"Im Zweifel steht jeder hinter dem anderen"

Wie bewältigt man, wenn man mit einem Partner zusammen eine Firma neu übernommen hat, die ersten Monate? Wie klinkt man sich sukzessive ins Unternehmen ein, wie reagieren die Kunden, was erwarten die Mitarbeiter und wie gut passen Pläne und vorgefundene Situation zusammen? Die neue Eigentümerin eines österreichischen mittelständischen Dienstleistungsunternehmen über die Erfahrungen der ersten Monate.

Als die Entscheidung gefallen war, mit einem Partner die Firma zu übernehmen, waren die Mitarbeiter dieser Firma darauf vorbereitet?

Nein, überhaupt nicht. Die gesamte Vorbereitung hatte hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Es gab zwar Verkaufsgerüchte, aber niemand wusste, an wen verkauft wird und dass es zu diesem Zeitpunkt passiert. Eingeweiht war nur ein Partner des Verkäufers und ein kleiner Kreis in unserem Umfeld, den wir bei gewissen Entscheidungen immer wieder befragt haben, ob wir am richtigen Weg sind oder nicht.

Was meinen Sie mit kleiner Kreis?

Einige Leute in meinem privaten Umfeld, allerdings sehr genau ausgesucht nach unterschiedlichen Persönlichkeiten und Standpunkten. Personen, bei denen ich genau wusste, der oder die ist nicht auf meiner Linie und denkt anders als ich, weil es mir wichtig war, unterschiedliche Meinungen und Standpunkte zu hören. Die Grundsatzentscheidung für den Kauf ging eigentlich sehr schnell - innerhalb eines Tages war es klar. Das war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus und in der Folge ging es darum, zu schauen, wie es um die Rahmenbedingungen bestellt ist. Natürlich gab es im Verlauf der Verhandlungen immer wieder Punkte oder Termine, wo man das ganze noch einmal auf den Prüfstand gestellt hat: Ist es unter diesen Rahmenbedingungen immer noch in Ordnung? Dann kam der nächste Schritt. Schritt für Schritt bis zum Abschluss des Kaufvertrages.

Was waren solche Knackpunkte?

Alles was den Kaufpreis betroffen hat, den Markt, die realen Zahlen. Man muss die Informationen, die aus dem Unternehmen kommen, ja bewerten. Sind das in meinen Augen die richtigen Zahlen, habe ich damit alle wichtigen Informationen oder nicht? Wir haben den Verhandlungsprozess in Bereiche gegliedert. Am Anfang kamen die Informationen, die relativ klar waren. Wie viele Mitarbeiter, wie viele Kunden, wie schaut die Kundenstruktur aus? Dann ging es im nächsten Schritt um Umsatz und Ergebnis: Wie waren die letzten Jahre, was ist für heuer prognostiziert, was für das nächste Jahr? Da haben wir uns natürlich immer wieder die Frage gestellt: Können wir da noch mit oder nicht? Da war dann die Antwort meistens ein klares Ja.

Sie kommen ja aus der Branche,  kann man dadurch abschätzen, ob die Daten stimmen und plausibel sind?

Ja, auf alle Fälle. Ich wusste, wie viele Kapazitäten man braucht, wenn man ein neues Programm aufstellt. Wenn mir jemand sagt, wie hoch die Verkaufsquoten sind, kann ich abschätzen, ob das realistisch ist. Genauso wenn es um die Frage geht, was man mit welchen Preisen verkaufen kann. Ein zentraler Punkt war damals auch, eine Kundenliste zu bekommen. Nur - jeder weiß, da können viele Firmen draufstehen, die heute Kunde sind, aber vielleicht schon nächstes Jahr nicht mehr. Dafür gibt es keine Garantie. Insofern war die Branchen- und Marktkenntnis sicher extrem hilfreich.

Wie passierte dann der Schritt an die Öffentlichkeit?

Wir haben den Kaufvertrag unterschrieben und zwei Tage später gab es die Erstinformation an alle Mitarbeiter, gemeinsam mit dem bisherigen Eigentümer. Da haben sie erfahren, dass das Unternehmen verkauft wurde und dann wurden wir als die neuen Eigentümer vorgestellt. Natürlich war das eine große Überraschung. Bei der ersten Präsentation haben wir uns vorgestellt und kurz skizziert, was unsere Vorstellungen und Zielsetzungen sind und wo wir Entwicklungsfelder sehen. Dann haben wir die Mitarbeiter für den nächsten Tag zu Einzelgesprächen eingeladen.

Wie war die erste Reaktion der Mitarbeiter?

Sehr verhalten und abwartend. Am nächsten Tag kamen dann sehr unterschiedliche Reaktionen. Teilweise sehr zurückhaltend, ganz klar darauf bedacht, nichts Schlechtes über die Vergangenheit zu sagen. Einerseits Mitarbeiter, die versucht haben, sich sehr gut zu verkaufen und andere, die gesagt haben, es ist halt so wie es ist, wir haben Spaß an unserer Arbeit, schauen wir einmal, was passiert. Es gab durchaus Ängste um den eigenen Job, wenn auch unbegründet, denn erstens haben wir diesbezüglich nichts gesagt und geplant, und zweitens war klar, dass alle Verträge auf das neue Unternehmen übergehen.

Also eher allgemeine Unsicherheit?

Ja, was wird jetzt werden? Es war gerade die Phase, wo am Produktprogramm für das kommende Jahr gearbeitet wurde und das war auch gleich das erste, mit dem wir sofort konfrontiert wurden. Das hatten wir zwar geahnt, aber das hieß plötzlich sehr konkret, dass mit dem neuen Programm das Jahr 2005 schon festgelegt wird und wir daher in kurzer Zeit entscheiden mussten, wo gehen wir mit, was wollen wir noch geändert haben?

D.h. sofort operative Entscheidungen, die zugleich Auswirkungen auf die strategischen Überlegungen hatten?

Genau, an diesem Programm hängt sehr viel dran. Die Leute hatten ja schon vor dem Eigentümerwechsel intensiv an dem Programm gearbeitet. Da ist es aus meiner Sicht dann auch ganz wichtig, genug Feingefühl zu haben und nicht mit der Haltung „morgen alles anders“ an die Sache heranzugehen. Wir haben uns für einen Mittelweg entschieden. Wir wollten das neue Programm rechtzeitig bei den Kunden haben und haben daher geschaut, was bleibt wie vorgesehen und wo ist es aus unserer Sicht gut, noch Veränderungen vorzunehmen. Im Nachhinein betrachtet, weiß ich nicht, ob ich es noch einmal so machen würde. Ich hätte es lieber gehabt, dass durch das neue Programm schneller das Signal in den Markt hinausgeht: Hier passiert etwas Neues! Nur – pragmatisch gesehen, es wäre gar nicht anders gegangen. Für große Veränderungen war gar keine Zeit. Insofern sind wir den richtigen Weg gegangen.

Hat sich etwas am Mitarbeiterstand geändert?

Gerade in einem Klein- und Mittelbetrieb merkt man schnell sehr deutlich, wenn die Mitarbeiter in einem Team ihre Leistung bringen und mit viel Energie dahinter sind und wenn da einer mit weniger Energie arbeitet. Vor allem merken die anderen Mitarbeiter schnell, dass sie das dann ausbaden müssen. In dem Fall halte ich es für angesagt, relativ schnell zu handeln und klar zu sagen, entweder die Performance verbessert sich – wie, darüber können wir gerne reden – oder wir trennen uns, denn ich will nicht, dass die anderen das ausbaden. Nur - wenn man sich trennt, dann muss das auch so verlaufen, dass danach jeder aufrecht hinaus gehen kann. Angenehm ist so ein Gespräch ja nie, aber es geht nicht darum, so zu tun, als könnte die Person nichts. Das stimmt ja nicht. Es geht darum, dass diese Person und das Unternehmen nicht zusammen passen. Jeder hat seine Stärken, aber wenn man die nicht einsetzen kann, weil das Unternehmen vor anderen Herausforderungen steht, dann bin ich das falsche Unternehmen. Wir haben aber ein sehr gutes Team übernommen und da war das eigentlich kein Thema.

Wie verliefen diese Erstgespräche nach der Bekanntgabe?

Einige Mitarbeiter waren wie gesagt sehr offensiv, andere sehr verhalten. Es ging ums gegenseitige Kennen lernen, darum herauszufinden, was den Mitarbeitern wichtig ist. Wir haben sinngemäß gesagt: Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin zusammen arbeiten wollen und werden. Was wäre Ihnen in dieser Zusammenarbeit wichtig?

Was haben Sie in den ersten Tagen konkret gemacht?

Einerseits die Gespräche mit den Mitarbeitern geführt und dann wurden wir gleich in die intensive Arbeit am neuen Produktprogramm involviert. So schnell konnte man gar nicht schauen. Es kamen ständig Fragen der Mitarbeiter: Was machen wir hier, was machen wir da? Interessant fand ich die Tatsache, dass es vor der Übernahme eine Führung gegeben hatte, die nur tageweise im Haus war und sich die Mitarbeiter daher ziemlich selbständig organisiert hatten. Dann, nach der Übernahme, waren plötzlich zwei Geschäftsführer da, „die sich eh nicht auskennen, aber überall mitreden wollen“. Ich denke, dass da eine gewisse Unsicherheit entstanden ist: Was darf ich jetzt noch allein entscheiden und was nicht? Wir haben zwar immer wieder betont, es gibt business as usual, wir lassen das einmal wie gewohnt weiterlaufen und nur wenn uns etwas auffällt, wo wir anderer Meinung sind, melden wir uns. Aber das ändert nichts an der Unsicherheit der Mitarbeiter, die Neuen zu Beginn nicht wirklich einschätzen zu können. Es gab daher viele Fragen in Richtung: Dürfen wir das jetzt selber entscheiden oder nicht? Wie wollen Sie das haben? Haben Sie da andere Standards und Grundsätze?

Das war verbunden mit der Erwartung, als Chef am besten ständig vorhanden und ansprechbar zu sein. Ein Dilemma, denn gerade in der Anfangszeit sollte man einerseits stark bei den Kunden präsent sein, um sich kennen zu lernen und das Geschäft optimal aufzustellen, dann ist man selbst schon in Projekten involviert und noch dazu sollte man auch intern stark präsent sein. Meist kommt dann die interne Zeit zu kurz. Das wurde mir schon einige Male zurück gespiegelt und die Wichtigkeit der Präsenz ist mir auch bewusst. Nur ging sich das zeitmäßig einfach nicht immer aus.

Wer war früher in diesem Unternehmen in der Akquisition tätig?

Sehr stark die Geschäftsführung und dazu gab es mehrere Key-Account-Manager. Natürlich wollen die Kunden aber die neuen Eigentümer sehen und zudem halte ich es auch für ein deutliches Signal der Wertschätzung, sich beim Kunden sehen zu lassen. Wir sind mit den Kundenbetreuern gemeinsam hingegangen, aber wie gesagt: Gerade wenn man ein KMU übernimmt, müsste man eigentlich parallel auf vielen Schauplätzen gleichzeitig sein.

Wenn man sich dann auch noch mit dem anderen Geschäftsführer koordinieren muss, wird das schnell sehr aufwändig.

So ist es: Wir haben daher nach zwei, drei Monaten entschieden, die Bereiche unter uns aufzuteilen. Und die Regel vereinbart: Im Zweifelsfall steht jeder dem anderen wie ein Baum. Und sollte es Probleme geben mit Entscheidungen des anderen, dann gilt die Spielregel: Diskussionen nur unter vier Augen. Nach außen wird die Entscheidung mitgetragen. Da fährt die Eisenbahn drüber. Das klappt sehr gut.

Am Anfang hatten wir uns allerdings bewusst dafür entschieden, das zuerst gemeinsam zu machen, auch deshalb, weil wir das Unternehmen genauer kennen lernen wollten. Wir wollten nichts Neues überstülpen, sondern einmal schauen, was läuft gut, was wollen wir beibehalten? Nach einigen Monaten haben wir dann gesehen, dass dieser ständige Koordinationsaufwand in der Form nicht leistbar ist, daher die Aufteilung der Bereiche, interimistisch, bis Ende des Jahres. Im Jänner wird das dann neu aufgesetzt.

Die Mitarbeiter, die früher sehr autonom gearbeitet haben, haben nach dem Eigentümerwechsel angefangen, schnell wieder nach oben zu delegieren?

Ja. Aber nicht im Sinn von, das ist mir zu heiß, sondern eher im Sinn von, ich weiß ja nicht, was in deren Augen richtig ist.

Gerade wenn man neu ist, läuft man Gefahr, die Erwartungen der Mitarbeiter gleich als Arbeitsauftrag zu übernehmen und dann Enttäuschungen zu produzieren, wenn man sie in der Folge nicht alle erfüllt. Wie haben Sie das erlebt und gehandhabt?

Bei den Erstgesprächen haben wir uns ihre Vorstellungen nur genau angehört, ohne gleich darauf zu antworten. Nicht zuletzt wegen der Unsicherheit, was sage ich dazu, was sagt der andere? Bald darauf kam die klare Information an alle Mitarbeiter: Bis Ende des Jahres geht es darum, das business so fortzuführen wir bisher. Es wird nichts geändert, weder beim Gehalt, noch bei den Zielsetzungen, noch sonst etwas. Im Jänner geht es dann in eine neue Runde. Aber es stimmt: Die Gefahr, Erwartungen als Arbeitsaufträge zu übernehmen, dass passiert nur allzu leicht. Nur habe ich mir, spätestens als ich arbeitsmäßig ins Rotieren geraten bin, angewöhnt, einen Schritt zurück zu gehen, die Prioritäten zu klären und zuerst zu schauen, wo wollen wir mit dem Unternehmen hin und nicht automatisch zuerst zu schauen, wo wollen die Mitarbeiter hin. Was ist also unsere Langzeitperspektive?

Wie klar waren Ihre Vorstellungen vor der Übernahme und hat die Realität, die Sie vorgefunden haben, dazu gepasst?

Wir hatten davor einen klaren Plan, einerseits wohin sich das Unternehmen entwickeln soll und andererseits wie wir das mit den vorhandenen Mitarbeitern schaffen. Die für den Beginn geplante gemeinsame Klausur haben wir bisher aber nicht gemacht. Das haben wir zeitlich einfach nicht geschafft, obwohl wir wissen, dass es sehr wichtig gewesen wäre. Wir machen diese Klausur jetzt im Jänner, aber früher wäre es natürlich besser gewesen.
Außerdem hätten wir laut Plan Ende des Jahres vom Ergebnis her schon weiter sein wollen, als wir es tatsächlich sein werden. Das war kurzfristig frustrierend und dann rappelt man sich wieder hoch.

Wie ging es den Leuten mit der neuen Führung? Plötzlich gibt es zwei Chefs und die sind viel präsenter als vorher?

Ich habe vor kurzem diesbezüglich um Rückmeldung gebeten: Und die Antworten waren: Am Anfang, als wir sehr viel da waren, gab es die Hoffnung: Vielleicht sind die einmal wirklich präsent. Aber dann sind wir bald mehr rausgegangen zu den Kunden und jetzt sind wir nach Meinung der Mitarbeiter wieder viel zu wenig präsent. Das Feedback war: Bitte mehr da sein!

Dazu kommt: Wir haben inzwischen einige Prozesse verändert, was ein Stück weit die Aufgaben und Abläufe der Mitarbeiter verändert. Teilweise ist es weniger Aufwand als früher, teilweise mehr Aufwand, teilweise muss ich als Mitarbeiter heute andere Aspekte bedenken. Das ist natürlich eine Umstellung. Eine andere Veränderung ist: Wir sind mit den Mitarbeitern nicht per Du. Insofern gibt es jetzt eine Veränderung in Bezug auf Nähe und Distanz.

Was würden Sie jemandem in ein ähnlichen Situation raten? Wo sollte man aufpassen?

Was wir sicher unterschätzt haben, war der Zeitaufwand zu Beginn. Dann gab es natürlich mitunter Situationen, wo wir beide unterschiedliche Aussagen gemacht haben, was auf Seite der Mitarbeiter zu Verwirrung geführt hat: Was gilt jetzt? Darum war es auch so wichtig, für uns beide klare Regeln festzulegen und das funktioniert jetzt sehr gut.

Klar ist, dass ich jedem empfehlen würde zu vermeiden, mit komplett neuen Konzepten in ein Unternehmen zu kommen, das mit dem Bisherigen gut gefahren ist und das drüber zu stülpen. Natürlich haben auch wir sukzessive Wegweiser aufgestellt, wo wir hin wollen. Und es wäre gut gewesen, das schon in einer gemeinsamen Teamklausur schon im Sommer zu machen. Das würde ich beim nächsten Mal anders machen, denn dann hätten die Mitarbeiter heute wahrscheinlich ein Stück mehr Orientierung. Es gäbe weniger Nachfragen, einen klarer vereinbarten Rahmen.

Wenn man erst wenige Tage im neuen Unternehmen ist und ein Kunde ruft an und will die Geschäftsführung sprechen, dann weiß man ja noch kaum etwas über diesen Kunden, über die bisherige Geschäftsbeziehung und die eigenen internen Abläufe. Kann man da so einfach einsteigen?

Das ist uns eigentlich sehr einfach gefallen, weil wir beide aus der Branche kommen. Wir haben auch den Kunden klar kommuniziert, die Firma wurde neu übernommen und dann haben erfreulicherweise auch Kunden angerufen und wollten uns kennen lernen und über neue Projekte reden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

12.2004

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