Zeit – Macht – Ohnmacht

"The time is out of joint." Die Zeit ist aus den Fugen geraten. So klagte schon Shakespeares Hamlet vor mehr als 400 Jahren. Diese Zeiterfahrung ist also keineswegs neu. Neu ist das Gefühl, dass die jeweils eigene Lebenszeit selbst zunehmend aus den Fugen gerät und sich der subjektiven Steuerungsmöglichkeit entzieht. Zersplittert in einem Meer von Handlungsoptionen und kurzatmigen Lebenstakten.

Der Zeitforscher und Managementberater Dr. Franz J. Schweifer ging dem widersprüchlichen Umgang mit Zeit in einer empirischen Forschungsarbeit nach – mit Fokus auf eine Zielgruppe an den Schalthebeln der Macht: Top-ManagerInnen.

Zeit(ohn)mächtig?

Nachfolgend einige pointierte Einblicke in Kernerkenntnisse und mögliche Auswege aus der Zeitfalle („Zeitermächtiger“).

  1. Positionsmacht macht zwar hochgradig wirkmächtig und monetär potent. Aber nur bedingt zeitmächtig, eher zeitarm. Es bestätigt sich ein Axiom des Ökonomen Staffan Linder schon aus den 1970er-Jahren: „Je erfolgreicher Sie sozial und ökonomisch werden, umso sicherer geht Ihnen die Zeit aus, werden Sie zeitanämisch, droht Ihnen der Temporalkollaps.“ Ein Manager der Gegenwart bestätigend dazu: „Ökonomisch Erfolgreiche haben keine Zeit.“
  2. Top-ManagerInnen pendeln tendenziell zwischen gradueller Zeitmacht & Zeitohnmacht, limitiert durch übergeordnete Zeithierarchien – etwa die Logik des (ökonomischen) Sachzwanges. Oder wie es ein Firmeninhaber ausdrückt: „Ich kann nichts mehr anderes machen, ich muss produzieren!“ Zugleich durchlöchert eigener Druck die Zeitmacht. Etwa unbedingter Erfolgswille oder Erfüllung hoher Selbsterwartungen: „Man läuft hinter der eigenen Karotte her.“
  3. Top-ManagerInnen haben zumindest potenziell höhere Wahlchancen punkto Zeit- und Lebensgestaltung als etwa weniger Privilegierte. De facto können oder wollen sie aber dieses Mehr an Handlungsalternativen nur bedingt wahrnehmen. Weil diese schlicht nicht attraktiv oder opportun sind, sprich karriereschädigend oder mit sozialer Exklusion und Imageverlust verbunden.
  4. Relative Zeitmächtigkeit steht v.a. mit 3 Erfolgsstrategien im Zusammenhang: 1. Pflege von Ritualen & Auszeiten, 2. Selbstdisziplin und 3. ein mehrdimensionales Selbst- & Lebenskonzept.
  5. Relative Zeitohnmacht markieren v.a. 3 Determinanten: 1. externe Zeithierarchien (Druck von außen: „Man ist getrieben von Quarterly Reports.“), 2. Enge Arbeitstaktung („Wir alle sind Getriebene unseres Terminkalenders.“), 3. Lebens- und karrieregeschichtliche Brüche (Erschöpfung, Burnout, abrupte Karrieresprünge, Krankheit, Verlust, Tod: „Der schwierigste Moment in meinem Leben war der Tod eines meiner Kinder.“)
  6. Berufsziele und Karriere haben weitestgehend Vorrang vor familiären und privaten Bedürfnissen. Es gibt kaum ein Sowohl-als-Auch, eher bleibt nur ein Entweder-Oder. Deshalb ist meist auch die Frage von Work-Life-Balance obsolet, da weithin die Formel gilt: Work=Life=Work. Arbeit und Karriere sind hochgradig identitätsstiftend. Getragen von zentralen Karrieretreibern: Disziplin und Erfolgswille.

Erfolgsstrategien

Zeiterfolg, Zeitmacht, Zeitsouveränität – "mächtige" Begriffe, weil schwer definierbar und von subjektiven Empfindungen geprägt. Aber sie scheinen etwa mit einem Gefühl positiver Rückkoppelung ("sich gestaltend erleben"), mit dem Aufgehen im konkreten Tun oder Eingetauchtsein im Jetzt verbunden. Der vom Glücksforscher Csikszentmihályi geprägte Begriff des "Flow" mag dem durchaus nahe kommen. Hier einige ausgewählte Erfolgsstrategien im Umgang mit Zeit. Resultierend aus Zeitgesprächen mit Top-ManagerInnen.

  1. Rituale: Die konsequente Pflege von Ritualen ist gleichsam entlastend wie Struktur und Halt gebend – auch als Korrektiv zu einer Arbeitswelt, die völlig anders tickt: Zunehmend unwägbar, unplanbar, verdichtet und temporeich. Und in der die Konsequenzen des eigenen Handelns tendenziell schwerwiegend sind (hoher Verantwortungsgrad).

    Rituale vermitteln hingegen das Gefühl von Fassbarkeit, Sicherheit, Haltbarkeit. Auch von Zeitlosigkeit. Und sie fungieren als Zeitinseln und Puffer zum „harten“ Management-Alltag. Die aktive Beschäftigung etwa mit Kunst oder Musik spielt dabei eine prominente Rolle – auch weil sie Freiheit vermittelt, entlastend wirkt oder einfach Spaß macht. Ebenso wie regelmäßige Stille-Zeiten frühmorgens zur geistigen Klärung und Sammlung.

    Conclusio: Rituale schaffen Zeit!.

  2. Disziplin: Ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Reflexion und Faszination ist eine unbedingte Voraussetzung für (Zeit-)Erfolg – letztlich auch für ein Gefühl von „Zeit(selbst)ermächtigung“. Ohne Disziplin keine Karriere! Der vielfache Preis: Wenig Spielraum, der diszipliniert getaktet werden muss. Auch Rituale oder kleine Auszeiten betreffend.

    Disziplin ist individuell sehr unterschiedlich ausprägt, auch auf verschiedene Lebensbereiche und -phasen bezogen. Das Bekenntnis einer anerkannten Top-Managerin scheint aber einleuchtend und allgemeingültig: „Jeder, der eine außergewöhnliche Karriere gemacht hat, hat eine hohe Disziplin – ob er Sportler war, Künstler oder Manager ist. Anders geht´s gar nicht.“

    Conclusio: Disziplin schafft Zeit!.

  3. Mehrdimensionales Selbst- & Lebenskonzept: Ein Lebens- und Wertekonzept, das auf mehreren Pfeilern ruht, scheint eine äußerst solide Basis für souveräne Gestaltung. Wie z.B. der Dreiklang von familialen Unternehmensprinzipien, sozialem Engagement und Kunstförderung. Oder privat die Verbindung von Ritualen (zur Stärkung von Körper, Geist, Emotion) mit festen Zeiten für die Familie.

    Mehrdimensionale Wertekonzepte des Lebens und Arbeitens spiegeln sich auch positiv im persönlichen Zeitkonzept und Zeithaushalt wider. Bemerkenswert etwa das Bekenntnis einiger Top-ManagerInnen: (Zeit-) Souveränität habe auch mit Bewusstsein zu tun – etwa dass eine einseitige Selbstdefinition über Besitz und Beruf eine allzu brüchige Lebensbasis ist.

    Conclusio: Werte schaffen Zeit!

Fazit:

Auch – oder gerade – mächtige ManagerInnen ringen um Zeit. Denn wer Macht hat, hat nicht automatisch auch mehr Zeit(-Macht). Eher macht Macht umso zeitärmer. Allerdings gilt ebenso: Wer Zeit hat, ist zwar „reich“, aber keineswegs per se mächtig.

 

Zum Autor: Mag. Dr. Franz J. Schweifer Zeitforscher, Managementtrainer, Buchautor, FH-Lektor; Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner OG Coaching. Training. Consulting. / Mödling b. Wien, www.managementoase.at


Buch zum Thema: "Zeit – Macht – Ohnmacht. Top-ManagerInnen im rasenden Zeitdilemma"  http://www.verlagdrkovac.de/978-3-8300-6174-8.htm

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Dr. Franz Schweifer, ManagementOase