"Man muss sich immer wieder neu einstellen"

Ing. Helmuth Gruber, Geschäftsführer der Linde Kältetechnik, über das - mitunter etwas zu - spannende Auf und Ab in einer Managerlaufbahn mit ständig größer werdenden Aufgaben.

Herr Ing. Gruber, was waren Schlüsselerlebnisse in Ihrer Karriere, die Ihr Führungsverhalten nachhaltig geprägt haben?

Die erste wichtige Situation in dieser Richtung war, als ich 1980 vom damaligen Geschäftsführer als Vertriebsleiter für Industriekälte zu Linde zurückgeholt wurde. Als ich, ca. 4 Jahre danach, dann mit ihm und einem wichtigen Kunden anlässlich einer Messe essen war und der Kunde gefragt hat, was ich eigentlich mache, habe ich ihm erklärt, ich sei Vertriebsleiter für Industriekälte, Feuerwehr für technische Probleme und würde mich auch mit kommerzieller Kälte beschäftigen. Plötzlich hat dann der Geschäftsführer gesagt:  "Herr Gruber ist unser neuer Vertriebsleiter für das gesamte Gebiet". So habe ich erfahren, dass ich nun Vertriebsleiter für alle Aktivitäten bin.

Da ist mir dann einiges durch den Kopf gegangen. Vor allem mit dem Bereich der kommerziellen Kühlmöbel für den Handel musste ich mich dann genauer beschäftigen. Einerseits was die Technik und das Marktpotenzial anbelangte, und zum anderen mit den Personen, mit denen ich es hier zu tun hatte. Das waren vom Menschentyp ganz andere Leute als vorher. Im Bereich Industriekälte waren meine Gegenüber Techniker, bei denen man auch technisch argumentierte, in der kommerziellen Kälte sitzt man aber in erster Linie Kaufleuten gegenüber, die vor allem einmal auf die Kosten schauen. Da musste ich umdenken und mich erst hinein arbeiten.

Wie passierte dieses Umdenken?

Ich habe mich mit unseren Verkäufern zusammengesetzt, bin mit ihnen zu den Kunden mit gefahren und habe mir einmal angehört, was erzählen diese Kunden, was brauchen sie, was wollen sie, wo liegen ihre Probleme? Dann habe ich Bücher gelesen und Seminare besucht, z.B. über Psychologie im Handel und speziell Lebensmittelhandel - wie man Geschäfte einrichtet, über Kundenführung etc., um mitreden zu können und mich auf diese, für mich neuen, Kunden einzustellen und kundengerechte Lösungen anbieten zu können.

Anfang der 90er-Jahre bekam ich dann die Aufgabe, die Linde Kältetechnik-Niederlassung in Ungarn aufzubauen. Da musste ich mich dann wieder mit vielen kaufmännisch sehr diffizilen Dingen beschäftigen wie den grenzüberschreitenden Notwendigkeiten usw. Durch diese neue Aufgabe war ich dann gleichzeitig Geschäftsführer von Linde Ungarn und Vertriebsleiter Linde Österreich. Auch da habe ich sehr viele neue Menschen kennen gelernt, mit anderen Mentalitäten, auf die ich mich wiederum neu einstellen musste.

Was genau bedeutete es, Ungarn aufzubauen?

Der Gedanke war ursprünglich: Unsere Kunden gehen nach Ungarn, also müssen wir dort eine Kundendienstorganisation schaffen. Wir haben dann mit Montagefirmen in Ungarn gesprochen und verhandelt, aber bald gesehen, dass das nur funktioniert, wenn wir eine eigene Niederlassung gründen. Also ging es am Anfang darum, jemanden zu finden, der das Büro leiten und vielleicht als späterer Geschäftsführer aufgebaut werden kann. Und dann galt es, Mitarbeiter zu finden, die einerseits die ungarische Mentalität kennen, andererseits aber auch unsere Philosophie verstehen und das miteinander verbinden und umsetzen können, sowohl vertrieblich aus auch technisch. Das war die Herausforderung. Im Mai 91 haben wir die Niederlassung gegründet und bereits im ersten Rumpfjahr haben wir positiv abgeschlossen.

Die dritte einschneidende Situation, wo ich auch viel gelernt habe, war ganz anders gelagert. Das war im September 92. Ich wusste damals seit ca. 1,5 Jahren, dass ich für die Nachfolge des Geschäftsführers im Gespräch war, weil dieser kurz vor der Pension stand. Das war aber damals noch nicht offiziell. Zu der Zeit bin ich ständig zwischen Ungarn und Österreich gependelt. Im September war dann eine Messe in Budapest, zu der sich das betreuende Vorstandsmitglied aus Deutschland angekündigt hatte. Bei einem Abendessen hat er mir dann eröffnet, "Herr Gruber, ich habe Ihren Vertrag auf meinem Tisch liegen. Sie werden im Jänner in die Geschäftsführung berufen und wenn Ihr Vorgänger Ende April in Pension geht, werden Sie alleiniger Geschäftsführer von Linde Kältetechnik Österreich."

Das war Montag Abend. In der Nacht habe ich dann sehr schlecht geschlafen, da mir viele Dinge durch den Kopf gegangen sind. Am nächsten Morgen habe mich nicht wohl gefühlt, bin aber auf die Messe gefahren, weil wir vereinbart hatten, wir treffen uns dort und schauen uns zusammen die Messe und einige ausgeführte Projekte an. Was wir auch getan haben. Ich habe mich mit mehreren Schweißausbrüchen durch die Hallen geschleppt, den Vorstand zu Mittag im Hotel abgeliefert, bin wieder zurück zur Messe und als ich am Parkplatz ausgestiegen bin, ging es mir extrem schlecht, mit starken Schmerzen im linken Arm. Mein erster Gedanke war: So ein Mist, ausgerechnet jetzt! Ich habe es gerade noch bis zum Stand geschafft, um zu sagen: Bitte ruft die Rettung. Dann ging es ab Krankenhaus in Budapest, Diagnose Herzinfarkt!

Damals habe ich aber gelernt, wie wichtig mitunter Kleinigkeiten sein können. Ich lag vielleicht zwei Stunden im Krankenhaus, schon diagnostiziert, da kam ein Anruf. Besagter Vorstand: "Herr Gruber, ich haben soeben erfahren, was Ihnen passiert ist, nachdem Sie von mir weg sind. Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Ganz einfach: Werden Sie gesund. Und das, worüber wir gesprochen haben, das bleibt selbstverständlich aufrecht, das hat damit nichts zu tun. Schauen Sie nur, dass Sie wieder auf den Damm kommen."

Alleine dieses Vertrauen, das mir da entgegen gebracht wurde, dass ich es schaffe, wieder aufzukommen, das hat mir sehr, sehr viel geholfen. Dann bin ich nach Wien gekommen und dann kam das schon nächste, diesmal ein Anruf aus dem Büro des damaligen Vorstandsvorsitzenden. Der wollte - obwohl wir uns persönlich gar nicht kannten - dass ich zu seinem Vertrauensarzt, dem Vorstand der dortigen Uniklinik komme. Die Firma hat den Flug bezahlt, den Krankenhausaufenthalt und alle Behandlungskosten. Das hat für mich gezeigt, wie wichtig es sein kann, dass man einem Mitarbeiter, der in Problemen steckt, das Gefühl gibt, ich stehe trotzdem hinter dir. Du kannst mit mir rechnen. Anfang Dezember war ich dann wieder im Büro.

Worauf führen Sie den Herzinfarkt zurück? Waren Sie so ausgebrannt?

Es war sicher damals eine Extremsituation. Ich war 48, hatte mich kurz zuvor von meiner Frau getrennt, pendelte ständig zwischen Ungarn und Österreich, beides sehr fordernde Aufgaben, dazu die innere Anspannung aufgrund der noch nicht entschiedenen Nachfolge und jede Menge Zigaretten  - alles zusammen also eine Spannungssituation. Und dann – ganz typisch – kam diese Aussage, ok, du wirst es jetzt – eine starke Entspannung nach einer langen Phase der Anspannung und genau dann hat es mich entwischt.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe dann wie geplant im Mai 93 die Geschäftsführung übernommen - und dann gleich im ersten Jahr ein Minus geschrieben. Es gab damals einen kräftigen Markteinbruch und da wir eindeutig zu viel Eigenpersonal hatten, konnten wir auf den Einbruch kaum reagieren. 1994 haben wir dann saniert und restrukturiert, mit dem Betriebsrat und der Mannschaft ein Programm zusammengestellt und in dem Jahr dann gleich das beste Ergebnis der Geschichte geschrieben. 1995 kam dann die Konsumpleite, das hieß wieder ein Minus, und ab 1996 ging es stetig bergauf. Im Jahr 2000 hatten wir dann den absoluten Gipfel, da hatten wir den Umsatz seit meiner Übernahme verdoppelt, mit 10% mehr Personal.

Haben Sie von Ihrem früheren Chef etwas gelernt?

Ja, ich habe viel gelernt, Plus und Minus. Als er die Firma 1979 übernommen hat, hat Linde einen Umsatz von ca. 70 Mio. Schilling gemacht, sein letztes Jahr 1992 hat er mit 500 Mio. Schilling abgeschlossen. Er hat eine enorme Aufbauarbeit geleistet. Ich habe von ihm viel gelernt in Richtung Umgang mit den Kunden und in Richtung richtig eingeschätzte Risikobereitschaft. Er hat seine Mannschaft einerseits sehr familiär, sehr sozial geführt, andererseits auch sehr patriarchalisch. Was er gesagt hat, hat gegolten. Vor allem gegen Schluss kam da auch eine gewisse Altersunbeweglichkeit. Da hatten wir viele, auch heftige Debatten. Ich denke, während dieser Aufbauarbeit war es richtig und notwendig, ein starkes Führungsverhalten an den Tag zu legen, weil sich alle irgendwo an ihm aufgerichtet haben. Aber in den letzten zwei Jahren war es doch teilweise sehr schwierig.

Wir hatte einmal eine Diskussion, wo er gesagt hat: „Meine Herren Prokuristen trauen sich überhaupt nichts mehr zu entscheiden.“ Und ich habe darauf entgegnet: "Das ist auch kein Wunder. Wir sagen blau, dann sagen Sie grün. Wir sagen weiß, dann sagen Sie rot. Egal was wir sagen, Sie wissen es immer besser und sagen immer was anderes. Also warten wir gleich, was Sie sagen und machen dann das, was Sie wollen. Aus. Wir wollen nicht ununterbrochen streiten." Wir haben lange debattiert.

Hat er das dann auch annehmen können oder weiter gemacht wie bisher?

Teilweise. Seine Standardantwort war: "Ja, ich weiß eh. Ihr habt mich nur mehr ein Jahr, und das müsst ihr mich noch aushalten." Was ich da auch gelernt habe war, dass man als Führungskraft mit seinem Führungsverhalten aufpassen muss, mehr als andere, was man tut, was man sagt, wie man es macht, um nicht Gefahr zu laufen, leichtfertig Dinge kaputt zu machen, die man zuvor mit viel Mühe aufgebaut hat.

Was wird die nächste lernträchtige Erfahrung sein?

Die ist schon da, gleich doppelt. Einerseits eine schwierige Marktsituation – Sie kennen die Situation im Lebensmittelhandel – und zum anderen ist die Linde Kältetechnik im Frühjahr dieses Jahres an einen amerikanischen Konzern verkauft worden. Das heißt, sich wieder neu einzustellen, sprachlich, kulturell und mentalitätsmäßig.

Herr Ing. Gruber, herzlichen Dank für das Gespräch.

12.2004

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Ing. Helmuth Gruber, Linde Kältetechnik