"Zähne zusammen beißen und Mut entwickeln"

Roland Wolf, Geschäftsführer der Werbeagentur Saatchi & Saatchi in Österreich, zuständig für die Bereiche Controlling, Risikomanagement, Personal und IT, über besonders lernträchtige Situationen in der bisherigen Karriere.

Herr Wolf, was waren in Ihrer bisherigen Karriere Ereignisse und Situationen, aus denen Sie besonders viel gelernt haben?

Dazu fallen mir drei Projekte ein, die sich jeweils abseits des betrieblichen Alltags abgespielt haben. In dem einen Fall war das die Umstellung der Auftragsabwicklung in einem sehr engen Zeitrahmen, in 6 Monaten, innerhalb dessen nicht nur die Software neu entwickelt und komplett umgestellt wurde, sondern damit auch die gesamte Organisation an die neue Vorgehensweise angepasst werden musste. Das zweite Projekt betraf die Planung und Gründung einer neuen Gesellschaft, die sich mit Mediaplanung befassen sollte. Die Gesellschaft wurde zwar letztendlich doch nicht realisiert, aber die Vorbereitungsphase war sehr intensiv. Das dritte Projekt war die Vorbereitung, Planung und Umsetzung des Umzugs der gesamten Firma samt Ausbau des neuen Standortes.

Im Grunde genommen waren die intensivsten Lernerfahrungen immer Projekte, die außerhalb der Regel liefen, unter großem Zeitdruck standen und neue Anforderungen beinhaltet haben. Entscheidend für das Lernen und die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben war aus meiner Sicht die hochgradige Autonomie in der Bewältigung der Projekte, d.h. keine Einmischung von außen, sondern nur eine klare Ergebnisorientierung im Sinn von: Es muss dann und dann fertig sein und funktionieren.

Das "Learning" war also, dass für Sie so eine Autonomie notwendig ist, damit solche Projekte funktionieren?

Das ist mein Eindruck. Denn aus der Gemengelage ergibt sich für mich so etwas wie Eustress, meiner Meinung nach eine gute Voraussetzung für Lernen. Ganz ohne Druck lernt man, glaube ich, nicht so gut. Man kann wahrscheinlich auch unter Bedrohungsszenarien schnell lernen, allerdings glaube ich, dass das eine andere Qualität hat.

Was waren eigentlich Ihre ersten Arbeitserlebnisse?

Ich habe in einer Sparkasse eine Ausbildung gemacht. Das war zwar eine intensive Lernsituation, aber gewisser Maßen noch verschult, lehrlingsähnlich, mit wenig Eigenverantwortung. Der Lerneffekt ist nicht sehr hoch, weil man da viel Zeit mit Tätigkeiten verbringt, die man sich schnell angeeignet hat. Was man hier eher lernt, sind Dinge wie Geduld zu haben, sich anzupassen. Aber auch das kann Sinn machen. Ich glaube, man kann nur dann ein Gefühl für Geschwindigkeit bekommen, wenn man auch die Langsamkeit kennt.

Was bedeutete damals Führung?

Das war relativ stark Controll & Command. Was ich übrigens nie als unangenehm empfunden habe. Das ist sicher etwas, was meinen eigenen Führungsstil geprägt hat. Ich bin heute noch jemand, der allenfalls partizipativ führt, aber ich lege großen Wert darauf, dass klar ist, wer Entscheidungskompetenz und letztlich Autorität hat: Ich bin ein guter Teamplayer, solange ich der Teamchef bin. Das ist eine Haltung, die sich im Lauf der Jahre eher verstärkt hat. Wobei in Projektsituationen, in denen man sehr intensiv zusammenarbeitet, der autoritative Teil eher zurücktritt und der partizipative stärker wird. Das hängt damit zusammen - und das kann meiner Erfahrung nach bis zu Flow-Erlebnissen gehen - dass, wenn man gut zusammen arbeitet, sich die Hierarchien zu verschieben beginnen oder auflösen. Allerdings meist begrenzt auf einige Stunden oder Tage. Eigentlich ist das eine ideale Situation, um so etwas wie eine produktive Gemeinschaftlichkeit aufzubauen, aber das kann man nur sehr schwer künstlich schaffen. Das ergibt sich, glaube ich, aus dem Arbeitsfluss.

Was kam nach der Bank?

Bei der Bank war ich auf einer Sachbearbeiterebene tätig. Ich habe dann studiert, bin nach dem Studium in einen Industriebetrieb mit ca. 10.000 Mitarbeitern gegangen und habe dort im Treasury gearbeitet. Das war zwar ebenfalls eine Sachbearbeiterebene, allerdings war ich dort direkt an den Sprecher der Geschäftsführung angebunden, weil ich in einem Hochrisikobereich gearbeitet habe. Ich war zwar formal ohne Kompetenzen, eine Stabstelle der Geschäftsführung, habe aber keine Hierarchien mehr über mir gehabt. Ich war aber keine klassische, beratende Stabstelle, sondern eine operative tätige. Eine interessante Erfahrung war da, dass ich quasi ein Team war mit der Geschäftsführung, was man normalerweise nicht ist. Dort war es aber erforderlich, weil ich in meinem Job, ohne dass wir bestimmte Größenordnungen wirklich festgelegt hatten, Geschäfte abschließen musste, oft sehr schnell, die enorme Risiken beinhaltet haben: Termingeschäfte, Optionsgeschäfte, etc. Das konnten Positionen sein, die ein Jahresergebnis nachhaltig beeinflusst haben. Da braucht man einen sehr kurzen Draht zu Unternehmensleitung.

Es ging um Hedging. Das Unternehmen hat seine Produkte ausschließlich in Dollar verkauft. Wenn daher der Dollar an Wert verlor, verloren alle Produkte an Wert und wir haben versucht, so einem Wertverfall vorzubeugen, indem wir über Termingeschäfte und Optionsgeschäfte den Fall des Dollars vorweggenommen haben. Das Problem ist nur, man weiß nicht ob der Dollar fällt oder steigt. Es ist also ein relativ stressiges Geschäft. Es war eine Stelle, von der aus man das gesamte Ergebnis, das von 10.000 Leuten erwirtschaftet wurde, korrigieren konnte, positiv oder negativ. Das konnte dazu führen, dass unser Team die Hälfte bis Dreiviertel des Jahresergebnisses gemacht haben. Gott sei Dank haben wir es nie vernichtet.

Das klingt nach mächtig Stress?

Das war damals eine tolle Aufgabe und ich war dort fünf Jahre lang tätig. Viel länger sollte man das auch nicht machen. Da gibt es manchmal Situationen, wo man für ein paar Monate schief liegt, und das geht einem dann echt an die Nieren. Man kann nicht mehr gut schlafen, wenn man eine Position mit 250 Mio. Dollar hat, mit 30-40 Mio. im Verlust steht und an einem einzigen Tag kommen weitere 5 Mio. dazu. Ich habe diese Geschäfte zwar nicht allein gemacht, sondern immer in Kenntnis der Geschäftsführung, und es hat mir auch nie jemand einen Vorwurf gemacht, aber natürlich spürt man die große Verantwortung. Da kann man sich auch sehr schnell überfordert fühlen.

Was ich da hauptsächlich gelernt habe war, die Zähne zusammen zu beißen und ein bisschen Mut zu entwickeln. Außerdem habe ich hier gelernt, dass es praktische, gelebte Solidarität auf Unternehmensebene auch tatsächlich geben kann. Das war eine sehr positive Erfahrung. Es hätte ja auch leicht sein können, dass es, wenn einmal etwas schief geht, sofort heißt, Sie sind hier zum Gewinnen und nicht zum Verlieren. Wahrscheinlich hätte es anders ausgeschaut, wenn es in Summe in die Hose gegangen wäre, was aber nie der Fall war. Aber diese Unterstützung, wie ich sie gehabt habe, die braucht man bei solchen Jobs einfach, sonst hält man das nicht durch.

Das Hauptproblem in diesem Unternehmen war für mich, dass sich die Firma aufgrund der strukturellen Probleme der Stahlbranche ein jahrelanges Rückzugsgefecht geliefert hat und irgendwann war es für mich nicht mehr zu ertragen, dass es dem Unternehmen jedes Jahr schlechter ging. Es kommt der Punkt, da will man wieder etwas positives sehen und nicht jedes Jahr aufs Neue Mitarbeiterentlassungen und Kostensenkungsprogramme miterleben. Vor allem, wenn man sieht, dass es strukturell am Markt nicht besser wird.

Was war dann der nächste Schritt?

Ich bin dann in die Medizintechnik gewechselt, zu einer deutschen Tochter eines kleineren amerikanischen Konzerns, und habe dort das Controlling für Deutschland aufgebaut. Das war damals gerade ein sprunghaft wachsendes Unternehmen mit 50 Leuten, wobei jedes Monat fünf Leute neu eingestellt wurden, entsprechende Umsätze vorhanden waren und dieses Wachstum nach hinten organisatorisch abgesichert werden musste. Es gab einen sehr ungestümen, sehr guten Chef, der nach vorne alles aufgerissen und dann nur nach hinten geschmissen hat. Das war vollkommen OK. Eine ganz andere Erfahrung, sehr angenehm, ziemlich arbeitsintensiv, und ebenfalls wieder eine Situation, wo ich viel gelernt habe. Mich plötzlich mit Vertrieb zu beschäftigen, war für mich beispielsweise völlig neu. Das ist eine ganz andere Psychologie als im Massengeschäft zu arbeiten. Wenn man plötzlich 30 Außendienstler hat, deren Ego nur vom Ego von Kreativdirektoren übertroffen wird und die sich für nichts außer für Geld interessieren - aber im Ranschaffen sind sie Spitze - merkt man, dass sie nicht reagieren, wenn man ihnen einfach Zahlen auf den Tisch legt. Gleichzeitig sind diese Leute eine geschützte Gruppe, an die man nicht herantreten darf, sonst kommt gleich der Chef und sagt: Achtung, das sind meine Rennpferde, Hände weg!

Das hat mein etwas mechanistisches Weltbild im Umgang mit Menschen zwar nicht korrigiert, aber erweitert. Es geht nicht immer auf die gleiche Weise. Von dort bin ich dann zu Saatchi und Saatchi. Werbung gleicht für mich eher einem großen Sandkasten, wo einem das Lernen nicht so von außen aufgezwungen wird, sondern wo man sich selbst damit beschäftigen muss. Angenehm finde ich, dass es  - so wie bei unternehmensbezogenen Dienstleistungen allgemein - ein reines Projektgeschäft ist. D.h. man muss sich ständig mit neuen Aufgaben auseinander setzen. Werbung ist ein Beruf, der einem einiges in Bezug auf Lernen und Verstehen abnötigt. Ich muss mich immer wieder Kunden nähern, die ich noch nicht kenne, deren Geschäft ich möglicherweise noch nicht kenne, und ich muss dafür in kurzer Zeit zumindest ein Grundverständnis von ihrem Geschäft und ihren Problemen entwickeln.

Was ist die wichtigste Erfahrung in Bezug auf Ihr Führungsverständnis? Eine bestimmte Aufgabe, ein sehr guter, ein sehr schlechter Chef?

Ich kann mich ad hoc an keine wirklich schlechten Chefs erinnern. Ich habe allerdings viel mit Frauen als Chefs gearbeitet und das war grundsätzlich eine sehr gute Erfahrung, weil enorm zeit- und mühesparend. Das beginnt damit, dass die Wahrscheinlichkeit, dass du pünktlich nach Hause gehst, viel größer ist als bei einem Mann als Chef - bei gleichen Ergebnissen. Frauen sind da viel zielorientierter.

Es gibt aber auch niemanden, bei dem ich das Gefühl habe, bei dem habe ich sehr viel gelernt, das war ein Mentor, den verehre ich. Die ganz großen Aha-Erlebnisse sind bisher ausgeblieben. Meine wichtigen Erfahrungen habe ich eher mit Mitarbeitern gehabt.

Herr Wolf, herzlichen Dank für das Gespräch.

12.2004

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