Vom Problemkind zum Vorzeigewerk

Nach der ab dem Jahr 1993 im gesamten FAG-Konzern begonnenen Umstrukturierung wurden Mitte der 90er-Jahre auch Standortüberlegungen bezüglich der österreichischen Produktionsstätte angestellt, was für gehörige Unruhe in der Belegschaft sorgte. Wenige Jahre später gilt der Standort konzernweit als Musterbetrieb, der sich mit allen anderen messen kann.

Der Unterschied ist nicht zu übersehen: In dem einen Bereich der beiden Produktionshallen dominiert noch ein grauer, schmutzig wirkender Steinboden, dunkelgrüne Maschinen, Hitze, Lärm und schlechte Beleuchtung. Geht man eine Tür weiter, betritt man unvermutet eine andere Welt. Der Boden ist hell und sauber, die sind Maschinen beige lackiert, die im Boden eingelassenen Wannen, in denen sie früher verankert waren, sind verschwunden. Die Beleuchtung ist wesentlich stärker,  die Räume freundlich und wohltemperiert, der Geräuschpegel reduziert. Die einzelnen Arbeitsbereiche sind auch für Außenstehende sofort unterscheidbar, ihre jeweiligen Leistungskennzahlen an Pinwänden auf einen Blick abzulesen und was man da graphisch zu sehen bekommt, erfreut sowohl Manager als auch Mitarbeiter.  Wo vor ein paar Jahren noch über eine ungewisse Zukunft diskutiert wurde, geben sich heute interessierte Kollegen aus anderen Konzerngesellschaften die Klinke in die Hand.

Turnaround statt Zukunftsängsten

Als 1995 Ing. Rupert Sitz als neuer technischer Vorstand an Bord kam und das Führungsduo mit dem kaufmännischen Vorstand, Dkfm. Beetz komplettierte, war in der Belegschaft zuerst noch Skepsis angesagt, schließlich war diese Position in den Jahren zuvor bereits mehrmals neu besetzt worden. Ebenso war aber vielerorts die Bereitschaft zur  Veränderung spürbar, denn die Liste an Problemen war lang und das gravierendste war jedem bekannt: die geringe Produktivität. Selbst bei hoher Nachfrage und enormen Stückzahlen schrieb das Werk rote Zahlen. Dazu kam: Die Fertigung war unübersichtlich, die Produktionsabläufe nicht wirklich nachvollziehbar, es gab eine Menge Leerläufe, die Liefertreue war mäßig und die Zertifizierung, eine Forderung der größten Kundengruppe, der Automobilbranche, harrte ihrer Realisierung.

Mag. Herbert Pelzer, der Ende 95 ins Unternehmen geholt wurde, um den Schulungsbereich auf ISO-Standard zu bringen und inzwischen die Personalleitung übernommen hat, meint zu der damaligen zentralen Denkblockade im Werk: “Jeder Mitarbeiter wusste, dass er alte Maschinen hat. Das wusste er damals und das weiß er heute. Nur war man damals der Ansicht, mit den alten Maschinen nicht besser werden zu können.  Also hieß es ständig: Verbesserung geht nur mit neuen Maschinen. Das war aber finanziell nicht drinnen.”

Erster und wichtigster Schritt war daher, Führungskräfte und Belegschaft davon zu überzeugen, dass auch mit alten Maschinen genügend Verbesserungspotentiale vorhanden wären, um im Standorte-Wettbewerb bestehen zu können. Die Aufgabe hieß: Was können wir tun, um besser zu werden, TROTZ der alten Maschinen?

Alte Maschinen - neue Denke

Nicht die alten Maschinen waren das zentrale Problem der FAG, sondern schlecht gestaltete Prozesse, demotivierende Arbeitsbedingungen und eine sträfliche Vernachlässigung des vorhandenen Potentials der Mitarbeiter. Als man daher – als Pilotprojekt – zwei Fertigungsbereiche herausgriff und sich den oben beschriebenen Problemfeldern zuwandte, ließen die positiven Ergebnisse nicht lange auf sich warten. Nach den ermutigenden Anfangserfolgen wurden die Neuerungen dann aufs gesamte Unternehmen ausgedehnt:

     

  • Die Einführung von TPM, Total Producitive Maintenance, meint die vorbeugende Instandhaltung durch die Fertigungsteams selbst und bewirkte u.a. eine deutliche Verringerung der Ausfallszeiten. Z.B. werden durch die hell lackierten und direkt auf den hellen Boden gestellten Maschinen Schmutz und Schäden viel schneller erkennbar (verräterische Ölspuren) und somit behebbar, noch bevor die Maschine ausfällt. Viele der Dinge, zu deren Erledigung früher die Instandhalter angefordert werden mussten - was natürlich Zeit kostete - wird nun vom Team vor Ort erledigt und immer weiter verbessert.
  • Die 5-S-Aktion (ein japanisches Konzept) führte zu einer Neugestaltung der Arbeitsbereiche und zu einer enormen Zeitersparnis durch den Wegfall bisheriger Wegzeiten und Suchvorgänge (Hat jemand meinen Schraubenschlüssel gesehen?)
  • Durch zueinander gedrehte und mittels einfacher Laufbänder verbundene Maschinen kann nun eine Person bis zu vier Maschinen gleichzeitig bedienen. So freigespielte Mitarbeiter wurden in dem neu geschaffenen Bereich “neue Produkte” eingesetzt, der darauf abzielt, zunehmend weniger als “verlängerte Werkbank” des Mutterkonzerns zu fungieren.
  • In eigenen  Workshops wurden die Rüstzeiten der einzelnen Maschinen genau unter die Lupe genommen, der Prozess in  seine Teilschritte zerlegt, gemeinsam überdacht, in vielen Abläufen verbessert, neu zusammengesetzt und damit enorme Verbesserungen erzielt.
  • Durch die Einführung von Teamarbeit entlang der Prozesskette kam es bei den bislang einzeln vor der Maschine arbeitenden Mitarbeitern erstmals zu einem nicht nur von oben beschworenen, sondern auch tatsächlich erlebbaren Gemeinschaftsgefühl, in der Folge gefördert durch viele gemeinsame Workshops, den dabei gemeinsam durchgeführten Verbesserungen und den dann auch gefeierten Erfolgen.
  • Das neu eingeführte Kanban-System bewirkte eine bessere Fertigungssteuerung und schnellere Durchlaufzeiten, einen besseren Informationsfluss und einen ständigen Überblick über den Fertigungsprozess.

 

Begleitend zu diesen Veränderungsschritten kam es zu einer dem Teamgedanken entsprechenden Änderung des Entlohnungssystems und zu Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, auch und vor allem der Führungskräfte, um sie auf die angestrebte Änderung ihres Rollenverständnisses vorzubereiten.

Einen andauernden Verstärkungseffekt bildeten die verschiedenen bereits erlangten Zertifizierungen (ISO 9002, QS 9000, VDA 6.1 EMAS) und die regelmäßig von den Automobilkonzernen, aber auch von internen Mitarbeitern durchgeführten Audits, vor denen sich in Berndorf mittlerweile keiner mehr zu fürchten braucht.

11.1999

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