Methoden sind Hilfsmittel bei der Innenschau

Dr. Laurenz Andrzejewski, Autor des Buchs "Trennungskultur" über seine langjährigen Erfahrungen bei der Beratung von Managern, die über einen Umstieg nachdenken.

Nimmt der Bedarf an Neuorientierung zu?

Ja, ich erlebe immer wieder, vor allem im Einzelcoaching, dass Menschen auf mich zukommen und z.B. sagen, ich habe einen sehr guten Job, verdiene sehr gut, aber das füllt mich nicht aus, das kann es doch nicht gewesen sein. Oder sie sagen, ich will es mir nicht mehr antun in dieser Kultur, in diesem Stil. Ich suche etwas anderes.

Einerseits hat die Qualität des Druckes zugenommen, es wird mehr Arbeit auf weniger Schultern verteilt. Zum anderen steigt auch wie die Sensibilität – Stichwort Work-Life-Balance. Aus meiner Erfahrung ist es aber nur der kleinere Teil der Menschen, der das bewusst reflektiert, der größere Teil lebt einfach damit. Nur wenige stellen sich dem Prozess und von denen suchen sich einige Rat im Sinn des beruflich orientierten Coaching, andere mehr im persönlichkeitsorientierten Bereich. Es gibt einen großen Zulauf zu Selbstfindungskursen.

Ratsuchende sind ja oft massiv unter Druck, auch finanziell.

Ja, in der Tat. Viele Leute kommen aus einem akuten Gefühl der Überforderung oder der Arbeitsplatz ist bedroht oder man hat ihn bereits verloren. Oder aber, es gibt keine Karriereperspektive im Unternehmen mehr. Dann kommt die Schau nach innen. Oft hängt das auch mit dem Lebensalter, der persönlichen Entwicklung zusammen.

An diesem Punkt geht darum, eine Begegnung mit sich selbst herbeizuführen, eine Innenschau, den Blick in den Spiegel zu wagen. Das geht meistens nicht allein, da braucht man einen Sparringpartner, einen Freund, einen Berater, der durch geschickte Fragen bei der Reflexion hilft. Es geht um die innere Wertewelt: Was ist mir wichtig: Will ich Orden oder Titel oder will ich mehr Freiheit und Ausgeglichenheit? Was ist meine Lebensaufgabe?

Man muss ja nicht immer gleich den Beruf wechseln, oder?

Bevor man eine berufliche Veränderung vornimmt, ist es gut, klar zu haben, worum geht es wirklich? Manche Manager wechseln in den sozialen Bereich, in den kirchlichen Bereich, entscheiden sich für weniger Einkommen, aber eine für sie befriedigendere Arbeit. Das ist oft ein hartes, inneres Ringen, ein schwieriger Prozess. Dazu bedarf es Klarheit über die eigenen Werte, einer persönlichen Vision, meine Berufung.

Und es bedeutet, Vertrauen zu haben in die eigenen Kompetenzen, die eigenen Neigungen und Fähigkeiten, um dann auch mutig die nötigen Schritte zu gehen. Manchmal kann man das, wenn man es nicht weiß, durch Potenzialanalysen unterstützen.

Kürzlich traf ich einen Herrn, den habe ich kennen gelernt als Bänker im dunklen Nadelstreif. Der wurde sich eines Tages bewusst, dass er nie wieder in diese Türme gehen wollte. Inzwischen hat er im Spessart mehrere Nobelhotels, verwirklicht dort seine betriebswirtschaftliche Kenntnisse, sein Managementwissen, sein Verlangen, etwas bewegen zu können und seine Vision vom Umgang mit Menschen. Dazu muss man aber auch Bisheriges loslassen können. Noch ein Beispiel: Ein Niederlassungsleiter einer internationalen Personalberatungsfirma wurde sich bewusst, dass die  Leitungsfunktion nicht mehr zu seiner Lebenssituation passte. Also entschloss er sich, völlig unkonventionell, sie abzugeben. Er bekam dann andere Funktionen, die ihm viel mehr entsprachen. Man muss die Persönlichkeit haben, dass einem nicht der Zacke aus der Krone fällt, wenn man von etwas lässt. Das will nicht jeder, dann haben eben andere Werte Vorrang.

Wie kann man diese Suche nun konkret unterstützen?

Diese Auseinandersetzung mit sich selbst kann auf mehreren Ebenen passieren: Auf einer berufsberatungstechnischen Ebene: mittels Potenzialanalyse, Stärken-/Schwächen-Analyse, Definition der Kernkompetenzen usw. Auf der Ebene der persönlichen Werte und schließlich auf der Ebene des eigenen Weltbildes und Fragen der Spiritualität. Jeder muss seinen eigenen Weg der Reflexion finden, es gibt ganz unterschiedliche Zugänge.

Meine Erfahrung ist: wenn jemand das angehen will, wenn er sich auf den Weg macht, dann kommt er auch mit den richtigen, für ihn passenden Personen, Seminaren, Büchern usw. in Kontakt. Natürlich gibt es unter den Anbietern immer seriöse und Scharlatane. Je größer das Versprechen, umso skeptischer wäre ich. Aber die verschiedenen Methoden sind alle nur Hilfsmittel bei der Innenschau. Das wichtigste ist die Bereitschaft, sich auf die Reflexion einzulassen.

Oft kommt man in den Gesprächen auf das Thema Korruption: korrumpiere ich mich? Insofern geht es in solchen Suchprozessen auch um das Üben und die Wiederherstellung von Integrität und Wahrhaftigkeit im eigenen Leben. Nicht umsonst sagen viele, die so eine Krise überstanden haben, oft: Das war das beste, was mir damals passieren konnte, anhalten, nachdenken, neu ausrichten, dann wieder einsteigen und in eine neue Richtung weiterfahren. Das ist im Grunde der Weg

Herr Dr. Andrzejewski, vielen Dank für das Gespräch.

12.2003

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