Geschäftsmodell-Innovationen

Was genau meint eigentlich "Geschäftsmodell" und wann macht es Sinn, hier von "Innovation" zu sprechen? Oliver Gassmann, Professor für Innovationsmanagement an der Uni St. Gallen gibt nachfolgend Antwort auf diese Fragen und skizziert den "St. Gallener Business Model-Navigator" als praxisnahe Vorgehensweise zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. 

Hätte man vor zehn Jahren jemanden gefragt, ob Kunden bereit sein würden, über 80 Euro für ein Kilo Kaffee zu bezahlen, oder ob über zehn Prozent der Weltbevölkerung einen Großteil ihrer persönlichen Informationen freiwillig auf einer Internetplattform verfügbar machen, hätte man wahrscheinlich nur Kopfschütteln geerntet.

Genauso war es einmal nur schwer vorstellbar, dass das weltweite Telefonieren nahezu kostenlos oder ein Flugticket für nur wenige Euro zu haben sein würde oder ein Suchalgorithmus eines 1998 gegründeten Start-ups namens Google heute mehr wert sein wird als riesige Konzerne wie Daimler oder General Electric! Das Wort "Geschäftsmodell" ist heute in aller Munde. Es wird verwendet, um die aktuellen Tätigkeiten einer Firma zu beschreiben oder auch um einen Aufbruch zu signalisieren wie zum Beispiel mit der oft getätigten Aussage „Wir müssen unser Geschäftsmodell ändern, um erfolgreich zu bleiben“. Es gibt wohl kaum einen Manager, der diese Phrase noch nicht verwendet hat. Fragt man allerdings nach, was der Begriff genau bedeutet, erhält man eine Vielfalt an Antworten.

Unser Modell für die Beschreibung von Geschäftsmodellen besteht aus vier Dimensionen und wird in einem "magischen Dreieck" dargestellt (Bild 1):

  1. Der Kunde – wer sind unsere Zielkunden? Für jedes erfolgreiche Geschäftsmodell muss ein Unternehmen genau verstehen, welches die relevanten Kundensegmente sind, die adressiert werden sollen, und welche nicht. Der Kunde steht im Zentrum jedes Geschäftsmodells – immer und ohne Ausnahme.
  2. Das Nutzenversprechen – was bieten wir den Kunden an? Die zweite Dimension beschreibt, was den Zielkunden angeboten wird, um deren Bedürfnisse zu befriedigen. Das Nutzenversprechen beschreibt alle Leistungen eines Unternehmens (Produkte und Dienstleistungen), die dem Kunden von Nutzen sind.
  3. Die Wertschöpfungskette – wie stellen wir die Leistung her? Um das Nutzenversprechen zu erzielen, muss ein Unternehmen verschiedene Prozesse und Aktivitäten durchführen. Diese Prozesse und Aktivitäten zusammen mit den involvierten Ressourcen und Fähigkeiten und ihre Koordination entlang der Wertschöpfungskette eines Unternehmens bilden die dritte Dimension im Design eines Geschäftsmodells.
  4. Die Ertragsmechanik – wie wird Wert erzielt? Die vierte Dimension erklärt, warum ein Geschäftsmodell finanziell überlebensfähig ist. Es beinhaltet Aspekte wie die Kostenstruktur und die Umsatzmechanismen. Diese Dimension beantwortet die zentrale Frage jeder Firma: Wie erzielt man mit dem Geschäft Wert?

Um eine Geschäftsmodellinnovation handelt es sich dann, wenn mindestens zwei dieser vier Elemente geändert werden.

Die großen Erfolgsgeschichten der letzten beiden Jahrzehnte gehen weniger auf neue, großartige Produkte zurück, sondern auf das innovative Geschäftsmodell dieser Firmen:

  • Amazon wurde größter Buchhändler der Welt, ohne ein einziges Ladengeschäft.
  • Apple ist der größte Musikeinzelhändler und hat keine einzige CD verkauft.
  • Netflix hat das Videothekengeschäft neu erfunden, ohne eine einzige Videothek.
  • Skype wurde zum größten grenzüberschreitenden Kommunikationsanbieter der Welt, ohne eigene Netzwerkinfrastruktur.
  • Starbucks verkauft Kaffee standardisiert zu Höchstpreisen.

BEISPIELE:

Amazon: Das E-Commerce-Versandhaus Amazon hat den größten Online-Handelsshop gebildet, indem die Angebotspalette vom ursprünglichen Bücherangebot auf Unterhaltungselektronikprodukte, Textilien, Medizin- und Kosmetikprodukte sowie digitale Güter erweitert worden ist (Was?). Dabei sind die ursprünglichen Erfahrungen, Prozesse und Distributionskanäle des Buchhandels auf die neuen Produktkategorien erweitert worden (Wie?). Im Sinne des Leverage Customer Data-Muster werden die Kundendaten bei Amazon als lukrative Ressource dazu genutzt, den Kunden auf Basis individueller Kaufempfehlungen zu Impulskäufen zu verleiten (Wie? Wert?). Durch das Geschäftsmodellmuster Two-Sided Market bietet Amazon auch Händlern an, ihre Produkte über die Handelsplattform zu verkaufen, und erweitert dabei seine relevanten Kundensegmente (Wer?).

BackWerk: Bei der Selbstbedienungsbäckerei BackWerk sammeln die Kunden die gewünschten Brote und Gebäcke selber ein und verpacken ihren Einkauf dann auch gleich selbst (Was? Wie?). Durch die Einbindung des Kunden in die Wertschöpfung des Unternehmens gelingt es BackWerk, die Personalkosten zu minimieren und die Backwaren im Vergleich zu herkömmlichen Bäckereien 30 bis 45 Prozent günstiger anzubieten (Wert?). Durch ein Franchising-Konzept hat BackWerk bisher über 285 Filialen aufgebaut und befindet sich seit Eröffnung der ersten Selbstbedienungsbäckerei auf Erfolgskurs.

Rolls-Royce: Der britische Flugzeugturbinenhersteller Rolls-Royce hat mit dem „Power-by-the-hour“-Angebot ein innovatives Geschäftsmodell eingeführt. Die Airlines bezahlen nur noch die Betriebsstunden der Turbinen und sind nicht mehr dazu verpflichtet, die Turbinen zu kaufen (Was?). Die Turbine als solches verbleibt dabei im Besitz von Rolls-Royce, welches für die Wartung und Instandhaltung der Turbine zuständig ist (Wie?). Rolls-Royce konnte durch die Abrechnung der geflogenen Flugstunden konstante Umsatzströme generieren und durch ein effizientes Servicekonzept die Kosten senken (Wert?). Als Nebeneffekt ändert sich auch der Mindset der Mitarbeiter: Während früher mit Wartung direkter Umsatz generiert wurde und daher die Entwicklung ambivalente Ziele hatte, werden mit dem neuen Geschäftsmodell wartungsarme Turbinen zum obersten Ziel.

An der Uni St. Gallen wurden die bedeutenden Geschäftsmodelle der letzten 50 Jahre, welche jeweils eine Revolution in der jeweiligen Branche ausgelöst haben, hinsichtlich Regelmäßigkeiten und Systematiken in ihren Mustern analysiert.  Die doch überraschende Erkenntnis: Über 90 Prozent (!) aller Geschäftsmodellinnovationen stellen Rekombinationen aus bekannten Ideen, Konzepten und Elementen von Geschäftsmodellen aus anderen Industrien dar. Innovationen sind oft Variationen von etwas, das bereits zuvor existiert hat, in anderen Industrien, in anderen Märkten oder in anderen Kontexten. 90 Prozent aller neuen Geschäftsmodelle sind nicht wirklich neu, sondern basieren auf 55 bestehenden Mustern. Aber diese sind oft nur neu für die Industrie bzw. Branche, nicht für die Welt. Wichtig ist hierbei das Prinzip "Kapieren geht vor Kopieren". Die einzelnen Elemente und deren Kombination in einem Geschäftsmodell müssen von Grund auf verstanden und dann auf die eigene Situation übersetzt werden. Es bedarf einer "kreativen Imitation".

Quelle dieser Ausführungen:
Gassmann, Frankenberger, Csik: Geschäftsmodelle entwickeln; Hanser Verlag; 2013

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