Top-Management Teams - gibt es so etwas?

Dr. Rudolf Wimmer über die Kosten von Nicht-Kooperation an der Unternehmensspitze und die drei zentralen Hebel, damit Kooperation funktionieren kann.

Auf Vorstandsebene gibt es üblicherweise klare Ressortverantwortungen und immer kürzere Laufzeiten der Verträge. Wie wahrscheinlich sind unter diesen Bedingungen Teams an der Spitze, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen?

Natürlich ist die Gefahr der Fragmentierung und der Ressortbildung immer vorhanden, aber das ist bereits ein Krisensymptom. Außer Sie befinden sich in einem Markt, der die Nicht-Kooperation im Unternehmen alimentiert, weil die einzelnen Ressorts kaum etwas miteinander zu tun haben, was aber immer seltener der Fall ist. Ansonsten geht es rein ökonomisch gesehen darum, die Transaktionskosten im Führungssystem zu senken, d.h. Kooperation funktionstüchtig zu machen. Das kann man unter theoretischen Gesichtspunkten sehr schön beschreiben. Organisationen sind dazu da, Kooperationskosten zu senken, sonst bräuchte man sie nicht.

Dort wo Firmen ein gewisses Maß an Eigenkomplexität aufgebaut haben - und die meisten Unternehmen haben das durch die zunehmende innere Diversifikation von Geschäftsbereichen und internen Servicebereichen in den vergangenen Jahren getan -  verdichten sich die Kooperationszwänge sowohl lateral als auch vertikal. An den Schlüsselpositionen des Gesamtsystems findet man daher heute fast immer teamförmige Konstellationen. Meine These ist, dass der Erfolg von Organisationen sehr viel damit zu tun hat, ob und wie Sie diese Teamkonstellationen zum Klingen bringen und damit die Transaktionskosten in den Führungsstrukturen senken.

Was meint Transaktionskosten?

Transaktionskosten meint, dass Nicht-Kooperation in der Führung enorme Aufwände produziert, die dann irgendwie kompensiert werden müssen. Sei es auf informeller Ebene oder durch mikropolitische Aktionen. Das ist klarerweise immer suboptimal, weil dadurch die Organisation damit beschäftigt ist, den einen zu unterstützen und den anderen auszubremsen, worunter die inhaltlichen Ergebnisse natürlich leiden.

Eine häufig geäußerte These ist, dass in vielen Organisationen gerade jene Führungskräfte Karriere machen, die sich nicht durch große Kooperationsfähigkeit auszeichnen. Dabei wäre das an der Spitze gerade einer ihrer zentralen Aufgaben. Stimmt die These?

Das ist sicher eines der Dilemmata. Dort sitzen Leute, die sehr durchsetzungsstark sind. Wenn man so will  "eine Ansammlung von Klassensprechern, denen die Klasse fehlt". Hier funktionierende Kooperation hinzubekommen, ist schwierig, aber genau dafür werden diese Manager unter anderem bezahlt. Wenn sie nur ihre Egomanie ausleben, wird dort oben vor allem gekämpft. Da braucht es CEOs, die damit gut umgehen können und die gibt es. Es gibt viele Manager, die erkennen, dass das Nicht-Abgestimmtsein, das alleine Marschieren in den einzelnen Bereichen so viele Folgekosten produziert, dass damit die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems enorm gefährdet ist. Je größer die horizontalen Abhängigkeiten voneinander sind, umso störungsanfälliger sind solche Organisationen. Die Frage ist: Wie stark hängt die Performance des Gesamtsystems an der Bewältigung wechselseitiger Abhängigkeiten? Wir bauen ja mehr und mehr Organisationen, wo wir diese Abhängigkeiten aus gutem Grund intensivieren und dafür muss die Arbeitsfähigkeit gewährleistet sein.

Was ist nun entscheidend, ob Kooperation in der Chefetage funktioniert oder nicht?

Ein erstes wichtiges Signal ist, dass die Top-Verantwortlichen glaubwürdig signalisieren, dass ihnen dieser Kooperationszusammenhang ein ganz, ganz wichtiger Punkt ist. Wenn sie durch ihre eigene Kommunikation signalisieren, dass ihnen das Bilaterale eigentlich viel wichtiger ist und dass es sich jeder unter vier Augen besser richten kann als im Führungskreis, dann sind das Sonntagspredigten, nichts anderes als Heizen bei offenem Fenster.

Ein ganz zentraler Stellhebel ist also die Passung von wichtigen Führungsaussagen und Alltagshandeln. Wenn die Mitarbeiter spüren, dass das den Vorständen oder Geschäftsführern tatsächlich sehr wichtig ist und sie sich nicht bilateral gegeneinander ausspielen, indem beispielsweise Konflikte im kleinen Kreis unter Ausschluss der Betroffenen besprochen werden, dann befördert das natürlich die Glaubwürdigkeit. Es sind die Alltagsstrukturen, die so etwas in die eine oder andere Richtung befördern. Wenn sich Top-Leute sehr bewusst sind, was sie machen und das Team wirklich als Entscheidungsorgan nutzen, ist das schon die halbe Miete.

Wichtig ist, dass Führungskräfte verstehen, dass sie über Kommunikationsstrukturen steuern. Das ist etwas, das in den Köpfen vielfach nicht vorhanden ist. Daher lassen sich die Leute an der Spitze durch die Kommunikationsangebote des Alltags so leicht verführen: Da kommt ein Vorstandskollege, will "schnell mal was abklären", kurz darauf ein anderer, der gern etwas "unter vier Augen besprochen hätte" und der Effekt ist, dass der CEO durch diese Kommunikationsstruktur "Zweiergespräche" die Energie aus dem horizontalen Kommunikationsgeschehen total herauszieht. Das System richtet sich sofort danach aus, das geht innerhalb von wenigen Wochen. Dann ist das eingependelt und das bekommt man kaum mehr raus. Außer durch massive Interventionen oder Personalwechsel.

Was kann man noch machen, um die Zusammenarbeit zu stärken?

Ein zweiter zentraler Stellhebel oder Interventionsfokus ist, immer wieder Gelegenheiten zu schaffen, durch die die Manager begreifen, dass Kooperation selbst unter egoistischen Gesichtspunkten mehr bringt als alleine zu marschieren. Damit meine ich das, was wir aus dem Prisoners Dilemma gelernt haben, wo man immer die Illusion hat, dass egoistisches Verhalten alla long zu besseren Ergebnissen führt. Um zu verstehen, dass die Komplexität inzwischen so gewachsen ist, dass man durch Kooperation auch für sich auf Zeit gesehen besser fährt, braucht man wohl auch das eine oder andere leidvolle Erlebnis.

Aber wenn man sich ansieht, wie schnell die Top-Manager heute wechseln, dann gibt es doch vieles, was mittelfristig Sinn machen würde, aber kurzfristig eben nicht.

Da sind wir wieder bei der Frage, wer belohnt das kurzfristige egoistische Verhalten? Das muss ja jemand belohnen, sonst würde es nicht gesetzt. Das ist ja kein Naturgesetz, sondern Führungskultur. Nach einem Jahr hat man als Führungskraft noch nicht einmal den Fuß ordentlich in die Tür bekommen. Wenn die Führungskraft dann wieder wechselt, was soll sie da bewirken? Da kann sich der Rest der Organisation, wenn man schon mit einem schnellen Wechsel rechnet, nur abschotten. Das ist eine Form von Personalpolitik, die Führung kaputt macht.

Wenn ein Unternehmen den Standard etabliert hat - ein oder zwei Jahre in einer Position, nicht länger - dann signalisiert man damit als Organisation, dass Führung eigentlich nicht notwendig ist. Dass es eh egal ist, wer da oben ist. In drei Jahren kann man schon etwas tun, da kann man schon Spuren hinterlassen. Hier stellt sich die Frage, ob der Nächste dann darauf aufsattelt oder wieder ganz neu anfängt und alles entwertet, was vorher passiert ist. Wenn das eine Mannschaft schon öfter erlebt hat, weiß man ebenfalls, auf was man sich einzurichten hat. Das sind gut beschreibbare Mechanismen, die dem Unternehmen signalisieren, dass Führung unnotwendig ist.

Der zweite Stellhebel, was Managementteams anbelangt, ist wie gesagt das Markieren dieser beiden Optionen: allein egoistisch versus Kooperation. Längerfristig positiv performende Managementteams haben ein Bewusststein für ihre wechselseitige Abhängigkeit entwickelt. Von da her ist es ganz wichtig, dass man Managementteams nicht als solche promotet, weil sie an sich besser wären als Einzelkämpfer, sondern um die tatsächlichen wechselseitigen Abhängigkeiten herum, die vom Geschäft her induziert sind.

Wenn z.B. klar ist, dass die Vertriebsmannschaft und der Marketingbereich, die lange Jahre solitär nebeneinander agiert haben, überhaupt nur miteinander eine Chance haben und dass es sinnvoll ist, dass die Marketingleute bei ihren Promotion-Aktivitäten das Erfahrungswissen der Vertriebler einbauen und umgekehrt die Vertriebler wissen, was an neuen Promotions kommt und ihre Aktivitäten entsprechend darauf ausrichten und diese Erfahrungen möglicherweise wieder in Richtung Produktentwicklung rückgekoppelt werden etc. dann sieht man sehr schön, dass die eigentlichen Produktivitätsgewinne in dieser Kooperation liegen oder eben auch verloren werden. Aber traditionellerweise sind das Burgen, die sich wechselseitig abgeschottet haben.

Also nicht Team um des Teams willen, sondern als adäquate Form für den Umgang mit gegenseitigen Abhängigkeiten?

So ist es. Es geht darum, Managementteams um Abhängigkeiten herum zu bauen. Auch da kann man wieder nur empirisch feststellen, dass die Organisationsveränderungen der letzten zehn, fünfzehn Jahren diese Abhängigkeiten gesteigert und nicht minimiert haben, weil man mehr Komplexität in den Unternehmen bearbeitbar machen möchte und die Zielkonflikte zugenommen haben. All das setzt funktionierende Aushandlungsmechanismen in den Managementstrukturen voraus.

Ein dritter Stellhebel ist ein besonderer personeller Stellhebel. Solche Teams funktionieren auf lange Sicht nur, wenn die Personen an der Spitze es schaffen, sich wechselseitig auch auf einer persönlichen Ebene interessant zu finden. Wenn sie also das Gefühl haben, in einer spannenden Mannschaft zu spielen. Das ist nicht so leicht zu greifen, aber in der Praxis ist es unheimlich wichtig,  das Gefühl zu haben, ich bin da in einer Mannschaft, die als Mannschaft gut performt, wo es für mich reizvoll ist, da dabei zu sein und wo die anderen das auch so empfinden. 

Da ist wieder ein CEO sehr gefordert, darauf zu schauen und wenn Einzelne, aus welchen Gründen auch immer, beginnen rauszufallen, das nicht einfach ungeschaut hinzunehmen. Wenn jemand ausgegrenzt wird, dann ist es wichtig, das nicht unter den Teppich zu kehren, sondern zu handeln, z.B. indem man den Konflikt direkt anspricht und versucht, ihn zu bereinigen. Gelingt das nicht, kann es sein, dass man auch mal einen Spieler auswechseln muss. Viele dieser Teams erodieren deswegen, weil genau das nicht passiert.

Werden Vorstandsmitglieder nicht durch den Aufsichtsrat gesetzt, weshalb es durchaus sein kann, dass der CEO möglicherweise viel lieber jemand anderen ins Team geholt hätte?

CEOs haben oft eine viel größere Entscheidungskompetenz als sie glauben. Ich würde mir als CEO nicht einfach jemanden reinsetzen lassen, bei dem ich nicht auch selbst überzeugt bin, dass er gut performt. Wenn man solche Kuckuckseier ins Nest gelegt bekommt, steigert das die wechselseitigen Vorbehalte und das Misstrauen, dass man so jemanden integrieren kann, enorm.

D.h. der CEO hätte oft mehr Macht als er vielleicht nutzt?

Ja. Man kann dem Aufsichtsrat gegenüber durchaus sagen, "da habe ich massive Bedenken, das wird die Zusammenarbeit enorm belasten". Dann muss sich der Aufsichtsrat etwas überlegen. Schließlich ist er auch für das Ensemble verantwortlich und nicht nur für Einzelspieler.

Da hängt natürlich einiges dran. Etwa die Konfliktfähigkeit auf der persönlichen Ebene. Und wenn man beobachtet, dass sich etwas zusammen braut, dann braucht es natürlich auch zeitliche und soziale Räume, wo solche Teams  das miteinander thematisieren und klären können, abseits der Routine. Top-Manager scheuen oft zurück, sich als Lernender zu sehen, aber das Problem gelingender Kooperation ist virulenter denn je, denn das ist die Komplementäreigenschaft zur gestiegenen Komplexität. Wenn man klassische hierarchische Strukturen ein Stück weit auflöst, muss man auch die entsprechenden neuen Führungsstrukturen dafür bauen. Da gibt es noch einen großen Nachholbedarf.

12.2005

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Prof. Dr. Rudolf Wimmer,