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Milgram (1) führte ab Anfang der 60er Jahre ein spektakuläres und vieldiskutiertes sozialpsychologisches Experiment durch, mit dem Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autoritäten untersucht werden sollte. Eine große Anzahl "naiver" Versuchspersonen aus dem Kreis der gelernten und ungelernten Arbeiter (40%), der Büroangestellten, Verkäufer, Geschäftsleute (40%) sowie der Freiberufler wurden unter dem Vorwand rekrutiert, an einem wissenschaftlichen Experiment mit zu wirken, das sich mit menschlichem Lernvermögen und Gedächtnisleistung beschäftigt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurden diese dann in ein elegantes Labor der Yale Universität gebeten, wo sie mit dem Versuchsleiter (als Wissenschaftler ein Prototyp von Autoritätsperson) und einem weiteren (fingierten) Teilnehmer, der ein vorab instruierter Rollenspieler im Experiment war, zusammentrafen. Der Wissenschaftler erklärte nun beiden, dass sie hier seien, um an einem Versuch teilzunehmen, in dem die Wirkung von Bestrafung auf Lernen und Gedächtnis untersucht werden sollte. Durch eine scheinbar zufällige, in Wirklichkeit jedoch manipulierte Rollenzuordnung wurde sichergestellt, dass der "naiven" Versuchsperson die Rolle des Lehrers zufiel, der "instruierten" Versuchsperson die des Schülers. Die Lernaufgabe bestand nun darin, dass der Lehrer (Versuchsperson) dem Schüler eine bestimmte Anzahl von Wortpaaren vorliest. Der Schüler muss sich diese gut einprägen. Der Lehrer würde etwas später – um Lernleistung und Gedächtnis zu testen – das erste Wort des jeweiligen Paares vorlesen und vier weitere Wörter nennen, von denen eines richtig ist im Sinne der Original-Wortpaare. Dabei erfolgt die Antwort des Schülers über einen mit vier Tasten versehenen Antwort-Kasten. Im Falle einer richtigen Antwort bestätigt der Lehrer die Richtigkeit und geht zum nächsten Wortpaar über, im Falle einer falschen Antwort sagt er "falsch" und führt die Bestrafung mittels Elektroschocks von 15V bis 450V (!) aus, wobei die Fehler des Schülers mit Schocks permanent steigender Intensität zu bestrafen waren. Zu diesem Zweck wurde der Lehrer durch den Versuchsleiter sorgfältig in das Experiment eingeführt, indem er mit der Handhabung des Schock-Generators vertraut gemacht wurde. An diesem befanden sich 30 Hebel zur Verabreichung der Stromschläge in Höhe von 15V, 30V, …, 435V, 450V, die zusätzlich in Vierergruppen auch verbal skaliert waren mit "leichter Schock", "mäßiger Schock", "mittlerer Schock", "kräftiger Schock", "Gefahr: bedrohlicher Schock", die Tasten für 435V und 450V waren nur noch mit "XXX" gekennzeichnet. Beim Experiment selbst befanden sich Lehrer und Versuchsleiter in einem Raum, der Schüler befand sich in einem anderen. Dabei wurden die Reaktionen des Schülers akustisch über einen Lautsprecher rückgekoppelt. Ab einer Spannung von 75V waren erste Unmutsäußerungen zu hören, die sich in Abhängigkeit der gewählten Bestrafungsspannung bis zu Brüllen steigerten. Ab 300V war Flehen, den Versuch abzubrechen, wahrnehmbar, ab 320V dann nur noch Schweigen. Tatsächlich war der Schüler keinen echten Elektroschocks ausgesetzt, seine Äußerungen wurden von einem Tonband eingespielt. Wenn der Lehrer zögerlich im Hinblick auf das Bestrafen reagierte, oder sich (im Zweifeln) fragend an den Versuchsleiter wandte, reagierte dieser mit Druck, in jedem Falle den Versuch fort zu führen. Die standardisierten Versuchsleiter-Instruktionen waren in derartigen Fällen: 1. Stufe: "Bitte fahren Sie fort!" Oder: "Bitte machen Sie weiter!" Wenn die Versuchsperson - also der "naive" Lehrer - nach der letzten Aufforderung den Gehorsam verweigerte, wurde der jeweilige Versuch abgebrochen. Für die weitere Analyse des Gehorsam-Verhaltens ist wichtig, fest zu stellen, dass dem Versuchsleiter keinerlei realen Sanktionen gegenüber den Versuchspersonen zur Verfügung standen. Ein erstes (erschreckendes) Ergebnis bestand darin, dass 62,5% der Versuchspersonen ("Lehrer") bei der Bestrafung (Gehorsamsverhalten) bis zu einer Spannung von 450V gingen und die im Experiment durchschnittlich verabreichte maximale Schock-Intensität bei 370V lag. Variationen der Versuchsanordnung beziehungsweise der Experiment-StrukturMilgram arbeitete, um weitere Analysen über die Autoritätsabhängigkeit von Menschen zu gewinnen, mit einer systematischen Variation der Versuchsanordnung. Dabei wurden gegenüber dem oben dargestellten Basisexperiment mit akustischer Rückkoppelung u.a. folgende veränderte Bedingungen gesetzt:
In Abhängigkeit der gewählten Versuchsanordnung ergaben sich sehr unterschiedliche Tendenzen des Bestrafungs- beziehungsweise Gehorsamsverhaltens, die Hauptergebnisse sind in unten abgebildeter Tabelle (2) zusammengefasst. Ohne in diesem Zusammenhang die intervenierenden "Gehorsamsprozesse" vertiefen zu wollen, wird dabei klar erkennbar, welch starken Einfluss die Struktur (Versuchsanordnung) auf das Verhalten (gewählte Schock-Stärke) hat.
Anmerkungen: (1) Die Darstellung beruht auf Milgram: Das Milgram-Experiment – Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2007 (15. Auflage) und auf Kehrers Analyse, wie er sie in seinem Artikel "Zur Gehorsamsbereitschaft in Organisationen" (Kehrer, A.: Zur Gehorsamsbereitschaft in Organisationen, in Sandner, K.: Politische Prozesse in Organisationen, Berlin/Heidelberg: Springer 1989, S. 103– 130) veröffentlicht hat |
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