus eine attraktive Position

Genau, perfect match! Das hat für mich übrigens nicht mit Loyalität zu tun. Ich kann vom Mitarbeiter nicht bedingungslose Loyalität verlangen und ihm gleichzeitig nicht die dafür nötigen Rahmenbedingungen anbieten. Das geht nicht.

Was sind die entsprechenden Rahmenbedingungen?

It´s not a perfect world. Konflikte gibt es immer und es zeigt auch die Reife eines Unternehmens, wie es mit Konflikten umgeht. Die Rahmenbedingungen sollten es ermöglichen, dass tüchtige engagierte Menschen die Möglichkeit haben, sich so gut wie möglich zu entwickeln. Das hat nichts zu tun damit, dass es in gewissen Bereichen Richtlinien geben muss. Bei bestimmten Dingen muss es Disziplin geben, da hat Individualität nichts verloren. Da gibt es eine Vorgaben und an die hält man sich, aber – unabhängig von diesen Notwendigkeiten muss Freiraum für Individualität geschaffen werden. Wer damit besonders  gut umgeht, wird Karriere machen, wer es nicht so gut versteht, wird langsamer weitergehen oder in eine andere Richtung.

Worauf schauen Sie da konkret, was müsste ein Mitarbeiter tun, um in Ihren Blick zu geraten?

Kadavergehorsam irritiert mich furchtbar, damit würden Sie mich nicht beeindrucken. Vielleicht ist es am besten mit der Balanced Scorecard beschreiben. Wenn Sie die vier Kriterien erfüllen -  d.h. Ergebnis, Markt, Mitarbeiter, Prozesse - wenn Sie in diesen vier Bereichen hervorragendes leisten, dann werden Sie bei mir mit Sicherheit größte Chancen haben. Jetzt müssten wir natürlich noch diskutieren, was hervorragend heißt.

Was ich auch gerne hätte, wäre Loyalität, aber das hat nichts mit Ja sagen zu tun, sondern es heißt, dass man sich nach einem Diskussionsprozess auf eine dann gemeinsame Linie festlegt und die dann mitträgt, in dem Bewusstsein, dass der, der die meiste Verantwortung hat, das letzte Wort hat.

Ein Unternehmen ist keine demokratische Veranstaltung, Wenn ich gegenüber dem Eigentümer oder Aufsichtsrat die Verantwortung trage, dann möchte ich auch die letzte Entscheidung treffen können. Wie gesagt, nach qualifizierter Diskussion, möglichst unvoreingenommen, aber mit der Verantwortung, daher auch mit der Entscheidung.

Gerade in Konzernunternehmen, habe ich den Eindruck, gibt es viele Führungskräfte, die kaum noch irgend etwas entscheiden können.

Genau das wollen wir bei Gebrüder Weiss verhindern, dass das Korsett so eng wird, dass die Mitarbeiter nicht mehr genug Luft zum Atmen haben. Bei Danzas habe ich das so erlebt: Da gab es alle möglichen Vorgaben von Konzernstellen und ich habe damals das so formuliert: Ich übersetze das jetzt auf österreichisch. Was aus Basel gekommen ist, habe ich übersetzt, d.h. ich habe mir einen gewissen Freiraum genommen. Das ist natürlich ein heikles Spielchen. Solange Sie Erfolg haben, wird es meist toleriert. Sie sind damit kein besonders angenehmer Manager, weil ich Vorgaben in Frage gestellt habe, weil es sehr heftige Budgetdiskussionen im Headoffice gegeben hat. Aber das war ich der österreichischen  Organisation und mir selber schuldig. Ich konnte einfach nicht nur zur Kenntnis nehmen.

Wenn man den Mund nicht aufmacht, weil man gut bezahlt wird und wenig Alternativen sieht, dann wird man halt irgendeinen Job machen und innerlich kündigen – Manager nach dem Radfahrerprinzip, das sind die aller Unangenehmsten. Das erzeugt eine Stimmung, die mit Sicherheit nicht produktiv ist.

Aber ist das nicht eine fast zwangsläufige Begleiterscheinung immer größer werdenden Organisationen, wo es tatsächlich immer schwieriger wird zu sagen, wer denn nun genau wofür verantwortlich ist. Noch verschärft durch Matrixorganisationen.

Dazu folgende Bemerkungen: Erstens muss jeder für sich selbst entscheiden, in welcher Organisation er sich wohl fühlt. Wenn es ihm reicht umzusetzen, ist das ok. Wenn er sich nicht wohl fühlt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man versucht die Organisation zu verändern, was nicht immer ganz leicht ist oder man sucht sich ein neues Spielfeld.

Zum Thema Matrix: Die Matrix hat unschätzbare Vorteile, bringt aber ein gewisses Konfliktpotenzial mit sich. Ich bin ein Freund von Matrix, solange sie vernünftig ist und gewisse Klarheiten bestehen. Das was Sie beschrieben haben, dass drei oder vier Leute an einer Aufgabe arbeiten und keiner weiß, wer wofür verantwortlich ist, das ist unerträglich. Das möchte ich im Unternehmen nicht haben. Wenn es aber darum geht, ein gesamtes System zu steuern, muss es jemanden geben, der über den lokalen Tellerrand hinausschaut. Wie man in einer heterogenen Organisation wie Gebrüder Weiss die gesamte Organisation ohne Matrix steuern kann, müsste mir jemand erst erklären. Wir haben versucht, das mit einem klaren Verantwortungs- bzw. Mitverantwortungskatalog festzulegen und das funktioniert bis jetzt ziemlich gut.

Matrix bedeutet notwendigerweise gewisse Konflikte. Wenn man diese Konflikte konstruktiv austrägt, ist die Chance sogar recht groß, dass das Ergebnis besser wird. Wenn die Konflikte destruktiv werden, dann ist man als Führungskraft gefordert. Dann ist nicht notwendigerweise die Matrix schuld, sondern dann sind möglicherweise die einzelnen Spieler kritisch zu hinterfragen, bzw. deren Agieren, dann kann man vielleicht korrigierend eingreifen.

Der Schritt zu Danzas war wieder eine größere Organisation?

Danzas hatte damals weltweit rund 16.000 Mitarbeiter. In Österreich ca. 250 Mitarbeiter. In einem desolaten Zustand. Wir haben damals innerhalb kurzer Zeit mit einem sehr tüchtigen Finanzmann den Turnaround geschafft, das war ein tolles Erlebnis.

Welche Maßnahmen haben Sie da gesetzt?

Zuerst ging es darum, die echten Problemstellen identifizieren. Das geht relativ rasch, wenn man so einen kongenialen Partner hat, der die Zahlen im Griff hat. Das ist auch nicht selbstverständlich. Der kam quasi gleichzeitig mit mir. Auch von Gebrüder Weiss, zufällig, das war nicht abgesprochen. Er hat sehr schnell die Schwachstellen diagnostiziert und wir haben dann auch den Mut gehabt, schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen, Geschäftsfelder abzustoßen oder völlig umzukrempeln.

Und dann wieder das gleiche Vorgehen: zuerst die Leute in der Organisation identifizieren, die der Firma weiterhelfen können. Da hat es genug Leute gegeben, das Potenzial war vorhanden. Und im nächsten Schritt diesen Leuten die Möglichkeiten geben, sich zu entfalten und ein Klima zu schaffen, dass sich die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit wohlfühlen. Das hat nichts mit Romantik zu tun, in dem Sinn, dass man gern hingeht, auch wenn der Tag vielleicht mühsam ist.

Wie kann ich mir das „Leute identifizieren“ konkret vorstellen? Sie reden mit den einzelnen Mitarbeitern, schauen, welche Einstellungen sie haben, welche Ideen, ob sie aktiv über das Geschäft nachdenken oder ob sie nur auf Anweisungen warten?

Bei Danzas ging die Analyse zuerst einmal relativ nüchtern vonstatten. Man holt sich die Zahlen, profit and loss, und sieht sich das an. Es gibt gewisse Kennzahlen, z.B. Personalkosten / Bruttonutzen-Verhältnis, setzt  sich  mit den Verantwortlichen einmal zusammen und redet über diese Aktivität. Im Gespräch hört man schon relativ viel heraus. Wie sehr interessiert sich der Mann in Wirklichkeit für sein Ergebnis, wie interpretiert er seine Ergebnisse, wo sieht er Möglichkeiten der Korrektur, wie kann man seiner Ansicht nach optimieren? Wenn Sie ein bisschen geübt sind, bekommen Sie da schon ein Gefühl, welches Potenzial und welche Begeisterung da dahinterstecken.

Bei Danzas war es aber so - das wollte der Zufall so - kurz nachdem ich gekommen bin, gab es dort ein Führungskräfteseminar, da war ich drei Tage mit den Leistungsträgern bzw. den vermeintlichen Leistungsträgern in Klausur. Und in den 3 Tagen habe ich die Leute wirklich gut kennen gelernt und das war ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Abgesehen davon, dass es unheimlich lustig war und einen gewissen Korpsgeist, eine gewisse Aufbruchstimmung sicher begünstigt hat.

Was macht man jetzt, wenn man nach dem Eintritt draufkommt, man hat auf den wichtigen Positionen 10 Leute sitzen, von denen 4 falsch gesetzt sind?

Austauschen. wobei austauschen nicht notwendigerweise Entfernen heißt. Denn er kann in dieser Position falsch sein, aber in einer anderen Position einen hervorragenden Job machen. Hat er Potenzial für eine andere Aufgabe? Wenn nicht, dann geht es darum, sich anständig zu verabschieden. Das ist auch eines meiner Prinzipien, gegen die ich kaum je verstoßen habe. Ich sage nicht, dass es immer gelungen ist – aber in der Regle habe ich mich von Mitarbeitern immer anständig verabschiedet.

Ist es schwer, solche Gespräche zu führen?

Diese Gespräche sind nicht einfach, auch die Trennungsgespräche sind nicht einfach, aber wenn man in einer Sanierungsphase ist, dann kann man nicht all zu viele Rücksichten nehmen. Wenn man ein Konzept hat und davon überzeugt ist, dann muss man es durchziehen. Ob es richtig oder falsch ist, stellt sich dann später heraus. Ich hatte das große Glück, dass die Konzepte bisher richtig waren. Das führt dann auch zu einer gewissen Starrsinnigkeit, man glaubt dann halt, die Rezepte sind eh ok. Wenn man damit schon drei-, vier- fünfmal Erfolg hatte, dann fühlt man sich bestätigt. Ich habe oft Trennungs- oder Versetzungsgespräche führen müssen, das war nicht immer erfreulich, aber es war notwendig.

Wie nimmt man dann die Mitarbeiter mit, wenn man das neue Bild vor Augen hat? Wie vermittelt man dieses Bild? Man trifft auf einige, die sagen super endlich, einige warten ab, und einige lehnen es ab. Man braucht doch ein Kernteam, Multiplikatoren.

Da sind wir beim Thema Begeistern, Bewegen. Man darf nicht die Illusion haben, dass alle über Nacht die Fronten wechseln. Da braucht man relativ viel Geduld, da muss man reden, versuchen zu überzeugen, dann geht es.

War es ein großer Bruch von Familienunternehmen zur Konzernstruktur bei Danzas?

Es war insofern ganz anders, weil Weiss damals noch viel mehr Familienunternehmen war als heute. Heute bewegen wir uns auch in Richtung Konzernstruktur, damals wurde das Unternehmen nur von der Familie geführt. Danzas war ursprünglich auch ein Familienunternehmen, war damals aber schon längst ein internationaler Konzern und die Spielregeln waren ganz andere. Aber es hat mir, ehrlich gesagt, keine große Mühe bereitet, mich auf die neue Situation einzustellen.

Was war der Unterschied, mehr Reporting, mehr Papier...

Ja, es war wesentlich strukturierter, geregelter, aber ich habe wie gesagt die Regeln auf österreichisch übersetzt. Wir haben die Konzernvorgaben erfüllt und im Rahmen dieser Vorgaben haben wir österreichisch agiert. Mein Vorgänger war Schweizer und ich glaube, für die Mitarbeiter war  schon allein der Umstand, dass jetzt ein Österreicher Chef in Österreich ist, ein gutes Signal. Der Zugang zu den Menschen ist so ein anderer. Der Wechsel von Danzas zu Weiss war dann 1999.

Was war der Auslöser?

Die Konzernstrukturen und Personalentscheidungen, die mir nicht so gefallen haben. Ich war der längst dienende Landesleiter in der gesamten Danzas Organisation, aber ich wollte dann nicht mehr. Grundsätzlich waren alle Stationen, die ich bisher durchwandern durfte, extrem hilfreich, lehrreich, schön. Da gibt es keinen bitteren Nachgeschmack, es war alles wichtig, nur – wir sind wieder bei den Rahmenbedingungen. Das Umfeld bei Danzas war für mich 99 nicht mehr spannend genug. Dazu muss man wissen, mein Verantwortungsbereich mit Danzas Österreich incl. Tschechien, Ungarn und Polen war relativ groß, aber im Vergleich zu Gebrüder Weiss Österreich war Danzas Österreich ein kleines Unternehmen.

Die neue tolle Herausforderung war der Wechsel in ein Unternehmen, wo die Entscheidungen wirklich aus österreichischer Sicht fallen, und nicht in einem mehr oder weniger anonymen Head-Office in Basel, und dann später in Bonn bei der Deutschen Post, die Danzas gekauft hat. Die Übernahme war quasi zeitgleich mit meiner Kündigung, wobei ich meine Kündigungszeit von 6 Monaten bis zum letzten Tag erfüllt habe und die Übernahme zum Zeitpunkt meiner Kündigung noch gar nicht absehbar war. Das spielte also keine Rolle.

Wie kam der Wechsel zustande?

Die Familie hat mich angesprochen. Wir waren damals Kollegen im Zentralverband der Spediteure, Frau Senger-Weiss und ich waren damals Vizepräsidenten, d.h. der Kontakt zur Familie ist in der Zeit bei Danzas niemals abgerissen. So wurde ich in die Geschäftsleitung der Gebrüder Weiss geholt. Was einige nicht verstanden haben, denn von Danzas als Generaldirektor wegzugehen und bei Gebrüder Weiss quasi nur Co-Geschäftsführer zu werden, noch dazu in einer sehr ausgeprägten Familienstruktur, das haben manche als Rückschritt verstanden, hierarchisch. Das ist aber ein völliger Blödsinn.

Es gab eine 4er-Geschäftsführung, mit zwei Fremdmanagern, einer ging in Pension, den habe ich beerbt. Ich bin der Einzige, der in Wien sitzt, bin vom Aufgabengebiet zuständig für Pöchlarn, Wien als größte einzelne Niederlassung im Konzern, den gesamten Osten und das Corporate Marketing und noch ein paar Spezialaufgaben, wobei Änderungen bevorstehen.

Wie ist es, plötzlich in so einer Teamstruktur zu arbeiten?

In meinem Bereich gehören heute über 1000 Mitarbeiter dazu, sehr heterogen, über Bukarest, Zagreb usw. Es gibt eine klare Kompetenzordnung, an die halte ich mich, aber die ist so weitreichend, dass es da keine Probleme gibt. Da gibt es genügend Entscheidungsfreiraum, den ich auch brauche. Und es gibt darüber hinaus auch ein hervorragendes Gesprächsklima zu den anderen Geschäftsführern und kurze Entscheidungswege.

Waren die einzelnen Stationen von der Führungsaufgabe her gesehen „mehr desselben“ oder doch qualitativ anders?

Es ist schon etwas anderes. In einem Unternehmen wie Gebrüder Weiss sind das wirkliche Zukunftsfragen, die sich bei Danzas in dem Sinn nicht gestellt haben. Das war ein weltweites Unternehmen, wo die Corporate Strategy in Basel gemacht wurde, da konnte ich da und dort mitwirken, aber Fragen wie geographische Erweiterung oder Partnernetzwerke in Europa waren deswegen keine Frage, weil es die Partnernetzwerke gegeben hat und die geographische Abdeckung  sowieso klar war. Die Linie war vorgeben, das ist bei Weiss nicht so. Da gibt es eine Grundüberzeugung, wie man sich weiter positionieren will, aber die Herausforderung ist eine ganz andere, weil wir uns in einem eingeschränkten Raum gegen die immer stärker formierenden Global Player positionieren und profilieren müssen. Da stellen sich in Sachen Führung, wenn man es als langfristiges, nachhaltiges Absichern versteht, schon andere Herausforderungen.

D.h. da geht es um grundlegende strategische Entscheidungen

Ja, die strategische Dimension ist eine andere.

Wenn es um das Thema Führung geht, was ist der Zugang eines Managers zu dem Thema. Denkt man da viel darüber nach oder wenig? Was beschäftigt Sie persönlich?

Das ist ein zentrales Thema, weil in der Dienstleistung das Verhalten der Mitarbeiter über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Und das Verhalten der Mitarbeiter hängt davon ab, wie mit ihnen umgegangen wird. Wie man mit ihnen umgeht, ist wieder eine Frage der Führungskompetenz. Ergo hat Führungskompetenz in meiner Welt einen sehr hohen Stellenwert. Aber ich betone, meine Welt ist Dienstleistung. Wenn einem bewusst ist, dass der einzelne Mitarbeiter jeden Tag an vorderster Front gegenüber dem Kunden über gut und schlecht entscheidet, dann prägt das das Bewusstsein. Wir können uns nicht leisten, grantige, demotivierte Mitarbeiter im Kundenkontakt zu haben.

Kann man Führung lernen, oder ist der Knackpunkt die Personalauswahl?

Ein Grundsatz ist sicher, wenn man die falschen Leute aufnimmt, kann man sie durch hunderte Seminare schleifen, es wird nicht funktionieren. Ich bin felsenfest davon überzeugt, die erste und wichtigste Entscheidung ist, wen hole ich ins Unternehmen. Ich kann dann am Verhalten drehen, das ist alles denkbar, nur die Vorstellung, ich schicke jemanden in Persönlichkeitsseminare und glaube, es kommt ein anderer Mensch heraus, halte ich für völligen Schwachsinn.

Damit sage ich nicht, dass Persönlichkeitsseminare nicht grundsätzlich abzuhalten sind, aber man muss die Grenzen kennen, die solche Programme mit sich bringen. Das Grundmuster steht meiner Meinung nach fest.

Zur Führung, zu mangelnder sozialer Kompetenz: Das heißt nicht, dass der Mensch im Unternehmen nicht eine wichtige Rolle haben kann. Es gibt so viele Jobs, wo Kommunikation eine untergeordnete Rolle spielt. Ein hochspezialisierter Fachmann ist hoch willkommen. Wenn er allerdings Verantwortung hat für eine nicht geringe Anzahl von Mitarbeitern, dann sollte diese emotionale und soziale Kompetenz relativ gut ausgeprägt sein, sonst wird es für alle Beteiligten schwierig.

Herr Niessner, vielen Dank für das Gespräch.

09.2004

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Wolfgang Niessner, Vorsitzender der Geschäftsleitung, Gebrüder Weiss