"Wandel sollte kein Dogma sein"

Im Gespräch mit Dr. Sebastian Schuh, bis 2009 Leiter der strategischen Personalentwicklung bei der Generali Vienna Group.

Herr Dr. Schuh, wann scheitern Veränderungsprozesse?

Es ist enorm schwierig, eine Transformation zu vollziehen, ohne ein Bild der Zukunft zu haben, das den Betroffenen Sinn vermittelt. Eine Schlüsselvariable, die über den Erfolg eines Veränderungsprozesses entscheidet, ist, ob bei den Akteuren im Prozess das Gefühl aufkommt: "Da lohnt es sich, Zeit und Mühe zu investieren, das macht Sinn, es ist toll da dabeizusein."

Es kann ja auch etwas Sinn machen, aber in meinen Augen nicht wirklich notwendig sein?

Die Dinge hängen eng zusammen. Ich glaube, dass es sehr schwierig ist, den Sinn eines Projektes zu vermitteln, wenn es nicht wirklich notwendig ist. Häufig kommt die Notwendigkeit ja von der Veränderung der Märkte her. Heute haben selbst große Unternehmen oft nicht mehr die Macht, selbst zu bestimmen, ob sie etwas verändern wollen oder nicht. Es gibt einfach Marktentwicklungen, die auch von den großen Unternehmen Anpassungen erfordern, um langfristig erfolgreich zu bleiben.

Gibt es noch weitere Faktoren?

Ich bin überzeugt, dass Prozesse um so erfolgreicher sind, je mehr Variablenkomplexe zur Disposition stehen. Wenn Sie Projekte haben, bei denen es um Kulturveränderung geht und Sie die Auflage haben, an der Struktur nichts zu verändern, dann ist es sehr viel schwieriger etwas zu bewegen, als wenn Sie darüber hinaus die Möglichkeit haben, parallel zur Kulturentwicklung auch eine Weiterentwicklung der Struktur zu verfolgen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist: Veränderungsprozesse bedeuten ja in der Regel immer auch eine Veränderung der Machtstrukturen - Macht ist dabei  wertfrei gemeint.

Nach der Veränderung sind Personen, die vor der Veränderung Macht gehabt haben, vielleicht noch mächtiger, andere dafür ohnmächtiger oder umgekehrt. Es ist ja bekanntermaßen sehr schwierig, Umverteilungen von Macht, auch wenn sie ökonomisch sinnvoll sind, vorzunehmen. Ich kann mir vorstellen, dass Führungskräfte zukünftig lernen werden, mit Macht auch im Sinn einer ökonomischen Vernunft umzugehen. Dies bedeutet konkret, Macht im Unternehmen verstehen zu lernen als eine wichtige Ressource, die man braucht, um Bewegung zu erzeugen. Eine Ressource die es bewusst zu verteilen gilt wie andere Ressourcen auch.

Nun sind die Punkte, warum Veränderungen scheitern, seit langem bekannt. Trotzdem gibt es immer noch viele Projekte, die genau so ablaufen. Warum?

Die angesprochenen Erkenntnisse waren früher eher im Besitz der Berater als der Führungskräfte. Aber das fängt langsam an, sich zu ändern. Veränderungsprozesse können nur dann funktionieren, wenn die Führungskräfte sie maßgeblich betreiben und auch sehr viel Führungsarbeit in die Veränderungsprozesse investieren. Oft haben Veränderungsprojekte auch nicht die Priorität, die sie eigentlich bräuchten. Man verkennt, dass die Veränderung selbst eine Arbeit darstellt und meist viel mehr Zeit beansprucht als man zuerst glaubt.

Darüber hinaus muss man im konkreten Einzelfall darauf schauen, ob Veränderungsbereitschaft wirklich belohnt oder eher behindert oder gar bestraft wird. Wenn Unternehmen systematisch Veränderungsbereitschaft und Veränderungshandeln belohnen würden, würde schnell eine Kultur entstehen, die Flexibilität aufbaut. Ich denke aber auch, dass man in Unternehmen von den Mitarbeitern Veränderungsbereitschaft verlangen und einfordern kann, sozusagen im Zuge des vereinbarten Tauschverhältnisses: Veränderungsbereitschaft kann nicht eine Frage der Freiwilligkeit sein, sondern darüber soll und muss verhandelt werden.

Andererseits: Menschen und Organisationen vertragen Wandel nur in einem bestimmten Umfang. Die Frage ist, wie kann man in Phasen der Veränderung gleichzeitig Stabilität und Sicherheit herstellen. So wie wir das Management des Wandels lernen, müssen wir auch das Management von Stabilität lernen. Mit der gleichen Sorgfalt, mit der man Wandel plant, muss man gleichzeitig auch die Stabilisierung mitbedenken und sie zum integralen Bestandteil des Prozesses machen.

...zurück zum Seitenanfang

Teilen:

Dr. Sebastian Schuh