Ungenutztes Effizienzpotenzial "Professionelle Führung" Teil III: Führungslernen

Wichtige Aspekte des Führungslernens aus individueller und organisationaler Perspektive.

Als Grundtenor dieser Artikelreihe über professionelle Führung vertrete ich die These, dass speziell in den "gut geführten" Großorganisationen die Effizienzpotenziale, die mit (neo-) tayloristischen Methoden gehoben werden können, heute bereits weitgehend ausgenutzt sind und neue Quantensprünge der organisationalen Effizienz in Richtung Hochleistungsorganisation deshalb nur über eine konsequente Professionalisierung von Führung (1) erfolgen können. Stand in Teil I (Leaders Report März 2009) die Bedeutung subjektiver Theorien über Führung und deren Kenntnis im Mittelpunkt der Betrachtung und in Teil II (Leaders Report Juni 2009) die Frage, welche wesentlichen Strukturen Organisationen brauchen, damit professionelle Führung gelingen kann, so geht es heute um das Lernen von Führung. Dabei sind zwei Foci zu unterscheiden:

  • In der individuellen Perspektive werden Aspekte des Führungslernens auf Ebene der einzelnen Führungskraft thematisiert.
  • In der systembezogenen Perspektive wird Führungslernen insbesondere aus Sicht des organisationalen Lernens beschrieben.

1. Überblick: Hauptaspekte des Lernens von Führung

Die heutige Führungssituation

Die heute typischen Führungssituationen können in einer ersten Annäherung durch folgende drei Aspekte charakterisiert werden:

  • Die Globalisierung der Wirtschaft führt tendenziell in einen weltweiten Verdrängungswettbewerb (2). Das Überleben (3) einer Organisation in diesem Umfeld hängt maßgeblich von ihrer Anpassungsfähigkeit an ihre spezifischen Umweltbedingungen und damit vor allem von ihrer Lernfähigkeit ab.
  • Die gleichzeitige Zunahme von Komplexität und Dynamik (4) in den Umwelten stellt Führungskräfte und Organisationen vor neue Herausforderungen. Ein hohes Ausmaß an Unüberschaubarkeit in Entscheidungssituationen bedingt tendenziell Überforderung von Führungskräften. Gerade hier wird die Kenntnis der eigenen Person und ihrer kognitiven, emotionalen und verhaltensmäßigen Muster zentral für das Treffen guter Entscheidungen.
  • Organisationen müssen als nichttriviale Maschinen verstanden werden (5). Dies erfordert eine neue Konzeptualisierung von Führung. Auf Paradigmenebene geht es dabei vor allem um den Abschied von einem mechanistisch-instrumentellen Organisationsverständnis (6), das ja maßgeblich zur Entwicklung vieler so genannter Führungs-"Instrumente" geführt hat (die heute - gemessen an den Organisationszielen - allerdings oft nicht mehr wirklich funktionieren), und die Hinwendung zu einer Sicht, die Organisationen als soziale Systeme (im soziologischen Sinne), die ihre eigene Kultur hervorbringen, begreift. Die bislang als unverrückbare Gewissheit betrachtete Vorstellung einer objektiven Realität ist zunehmend durch eine Perspektive zu ersetzen, die Wirklichkeit vor allem als subjektive Konstruktion(en) betrachtet (7). Auch die in den Wirtschaftswissenschaften dominierende Annahme einer objektiven ökonomischen Rationalität scheint allein kaum (mehr) geeignet, das Geschehen in Organisationen begreifbar zu machen und muss um neue Konzepte subjektiver Rationalität ergänzt werden.

Drei grundsätzliche Sichtweisen auf Führung

Rückt man vor diesem Hintergrund den Blick auf Führung und Führungslernen, so sind drei grundsätzliche Sichtweisen naheliegend:

  • In einer "klassischen" Perspektive ist der Fokus auf die einzelne Führungskraft gerichtet. Führung vollzieht sich auf dieser individuellen Ebene vor allem durch die Persona der Führungskraft. Im Hinblick auf professionelles Führungshandeln ist die Kenntnis der eigenen Person mit ihren kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Mustern dabei ebenso wichtig wie das Verfügen über ein klares, zugängliches Führungsverständnis (8). Jenseits der Basisqualifizierung für die Führungsaufgabe (s.u.) besteht Führungslernen hier vor allem in der konsequenten Auseinandersetzung mit den eigenen Mustern und dem eigenen Führungsverständnis.
  • Führung findet oft auch durch Gruppen beziehungsweise Gremien statt, beispielsweise durch Leitungsteams oder Steuergruppen in Projekten. Darüber hinaus gibt es in Unternehmen auch Gremien, die gesetzlich als Kollegialorgane festgelegt sind wie beispielsweise den Vorstand einer Aktiengesellschaft oder Betriebsratsgremien. Die Bearbeitung von Entscheidungen in Gruppen ist auch eine Strategie zur Reduktion von Komplexität, insbesondere kann Entscheiden in Gruppen durch die mögliche Vielfalt von Blickwinkeln die Entscheidungsqualität verbessern. Darüber hinaus erzeugen Gruppen oft eine höhere Kreativität, dies allerdings nur dann, wenn eine produktive, von Wertschätzung getragene Auseinandersetzung über Dissens und Widersprüche möglich ist. Gerade wenn die Arbeit mit anderen zu gelingenden sozialen Beziehungen führt, kann eine gesteigerte Motivation und damit Leistungsfähigkeit des jeweiligen Entscheidungsteams erwartet werden (9). In einer Lernperspektive ist hier die Argumentation für ein Lernen über die eigenen Muster zu wiederholen. Insbesondere die eigenen Reaktionsweisen bezüglich Widerspruch, Machtinterventionen anderer und (kommunikative) Kränkungen spielen in Gruppenprozessen eine wichtige Rolle. Um sich im Sinne von Führung kompetent in Gruppen verhalten zu können, und auch um eigenen Vorstellungen den angemessenen Raum zu verschaffen, ist darüber hinaus eine fundierte Selbsterfahrung in gruppendynamischen Trainings von Vorteil. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist auch das Entwickeln von Kompetenz im Bereich der Diagnostik von Gruppenprozessen.
  • Eine relativ neue Betrachtungsweise sieht in Führung vor allem eine Systemleistung, Führung wird dabei von einer konkreten Führungskraft oder einem konkreten Führungsgremium entkoppelt (10). Praktische Relevanz gewinnt diese Konzeption von Führung vor allem im Hinblick auf so genannte Netzwerkorganisationen. Führung beziehungsweise Systemsteuerung vollzieht sich hier vor allem auf Basis von Selbstorganisationsprozessen, wobei der jeweiligen Organisationskultur als übergreifendem Steuerungsmedium eine besondere Bedeutung zukommt. Offensichtlich erfolgt in dieser Perspektive der endgültige Abschied vom Bild der heldenhaften Führungskraft, deren Wirkungspotenzial ohnehin meist immer überschätzt wurde. Das eben skizzierte Führungsverständnis impliziert für Lernen auf der eher sachlichen Ebene vor allem die Auseinandersetzung mit Theorien über das Funktionieren sozialer Systeme, wobei Theorien und Konzepten der Kulturentwicklung eine Schlüsselrolle zukommt. Auf einer persönlichen Ebene geht es schwerpunktmäßig um das Erlernen von Demut und die Auseinandersetzung mit eigenen Machtansprüchen beziehungsweise Machtphantasien sowie dem eigenen Narzissmus.

Die wesentlichsten Lernaspekte im Überblick

Sowohl in einer persönlichen als auch in einer systembezogenen Betrachtungsweise ist es mit Blick auf die Führungspraxis wichtig, nicht nur über Führung zu wissen, sondern „Führung zu können“ (11). Auch deshalb findet Führungslernen auf allen Ebenen vor allem dadurch statt, dass man führt (praktisches Handeln) und dieses Führen, insbesondere seine geplanten und ungeplanten Wirkungen, dann reflektiert. Aus dem bisher skizzierten Bild von Führung und Führungslernen ergibt sich systematische, professionell vollzogene Reflexion als Kernthema. Dieses Reflektieren muss gelernt werden, und zwar sowohl auf der persönlichen, als auch auf der kollektiven Ebene. Grundsätzlich setzt Reflexion eine positive innere Bereitschaft dafür voraus, die zum Beispiel an einem hohen Interesse für Feedback erkannt werden kann. Insbesondere Führungskräfte sollten auch wegen ihrer herausgehobenen Verantwortung für die Organisationskultur Reflexionstechniken für die organisationale Ebene, wie sie von der Organisationsentwicklung erarbeitet wurden, kennen und anwenden können. Da Reflexion immer eine Metaebene voraussetzt, die vor allem durch relevante Theorien gebildet wird, beinhaltet Führungslernen auch das Lernen von Theorien, wobei in diesem Rahmen Führungstheorien und Steuerungstheorien besonders relevant sind.

2. Fokus "Führungskraft": Führungslernen auf individueller Ebene (12)

Die Qualifizierung von Führungskräften erfolgt in den typischen "gut geführten" Großorganisationen meist in maßgeschneiderten, organisationsspezifischen internen Programmen und Seminaren, aber auch entsprechende externe Angebote werden fallweise zusätzlich genutzt. Gemeinsames Lernen von Führungskräften in internen Veranstaltungen fördert neben der kollegialen Vernetzung insbesondere das Entstehen beziehungsweise die Weiterentwicklung der jeweiligen Führungskultur - ein wichtiger Aspekt, der von externen Lernangeboten nicht geleistet werden kann. Verfügt eine Organisation über ein vergemeinschaftetes Führungsleitbild sowie insbesondere über ein System von Leadership Competencies (13), die aus ihrer Strategie abgeleitet sind, so kann das Führungslernen (auch) gut auf die strategischen Erfordernisse der Organisation abgestellt werden: Führungsleitbild und Kompetenzmodell setzen den Rahmen nicht nur für die zu lernenden Inhalte (z.B. Projektmanagement), sondern sie definieren auch das didaktisch-methodische Vorgehen: Wird beispielsweise "reflexive Kompetenz" als wesentliche Leadership Competency betont, so sind vor allem Lernformen und -konzepte zu wählen, die stark auf einem reflexionsbasierten Lernprozess aufbauen.

Grundsätzlich ist heute gleichsam als Basisqualifikation für die Profession Führung betriebswirtschaftliches (Steuerungs-) Wissen, wie es in Universitäts- beziehungsweise Fachhochschul-Studiengängen oder in qualitativ hoch stehenden MBA-Lehrgängen vermittelt wird, zu verlangen. Obgleich dieses Wissen in Bezug auf die heutigen Führungsherausforderungen tendenziell unterkomplex erscheint, kann es in unserer Wirtschaftswelt als wichtige Grundlage nicht ersetzt werden.

Grundsätzlich steht das Lernen von Führung auf individueller Ebene zwei Herausforderungen gegenüber: Man kann Führung kaum "auf Vorrat" lernen. Das bedeutet, es ist unmöglich, zuerst Führung zu lernen und dann erst zu führen. Die zweite Herausforderung liegt darin, dass wesentliche Teile des Führungswissens und -könnens rasch veralten, das heißt, die eigene Führungskompetenz muss subtil permanent auf ihre Tragfähigkeit und Zukunftsfähigkeit hin untersucht werden. Vor dem Hintergrund sich rasch verändernder Umwelten ändern sich dabei nicht nur die Inhalte von und damit auch die Lernwege für Führung, sondern auch das Verständnis professioneller Führung selbst muss sich gegebenenfalls rasch genug verändern. Trotz dieser Unwägbarkeiten wird im Folgenden kurz skizziert, wie Lerninhalte von beziehungsweise Lernwege zu professioneller Führung neben der eigenen Führungspraxis aussehen können. Diese inhaltlichen Schwerpunkte sind im Einzelnen (14)

  • Grundkenntnisse und Anwendungskompetenz im Bereich der Betriebswirtschaftslehre
  • Grundkenntnisse und Anwendungskompetenz bezüglich grundsätzlicher Management-Techniken und -Konzepte (z.B. Management by Objectives)
  • Fundierte Kenntnisse und Anwendungskompetenz im Feld Arbeitstechnik
  • Fundierte Kenntnisse und Anwendungskompetenz im Feld Projektmanagement
  • Fundierte Kenntnisse und Anwendungskompetenz im Feld Qualitätsmanagement
  • Fundierte Kenntnisse und Anwendungskompetenz im Feld Changemanagement
  • Grundkenntnisse und Anwendungskompetenz im Feld der Führungspsychologie
  • Fundierte Kenntnisse und Anwendungskompetenz im Feld praktischer Personalarbeit inklusive Grundkenntnisse des Arbeits- und Sozialrechts
  • Fundierte Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Struktur und Verhalten und entsprechende Umsetzungskompetenz
  • Sehr fundierte Kenntnisse bezüglich Kommunikation im Führungshandeln und entsprechende praktische Kommunikationskompetenz. Ein Schwerpunkt hierbei ist insbesondere auch die Kommunikation in schwierigen Gesprächssituationen
  • Professionsbezogene Selbsterfahrung, die eine Auseinandersetzung mit den eigenen führungsbezogenen Mustern (z.B. Muster im Umgang mit Widerspruch) sowie mit dem eigenen Führungsverständnis sicherstellen soll.

Der zugehörige mehrjährige Lernweg nutzt dabei alle bekannten Wege des Führungslernens: Lesen, Seminare, Workshops, Curriculare Teilausbildungen, Selbsterfahrungsgruppen, Reflexion der eigenen Praxis in Intervision und/oder Einzelcoaching, Mentoring, Führen eines Lerntagebuchs, Arbeit mit themenbezogenen Internetplattformen und weitere (15).

LINK 1 vertieft anhand praktischer Beispiele ausgewählte Lernformen und -konzepte für das Lernen von Führung und Management

Führungslernen auf Ebene des Mittelmanagements muss insbesondere Kompetenz für Führungshandeln in der für diese Ebene typischen Sandwichposition entwickeln: Souveräner und sicherer Umgang mit widersprüchlichen Erwartungen (z.B. von Seiten des übergeordneten Managements einerseits und den eigenen Mitarbeitern(*) andererseits), Bewahren der eigenen Handlungsfähigkeit auch in hoch ambivalenten Situationen und Ähnliches verlangen einen guten Kontakt mit der eigenen Person sowie die Fähigkeit, die Welt auch durch die Augen der anderen erleben zu können. Aufbauend auf einem hierfür erforderlichem Talent kann Führungslernen zu diesen Themen nur über selbsterfahrungsorientierte Lernformen wie Gruppendynamikseminare, Balintgruppen, Skriptanalysen, Strukturaufstellungen, Intervision usw. erfolgen.

Die Professionalisierung im oberen Management deckt das gesamte Spektrum des sogenannten General Management wie Vision/Strategie, Marketing und Branding, Ressourcen-Management, Unternehmens- und Organisationsentwicklung, Personalmanagement und Controlling (16) ab. Im Unterschied zum Topmanagement sind diese Handlungsfelder dabei in einer bereichsspezifischen Perspektive zu betrachten. Da die Aufgabe des oberen Managements mehr in der Führung eines sozialen Systems liegt als in der Führung einzelner Personen, sind für diese Gruppe von Führungskräften insbesondere Organisations- und Steuerungstheorien relevant sowie das Entwickeln entsprechender Anwendungskompetenzen.

Die Lernschwerpunkte für das Topmanagement liegen zum einen in der strategischen Führung, zum anderen vor allem im Bereich professioneller Öffentlichkeits- und Medienarbeit. "Strategische Führung" beinhaltet dabei neben der wichtigen märktebezogenen Sichtweise vor allem auch die strategische Strukturgestaltung (17), die Kulturentwicklung sowie eine systematische Auseinandersetzung mit der Zukunft.

Für alle Führungsebenen geht es heute bezüglich Lernen schwerpunktmäßig auch um die Weitung von Horizonten. Dies kann durch die Begegnung mit fremden Disziplinen (was kann man von der Ethnologie über Führung lernen?) ebenso geschehen wie durch das zeitlich befristete Eintauchen in eine antithetische Lebenswelt (für einen Manager könnte dies beispielsweise durch längerfristige Mitarbeit in einem sozialen Projekt erfolgen).

3. Fokus "Organisation": Führungslernen auf organisationaler Ebene

In dieser Perspektive geht es um die Frage, wie eine ganze Organisation zum Thema Führung lernt. Analog dem personenbezogenen Führungslernen gilt auch hier, dass das organisationale Lernen vor allem durch systematische Reflexion erfolgt, das heißt, die jeweils vorherrschende Führungspraxis ist laufend zu hinterfragen und zwar als langfristig angelegter Prozess. Es geht darum, im Kontext der Organisation (also in der offiziellen Kommunikation) gemeinsam und offen zu beschreiben, wie Führung wahrgenommen und erlebt wird und darauf aufbauend Handlungsstrategien zur positiven Weiterentwicklung der Führungspraxis zu entwerfen. In diesem Prozess sind die in einer Organisation angewandten Führungsinstrumente und -konzepte wie Mitarbeitergespräch, Potenzialanalysen usw. ebenso auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen wie die Führungskultur selbst, das heißt die gemeinsam geteilten subjektiven Theorien (18) über Führung und die dahinter liegenden Werte.

Wichtige Voraussetzungen für das Entstehen einer lernenden Organisation sind einerseits die Schaffung von Räumen für Reflexion sowie andererseits das Bemühen, Lernen selbst als kulturellen Wert und als organisationskulturelles Markenzeichen zu etablieren und diesen beziehungsweise dieses zu kommunizieren. Unter dem Aspekt des Führungslernens verdeutlicht dies in einer Binnenperspektive den Führungskräften den Anspruch der Organisation beziehungsweise der Unternehmensleitung an professionelle Führung und für die Geführten wird so eine hochqualitative Führungsarbeit erwartbar und einklagbar. Auch in einer Außenperspektive hat eine derartige Lernkultur voraussichtlich positive Wirkungen: Auf den Kapitalmärkten kann eine Kultur des Lernens als Indikator für nachhaltige Unternehmensentwicklung gelesen werden, auf dem Arbeitsmarkt stellt sich die jeweilige Organisation als attraktiver Arbeitgeber für Führungskräfte wie Mitarbeiter dar. Aber auch auf den Absatzmärkten können positive Effekte entstehen. Wird einem Unternehmen hohe Professionalität im Bereich Führung zugeschrieben, so kann dies - ganz im Sinne eines Qualitäts-Imagetransfers auch positiv mit Produktqualität assoziiert werden.

Um die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen einer lernenden Organisation zum Thema Führung zu erhöhen, hat das Topmanagement die Möglichkeit, Strukturen zu schaffen (19), die diesen Kulturaspekt unterstützen beziehungsweise etablieren. Dies kann beispielsweise geschehen durch

  • das Einrichten von (Zeit- und Kommunikations-) Räumen für Führungslernen wie zum Beispiel Lerngruppen, selbst organisierte Lernprojekte und so weiter (siehe auch Link 1);
  • das zur Verfügung Stellen auch der materiellen Ressourcen für selbst gesteuertes Führungslernen und entsprechende Lernprojekte;
  • Unterstützung der Führungskräfte durch eine professionelle Infrastruktur, beispielsweise in Form interner Berater für Führungskräfteentwicklung und Führungslernen;
  • praxisnahe Lernangebote zum Thema Führung wie Coaching, Intervision, Organisationsentwicklung und entsprechende Action Learning Programme.

Schlüsselkriterium für das Entstehen einer Lernenden Organisation ist in jedem Falle die Reflexionsbereitschaft einer Organisation. Es geht - wie eben skizziert - um das Einrichten und Nutzen von Diskursräumen für eine offene und möglichst angstfreie Auseinandersetzung mit sensiblen Themen wie Qualität der Führung, Umgang mit Macht und so weiter. Wenn das Topmanagement Erlaubnis für das Ansprechen empfindlicher Themen im Kontext der Organisation (s.o.) gibt (20), kann die Organisationsentwicklung hier bewährte Konzepte und Vorgehensweisen zur Verfügung stellen.

LINK 2 vertieft exemplarisch Theorie und Praxis des organisationalen Lernens.

4. Herausforderungen für das Management in Bezug auf Führungslernen

Topmanagement

Im Hinblick auf Führungslernen kommt dem Topmanagement vor allem die Aufgabe zu, die oben skizzierte Kultur für Führungslernen zu fördern. Neben den bereits erwähnten strukturellen Interventionen gelingt dies leichter, wenn das Topmanagement selbst sichtbar (für alle Organisationsmitglieder) Führungslernen mit hoher Priorität wahrnimmt und so ein Rollenmodell für Lernen zu Führungsthemen wird. Dies setzt voraus, als Topmanager auch zugeben zu können, Lernbedarf im Bereich Führung zu haben und gegebenenfalls auch offen zu sein, gemeinsam mit anderen Führungskräften zu lernen. Im Rahmen der strategischen Führung kann insbesondere das Topmanagement die (weitere) Professionalisierung von Führung als strategische Grundposition beziehungsweise Stoßrichtung betrachten und entsprechend handeln. "Handeln" bedeutet in diesem Zusammenhang dann, die entsprechenden Standards und Systeme für Führungslernen (Leadership Competecies, Appraisal-Konzepte, Lernprogramme usw.) einzurichten und entsprechenden Umsetzungs-Support, z.B. in Form einer Abteilung für Führungskräfteentwicklung, zur Verfügung zu stellen. Insbesondere wäre es für eine nachhaltige Erfolgssicherung sinnvoll, in der Organisation ein entwicklungsorientiertes (21) Qualitätsmanagement für Führung ins Leben zu rufen. Bei allen genannten Aktionsfeldern ist dabei der Aufwand, der mit Führungslernen verbunden ist, als Investition zu begreifen, nicht als Personal-Nebenkosten.

Führungskräfte aller Ebenen

Die wesentlichste Lernherausforderung für Führungskräfte dürfte darin bestehen, Führung zunehmend als eigenen Beruf verstehen zu lernen, und zwar als sozialen Beruf. Dazu gehört auch, sich immer wieder die Differenz zur eigenen früheren Fachfunktion zu verdeutlichen. Dieser Übergang ist ein tiefgehender Prozess, in dem das professionelle Selbstkonzept – beschreibbar beispielsweise als Schemata über die eigene professionelle Person (22) -  verändert beziehungsweise weiterentwickelt wird. Beim Aufbau individueller Führungskompetenzen erscheint die Arbeit an den persönlichen Haltungen gegenüber der Funktion "Führung" und vor allem gegenüber den Geführten wichtiger als das Erlernen zeitgemäßer Führungstechniken.

Dieser "innere Umbau" kann nicht ohne reflexive Unterstützung durch andere Menschen erfolgen. Idealerweise findet diese Auseinandersetzung zum größeren Teil im lernenden Austausch mit Kollegen statt, dies auch deshalb, weil so gemeinsame Führungskultur entsteht. Die Herausforderung dabei ist, so viel Vertrauen und Wertschätzung den Anderen gegenüber aufzubringen, dass dieses Lernen mit einem geringen Ausmaß an Angst möglich ist. Eine wesentliche Voraussetzung für gelingende Führung ist Neugier auf beziehungsweise Liebe zu menschlicher Entwicklung. Dies gilt auch für das eigene Führungslernen.

5. Zur Zukunft des Führungslernens (23)

Neben der in dieser Reihe bereits mehrfach angesprochen Entwicklung eines neuen Professionsbewusstseins für Führung muss zukunftsorientiertes Lernen im Bereich Führung den oben bereits umrissenen, anstehenden Paradigmenwandel unterstützen, der durch folgende Schwerpunkte gekennzeichnet ist:

  • Es gilt Abschied zu nehmen von der Idee objektiver, messbarer (Organisations-) Wirklichkeit sowie der instrumentellen Steuerbarkeit von Organisationen.
  • Für die Führungskräfte ergibt sich daraus fast zwingend eine Veränderung der eigenen Haltungen von einer Macher-Orientierung hin zu dienender Demut.
  • Begleitet werden können diese Prozesse durch die Übernahme systemisch-konstruktivistischer Sichtweisen. Organisationen als Gesellschaften im Kleinen verstehen zu lernen, die ihre eigene Kultur entfalten, kann ein weiterer Schritt in die Zukunft von Führung sein.

Daneben wird das Lernen von marktbezogenem Führungshandeln weiter an Bedeutung gewinnen. Dazu gehört das Führen mit relativen Zielen (24) ebenso wie ein zunehmendes Denken von außen nach innen, zum Beispiel in Form zunehmender Kundenorientierung.

6. Schlussbetrachtung

Das neue Führungswissen ist bereits in der Welt - auf theoretischer Ebene ebenso wie im Hinblick auf innovative Lernformen. Es muss nicht erst neu erfunden werden und "wartet" auf seine Anwendung. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, dass die Entscheidungsträger in den Organisationen dieses Wissen und die entsprechenden Lernkonzepte als relevant für den zukünftigen Erfolg ihrer Organisationen zu erkennen und bewerten lernen müssen. Je mehr sie allerdings mit ihren heutigen, tayloristisch geprägten Führungskonzepten scheitern, desto mehr verstärken sie tendenziell die Bemühung, diese durch weitere Verfeinerung (z.B. von Personalkennzahlen zum HR-Dashboard) dennoch zu retten. Aus Sicht des Lernens wäre zu fragen: Wie lernt oder lehrt man Paradigmenwechsel? Klar ist, dass Elemente des neuen Denkens von Führung sowohl Einzug in die betriebswirtschaftlichen Disziplinen an den Hochschulen halten, als auch in der praktischen Führungskräfteentwicklung aufgegriffen werden müssten. Hierfür braucht es in allen angesprochenen Bereichen vor allem Lernhaltungen, die von einer neugierig forschenden Suche gekennzeichnet sind.

Ausblick

Teil IV dieser Reihe wird das Thema Reflexive Kompetenz als Schlüsselvariable effizienter Führung zum Mittelpunkt haben und damit den gesamten Argumentationszusammenhang abschließen. Vertieft wird hier die Beobachtung der Beobachtung und ihre Bedeutung für die Ausbildung von Führungsbewusstsein.

Anmerkungen:

(*) Mit der männlichen Form ist immer auch die weibliche gemeint – nur aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird auf die gleichzeitige Verwendung beider Geschlechter verzichtet.
(1) In einer personenbezogenen Perspektive heißt Führung, aus einer Berufsrolle heraus und im Kontext der betrachteten Organisation, Interventionen zu setzen gegenüber einzelnen Personen (den Geführten), um deren Verhalten zielorientiert (bezogen auf die Organisationsziele) zu beeinflussen. In einer systembezogenen Perspektive bedeutet Führung, ebenfalls aus der Berufsrolle heraus, Interventionen zu setzen in Bezug auf das geführte System (die Gesamtorganisation, Geschäftsbereiche, … bis hin zu einzelnen Teams), um dessen globales Verhalten zielorientiert zu beeinflussen. In einer politischen Perspektive bedeutet Führung die aktive Gestaltung der Organisationsumwelt im Sinne der Ziele der jeweiligen Organisation, zum Beispiel durch Lobbyismus oder Imagekampagnen.
Konstituierend für Führung ist dabei, dass Führungshandeln von einer Intention geleitet ist und dass es sich dabei um eine wiederkehrende Aufgabe handelt.
(2) Siehe hierzu insbes. Wohland, G./ Wiemeyer, M.: Denkwerkzeuge für dynamische Märkte - Ein Wörterbuch, Münster: Monsenstein und Vannerdat, 2006, S. 13 - 15
(3) Siehe hierzu auch die Argumentation bei Wimmer, R.: Die Funktion des General Management unter stark veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen; osb-paper, S.12-14, www.osb-i.com ; auch erschienen im Jahrbuch Nr. 3 zum systemischen Management; Carl Auer Verlag: Heidelberg 1995. Siehe auch R. Wimmer; Die Zukunft von Führung – brauchen wir noch Vorgesetzte im herkömmlichen Sinn?, in Organisationsentwicklung, 4, 1996, S. 46 - 57
(4) Rieckmann, H.: Managen und Führen am Rande des 3. Jahrtausends – Praktisches, Theoretisches, Bedenkliches, Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang (Jahr)
(5) Eine triviale Maschine reagiert auf Lenkungseingriffe vorhersagbar, eine nicht-triviale Maschine kann auf einen Lenkungseingriff immer auch anders reagieren. Die Unterscheidung triviale versus nicht-triviale Maschine geht auf Heinz von Foerster zurück
(6) Siehe hierzu  die entsprechenden Ausführungen in Teil I dieser Reihe, in Leaders Report März/2009
(7) So zeigt inzwischen auch die neuere Gehirnforschung, dass das menschliche Gehirn vor allem damit beschäftigt ist, Reize zu verarbeiten, die es selbst erzeugt hat. Auf eine afferente oder efferente Faser (Fasern, die dem Gehirn aus dem Körper respektive den Sinnesorganen Signale zuleiten beziehungsweise sie dorthin senden) kommen rund 5 – 10 Millionen gehirninterne Verbindungen.
(8) Siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen in Teil I dieser Reihe, in Leaders Report März/2009
(9) Siehe hierzu Bauer, J.: Prinzip Menschlichkeit – warum wir von Natur aus kooperieren, Hamburg: Hoffmann und Campe 2006
(10) Siehe z.B. Wimmer, R.:Führen: eine kollektive Leistung, in Unternehmensentwicklung, Mai/Juni 2001, S. 10 - 11
(11) Siehe hierzu insbes. Wohland/ Wiemeyer, a.a.O., S. 29 – 34
(12) Siehe hierzu Schuh, S.: Zur Zukunft der Professionalisierung von Führung, in hernsteiner 03/2007, S. 14 – 15 und insbes. Schuh, S.: Führung als Profession, in Sackmann, S. (Hrsg.): Mensch und Ökonomie – wie sich Unternehmen das Innovationspotenzial dieses Wertespagats erschließen, Wiesbaden: Gabler 2008, S. 286 -288
(13) Siehe hierzu Leaders Report Juni/2009 , insbes. Link2 sowie Schuh, S.: Führung als Profession, in :Sackmann, S. (Hrsg.), a.a.O., S. 283 -284
(14) Schuh, S.: Führung als Profession, in :Sackmann, S. (Hrsg.), a.a.O., S. 286 -288
(15) Siehe z.B. Stiefel, R.T.: Förderungsprogramme – Handbuch der personellen Zukunftssicherung im Management, Leonberg, Rosenberger 2003
(16) Vgl. hierzu auch den osb-business navigator, osb international Consulting AG, Wien, www.osb-i.com
(17) Siehe hierzu Teil II dieser Reihe in Leaders Report Juni/2009
(18) Siehe hierzu insbesondere Teil I dieser Reihe in Leaders Report März/2009
(19) Zur Bedeutung von Strukturen für das Verhalten siehe insbes. Teil II dieser Reihe in Leaders Report Juni/2009
(20) Siehe die analoge Argumentation bei Schuh, S.: Führung als Profession, in Sackmann, S. (Hrsg.), a.a.O., 288 -289
(21) Das bedeutet, das Hauptziel dabei verwendeter Diagnosekonzepte wie Managment-Appraisals liegt in der Personalentwicklungsperspektive, nicht in der Beurteilung und/oder Auswahl
(22) Siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen in Teil I dieser Reihe in Leaders Report März/2009, insbes. Link 2.
(23) Siehe hierzu Schuh, S.: Zur Zukunft der Professionalisierung von Führung, in hernsteiner 03/2007, S. 13 – 15
(24) Siehe hierzu Pfläging, N.; Führen mit flexiblen Zielen - Die Praxis des Beyond Budgeting; Frankfurt/M. u.a.: Campus 2006

 

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