Extreme Situationen erfordern unübliches Verhalten

Mag. Susanne Busch, Mitglied der Geschäftsführung von HP Österreich über die Lernerfahrungen in Krisensituationen und die erforderliche Managementunterstützung, damit Herausforderungen zu wichtigen Erfolgserlebnissen statt zu Frustration führen.

Frau Mag. Busch, was waren in Ihrer bisherigen Karriere besonders lernträchtige Situationen?

Ein Schlüsselerlebnis war sicher meine erste Managementfunktion. Nach dem Studium, ca. ein halbes Jahr nachdem ich bei HP als Teammitglied angefangen habe, bin ich plötzlich Managerin des Teams geworden. Ich war im Team die jüngste, die unerfahrendste und meine damalige Managerin hat mich mit der Situation konfrontiert, indem sie mich bei einem Teammeeting plötzlich dem Team als neue Leiterin vorgestellt hat. Ich habe dann - was relativ hart war - hautnah die spontane Reaktion der Leute, die mich zum Teil eingeschult hatten, miterlebt. Da hieß es dann z.B.: "Du hast doch alles von mir gelernt, wie kann das jetzt sein, dass du mein Manager wirst. OK, du hast extrem schnell gelernt, aber trotzdem..." Ich habe ganz neutral auf die Fragen reagiert und versucht, freundlich und gelassen zu argumentieren. Hinterher ist es mir ganz schlecht gegangen. Ich fühlte mich total erschöpft.

Was hat Sie so fertig gemacht?

Die Konfrontation und so infrage gestellt zu werden: Bis du auch wirklich die Beste, um das zu machen? Die Kollegen haben mich mit Fragen gelöchert und meine Managerin ist drinnen gesessen, hat das beobachtet und auch gemerkt, wie es mir geht. Vom Team kam danach zwar die Rückmeldung – "Das war super, wie du da reagiert hast und auf unsere Fragen und Bedenken eingegangen bist" – aber in dem Augenblick war das schwer auszuhalten.

Diese Bekanntgabe war nicht abgesprochen?

Nein, es war eine Situation, in der ich ganz spontan reagieren musste. Dem Feedback nach habe ich es richtig gemacht. Die Kollegen haben gesagt: "Wir hätten uns nicht gedacht, dass du das so gut hin bekommst und dass du so klare Vorstellungen und Ideen hast." Ich habe da viel gelernt im Sinn von: "Siehst du, du kannst das eigentlich eh ganz gut, auch wenn du gar nicht vorbereitet bist. Du hast anscheinend ein Gespür, wie du auf das Team eingehen musst und du merkst ganz instinktiv, was jetzt deren Bedürfnis ist." Das war das erste Erlebnis in einer Managementposition, der Wechsel vom Teammitglied zur Teamleiterin. Eine ganz eigene Herausforderung.

Ebenfalls sehr viel mitgenommen habe ich von Vorbildern. Meine erste Managerin war für mich ein weibliches Vorbild, bei der ich sehr viel mitbekommen habe, wie man sich als Frau durchsetzen kann. Und dann gab es einen internationalen Manager an der Spitze, den ich sehr bewundert und bei dem ich mir gedacht habe, so will ich auch gesehen werden.

Was hat Ihnen bei Ihrer Managerin so imponiert?

Das Hervorstechende war, dass sie ihren Standpunkt immer hart und präzise vertreten hat, auf der anderen Seite aber auch einen sehr menschlichen Zug gehabt hat. Sie ist sehr auf die Bedürfnisse der Leute eingegangen. Sie hat nicht versucht, den eigenen Standpunkt brutal durchzusetzen, sondern die Leute dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Das hat mir imponiert: Nicht drüberfahren, nicht autoritär agieren, aber sehr wohl wissen, was man erreichen will und dann die anderen einbeziehen und positiv überzeugen.

Das andere Vorbild war ein Top-Manager im Konzern, an der Konzernspitze für Human Resources zuständig. Der hat die Personaldirektoren in den Ländern alle gekannt, was nicht ganz selbstverständlich ist, wenn man für über 100 Länder zuständig ist. Außerdem fand ich es beeindruckend, dass man ihn, wenn man zufällig vor Ort oder am gleichen Ort war wie er, immer ansprechen konnte und er sich dann auch stets Zeit für einen genommen hat. Als Mitarbeiter dieser Person hatte man das Gefühl, dass man sehr offen mit den Dingen kommen kann. Natürlich ist es für jemanden an der Spitze wichtig, dass er offen Feedback bekommt und die Dinge erfährt, die vor Ort vor sich gehen, aber dass sich ein Top-Manager dann tatsächlich immer die Zeit für einen nimmt, wenn man ein Thema hat, ist keineswegs selbstverständlich. Vor allem, wenn man weiß, wie die Terminkalender dieser Leute anschauen. Da habe ich mitgenommen, wie man zu Wissen über die Dinge kommt, die im Unternehmen vorgehen. Es gab in meiner Karriere aber auch ein Anti-Bild von einem Manager. Von dem habe ich ebenfalls viel gelernt, nämlich wie ich nicht sein will.

Wie schafft man es, mit so jemandem Zurande zu kommen und zu arbeiten?

Das war damals eine extrem schwierige Situation, ich habe aber im Nachhinein durch das Analysieren und Nachdenken darüber sehr viel mitgenommen für alle anderen, mit denen ich nicht gut kann. Diese Person ist ein sehr analytischer Mensch, für den es nichts gab, was nicht nachrechenbar war, was aber meines Erachtens nach im Leben nur ein Bruchteil der Wahrheit ist. Jede Entscheidung, die nicht mit Zahlen belegbar war, war nicht durchzubringen. Der Umgang mit der Umwelt war sehr autoritär. Aus dem unprofessionellen Umgang mit Menschen lernte ich, wie wichtig Höflichkeit und Achtung sowie gleiche Behandlung aller ist, unabhängig von der Hierarchiebene.

Was haben Sie in Bezug auf den Umgang mit solchen Vorgesetzen gelernt?

Dass man auf die Bedürfnisse nach Sicherheit bei einer Person, die nur aufgrund von harten Zahlen und Fakten entscheidet, sehr wohl eingehen muss. Dazu habe ich heute viel mehr Geduld als damals. Damals habe ich meinem Unmut Luft gemacht. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass es solche Personen auch gibt und versuche auf das Bedürfnis nach vollständiger Belegbarkeit einzugehen. Im Nachhinein betrachtet habe ich auch aus "Antibildern" sehr viel Positives mitgenommen.

Wie kamen Sie dann in den Personalbereich?

Ich habe im Zuge meiner Karriere innerhalb von HP die verschiedensten Dinge gemacht. Sechs Jahre davon war ich dann Personalleiterin. Einfach so, interessehalber. Die damalige Personalmanagerin ging in Pension und ich habe mich beworben, weil ich einige Ideen hatte, was man alles anders machen könnte. Das habe ich präsentiert, bin damit auf Akzeptanz gestoßen, und obwohl ich keine besonderen fachlichen Voraussetzungen mitgebracht habe, hat man mir die Aufgabe zugetraut. Und die hat mir dann tatsächlich viel Spaß gemacht.

Was waren so grundlegende Ideen?

Ganz am Anfang war das die Idee, umzusteigen von reiner Administration hin zu aktiver Vermarktung des eigenen Know-Hows und der HR Dienstleistungen. Wir haben diese Dienstleistungen in einem Dienstleistungskatalog zusammen gefasst - mit eigener Preistafel - und die Businesses, die das zugekauft haben, haben über die interne Verrechnung diese Preise gezahlt. Das war damals ein eher revolutionäres Konzept im Konzern.

Was waren solche Dienstleistungen?

Z.B. das Paket Mitarbeitersuche. Da gab es verschiedene Varianten der Rekrutierung samt Preisen: Kleines Paket: interne Rekrutierung, mittleres Paket über Announcensuche, und großes Paket mit Personalberatern oder direct search.

Führte das zu mehr Kostenbewusstsein bei den Führungskräften, dass bei einem Anruf und Auftrag wie - ich brauche da jemanden - auch Kosten dahinter stehen?

Ja, das ist sehr gut angekommen. Wir waren auch die erste Abteilung im Intranet und haben das intensiv genutzt, um vom Papierkram weg zu kommen, indem wir begonnen haben, Prozesse über Intranet abzuwickeln. Positiver Nebeneffekt: so konnten wir die HR Konzepte auch Kunden präsentieren. Oder das Thema Diversity: Wir haben in dieser Zeit zweimal den „Gläsernen Schuh“ gewonnen.

Sind Sie in Ihrer Karriere auch einmal gegen die Wand gelaufen?

Mit besagtem Manager habe ich öfter dieses Gefühl gehabt. Ja, da gab es schon eine konkrete Situation. Die Zeit des Umbruchs im Osten. Ich war damals gerade Creditmanager für Österreich, Ost-, Zentral- und Südeuropa. Ich hatte also eine Risikomanagement- und Finanzierungsfunktion für diese Länder. Wir hatten sehr viele Geschäfte mit Ländern wie Russland, wo damals sehr viel Business auf offene Kassa gegangen ist, weil das alles mit staatlichen Sicherheiten gedeckt war. Dann mehrten sich die Zeichen, dass diese Regierungsgarantien zu Neujahr fallen würden. Also habe ich konzernintern versucht, eine Kreditversicherung anzuregen. Nachdem das einiges gekostet hätte, bin ich quer durchs Unternehmen gepilgert und habe versucht, diese Idee zu verkaufen, bin damit aber nicht durchgekommen. Die gängige Meinung war, das hätte ja die letzten 15 Jahre auch so funktioniert und nichts zusätzlich gekostet. Ohne Unterstützung des direkten Vorgesetzten und des weiteren Linienmanagements im Konzern waren die notwendigen Änderungen einfach nicht durchzusetzen. Da bin ich gegen eine Wand gelaufen und musste daher eine alternative Lösung dafür suchen. Meine Leute in dem Bereich sind dann direkt zu den Kunden gegangen und wir haben wie die Hölle eingetrieben. Dadurch sind wir sehr gut ausgestiegen, als mit 1. Januar dann tatsächlich nichts mehr gezahlt wurde.

Das hätte ins Auge gehen können.

Absolut. Es war eine extreme finanzielle Risikosituation im Konzern. Ich habe damals gemerkt - wenn man mit dem direkten Manager nicht kann, dann kommt man einfach nicht durch, selbst wenn es eine Umbruchssituation ist, in der von heute auf morgen alles anders sein kann. Dann ist es sehr schwierig, das bewusst zu machen und so eine Lösung zu verkaufen. Ich war damals ziemlich verzweifelt und habe für mich daraus gelernt, dass man in solchen "abnormalen" Situationen, wenn es über die normale Hierarchie nicht funktioniert, auch mal andere Wege gehen muss.

Was würden Sie heute machen?

Heute würde ich in dieser Situation Hierarchiestufen überspringen. Ich würde nicht mehr den geordneten Weg einhalten, denn es ist auch keine geordnete Situation, kein Standardbusiness. Da muss man dann auch anders agieren als im Normalfall.

Haben Sie bei Ihren Führungskräften Testfelder, wo Sie schauen, wie die Leute reagieren?

Ich glaube, das Beste ist immer- auch aus eigener Erfahrung -  wenn man etwas ganz neu anfangen muss. Wenn etwas Neues auftaucht, mit dem sich noch niemand,oder man selbst sich noch nicht auseinander gesetzt hat und man das als Projekt übernimmt. Was muss man denn in so einem Fall machen? Man muss sich zuerst einmal orientieren, worum geht es überhaupt, sich also eine Menge Wissen erwerben. Man muss versuchen, die nötigen Leute zusammenzubringen und ihnen die nötige Unterstützung geben, um das auch umzusetzen. Dann braucht es meistens Strukturen, die erst aufgesetzt werden müssen. Dann muss das Ganze auch noch irgendwie intern „verkauft“ werden. Man lernt also bei so einem Projekt sehr viele wichtige Aspekte kennen. Das waren für mich immer die besten Lernergebnisse.

Viele Unternehmen stöhnen unter der Vielzahl an Projekten, die häufig im Clinch mit dem Tagesgeschäft liegen. Was geht vor, wenn es hart auf hart geht? Besteht nicht die Gefahr, dass die Projekte nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen?

Solche Projekte meine ich nicht. Sondern ich meine Projekte wie den Aufbau des Geschäftszweigs HP Leasing, da gab es vorher nichts. Keiner wusste lokal, wie das Leasinggeschäft funktioniert. International wusste man damals auch noch wenig. Ich habe mich dafür interessiert und das mit übernommen. Dann habe ich zwar schon einige Leute dazu bekommen, aber das war Aufbauarbeit pur. Das nötige Wissen erwerben, der Austausch mit anderen, wie haben das andere Unternehmen gemacht, wie funktioniert das von der Vermarktungsseite her, was ist von der Finanzseite her wichtig, vom Reporting usw. Oder als anderes Beispiel: das Absplitten eines größeren Firmenteils als Projekt. Man hat zuerst keine konkrete Ahnung von der Materie und entwickelt dann langsam beim Projektplan ein Gefühl dafür, was da alles passieren muss, welche Leute da mitmachen müssen, was an Resourcen vorhanden sein muss, und, und, und. Das sind Projekte, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein müssen und bei denen man einen Weg finden muss, wie man das schafft. Und um das zu erreichen, muss im Management Unterstützung vorhanden sein. Das ist übrigens noch ein Aspekt, den man lernen muss: Wie bekommt man die notwendige Unterstützung vom Management?

Worauf kommt es da an?

Man muss von Anfang an klar machen, was man erreichen will, warum man es erreichen muss, was die Knackpunkte sind und was das für die einzelnen Bereiche konkret heißt. Sie müssen es schaffen, dass sich die für Sie wichtigen Bereiche verpflichtet fühlen mitzutun, weil sie merken, dass es sie auch betrifft. Sie müssen die Frage der anderen Manager beantworten können: Warum bin ich auch involviert ?

Wir geben unseren Jungmanagern, unseren Top-Talenten daher gerne Projekte, die sie dann vor dem Management präsentieren und bei denen sie schauen müssen, dass sie in diesem Kreis mit ihrem Vorschlag auch durchkommen. Ich halte das für ein sehr gutes Übungsfeld.

Wenn Sie so ein Projekt vergeben und der Jungmanager startet dann los, worauf achten Sie dann?

Da gibt es verschiedene Punkte. Auf der persönlichen Ebene versuche ich sehr genau zu beobachten, wie es der Person damit geht. Ist sie schon weit unter Wasser, ist der Kopf noch über Wasser, wo ist sie gerade? Dafür ein Gefühl zu bekommen, ist mir ganz wichtig. Das zweite ist, dass man das Vorhaben strukturiert aufsetzen muss, d.h. je nachdem wie viel Erfahrung die Person überhaupt in Projekten hat, muss man es unterschiedlich oft reviewen. Wenn jemand noch nie ein größeres Projekt geführt hat, dann empfiehlt es sich, mit der Person zumindest einmal in der Woche intensiv zu sitzen und zu schauen, wie der Status ist. Dieses Institutionalisieren der Reviews halte ich für extrem wichtig. Wenn man merkt, die Person geht persönlich unter, weil es zuviel wird, muss man einschreiten und sich überlegen, was man machen kann, damit sie da wieder rauskommt. Man sollte aber nicht von außen hineingreifen, sonst würde das für die Person eine Art Niederlage sein. Das wäre nicht gut. Man muss also schauen, was gibt es in der Situation mit der Person für eine Lösung.

Was bietet sich da an?

Es gibt leider die Tendenz, solche Projekte immer nebenbei aufzuhängen. Meist arbeiten zwar ein paar Leute ganztags in dem Projekt, aber oft ist die Person, die das leitet, nicht Vollzeit involviert. Da bietet sich an, dass man ihr von den Standardaufgaben einiges wegnimmt und die Prioritäten neu definiert.

Den Projektleiter frei spielen?

Genau. Schauen, ob zusätzliche Ressourcen helfen können, oder beim Review darauf achten, ob nicht einzelne Dinge zu intensiv gemacht werden, indem man die Wichtigkeit einzelner Maßnahmen und Schritte hinterfragt. Könnte man es nicht anders machen, Dinge weglassen, andere Prioritäten setzen usw. Dazu braucht man einen engen Kontakt mit den Projektleitern, sonst funktioniert das nicht so gut. Wenn diese Personen dann schon mehr Erfahrung haben und mehrere Projekte gemacht haben, kann und sollte man die Leine lockern oder ganz loslassen. Dann überlässt man es eher der Person, je nach Bedarf Review-Termine zu organisieren.

Das hängt dann stark an den Vorgesetzten, wie die damit umgehen.

Wenn das ein kritisches Projekt ist, ist auch das Interesse da, dahinter zu sein. Wenn das nur ein „nice to have Projekt“ ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es mich als Manager nicht so rasend interessiert, ob etwas weitergeht, sehr groß. Die Gefahr dabei ist, dass das beim eingesetzten Projektleiter zu einem Niederlageerlebnis führt, wenn er merkt, dass das Interesse des Managers nicht sehr groß ist. Das hat dann eher einen negativen Lerneffekt: „Ich bekomme nur Aufgaben, die nicht wichtig sind“. Das sollte man tunlichst vermeiden. Lieber ins kalte Wasser schmeißen bei einem Projekt, bei dem es um etwas geht und dieses Projekt dann als Vorgesetzter möglichst nah begleiten. Es gibt da noch einen wichtigen Aspekt: Nur wenn man merkt, das ist jetzt wichtig, jetzt kommt es darauf an, geht man auch an seine Grenzen.

Frau Mag. Busch, herzlichen Dank für das Gespräch.

12.2004

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Mag. Susanne Busch, Manager Finance & Administration, HP Austria