Ungenutztes Effizienzpotenzial "Professionelle Führung"

Speziell in den "gut geführten Großorganisationen" sind die Effizienzpotenziale, die mit tayloristischen Methoden gehoben werden können, bereits heute weitestgehend ausgereizt. Quantensprünge der organisationalen Effizienz in Richtung einer Hochleistungsorganisation können deshalb nur über eine konsequente Professionalisierung von Führung erfolgen.

Organisationen stehen heute meist unter erheblichem Erfolgsdruck. Im Hinblick auf ihre ökonomische Effizienz sind sie oft sehr anspruchsvollen bis nicht erreichbaren Renditezielen ausgesetzt, internationale Märkte sorgen für hohen Wettbewerb und damit für entsprechenden Kostendruck. Aber auch bezüglich ihrer sozialen Effizienz – diese beschreibt das Ausmaß, in dem Organisationsmitglieder ihre persönlichen organisationsbezogenen Ziele und Bedürfnisse realisiert erleben – und ihrer gesellschaftlichen Effektivität – diese ist ein Maß dafür, in welchem Umfang eine Organisation auch gesellschaftliche Ziele verfolgt und erreicht – steigen die Anforderungen, die an die Organisationen gerichtet werden.

Warum Professionalisierung von Führung?

Was die Erreichung klassisch betriebswirtschaftlicher Ziele betrifft, wurden zwar einerseits in den vergangenen Jahren mit der konsequenten Anwendung (neo)tayloristischer Rationalisierungsprogramme wie beispielsweise Gemeinkostenwertanalyse, Geschäftsprozessoptimierung, Optimierung der Fertigungstiefe und Ähnlichem mögliche Rationalisierungspotenziale weitgehend genutzt. Verfolgt man jedoch andererseits Studien zum sogenannten Employee Engagement (1), so fällt vor allem auf, dass ein erheblicher Anteil von Mitarbeitern sich bereits in der inneren Kündigung befindet, und nur relativ wenige Mitarbeiter der Organisation ihre volle Motivation und ihr volles Engagement zur Verfügung stellen. Viele abhängig Beschäftigte erleben in ihrer Arbeit kaum Sinn und erfahren subjektiv deutlich zu wenig Wertschätzung, was erhebliche Auswirkungen auf ihre Motivation hat (2). Auch befinden sich viele Mitarbeiter trotz aller Geschäftsprozessoptimierungen in Arbeitssituationen, wo strukturell bedingte Konflikte unvermeidbar sind oder Strukturen Entscheidungsprozesse kompliziert und langsam werden lassen. Werden solche Situationen von der Führung nicht ohnehin negiert, werden sie oft mit dem Hinweis auf politische Aspekte oder historisch Gewachsenes gerechtfertigt. Verstärkt werden können all diese Effekte zusätzlich durch eine wenig ergebnisorientierte Organisationskultur.

Dies legt die Vermutung nahe, dass viele Organisationen zwar im Bereich "klassisch betriebswirtschaftlicher" Rationalisierungsstrategien ihre Effizienzsteigerungspotenziale weitgehend gehoben haben, im soziodynamischen (3) Bereich jedoch noch ungeahnte Potenziale schlummern. Dabei setzt die Identifizierung dieser Potenziale ebenso wie ihre Realisierung eine professionelle Führung (4) voraus. Es wird hier deshalb die These vertreten, dass speziell in den "gut geführten Großorganisationen" die Effizienzpotenziale, die mit tayloristischen Methoden gehoben werden können, bereits heute weitestgehend ausgenutzt beziehungsweise ausgereizt sind. Quantensprünge der organisationalen Effizienz in Richtung einer Hochleistungsorganisation können deshalb nur über eine konsequente Professionalisierung von Führung erfolgen, wobei Führung in einer breiten Perspektive gesehen werden muss (5), die neben dem Führungshandeln im engeren Sinne auch die vorherrschende Führungskultur und die organisationalen Strukturen, die ja einen wesentlichen Rahmen für Führung setzen, in die Betrachtung mit einbezieht.

Handlungsperspektive

  • In einer personenbezogenen Perspektive heißt Führung, aus einer Berufsrolle heraus und im Kontext der betrachteten Organisation, Interventionen zu setzen gegenüber einzelnen Personen (den Geführten), um deren Verhalten zielorientiert (bezogen auf die Organisationsziele) zu beeinflussen.
  • In einer systembezogenen Perspektive bedeutet Führung, ebenfalls aus der Berufsrolle heraus, Interventionen zu setzen in Bezug auf das geführte System (die Gesamtorganisation, Geschäftsbereiche, … bis hin zu einzelnen Teams), um dessen globales Verhalten zielorientiert zu beeinflussen.
  • In einer politischen Perspektive bedeutet Führung die aktive Gestaltung der Organisationsumwelt im Sinne der Ziele der jeweiligen Organisation, zum Beispiel durch Lobbyismus oder Imagekampagnen

Konstituierend für Führung ist dabei, dass Führungshandeln von einer Intention geleitet ist und dass es sich dabei um eine wiederkehrende Aufgabe handelt. Professionalisierung von Führung fokussiert in dieser Betrachtung vor allem auf die Ausweitung von aktuellem Führungswissen und -können sowie die Intensivierung der Reflexion des Führungsverständnisses einzelner Führungskräfte, aber auch von Führungsteams, zum Beispiel im Falle der Führung durch Kollegialorgane.

Kulturperspektive

Ob sich die Führungs-Professionalität einzelner Führungskräfte oder von Führungsteams auch tatsächlich entfalten kann, hängt in hohem Maße davon ab, ob in der jeweiligen Organisation eine Kultur vorherrscht, die professionelle Führung fordert und fördert oder gegebenenfalls auch als Führungssubstitut geeignet ist. Folgt man dem sehr plausiblen Drei-Ebenen-Kulturmodell von Edgar Schein,so bieten sich zunächst drei Zugänge der Betrachtung an:

LINK: Das Drei-Ebenen-Modell von Edgar Schein

  • Auf der tiefsten Ebene – diese umfasst die in der Organisation nicht mehr hinterfragten und im Alltag deshalb nicht wahrnehmbaren Grundannahmen – ist vor allem zu fragen, ob es ein selbstverständliches kollektives, das heißt zwischen den sozialen Akteuren geteiltes, Bewusstsein dafür gibt, in Führung einen eigenständigen und auch sehr anspruchsvollen Expertenberuf zu sehen und den Zusammenhang zwischen gelungener Führung und organisationaler Effizienz stets gegenwärtig zu haben. Auch wäre hier zu erforschen, ob in einer Organisation Führung eher als Leistung beziehungsweise Handlung einer einzelnen Person betrachtet wird, oder eher als kollektive Systemleistung. Darüber hinaus finden sich auf dieser Kulturebene die in der Organisation vorherrschenden Grundannahmen über das Wesen von Wirtschaft, deren Sinn und Ziele sowie daraus abgeleitete implizite (Erfolgs-) Kriterien für gelungene Führung (zumindest im Falle erwerbswirtschaftlicher Organisationen).
  • Auf der mittleren Kulturebene befinden sich die von den Organisationsmitgliedern geteilten führungsbezogenen Werte, Attituden und Einstellungen. Relevant sind hier zum einen die Werte, die dem organisational erwünschten Führungshandeln zugrunde gelegt werden (zum Beispiel, dass Fairness gegenüber internen und externen Partnern wichtiger ist als kurzfristiger zusätzlicher Ertrag) selbst, aber auch der Stellenwert, den die Organisation professioneller Führung zuspricht.
  • Die äußere, und in gewissem Umfang auch sichtbare Kulturebene umfasst dann die in einer Organisation üblichen spezifischen Führungssysteme (z.B. Mitarbeitergespräch, qualitative Managementplanung usw.) und Symbolisierungen von Führung. Traditionelle Hierarchien betonen in dieser symbolischen Perspektive vor allem den Machtaspekt von Führung (dies geschieht beispielsweise durch die Koppelung von Statussymbolen an die Hierarchieebene. In der Regel verfügt dann ein Vorstandsmitglied über ein größeres Büro als ein Bereichsleiter), Expertenkulturen fokussieren eher auf Anerkennung durch erbrachte Leistung, zum Beispiel eines Teams von Wissenschaftlern.

Sieht man wie eben skizziert in der Führungskultur in erster Näherung vor allem die von den Organisationsmitgliedern geteilten führungsbezogenen Grundannahmen, Werte und Attitüden sowie deren Verkörperung in Symbolen und Artefakten, so wird klar, dass ein Verständnis, aber auch ein "Management" (6) von Führungskultur grundsätzlich an der Frage anknüpfen muss, wie die genannten Aspekte im kognitiven System der Organisationsmitglieder verankert sind, beziehungsweise welche Möglichkeiten ihrer Veränderung, beispielsweise durch (auch organisationales) Lernen, es überhaupt gibt.

Strukturperspektive

Damit Führungshandeln überhaupt wirksam werden kann, müssen gleichsam als notwendige Bedingung organisationale Strukturen bestehen, die Führungshandeln erst ermöglichen. Dazu gehört zum einen sicherlich die eindeutige verantwortungsmäßige Adressierbarkeit von Entscheidungen. Ist beispielsweise der Produktentwicklungsprozess in einem Unternehmen über drei gleichberechtigte Bereiche verteilt, so ist es nur schwer möglich, Führungserfolg oder -misserfolg bestimmten Führungskräften oder Führungsteams zuzurechnen. Analog findet man in öffentlichen Verwaltungen Personalbeurteilungsverfahren, die den Beurteilungsprozess über mehrere Hierarchieebenen verteilen und damit die Nutzung der Beurteilung als Führungsinstrument durch den direkten Vorgesetzten erschweren. Kurz gesprochen geht es in dieser Perspektive darum, sich der Bedeutung organisationaler Strukturen für professionelle Führung bewusst zu werden und darum, für Führungssysteme zu sorgen, die die kulturell erwünschten Werte im Führungsprozess selbst entsprechend abbilden. Insbesondere geht es auch darum, Systeme und Entscheidungsprozesse vorzusehen, die sicherstellen, nur im Hinblick auf Führung auch qualifizierte Personen für die Besetzung von Führungspositionen zuzulassen.

Zusammenfassend scheinen deshalb für die Professionalisierung von Führung und damit auch für die Hebung weiterer Effizienzpotenziale in Organisationen folgende Aspekte besonders wichtig:

  1. Die subjektive Repräsentation von Führung im kognitiven System der Organisationsmitglieder. Dies sowohl im Hinblick auf das eigene Führungsverständnis (auch die Geführten sollten ihr Verständnis von Führung kennen und artikulieren können) als speziell im Falle von Führungskräften auch bezüglich des eigenen Bewusstseins, Führung als eigenständigen Beruf zu sehen. In der kulturellen Perspektive kommt der subjektiven Repräsentation deshalb eine besondere Rolle zu, da Kultur ja verstanden werden kann als die von einem Sozialkollektiv geteilten mentale Modelle, hier bezüglich Führung.
  2. Die Qualität der Führungskräfteauswahl sowie strukturelle Voraussetzungen für effizienzwirksame Führung.
  3. Die Lern- und Entwicklungsperspektive, die sich mit der Frage auseinander zu setzen hat, wie individuelle Führungskräfte ihr Führungswissen, speziell aber ihr Führungskönnen ausbauen und wie eine Kultur für professionelle Führung entwickelt werden kann.
  4. Gleichsam als Klammer für alle angesprochen Aspekte kann in der Reflexion ein Schlüsselkonzept für das jeweilige Verstehen, aber vor allem auch für praktisches Management gesehen werden. Neben Prinzipien der Reflexion kommt in dieser Perspektive vor allem der Entwicklung reflexiver Kompetenz (diese beschreibt die Bereitschaft und Fähigkeit, professionell Reflexionsprozesse einzuleiten und durchzuführen) auf individueller, aber auch organisationaler Ebene eine besondere Bedeutung zu.

Zur subjektiven Repräsentation von Führung

Jeder Mitarbeiter eines Unternehmens ist in gewisser Weise ein Wirtschaftswissenschaftler: "Er hat eigene Theorien und Denkmodelle über das Funktionieren von Unternehmen, über betriebliche Phänomene und Abläufe, über deren Ursachen und Folgen. Diese Denkmuster prägen das Handeln im Unternehmen" (7).

Jedes Handeln und damit auch Führungshandeln basiert auf inneren mentalen Modellen, sowohl über die eigene Person, als auch über die Umwelt. Das menschliche Gehirn, das ja unser Handeln steuert, arbeitet grundsätzlich – nicht zuletzt weil es keinen "direkten Anschluss" an die umgebende Welt hat - mit Repräsentationen. Die Handlungen, die eine Person im Prozess des Führens setzt, werden gesteuert von ihren subjektiven Annahmen über das "Funktionieren" von Führung, das heißt, in Abhängigkeit von ihrem Führungsverständnis. Diese persönlichen subjektiven Theorien unterscheiden sich nicht grundsätzlich von wissenschaftlichen (Real)-Theorien. Sie bestehen aus beschreibenden und erklärenden Sätzen und beanspruchen, ausgewählte Aspekte einer "äußeren" Wirklichkeit hinreichend tragfähig abzubilden, das heißt nutzbar für die Bewältigung praktischer Herausforderungen des täglichen Lebens. Jeder Mensch ist in diesem Sinne eine Art Wissenschaftler. Der wesentliche Unterschied dieser subjektiven Theorien zu wissenschaftlich anerkannten Theorien liegt im Begründungszusammenhang: Müssen im Hinblick auf eine wissenschaftliche Anerkennung Theorien bestimmte Kriterien ihrer Bewährung erfüllen, so gilt dies nicht für subjektive Theorien. Unabhängig davon sind diese dennoch in höchstem Maße verantwortlich für die Steuerung der eigenen Handlungen .

LINK: Ein kurzer historischer Abriss der wichtigsten Kognitionstheorien

Das sogenannte Führungsverständnis stellt also nichts anderes dar als die Menge persönlicher Annahmen und Theorien bezüglich Führung, über die eine Person verfügt. Es setzt sich in einer ersten Näherung zusammen aus
• erstens dem persönlichen Menschenbild (das sind die Annahmen und Theorien darüber, wie (andere) Menschen "operieren", das heißt, denken, fühlen und handeln) und
• zweitens dem persönlichen Organisationsverständnis. Dieses beschreibt analog die Menge der Annahmen und Theorien, die ein Individuum für die Beschreibung des Funktionierens einer Organisation heranzieht.
• Drittens besteht eine weitere wichtige Komponente des Führungsverständnisses in dem kognitiven Modell der eigenen Person. Dieses beinhaltet unter anderem Selbst-Aussagen darüber, wie eine Person im sozialen Kontext operiert, welche Erwartungen sie an sich richtet und welche Zugänge sie zu ihren Erlebens- und Verhaltensmuster hat. Welches Menschenbild, welches Organisationsverständnis und welches Selbst-Modell ein Mensch in seinen Vordergrund rückt, dürfte dabei maßgeblich von dessen basalen Werten abhängen. Dieser Zusammenhang ist kurz in Abb. 1 skizziert.

Die Kenntnis der eigenen führungsbezogenen mentalen Modelle ist sicherlich eine wesentliche Voraussetzung für die Professionalisierung von Führung:

  • Zum einen vollzieht sich Führung in vielen Fällen direkt über die Führungskraft. In dieser Perspektive wird die Person der Führungskraft selbst zum Schlüsselinstrument der Berufsausübung ‚Führung‘ und die Kenntnis der eigenen subjektiven Führungstheorien wird damit zu der Kenntnis des wesentlichsten „Werkzeugs“ im Prozess des Führens.
  • Die Kenntnis des eigenen Führungsverständnisses ist auch deshalb hilfreich, weil es festlegt, was zulässige beziehungsweise unzulässige Führungshandlungen sind. Damit wird das eigene Führungsverständnis zu einem wesentlichen Orientierungsschema und Handlungsregulativ im Führungsalltag.
  • Die eigenen mentalen Modelle steuern nicht nur das Handeln, sie sind andererseits auch dafür verantwortlich, wie und was wahrgenommen wird und sie entscheiden, wie wahrgenommene Information verarbeitet und gedeutet wird. Unsere inneren Repräsentationen der Welt bestimmen („konstruieren“), was wir überhaupt wahrnehmen und wie sich dann das jeweilige Perzept darstellt. Die Kenntnis der eigenen Wahrnehmungsmuster ist auch deshalb so wichtig, weil erst sie uns eine Bewertung unserer wahrgenommenen Wirklichkeit ermöglicht. Verhält sich beispielsweise in einer Führungssituation der Andere wirklich feindselig mir gegenüber, oder habe ich vielleicht (nur) die Tendenz, neutrale Reize vorschnell als Ausdruck von Feindseligkeit zu interpretieren (8)?
  • Die persönlichen inneren Bilder der Führenden bezüglich Führung definieren auch ihre Erwartungen gegenüber den Geführten. Andererseits legen die führungsbezogenen mentalen Modelle der Geführten deren Erwartungen an die Führenden fest. Führungskräfte wie auch Mitarbeiter gehen meist von der Grundannahme aus, sie wüssten, was Führung jeweils bedeutet, ohne sich je darüber gegenseitig systematisch ausgetauscht zu haben. Häufig sind jedoch die inneren Bilder oder Modelle von Führung der Führenden nicht deckungsgleich mit jenen der Geführten, was in erheblichen Irritationen im Führungsprozess resultieren kann. So kann es vorkommen, dass der Leiter eines Teams von seinen Mitarbeitern hochgradig autonomes Handeln in allen Bereichen erwartet, für die Mitarbeiter – erklärbar beispielsweise aus der organisationskulturellen Entwicklung des Unternehmens – Führung jedoch klare Vorgaben und eher enges Angeleitet Werden bedeutet. Dies kann dann dazu führen, dass die Führungskraft ärgerlich über ihre „ängstlichen, unselbständigen und unmotivierten“ Mitarbeiter wird, die Mitarbeiter ihrerseits sich von ihrer Führungskraft überfordert, nicht wertgeschätzt und nicht wahrgenommen fühlen und in der Konsequenz Angst, Orientierungslosigkeit und Demotivation erleben. Um sich dann beispielsweise in einem Workshop gegenseitig über eigene Bilder beziehungsweise Grundannahmen von Führung austauschen zu können, ist natürlich deren explizites Kennen und Beschreiben Können erforderlich.
  • Nicht zuletzt begrenzen die mentalen Modelle, über die Führungskräfte bezüglich des Funktionierens ihrer Organisation verfügen, deren Problemlösungen und Strategien. Einen hohen Stellenwert dürften in dieser Perspektive grundlegende persönliche Muster besitzen, die in der Vergangenheit zu subjektiv gelungenen Problemlösungen geführt haben. Persönliche strategische Orientierungen, die bereits in der frühen Kindheit erfolgreich bei der Bewältigung des eigenen Lebens (Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse, z.B. dem nach Zuwendung) waren, werden tendenziell später auf breiterer Ebene wiederholt. Aus der jeweils eigenen Biografie eines Topmanagers verstehbare Glaubenssätze wie „es lohnt sich, aufrichtig zu sein“ können sich dann in anderer Form, aber noch klar erkennbar als Transformation dieses Satzes, als Basis einer auf maximaler Transparenz aufbauenden Strategie wiederfinden. Eine Schlüsselrolle dabei spielt auch die Frage, wo die inneren Bilder der Führungskräfte die Grenzen der Betrachtung setzen: Ist beispielsweise die organisationale Umwelt noch Teil des mentalen Funktionsmodells oder werden bestimmte Aspekte davon bereits ausgeschossen?

Da jeder Mensch blinde Flecken in seiner Selbstwahrnehmung besitzt, kann eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem eigenen Führungsverständnis nur mit Unterstützung Dritter erfolgen. Neben der Nutzung eines „klassischen“ Coaching-Ansatzes, also der Bearbeitung von Fragen des Führungsverständnisses unter vier Augen, hat sich in diesem Zusammenhang auch Kollegiale Beratung in einem Dreier-Setting bewährt: Person A versucht, ihr Führungsverständnis gemäß dem oben dargestellten Modell zu explizieren. Person B unterstützt diesen Prozess durch situationsentsprechendes Stellen systemischer Fragen, sie nimmt also die Rolle eines „absichtslos engagierten“ Beraters ein, eine Rolle, die durchaus auch mit der Metapher eines Geburtshelfers beschrieben werden kann. Person C beobachtet diesen cokreativen Beratungsprozess und gibt zu passenden Zeitpunkten Rückmeldung, sowohl zu den Inhalten, als auch zu den Personen sowie zum Beratungsprozess selbst. Nach Abschluss einer Beratungssequenz erfolgt ein Rollenwechsel, so dass jeder Teilnehmer des Trios einmal jede Rolle eingenommen hat. Sind die Teilnehmer vorqualifiziert in den Grundlagen systemischer Beratung inklusive entsprechender Fragetechnik und besteht zwischen ihnen ein ausreichendes Maß an Offenheit und Vertrauen, so genügt hierfür in der Regel ein Zeitkontingent von ca. drei mal zwei Stunden zuzüglich Zeit für Zwischenpausen.

Die Frage, die sich professionelle  Führung in diesem Zusammenhang immer stellen muss ist die, ob das eigene Führungsverständnis zu der aktuellen Führungssituation passt, oder ob gegebenenfalls seine Weiterentwicklung beziehungsweise Veränderung in Richtung einer besseren Passung angezeigt ist. Hat beispielsweise einerseits der neue CEO einer größeren Organisation die Vorstellung, eine unternehmensbezogene Effizienzsteigerung ließe sich vor allem durch Entwicklung der „etwas trägen Mitarbeiter“ in Richtung individueller Hochleistung erzielen, und weist jedoch andererseits die Struktur der Organisation Widersprüchlichkeiten auf, die persönliche Spitzenleistungen rasch neutralisieren – z.B. im Falle von Konflikten aufgrund ungeklärter Schnittstellen – so wird seine Bemühung, die Leistung der Mitarbeiter durch Trainingsmaßnahmen  signifikant zu steigern, weitgehend wirkungslos bleiben. Eher im Gegenteil: Durch die wahrgenommene Unterstellung, als Mitarbeiter zu schwache Leistung zu bringen, kann ein negativer Kreislauf entstehen, der in eine Abwärts-Spirale führt (erlebte Geringschätzung - Empörung - Reduzierung des Engagements - geringere Leistung - verstärkte Kritik des CEOs wegen Minderleistung - erneutes, verstärktes Erleben von Abwertung - …). Die inneren Modelle von Führung entstehen unbewusst seit der frühen Kindheit. Die subjektiven Führungstheorien werden maßgeblich geprägt von den Erfahrungen, die Kinder mit ihren Eltern als Führende machen, später werden sie ergänzt durch weitere Erfahrungen mit Lehrern, Ausbildern, Hochschulprofessoren und erlebte Führungssituationen. Nur in Ausnahmefällen werden sie später durch akademische Führungstheorien oder Erfahrungen in praxisnahen Führungskräfteausbildungen vervollständigt. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sie als persönliche Muster tief verankert und deshalb nur langsam zu verändern sind. Die Veränderung selbst kann nur über reflexionsbasiertes Lernen und anschließendes erfolgreiches Trainieren entstehen. Das heißt, idealerweise sind die eigenen Führungsannahmen zunächst vollständig zu beschreiben und vor allem auch zu akzeptieren. Erst dann können sie in konkreten Situationen auf ihre Angemessenheit und Viabilität hin überprüft und hinterfragt werden. Die Erweiterung der bisherigen Muster erfolgt im Idealfall anschließend über Lernen aus laufender Erfahrung oder durch die Auseinandersetzung mit der aktuellen wissenschaftlichen Führungsdiskussion. In beiden Aspekten kann davon ausgegangen werden, dass der gemeinsame Austausch mit anderen den Lernprozess positiv unterstützt.

Jenseits von Führung im engeren Sinne ist die Auseinandersetzung mit mentalen Modellen im organisationalen Kontext aus zwei weiteren Gründen empfehlenswert. Das für Führungshandeln wichtige Konstrukt der Organisationskultur kann in Anlehnung an Hofstede (9) verstanden werden als organisationsspezifische kollektive Programmierung des menschlichen Denkens. In anderen Worten würde das bedeuten, Organisationskultur besteht vor allem aus den kollektiv geteilten kognitiven Landkarten beziehungsweise Schemata, über die Organisationsmitglieder bezüglich ihrer Organisation verfügen. Wichtig unter Führungsgesichtspunkten ist Organisationskultur zum einen deshalb, weil sie einen wesentlichen Rahmen für Führungshandeln darstellt und zum anderen selbst Gegenstand des Führungshandelns ist. So kommt gerade dem Topmanagement die Führungsaufgabe zu, für die Emergenz einer nachhaltigen Organisationskultur zu sorgen. In beiderlei Hinsicht sind Kenntnisse über die Entstehung und Weiterentwicklung innerer subjektiver Theorien eine notwendige Voraussetzung.

Auch ein weiteres, unter Effizienzgesichtspunkten wichtiges organisationstheoretisches Konstrukt, nämlich das Organisationsklima knüpft an kollektiv geteilten kognitiven Strukturen an. Organisationsklima ist die Wahrnehmung und Beschreibung wesentlicher Attribute einer Organisation durch die Mehrheit ihrer Mitglieder. Dabei muss Wahrnehmung wiederum verstanden werden als ein konstruktiver Prozess, der von inneren Modellen beziehungsweise Erwartungsstrukturen oder Hypothesen geleitet wird. Da diese inneren kognitiven Muster im Prozess der (auch organisationalen) Sozialisation entstehen, liegen der Organisationsklimadiskussion vor allem auch Theorien sozialer Wahrnehmung zu Grunde . An oben anknüpfend ist in dieser Perspektive auch zu fragen, ob die generellen subjektiven Repräsentationen der Organisation und ihrer Umwelten der jeweiligen aktuellen Situation angemessen sind. So ist beispielsweise zu vermuten, dass Strategien, die auf schwerpunktmäßig mechanistischen Vorstellungen von Organisation aufbauen, in dynamischen, turbulenten Umwelten wenig effizient sind. Führungskräfte selbst erleben das Fehlen valider Umweltmodelle in solchen Phasen typischerweise als Orientierungslosigkeit.

Anmerkungen

(1) Employee Engagement ist eine personenbezogene, in der Aggregation aber auch organisationale Variable, die ausdrückt, in welchem Umfang sich ein/die Mitarbeiter eines Unternehmens bewusst entscheidet/en, dem Unternehmen seinen/ihren vollen Einsatz, das heißt seine/ihre volle Motivation zur Verfügung zu stellen. Dabei ist das Konstrukt als wesentlich aktiver und handlungsorientierter zu verstehen als das historisch ältere der Arbeitszufriedenheit. Im Hinblick auf empirische Daten veröffentlicht beispielsweise das Gallup Institut jährlich seinen Engagement Index.
(2) Bauer, J.: Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren, Hamburg 2006, z.B. S. 41 ff.;  auch Spitzer, M.: Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg u. Berlin, 2002, z.B. S. 175 ff.
(3) Hierunter verstehen wir all diejenigen Prozesse und Kräfte, die unter der Oberfläche der Organisation von den sozialen Akteuren erzeugt werden und die maßgeblich für das (aktuelle) Erleben und Verhalten in und von Organisationen verantwortlich sind. Beispielhaft zu erwähnen wären hier gruppendynamische Prozesse wie Machtbildung, kollektive Angst-Abwehr, Werte, geteilte Grundannahmen, Double Binds in Organisationen, verdeckte Konflikte und vieles mehr.
(4) Schuh, S.: Führung als Profession, in :Sackmann, S. (Hrsg.): Mensch und Ökonomie – wie sich Unternehmen das Innovationspotenzial dieses Wertespagats erschließen, Wiesbaden 2008, S. 276 -293
(5) Schuh, S.: Zur Zukunft der Professionalisierung von Führung, in: Hernsteiner 3/2007, s. 13 – 15
(6) Als emergentes Phänomen kann Unternehmenskultur natürlich nicht in einem trivialen Sinne gemanagt werden. Denkbar ist jedoch ein Kontextmanagement dergestalt, dass die Verantwortlichen in einer Organisation Bedingungen so herstellen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Ausprägung der gewünschten Kultur steigt.
(7) Weber, F.: Subjektive Organisationstheorien, Wiesbaden 1991, hinterer Einbandrücken
(8) Unterschiedlichste Beispiele finden sich bei Watzlawick, P.: Anleitung zum Unglücklichsein, München 1983
(9) Hofstede, G.: Kultur und Organisation, in Grochla, E. (Hrsg.):Handwörterbuch der Organisation, Stuttgart 1980, Sp. 1169

Ausblick:

In der nächsten Ausgabe des Leaders Circle wird als Teil II der Themenkreis Führungskräfteauswahl und strukturelle Voraussetzungen für effiziente Führung behandelt werden. Als Vertiefung sind dabei Typische Methoden und Strategien der Führungskräfteauswahl und der Zusammenhang von Struktur und Verhalten vorgesehen.
Teil III greift dann Fragen des Führungslernens auf. Ein spezieller Fokus wird dabei auf die Professionalisierung von Führung durch organisationales Lernen gerichtet. Zwei Vertiefung sind vorgesehen: Eine fasst die traditionellen Formen des Führungslernens zusammen, die andere stellt die Grundlagen des organisationalen Lernens detaillierter dar.
Teil IV soll dann das Thema Reflexive Kompetenz als Schlüsselvariable effizienter Führung zum Mittelpunkt haben und damit den gesamten Argumentationszusammenhang abschließen. Vertieft wird hier die Beobachtung der Beobachtung und ihre Bedeutung für die Ausbildung von Führungsbewusstsein.

Zum Autor: Dr. Sebastian Schuh ist freier Organisationsberater in Starnberg, zuvor interner Berater bei DaimerChrysler und von 2000 bis 2007 verantwortlich für Aufbau und Leitung der Abteilung Strategischen Personalentwicklung und der Generali Akademie der Generali Vienna Group.

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Dr. Sebastian Schuh