Bewusstsein

Wie Beobachtung der Beobachtung generell Bewusstsein ermöglicht.

Wahrnehmen ist kein passiver Prozess, in dem eine äußere "objektive" Wirklichkeit intern "abgebildet" wird analog der optischen Wiedergabe äußerer Welt in einem Fotoapparat. Wahrnehmen ist vielmehr ein proaktiver, konstruktivistischer Prozess, in dem der Wahrnehmende auf Basis seiner bereits vorhandenen kognitiven Strukturen beziehungsweise Modelle darüber "entscheidet" (1), was er im Prozess des Beobachtens wie wahrnimmt. Erst im Prozess des Wahrnehmens selbst entsteht Wirklichkeit, der Beobachter erschafft seine Wirklichkeit.

Das, was man in der Alltagskommunikation als vermeintlich allgemeinverbindliche Wirklichkeit unterstellt, ist nichts anderes als eine jeweils höchst subjektive Konstruktion, es ist die individuelle innere Repräsentation der Welt (siehe hierzu auch Teil I dieser Reihe, "Abriss der wichtigsten Kognitionstheorien"). Dabei haben wir die Tendenz, Wirklichkeit so zu konstruieren, dass sie sinnhaft erscheint. Sinn (seinerseits selbst das Ergebnis komplexer kognitiver Prozesse) wird zu einer zentralen Größe in der Bildung der Wirklichkeit, das heißt in der Gestaltung unserer Wahrnehmungen. Im Prozess des Beobachtens beziehungsweise Wahrnehmens werden unsere inneren Bilder verändert, das heißt, wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir beim Beobachten identischer äußerer Welt über einen längeren Zeitraum hinweg zu identischen Konstruktionen gelangen - Lernen findet statt und dies ändert unsere kognitiven Modelle der Welt.

Auch im Prozess des Führens erzeugen wir unsere eigene Wirklichkeit: Wir definieren subjektiv, wie wir eine Führungssituation wahrnehmen und was wir dabei wahrnehmen, zum Beispiel, ob eine Interaktion feindselig ist oder nicht (auch wenn zwei Führungskräfte die identische Situation völlig unterschiedlich beschreiben würden).

Wie in Teil I gezeigt wurde, ist die Schlüsselvariable für unsere Situationsdefinitionen dabei unser Führungsverständnis, das sich ja zusammensetzt aus unseren mentalen Modellen über Organisationen, Menschen und uns selbst. Erkennen lässt sich dieses latent und unbewusst vorhandene Führungsverständnis (2) nur, wenn wir beginnen zu beobachten, wie wir im Prozess des Führens beobachten und Sinn erzeugen. Wir brauchen für diese Reflexion ( Beobachtung auf der zweiten Ebene) unserer Beobachtung auf der ersten Ebene eine tragfähige Metaposition, von der aus wir die Beobachtung auf der zweiten Ebene vollziehen können. Derartige Metapositionen können beispielsweise - wie auch im Haupttext skizziert  durch relevante Theorien oder Rückmeldung Dritter vermittelt werden. Erst wenn es uns gelingt, zu erkennen, wie wir im Prozess des Führens unsere Wirklichkeit als Führungskraft (die ja meist in einem gewissen Umfang auch Wirklichkeit der Geführten wird) erzeugen, entsteht in uns ein Bewusstsein über unser Führungsverständnis.

Anmerkungen:
(1) "Entscheiden" ist in so weit zu relativieren, als hier auch automatisch ablaufende Wahrnehmungsprozesse inkludiert sind, in denen sicherlich keine bewussten Entscheidungen über die zu konstruierende Wirklichkeit getroffen werden.
(2) Ähnlich wie die tiefste Ebene in Scheins Kulturmodell aus Grundannahmen besteht, die so selbstverständlich sind, dass niemand des jeweiligen Sozialkollektivs auf die Idee käme, sie zu hinterfragen, liegt auch das eigene Führungsverständnis für viele Führungskräfte eher auf einer der eigenen Wahrnehmung zunächst nicht zugänglichen unbewussten Ebene fundamentaler Glaubenssätze.

Zurück zum Haupttext

Teilen: